Gaza: Genozid durch Hunger

Alex Zora, Flammende Nr. 9

Mit diesem Beitrag wollen wir die letzten Monate des Genozids in Gaza nachzeichnen. Wir schließen damit an einen Artikel vom Frühjahr an. Der Genozid ist aktuell in der Phase des aktiven Verhungerns der Palästinenser*innen in Gaza eingetreten. Die regelmäßige Auseinandersetzung mag schmerzhaft sein, aber wir sehen das als Pflicht für alle Internationalist*innen an – insbesondere in den Ländern, die Israel bei seinen Verbrechen aktiv unterstützen.

Bruch des Waffenstillstands und IDF-Offensive

Den Bruch des Waffenstillstands durch Israel Mitte März haben wir in unserem Artikel „Gaza: Österreich mal wieder Täter“1 analysiert. Seitdem hat sich die Situation in Gaza noch einmal deutlich verschlimmert. Die ersten Wochen der erneuten genozidalen Offensive verbrachte die israelische Luftwaffe damit, den Gazastreifen weiter in Schutt und Asche zu legen, die Bodenoperationen waren anfangs noch limitiert. Wie so oft sollte zuerst alles dem Erdboden gleich gemacht werden, bevor Bodentruppen der israelischen Armee nach Gaza geschickt wurden. Mit Ende des Waffenstillstands wurden aber nicht nur tausende durch Luftschläge ermordet, sondern Israel unterbrach auch die humanitäre Hilfe nach Gaza. Konnten während des Waffenstillstands noch hunderte LWKs jeden Tag Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen, wurden diese Lieferung zur Gänze von Israel blockiert. Eine aktive Politik des Aushungerns wurde in der Vergangenheit von Faschisten wie Smotrich gefordert und moralisch legitimiert2 – heute ist seine Politik politischer Mainstream und wird durch die israelische Armee umgesetzt.

Anfang Mai begann die israelische Armee dann auch ihre Bodenoffensive. Ziel sollte sein, den Großteil des Gazastreifens besetzen zu können. Die Bevölkerung wurde dabei in den Küstenstreifen zwischen Mawasi und dem Flüchtlingslager Nuseirat sowie in Gaza-Stadt zusammengetrieben. Große Teile von Khan Younis und Mittelgaza wurden mittels „Evakuierungsbefehlen“ von seiner Bevölkerung gesäubert. Wer zurück blieb, musste damit rechnen – wie spätestens seit letztem Jahr explizit dokumentiert und geplant3 – als feindliche*r Kämpfer*in dem Abschuss frei gegeben zu werden. Trotz der extremen Übermacht in Material und Logistik musste die IDF auch einige Verluste hinnehmen. Der militärische Widerstand ist aber aktuell nicht in der Lage, die Pläne Israels ernsthaft zu behindern. Aktuell kontrolliert die IDF wieder große Gebiete, die sie mit Beginn des Waffenstillstands verlassen hatte. Nichtsdestotrotz musste die IDF Anfang August eingestehen, dass nicht alle ihrer militärischen Ziele erreicht werden konnten4. Das zeigt, dass die Menschen in Gaza, trotz fast zweijähriger Belagerung und Genozid immer noch in der Lage sind, Widerstand gegen ihre eigene Vernichtung und Vertreibung zu leisten.

Gaza Humanitarian Foundation

Bis Mitte Mai hatte Israel für 11 Wochen komplett jegliche humanitäre Hilfe in den Gazastreifen blockiert5. Am 25. April musste das World Food Programme bekannt geben, dass es kein Essen mehr ausgeben konnte6. Zuvor hatte schon UNRWA seine Bäckereien schließen müssen7 und am 7. Mai musste World Central Kitchen8, die bis dahin die größte Essensverteilerin in Gaza war, bekannt geben, dass kein Essen mehr in Gaza verteilt werden konnte.

Israel schloss damit quasi jegliche nicht direkt kontrollierte humanitäre Versorgung. Der einzige Akteur, dem in Gaza erlaubt wurde zu agieren, war die sogenannte Gaza Humanitarian Foundation (GHF). Die GHF wurde im Februar dieses Jahres (offenbar schon als Vorbereitung für die jetzige Aushungerungskampagne Israels) als non-profit Organisation in den USA gegründet. Ihr Vorsitzender ist Johnnie Moore Jr., evangelikaler Zionist und einflussreicher Trump-Berater. Unterstützt durch die israelische Regierung und finanziert durch die US-Regierung ist sie eine willige Gehilfin bei der Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung. An den Versorgungsstellen wurden seit Mai mehr als 1.000 Menschen getötet9 und viele weitere tausend verletzt. Dabei werden die Menschen an den wenigen Stellen, wo es Essen gibt, zusammengetrieben, um dort willkürlich Menschen ermorden zu können (natürlich immer mit der Rechtfertigung, dabei die Hamas zu bekämpfen). Inwiefern die Palästinenser*innen dabei auch daran gewöhnt werden sollen, in großen Mengen auf engsten Raum gepfercht zu sein, um sie zu einem späteren Zeitpunkt besser deportieren zu können, ist aktuell noch spekulativ. Es wäre aber eine logische Konsequenz der Entwicklungen.

Die Verteilung von Essen ist bei Weitem nicht der Hauptfokus von GHF. In erster Linie werden Söldner*innen aus den USA, die großteils aus Ex-Soldat*innen bestehen, angeheuert. Die Essensausgabestellen sind ein unmenschliches Chaos, wo verzweifelte Menschen versuchen an Essen zu kommen. Während IDF, amerikanische Söldner*innen sowie von Israel unterstützte palästinensische Kriminelle (die Popular Forces/Anti-Terror Service von Abu Shabab) an den Essenausgabestellen unzählige Palästinenser*innen ermorden, verbreitet GHF darüber einfach nur pro-israelische Propaganda10. Denn genau das ist die Aufgabe von GHF. Israel möchte nicht nur die Abgabe von humanitärer Hilfe, wie auch die Art und Weise, wie sie abgegeben wird, kontrollieren, sondern auch das Narrativ über die Zustände in Gaza.

Ende August erklärte die Integrated Food Security Phase Classification (IPC) für den gesamten Gazastreifen die Phase 5 auf ihrer Skala der Ernährungssicherheit11. Die Phase 5 ist die letzte Phase des IPC, sie beschreibt eine „Hungersnot/Humanitäre Katastrophe“. Alle Hilfsorganisationen machen für diese Hungersnot Israel und seine Regierung verantwortlich, die insbesondere mit dem kompletten Stopp aller Lieferungen sowie der Übernahme der Operationen durch GHF diese rein menschengemachte Hungersnot bewusst herbeigeführt haben. Das Hauptinstrument des Genozids ist jetzt nicht mehr die direkte Ermordung durch Waffengewalt oder Bombardements, sondern es ist ein Genozid des aktiven Aushungerns geworden. Hunderttausende haben gar nichts mehr zu essen. Wie viele Menschen in den kommenden Monaten zu Tode kommen werden, ist leider nicht abzusehen und hängt auch von der Stärke der internationalen Bewegung ab, die in Solidarität mit den Palästinenser*innen und ihrem Befreiungskampf steht. Aber für eine Bevölkerung wie in Gaza würde ein Anhalten des aktuellen Zustand zu hunderten Verhungerten pro Tag führen. Diese Methode des Aushungerns hat als grausame Konsequenz, dass die ohnehin schon verletzlichsten Teile der Bevölkerung – (Waisen-)Kinder, Alte, (chronisch) Kranke und Verletzte – als erstes zu Grunde gehen werden.

Annexionspläne und neue Offensive

Neben der massenhaften Ermordung und Aushungerung der Bevölkerung in Gaza sind die Palästinenser*innen in der Westbank auch von verschärfter Gewalt und Vertreibung betroffen. Die israelische Politik sieht aktuell unter Trump wohl die Möglichkeit, die von Likud jahrzehntelang verfolgte Annexion der gesamten palästinensischen Gebiete vorzunehmen („Das jüdische Volk hat ein exklusives und unerschütterliches Recht auf alle Gebiete von Eretz Israel.“12).

Ende Juli verabschiedete die Knesset mit nur 13 Gegenstimmen (71 hatten dafür gestimmt) eine symbolische Resolution, die sich für eine formelle Annexion des Westjordanlands aussprach. Für sie stimmten nicht nur Abgeordnete der Regierungsparteien, sondern beispielsweise auch die Oppositionspartei Jisra’el Beitenu. Die großen, liberalen Oppositionsparteien stimmten nicht gegen die Resolution, sondern nahmen nicht an der Abstimmung teil13. Das Einzige, was jetzt noch für die formelle Durchführung der Annexion des Westjordanlands politisch notwendig ist, ist eine Absegnung durch die US-Regierung. In dem US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee (wie Johnnie Moore Jr. auch fanatischer, evangelikaler Zionist), hat die israelische Regierung einen wichtigen Unterstützer der Annexionspläne. Er weist eine lange Geschichte der Unterstützung des israelischen Anspruchs auf Judäa und Samaria, wie er die Westbank nennt, auf14. Wir können davon ausgehen, dass aktuell in Washington massiv für eine Anerkennung einer formalen Annexion der Westbank durch Israel lobbyiert wird.

Währenddessen ist für Gaza eine neue Offensive von Seiten der israelischen Armee geplant. Berichten zu Folge soll Gaza-Stadt im Norden des Gaza-Streifens, wo sich aktuell noch etwa 1 Million Menschen15 aufhalten, ebenso wie schon zuvor viele andere Teile, mit sogenannten „Evakuierungsbefehlen“ von der gesamten Bevölkerung gesäubert werden. Der Plan besteht darin, die vollständige Kontrolle über das gesamte Gebiet – insbesondere Nordgaza – zu erlangen und die Bevölkerung möglichst in den Süden zu treiben. Inwiefern das auch mit Plänen zur Errichtung von jüdischen Siedlungen im Norden zusammen hängt, oder ob es eher darum geht, die Palästinenser*innen nach Ägypten zu vertreiben, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Für eine genauere Betrachtung der Strategien der Siedler*innenbewegung verweisen wir auf den Artikel „Die Regierung Netanjahu und die Rechte in Israel“ in dieser Ausgabe.

Innenpolitisch hat die geplante neue Offensive eine erneute Krise für die Regierung von Netanjahu eröffnet. Auf der einen Seite mobilisiert die Opposition für einen Geiseldeal und gegen eine erneute Offensive, solange nicht alle in Gaza verbliebenen Israelis in einem Deal mit Hamas befreit wurden. Bei einzelnen Mobilisierungen gingen hier hunderttausende auf die Straße16. Auf der anderen Seite mobilisiert aktuell (Stand August) Smotrich gegen Netanjahu und seine Pläne. Die Sorge ist, dass die neue Offensive „nur“ dazu da sei, Druck für einen Geiseldeal zu erzeugen. aber nicht, um die Ziele der Rechten – insbesondere die Besiedelung oder Annexion von Gaza und die dafür notwendige Vertreibung oder Vernichtung der Palästinenser*innen dort– wirklich zu erreichen17. Ein Rückzug von Mafdal aus der Regierung würde, nach aktueller Knesset-Arithmetik, sehr wahrscheinlich ein Ende der Regierung Netanjahu und Neuwahlen bedeuten.

Internationale Solidarität wichtiger denn je

Die Situation in Gaza ist heute so grausam wie kaum je zuvor. Israel kommt scheinbar mit allen Verbrechen ungestraft davon. Doch auch wenn Israel durch die Trump-Regierung kaum Grenzen gesetzt bekommt, sollte man trotzdem nicht den Fehler begehen anzunehmen, dass Netanjahu und seine Regierung einfach für immer tun und lassen können, was sie wollen. Innerhalb Israels gibt es zwar eine Opposition gegen die aktuelle Regierung, aber in allen wichtigen Fragen ist die politische Rechte hegemonial. Die Mobilisierungen gegen Netanjahu fordern zwar einen Geiseldeal und rücken das Schicksal der wenigen in Hamas-Gefangenschaft verbliebenen Israelis in den Vordergrund, eine Thematisierung des Aushungerns und der Vernichtung der Palästinenser*innen findet man aber in den Forderungen der Protestierenden kaum bis gar nicht. Neuwahlen würden also nichts Fundamentales an der strategischen Ausrichtung des israelischen Staates ändern.

Nichtsdestotrotz ist Israel als imperialistischer Vorposten der USA und des Westens auch auf deren Unterstützung angewiesen. Die Wandlung der öffentlichen Meinung in vielen Israel unterstützenden Ländern in Europa und Amerika ist in den letzten Monaten noch weiter vorangeschritten. Sie bietet zumindest das Potential dafür, dass irgendwann der Freibrief für Israel zu Ende gehen könnte. Dafür braucht es aber eine kämpferische und große Bewegung gegen den Genozid und seine Unterstützer*innen und Ermöglicher*innen im Westen.

Eine zentrale Rolle spielen hier insbesondere die Bewegungen in Deutschland und den USA, den beiden letzten verbliebenen an Israel Waffen liefernden Staaten. Sogar Deutschland hat mittlerweile einen vorläufigen Stopp gewisser Waffenlieferungen an Israel beschlossen. Dabei wird von der deutschen Regierung insbesondere die erneute Offensive kritisiert. Welche Waffen bzw. Rüstungsgüter genau gestoppt und welche weiter geliefert werden, teilt die deutsche Bundesregierung aber nicht genau mit18. Was aber klar sein dürfte, ist, dass die Unterbrechung der deutschen Exporte kurzfristig nichts an Israels Kurs in Gaza ändern wird. Das unterscheidet die USA ganz wesentlich von Deutschland. Sollten diese nämlich die Exporte einstellen, würde die israelische Armee ernsthaft Probleme bekommen. Insbesondere in den USA braucht es eine große Bewegung gegen Waffenlieferungen an Israel.

Doch auch Österreich spielt, obwohl es deutlich weniger materielle Hilfe an Israel leistet, eine wichtige Unterstützung im diplomatischen Raum. Insbesondere innerhalb der EU wirkt Österreich oftmals abschwächend gegen schärfere Kritik und potenzielle Sanktionen gegenüber Israel. Beate Meinl-Reisinger bezeichnet Österreich dabei beispielsweise als „Freund Israels“ und lud sogar den israelischen Außenminister Gideon Sa’ar im Juli nach Österreich zum Staatsbesuch ein – das alles, während von seiner Regierung ein Genozid in Gaza organisiert wird.

Aber man merkt auch, dass die Stimmung innerhalb Österreichs sich immer mehr zu Ungunsten Israels dreht, es braucht jetzt eine offensive, geeinte und fortschrittliche Bewegung, die diese Stimmung auch auf die Straße tragen kann!

So eine Bewegung müsste in Österreich eintreten:

  • Für ein Ende jeglicher Unterstützung Israels – egal ob durch die Politik oder Wirtschaft! Für ein Ende jeglicher militärischen Zusammenarbeit mit Israel!
  • Für den kompletter Stopp jeglicher Waffenlieferungen sowie von Produkten, die essentielle Teile von Waffensystemen sind (wie Rotax-Motoren für Elbit-Drohnen)!
  • Gegen das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel!
  • Für eine Ende der Kriminalisierung der Palästina-Bewegung in Österreich und der EU
  • Für die Miteinbeziehung der großen Organisationen der Arbeiter*innenbewegung in eine österreichische und internationale Bewegung gegen Genozid, Apartheid und Vertreibung!
  • Für die Vernetzung und Koordinierung der Palästina-Bewegung in Europa und weltweit. International koordinierte Aktionen können gezielt mehr Druck aufbauen!

1 https://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=5532

2 https://www.theguardian.com/world/article/2024/aug/08/israel-finance-minister-bezalel-smotrich-gaza-starve-2m-people-comments

3 https://apnews.com/article/hamas-israel-generals-plan-eiland-gaza-219d7eb9a3050e281ccc032d5a56263c

4 https://www.timesofisrael.com/operation-gideons-chariots-comes-to-a-close-with-promised-goals-unfulfilled/

5 https://www.wfpusa.org/news/gaza-conflict-timeline-aid-humanitarian-crisis/

6https://www.wfp.org/news/wfp-runs-out-food-stocks-gaza-border-crossings-remain-closed

7 https://apnews.com/article/israel-palestinians-hamas-war-news-ceasefire-hostages-04-01-2025-0672fee1c04524fc1765d167fe8dcd7b

8 https://wck.org/news/gaza-update-5-7

9 https://www.npr.org/2025/07/23/nx-s1-5477365/israel-gaza-aid-casualties

10 https://archive.is/20250627130556/https://www.haaretz.com/israel-news/2025-06-27/ty-article-magazine/.premium/idf-soldiers-ordered-to-shoot-deliberately-at-unarmed-gazans-waiting-for-humanitarian-aid/00000197-ad8e-de01-a39f-ffbe33780000

11 https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Gaza_Strip_Acute_Food_Insecurity_Malnutrition_July_Sept2025_Special_Snapshot.pdf

12 https://www.deutschlandfunk.de/israel-westjordanland-siedlungspolitik-100.html

13 https://www.timesofisrael.com/knesset-votes-71-13-for-non-binding-motion-calling-to-annex-west-bank/

14 https://www.theguardian.com/us-news/2015/aug/18/mike-huckabee-west-bank-israel-comments

15 https://www.theguardian.com/world/2025/aug/08/israel-cabinet-approves-netanyahu-gaza-city-takeover-plan

16 https://www.timesofisrael.com/liveblog-august-17-2025/

17 https://www.ynetnews.com/article/sjje3qr00el

18 https://www.deutschlandfunk.de/deutsche-waffenexporte-ruestungsexporte-israel-genehmigung-100.html#unterschied-zwischen-ruestungsguetern-kriegswaffen