Gaza: Österreich mal wieder Täter

Der Gazastreifen ist weit weg und die humanitäre Katastrophe erscheint vielen Leuten mittlerweile als (traurige) neue Normalität. Gleichzeitig ist unter vielen Linken die Ansicht verbreitet, dass man von Österreich aus eh kaum etwas für die Menschen in Palästina tun könnte – oftmals eine willkommene Ausrede sich nicht medialen Attacken von Seiten pro-israelischer Journalist*innen und bürgerlicher Parteien auszusetzen. Aber Österreich spielt eigentlich keine so unwichtige Rolle im – kleiner werdenden – Unterstützer*innenkreis Israels. Wir wollen uns im Folgenden mit der Rolle Österreichs auseinandersetzen, davor aber die Entwicklungen der letzten Monate nachzeichnen.

Plan der Generäle 1.0

Die Situation im Gazastreifen, insbesondere in den nördlichen Gebieten, war von Oktober 2024 bis Anfang 2025 durch den sogenannten Plan der Generäle geprägt. Dieser war ein Vorschlag einiger (ehemaliger) hochrangiger Armee-Funktionäre, die seit Frühling 2024 die Kriegsführung der israelischen Armee (IDF) auch öffentlich kritisiert und eine härtere Vorgehensweise vorgeschlagen hatten. Kernelement des Plans, der medial vor allem vom ehemaligen Generalmajor Giora Eiland vorgetragen wurde, war die vollkommene ethnische Säuberung der nördlichen Teil Gazas. Hunderttausende im Norden verbliebener Palästinenser*innen sollten durch ein einwöchiges Ultimatum zur Flucht gezwungen werden. Alle, die es in dieser einen Woche nicht raus geschafft hätten, sollten einfach kurzerhand zu Kämpfer*innen – und damit als legitimes Ziel der IDF – erklärt werden. Nach dieser einen Woche sollten dann alle Hilfslieferungen in den Norden eingestellt werden, um die verbliebenen Palästinenser*innen einfacher als „Hamas-Terroristen“ vernichten zu können. Der Plan der Generäle stand zwar nie explizit in Verbindung mit den Bestrebungen der Siedler*innenbewegung in Gaza, wieder jüdische Siedlungen zu errichten, aber bei dem zu „säubernden“ Gebiet im Norden Gazas handelt es sich um das Gebiet, das die Siedler*innenbewegung gerne als erstes besetzen und besiedeln möchte, was vermutlich kein Zufall ist

Offiziell war der Plan der Generäle nicht von Seiten der israelischen Armee angenommen worden, was im Angesicht der glasklaren Brüche des humanitären Völkerrechts ohnehin als recht unrealistisch erschienen war. Nichtsdestotrotz wurden ab Oktober letzten Jahres wesentliche Teile davon in die Realität umgesetzt. Mit Anfang Oktober wurden für alle Gebiete nördlich von Gaza-Stadt von Seiten Israels Evakuierungsbefehle ausgestellt. Zu dem Zeitpunkt befanden sich etwa 300.000 Menschen in den betroffenen Gebieten.1 Mit Oktober wurde auch nahezu vollständig die Lieferung von Hilfsgütern in den Norden unterbrochen. Dabei waren die Evakuierungsbefehle für die nördlichen Gebiete an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten. Es gibt unzählige Berichte, die zeigen, dass die Flucht genauso tödlich für Palästinenser*innen war wie der Verbleib im Norden. Unzählige Zivilist*innen wurden auf der Flucht von Scharfschützen, Drohnen –teilweise auch mit künstlicher Intelligenz automatisiert– und Luftschlägen getötet2.

Mit Anfang November eskalierte die Lage dann endgültig. Der innerparteiliche Likud-Rivale von Benjamin Netanyahu, Verteidigungsminister Yoav Gallant, wurde entlassen. Seine Nachfolge trat der Hardliner Israel Katz an. Am selben Tag meldete die israelische Armee auch, dass im Norden „keine Zivilist*innen mehr übrig“ wären3. Zur selben Zeit schätzte das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA), dass im Norden noch 75.000 bis 90.000 Menschen verblieben4 und von jeglicher humanitärer Versorgung abgeschnitten waren. Schon im Oktober mussten auch die palästinensischen Rettungsdienste verkünden, dass sie ihre Arbeit im Norden Gazas aufgrund des Mangels an Treibstoff und der anhaltenden israelischen Belagerung einstellen müssen. Nahezu alle Krankenhäuser im Norden wurden durch die israelische Armee ausgeschaltet. Die humanitäre Versorgung wurde von Israel für mehrere Monate unterbunden5.

Bis heute ist die Berichterstattung über die Ereignisse zwischen Oktober und Jänner sehr eingeschränkt. Auch in der Zeit des Waffenstillstandes ließ Israel keinerlei ausländische Journalist*innen oder internationale Expert*innen für die forensische Dokumentation von Kriegsverbrechen in den Gazastreifen6.Nichtsdestotrotz drangen von israelischer Seite Berichte über den stattfindenden Völkermord nach außen7. Einzelne Divisionen trugen offenbar Wettbewerbe darüber aus, wer mehr Palästinenser*innen töten könnte, getötete Zivilist*innen wurden einfach als Terrorist*innen gezählt8. Genaue Angaben über die Zahl der im Norden ermordeten Palästinenser*innen sind aktuell, insbesondere aufgrund der zerstörten Infrastruktur zur Aufzeichnung, nicht bekannt.

Waffenstillstand

Mehr als ein Jahr lang liefen Verhandlungen, um einen neuen Waffenstillstand und einen damit einhergehenden Gefangenaustausch zu erzielen. Vor allem wichtige Kräfte in der israelischen Regierung (insbesondere Finanzminister Smotrich und Minister für Nationale Sicherheit Ben-Gvir) waren sogar recht offen damit, bei einem Waffenstillstandsabkommen die Regierungskoalition zu verlassen. Das war auch der zentrale Grund dafür, dass ein vorgeschlagenes Abkommen im Mai 2024 von Israel in letzter Sekunde doch wieder abgelehnt wurde. Im September 2024 gab es dann Berichte in unterschiedlichen israelischen Medien910, dass nicht nur der faschistische Teil der Netanyahu-Regierung (Smotrich und Ben-Gvir) ein Waffenstillstandsabkommen ablehnte, sondern insbesondere auch Ministerpräsident Netanyahu höchstpersönlich ein solches sabotierte.

Wie schon weiter oben beschrieben, eskalierte die israelische Armee dann ab Oktober ihr genozidales Verhalten im „Plan der Generäle“. Ernsthafte Fortschritte bezüglich eines Waffenstillstands gab es dann erst, als sich Trumps Nahost-Sonderbeauftragter Steve Witkoff in die Verhandlungen einschaltete. Witkoff dürfte Trumps Druck an die israelische Regierung weiter gegeben haben, ein Abkommen spätestens zum Amtsantritt von Trump am 20. Jänner verkünden zu können. Dabei wurde sehr deutlich, dass die Biden-Regierung doch deutlich mehr hätte tun können, um Israel vom Morden in Gaza abzuhalten.

Die Annahme des Deals hing dann in Israel aber trotzdem am seidenen Faden. Ben-Gvirs Partei Otzma Yehudit brach sogar mit Netanyhu und trat aus der Regierung aus. Smotrichs Partei Religiöser Zionismus hingegen stimme dem Abkommen zu, vermutlich weil es Zusicherungen von Netanyahu gab, den Krieg gegen Gaza nach Phase 1 des Abkommens wieder fortzusetzen11 – was sich im Angesicht der aktuellen Entwicklungen als sehr real heraus gestellt hat.

Während des Waffenstillstandes, der aus mehreren Phasen bestehen sollte, wurden Gefangene ausgetauscht, die israelische Armee zog sich aus den meisten Teilen des Gazastreifens zurück – nur ein grenznaher Abschnitt wurde besetzt gehalten – und dadurch konnten sich Palästinenser*innen wieder mehr oder weniger frei im gesamten Gebiet bewegen. Nichtsdestotrotz erlaubte es Israel ausländischen Journalist*innen und Völkerrechtler*innen nicht, das Gebiet zu betreten, um Berichte oder Beweise für Kriegsverbrechen und Genozid zu sammeln. Gegen Ende Februar wurde klar, dass es immer mehr Probleme bei der Einhaltung des Abkommens gab. Insbesondere von israelischer Seite wurde nicht besonders aktiv an einem Abkommen für eine Phase 2 des Waffenstillstandes gearbeitet12.

Am 1. März lief dann Phase 1 des Abkommens aus, ohne dass eine zweite Phase verhandelt worden war. Am 2. März blockierte Israel dann schon alle humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen13. Das stellte eigentlich an sich schon ein Bruch des Abkommens dar. Einige Tage lang versuchte Israel dann, die Hamas damit zu zwingen, weitere Geiseln freizulassen, ohne im Gegenzug irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Den endgültigen Bruch des Waffenstillstands vollzog Israel dann in der Nacht von 17. auf 18. März, als innerhalb weniger Stunden hunderte Palästinenser*innen durch israelische Luftschläge getötet wurden.

Trump gibt grünes Licht für ethnische Säuberungen

Nachdem der Waffenstillstand Mitte Jänner beschlossen worden war, ließ Trump nicht lange auf sich warten, um die genozidalen Pläne der israelischen Rechten zu unterstützen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Netanjahu erklärte er, dass man den Gazastreifen von den Palästinenser*innen „säubern“ sollte. Diese sollten in benachbarte arabische Länder vertrieben werden, damit die USA Gaza übernehmen könnten um es zur „Riviera des Mittleren Ostens“ zu machen.

Die israelische Rechte griff diese Positionierungen mit großer Freude auf. Smotrich rief dazu auf, den Plan von Trump unmittelbar umzusetzen und die palästinensische Bevölkerung zu deportieren14. Auch der zwischenzeitlich aus der Regierung ausgetretene Ben-Gvir erklärte, dass er wieder in die Regierung Netanjahu eintreten würde, sollte der Plan von Trump umgesetzt werden15. Mittlerweile hat er das auch getan, genau an dem Tag, nachdem Israel den Waffenstillstand gebrochen hatte.

Netanjahu selbst bezeichnete das Treffen mit Trump in einer Rede in der Knesset als „das wichtigste, freundlichste und bedeutsamste“ eines israelischen Ministerpräsidenten und eines US-Präsidenten überhaupt16. Es war für ihn wohl mit der direkten Erlaubnis verbunden, den Krieg in Gaza fortzusetzen. Inwieweit es auch direkte, konkrete und unmittelbare Zustimmung von Trump zu ethnischen Säuberungen gab, kann nur spekuliert werden, ist aber durchaus naheliegend.

Das Ganze drückt nicht nur eine Radikalisierung nach rechts in der israelischen Gesellschaft aus, sondern befeuert diese gleichzeitig. Während vor eineinhalb Jahren noch die Pläne der Siedler*innenbewegung für eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens durch religiöse Fundamentalist*innen als illusorisches Projekt einer kleinen Minderheit erschienen sind, ist dieses Projekt heute viel mehr ins Zentrum der politischen Debatte in Israel getreten. Sowohl im Jänner wie auch im Oktober 2024 gab es große Konferenzen der Siedler*innenbewegung für die Wiederbesiedlung des Gazastreifens. Bei beiden Events nahmen nicht nur die Rechtsausleger der israelischen Regierung (vor allem Smotrich Ben-Gvir) teil, sondern auch Likud-Minister*innen teil1718. Die Konferenz im Oktober wurde sogar von Likud-Mitgliedern mitorganisiert19. Mittlerweile befürwortet eine deutliche Mehrheit der israelischen Gesellschaft Trumps Plan zur ethnischen Säuberung der Palästinenser*innen20. Insbesondere bei Anhänger*innen der politischen Rechten, von Mitte-Rechts und bei Likud-Wähler*innen gibt es sehr große Mehrheiten zur Umsetzung der vollständigen ethnischen Säuberung21. Ablehnung kommt fast ausschließlich von Palästinenser*innen mit israelischer Staatsbürger*innenschaft. Die Frage der Umsetzung dieses Plans kann also in erster Linie nur durch den palästinensischen Widerstand und internationale Solidarität verhindert werden.

Innenpolitische Krise und Plan der Generäle 2.0?

Aktuell (Redaktionsschluss Ende März 2025) hat die israelische Armee wieder den sogenannten Netzarim-Korridor eingenommen. Damit haben die IDF den Gazastreifen südlich von Gaza Stadt in zwei Teile geteilt. Das war auch schon während des ersten Plans der Generäle der Fall. Der Norden wurde dann vollkommen isoliert. Der Name des Korridors dürfte auch kein Zufall sein. Netzarim war eine der ersten israelischen Siedlungen im Gazastreifen. 1972 als militärischer Außenposten (Nahal) gegründet, wurde es 1984 zu einer zivilen Siedlung umgewandelt. Politisch war es eine Hochburg des religiösen Zionismus. 2005 wurde die Siedlung nach dem israelischen Abzug aus Gaza wieder aufgelassen.

Neben der Einnahme des Netzarim-Korridors sowie der fortgesetzten Blockade von Hilfsgütern haben sich die IDF bisher auf Luftschläge beschränkt. Auch schon direkt nach dem 7. Oktober war ersichtlich, dass vor einer Bodenoffensive die israelische Luftwaffe zuerst einmal alles weitgehend dem Erdboden gleichmacht. Darüber hinaus hat die israelische Armee auch schon mehrere sogenannte „Evakuierungsbefehle“ für unterschiedliche Gebiete in Gaza ausgegeben. Insbesondere betroffen sind Gebiete nördlich von Gaza Stadt an der Grenze zu Israel (Jabalia, Beit Hanoun und Beit Lahia) sowie einzelne Gebiete im Süden (Tel al-Sultan in Rafah). Hier wird der Plan zur ethnischen Säuberung beginnend mit den Gebieten im Norden am deutlichsten. Ein Plan der Generäle 2.0 scheint also schon in vollem Gange zu sein, wenn auch die Bodenkräfte noch nicht komplett in Position gebracht wurden.

Gleichzeitig hat sich die innenpolitische Situation in Israel in den letzten Monaten deutlich verschärft. Den Anfang machte Benjamin Netanjahu am Tag der US-Wahlen, als er Yoav Gallant entließ. Darauf folgten Proteste, insbesondere der liberalen Anti-Netanjahu-Bewegung. Wirklich große Verwerfungen gab es aber in den vergangenen Wochen. Mitte Feburar veröffentlichen israelische Medien Berichte über die Verbindung von engen Beratern Netanjahus mit Qatar. Daraufhin gab kam es wieder zu größeren Protesten.

Anfang März kam dann auch noch der Bericht des israelischen Inlandsgeheimdienstes (Shin Bet) hinzu, der versuchte, die Hintergründe des 7. Oktobers sowie die Rolle der Verantwortlichen im israelischen Staat zu beleuchten. In ihm wurden nicht nur Fehler von Shin Bet selbst eingestanden, sondern auch die Regierung von Netanjahu in die Verantwortung genommen. Konkret wurde im Bericht thematisiert, dass Netanyahus Regierung nicht nur früher gegen die Hamas hätte vorgehen sollen, sondern auch, dass seine Regierung eine Finanzierung der Hamas über Qatar ermöglichte. Auch einige andere Problematiken (wie beispielsweise tägliche jüdische Gebete unmittelbar neben der Al-Aqsa-Moschee am Tempelberg), die in den Verantwortungsbereich der Regierung fielen, wurden thematisiert. Das gefiel Netanjahu ganz und gar nicht.

Keine 3 Wochen später versuchte dann seine Regierung den Shin-Bet-Chef Ronen Bar zu entlassen, der Oberste Gerichtshof blockierte diese Entscheidung aber. Netanjahu hingegen bestreitet die Macht des Obersten Gerichtes, die Entscheidung der Regierung aufheben zu können. Die Parallelen zu Trump sind also nicht nur bei der Fortführung des Genozids offensichtlich. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist nicht klar wie dieser Machtkampf zwischen Regierung und Judikative entschieden wird. So oder so kam es aber im Zuge der Versuche, Ronen Bar zu entlassen, zu großen Protesten gegen Netanjahu und seine Regierung.

Die erneute israelische Offensive in Gaza hat damit nicht nur grundsätzliche Motive – wie die der Siedler*innenbewegung zur Wiederbesiedlung – sondern dient zum aktuellen Zeitpunkt auch noch Netanjahu zum persönlichen Machterhalt. Entscheidend werden aber die grundsätzlichen Motive sein. Auf der einen Seite hat die US-Regierung schon klargemacht, dass sie den Bruch des Waffenstillstands durch Israel gutheißt22. Auf der anderen Seite sieht die israelische Rechte das Ziel der ethnischen Säuberung des Gaza-Streifens mit Rückendeckung der USA in greifbare Nähe gerückt. Ende März wurde dafür auch eine eigene Behörde für „freiwillige Ausreise“ aus dem Gazastreifen im Verteidigungsministerium geschaffen23. Sie ist direkt dem Minister und Gegner jeglicher Zugeständnisse an Palästinenser*innen Israel Katz unterstellt.

ÖVP, Israel und Antisemitismus

Österreich ist eines der wenigen Länder, die weiterhin kaum Kritik an Israel äußern und sich bedingungslos hinter den Genozid in Gaza stellen. Auf diplomatischer Ebene sprach sich Österreich erst für einen Waffenstillstand aus, als diese Forderung auch von den USA aufgegriffen worden war24. Insgesamt spielt Österreich aber weiterhin eine unterstützende Rolle für Israel. Das äußert sich aktuell in erster Linie im Kontext der europäischen Union. In nahezu allen Konfliktfällen, in denen einzelne europäische Akteure für ein härteres Vorgehen gegen Israel aussprechen – oftmals Spanien, Belgien oder Irland – stellt sich Österreich blockierend auf Seite Israels.

Dabei gehört der ehemalige Außenminister Schallenberg nicht einmal zu den pro-israelischen Hardliner*innen in der ÖVP. Seitdem der Kurz-Flügel mehr in den Hintergrund treten musste, hat sich vor allem Wolfgang Sobotka in den letzten Monaten hervorgetan. Im April 2024, als Israel nach mehr als einem halben Jahr, zehntausenden getöteten Palästinenser*innen und einer starken globalen Solidaritätsbewegung mit Palästina massiven Imageschaden erlitten hatte, war sich Sobotka nicht zu blöd zu einer „Koalition aller Willigen“25 für Israel aufzurufen. Außerdem hofierte er seinen Gegenpart aus der israelischen Knesset – Amir Ohana. Ohana selbst ist ein treuer Parteifreund von Netanjahu und war auch zentral bei der Erarbeitung des „Nationalstaatsgesetzes“, das Israel explizit als ethno-religiösen Staat festschreibt. Ohana meinte in einem Interview von 2017 außerdem, dass Muslim*innen für 90 Prozent aller Morde und Massaker der letzten 50 Jahre weltweit verantwortlich seien und eine „kulturelle Mordlust“ an den Tag legen würden.26 Im September wurde er von Wolfgang Sobotka erneut nach Wien eingeladen, diesmal zu einer „Antisemitismus-Konferenz“ des Parlaments27.

Die ÖVP ist auch ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, mit dem Vorwurf des Antisemitismus Stimmung gegen Muslim*innen, aber auch Linke, in Österreich zu schüren. Auf der einen Seite wird der Antisemitismus in Österreich damit in erster Linie auf Muslim*innen geschoben und als ein „importiertes Problem“ dargestellt. Das ist aber nicht nur falsch, weil hier Antizionismus und Antisemitismus als identisch dargestellt werden. Wenn es darum geht Antizionismus und Antisemitismus zu vermischen und die Palästina-solidarische Bewegung zu kriminalisieren, ist auch die Israelische Kultusgemeinde eine willige Unterstützerin. Im jährlichen Bericht der IKG-Antisemitismus-Meldestelle werden beispielsweise eine Vielzahl an nicht-antisemitischen Kritiken an Israel und dem Zionismus einfach als antisemitische Vorfälle subsumiert. Auch dieser Artikel wird als antisemitischer Vorfall in die Statistik der IKG Eingang finden, weil wir hier von einem Genozid in Gaza sprechen.

Aber das Argument, dass es sich bei Antisemitismus um ein „importiertes Problem“ handelt, ist nicht nur gut geeignet, um gegen Muslim*innen zu hetzen. Vielmehr erfüllt es eine zweite ideologische Aufgabe für die Herrschenden in Österreich. Es dient auch dazu, die österreichische Gesellschaft von Antisemitismus freizusprechen. Die Eltern- und Großelterngeneration war vielleicht auch nach 1945 noch antisemitisch, aber mit Sicherheit nicht die heutige Gesellschaft. Österreich hätte aus seiner Geschichte gelernt und ist jetzt soweit, andere über Antisemitismus zu belehren. Warum soll es dann nicht auch eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ geben, wenn Antisemitismus ohnehin nur noch von Linken, Muslim*innen und (auch jüdischen) Antzionist*innen betrieben wird? Beispielhaft ist hier Karoline Edtstadler – bekanntlich vom Kurz-Flügel der ÖVP. Sie organisiert auf der einen Seite Konferenzen gegen Antisemitismus in enger Zusammenarbeit mit der israelischen Botschaft und der Israelitischen Kultusgemeinde. Bei der Konferenz im Mai durfte sogar Israels Präsident Herzog ein Grußwort halten – am selben Tag als die IDF die Offensive gegen Rafah starteten. Auf der anderen Seite ist sie in der ÖVP eine der Vertreter*innen für eine engere Zusammenarbeit mit der FPÖ. Unter anderem nahm sie auch Nationalratspräsident Rosenkranz vor einem Protest der JÖH in Schutz – es wäre schade, dass „es nur noch Schwarz und Weiß und keine Grautöne mehr gibt und wir in einer solchen polarisierten Gesellschaft leben. Es wird Zeit, dass wir auch gesellschaftlich wieder zusammenstehen“28 – zusammenstehen mit hochrangigen Vertretern des ideologischen Antisemitismus in Österreich.

Es zeigt sich hier als sehr gut, dass Antisemitismus und eine Verteidigung Israels überhaupt kein Widerspruch sind. Oftmals gehen diese beiden Dinge zusammen. Die neue US-Administration unter Donald Trump oder auch Viktor Orbán sind dafür das eindrucksvollste Beispiel. Aber eben auch in Österreich äußert sich das oft. Der Unterschied besteht hier aber vor allem darin, dass der Antisemitismus weniger in seiner evangelikalen Variante geäußert wird, sondern durch die philosemitische Instrumentalisierung durch die ÖVP und dabei vor allem vo deren rechtem Flügel.

Ein weiterer wichtiger Vorfall, der bis dato noch kaum Eingang in die österreichische bürgerliche Presse gefunden hat29, ist ein Besuch des israelischen Botschafters bei der IKG in Innsbruck. Er sprach sich dort nicht nur für eine Todesstrafe für 16- und 17-Jährige, , die eine Waffe tragen, aus. Er prahlte auch damit, dass er den WhatsApp-Kontakt von Christian Stocker hat und unter den ersten (ausländischen) Diplomaten war, die Stocker als Kanzler getroffen haben. Bei diesem Treffen soll sich Stocker dafür ausgesprochen haben, die Verbindungen zu Israel aufrecht zu erhalten.

Auch die neue NEOS-Außenministerin Meinl-Reisinger hat sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses, 2 Wochen nach Bruch des Waffenstillstandes durch Israel, noch nicht diesbezüglich zu Wort gemeldet und das israelische Vorgehen thematisiert, geschweige denn verurteilt. Das ist auch kein Zufall, gibt es doch von den NEOS auch eine eindeutige Unterstützung Israels. Letzten Mai (also nach mehreren zehntausend Toten in Gaza) sprach sich Meinl-Reisinger beispielsweise für ein „klares Bekenntnis zu Israel“ aus, Kritik an Israel findet sich aber keine30. Ein solches Bekenntnis findet sich auch im Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und NEOS.

Handfeste wirtschaftliche Interessen

Aber nicht nur auf politisch-ideologischer Ebene gibt es eine große Übereinstimmung zwischen den Interessen der österreichischen Politik und der Unterstützung Israels. In den letzten Jahren sind auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Israel deutlich größer geworden. Österreich hat seit 2012 seine Exporte nach Israel mehr als verdoppelt31. Seit 2005 haben sich die Exporte sogar mehr als verfünffacht32. Auch die israelischen Importe sind in den letzten Jahren signifikant gestiegen33. Die wichtigsten Branchen sind hierbei die pharmazeutische Industrie (mit dem größten Handelsvolumen) sowie der Export von Produktionsmitteln (elektrische und mechanische Maschinen). Insbesondere das österreichische Kapital im Maschinen- und Anlagenbau hat auf dem Weltmarkt eine gute Stellung und ist innerhalb der österreichischen Bourgeoisie ein wichtiger Faktor.

Die Kooperation im Rüstungssektor ist im internationalen Vergleich nicht speziell stark ausgeprägt – auch weil aktuell 99 % der Rüstungsimporte von den USA und Deutschland abgedeckt werden. Nichtsdestotrotz gibt es von österreichischen Unternehmen enge Zusammenarbeit mit Profiteuren des Genozids in Gaza. Der österreichische Motorenhersteller Rotax liefert beispielsweise die Motoren für die Drohnen Hermes 900 und 450 des größten und wichtigsten israelischen Rüstungskonzern Elbit Systems. Elbit Systems hat mit ESLAIT – einem Anbieter von militärischer Telekommunikation – sogar ein Tochterunternehmen mit Sitz in Wien.

Auch zwischen dem österreichischen Waffenhersteller Steyr und Elbit Systems gibt es eine enge Zusammenarbeit. Die spanisch-österreichische Kooperation GDELS-Steyr mit Sitz in Wien ist beispielsweise Lizenzhalterin34 des in Tschechien produzierten Radpanzers Pandur II, der von den IDF verwendet wird35. Elbit Systems liefert auch Komponenten36 für den Mannschaftstransporter Pandur Evolution, von dem Anfang des letzten Jahres 225 Stück bestellt wurden37 und den GDELS-Steyr in Wien produzieren wird38.

Die guten wirtschaftlichen Beziehungen sind auch einer der Gründe – neben der politisch-ideologischen Komponente – die dazu führen, dass sich Österreich innerhalb der EU tendenziell gegen ein wirtschaftlich härteres Vorgehen gegenüber Israel ausspricht. Als beispielsweise Spaniens Premier Pedro Sánchez im Oktober dafür eintrat, das EU-Israel Association Agreement, ein seit 1995 zwischen Israel und der EU bestehendes Handelsabkommen zu suspendieren, um Israel wirtschaftlich unter Druck zu setzen, zeigte sich Österreich skeptisch39. Dasselbe war auch einen Monat später der Fall, als Österreich gemeinsam mit Deutschland, Ungarn, Tschechien und den Niederlanden eine Front gegen den Vorschlag des damaligen „EU-Außenministers“ Josep Borrell bildete. Er schlug die Suspendierung des diplomatischen Dialogs mit Israel vor40.

Fazit

Nachdem, wie zu erwarten, der Waffenstillstand in Gaza durch Israel gebrochen wurde, stehen die Palästinenser*innen dort nun erneut der genozidalen israelischen Armee gegenüber. Diese erscheint gewillt – insbesondere durch die Rückendeckung aus den USA – ein für alle Mal den Gazastreifen von Palästinenser*innen zu „säubern“. Österreich ist zwar im internationalen Kontext, vor allem im Vergleich zu Deutschland und den USA, nicht der wichtigste Partner Israels, aber vor allem im Rahmen der EU eine wichtige Fürsprecherin für israelische Interessen. Das hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern auch politisch-ideologische. Letztere drücken sich vor allem in der Vermischung Israels und seiner Interessen mit dem Judentum aus – eine philosemitische Umkehr des antisemitischen Motivs der kollektiven Verantwortung der Jüd*innen für die Handlungen Israels. Ein Entgegentreten gegen die rassistisch-motivierten Angriffe gegen die Palästinabewegung ist zentral für eine fortschrittliche Antwort auf das Morden in Gaza. Israel und Palästina scheinen weit weg zu sein, doch auch in Österreich befinden sich Profiteur*innen des Genozids in Gaza. Unsere Aufgabe ist es, die Unterstützer*innen des Genozids politisch zur Verantwortung zu ziehen und dort anzugreifen, wo es weh tut – bei ihren Profiten.

1 https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-launches-new-offensive-in-northern-gaza-orders-mass-evacuation-786f2fff
https://archive.ph/20241006181906/https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-launches-new-offensive-in-northern-gaza-orders-mass-evacuation-786f2fff

2 https://www.hrw.org/report/2024/11/14/hopeless-starving-and-besieged/israels-forced-displacement-palestinians-gaza

3 https://www.theguardian.com/world/2024/nov/06/palestinians-will-not-be-allowed-to-return-to-homes-in-northern-gaza-says-idf

4 https://www.unocha.org/publications/report/occupied-palestinian-territory/humanitarian-situation-update-235-gaza-strip

5 „Of the meagre 34 trucks of food and water given permission to enter the North Gaza Governorate over the last 2.5 months, deliberate delays and systematic obstructions by the Israeli military meant that just twelve managed to distribute aid to starving Palestinian civilians. For three of these, once the food and water had been delivered to the school where people were sheltering, it was then cleared and shelled within hours.“

https://www.oxfam.org/en/press-releases/just-twelve-aid-trucks-food-and-water-north-gaza-governorate-25-months

6 https://reliefweb.int/report/occupied-palestinian-territory/gaza-one-month-after-ceasefire-journalists-still-work-horrific-conditions

7 https://www.haaretz.com/israel-news/2024-12-18/ty-article-magazine/.premium/idf-soldiers-expose-arbitrary-killings-and-rampant-lawlessness-in-gazas-netzarim-corridor/00000193-da7f-de86-a9f3-fefff2e50000 https://archive.ph/NVG4p#selection-401.0-401.130

8 ebenda

9 https://edition.cnn.com/2024/09/04/middleeast/netanyahu-derailed-hostage-deal-in-july-intl/index.html

10 https://www.haaretz.com/israel-news/2024-09-19/ty-article/.premium/new-evidence-reveals-netanyahus-relentless-efforts-to-block-hostage-deal-report-shows/00000192-0a79-d1bc-a1ff-2e7fe0420000

11 https://www.timesofisrael.com/report-smotrich-held-meeting-to-plan-public-campaign-to-resume-gaza-war/

12 https://www.timesofisrael.com/pm-said-to-condition-deals-2nd-phase-on-end-of-hamas-presence-in-gaza-no-pa-rule/

13 https://www.bbc.com/news/articles/c9q4w99je78o

14 https://www.timesofisrael.com/smotrich-and-ben-gvir-rally-behind-trumps-gaza-emigration-idea/

15 https://www.timesofisrael.com/ben-gvir-says-hell-return-to-government-if-pm-implements-trumps-gaza-transfer-plan/

16 https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/netanyahu-trump-meeting-was-friendliest-most-significant-ever-between-an-israeli-pm-and-a-us-president/

17 https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/12-ministers-15-coalition-mks-attend-conference-calling-for-jewishsettlements-in-gaza/

18 https://www.reuters.com/world/middle-east/edge-gaza-israeli-settlers-want-back-2024-10-21/

19 ebenda

20 https://www.jpost.com/israel-news/article-841693

21 https://jppi.org.il/en/%D7%A1%D7%A7%D7%A8-%D7%94%D7%97%D7%91%D7%A8%D7%94-%D7%94%D7%99%D7%A9%D7%A8%D7%90%D7%9C%D7%99%D7%AA-%D7%9C%D7%97%D7%95%D7%93%D7%A9-%D7%A4%D7%91%D7%A8%D7%95%D7%90%D7%A8-%D7%A8%D7%95%D7%91-%D7%92%D7%93/

22 https://www.reuters.com/world/this-is-hamas-us-special-envoy-witkoff-says-new-gaza-fighting-2025-03-23/

23 https://www.dw.com/de/israel-richtet-beh%C3%B6rde-f%C3%BCr-ausreise-von-pal%C3%A4stinensern-ein/a-72018522

24 https://www.bmeia.gv.at/ministerium/presse/aktuelles/2024/06/70-jahre-diplomatische-beziehungen-aussenminister-schallenberg-empfaengt-seine-amtskollegin-aus-indonesien

25 Ob sich diese Formulierung absichtlich an die „Koalition der Willigen“ – also dem US-geführten Bündnis, das den Irak-Krieg organisierte – anlehnt können wir an dieser Stelle nicht beantworten. Wie so oft ist unklar ob sich österreichische Politiker*innen als boshaft oder nur als unwissend outen.

26 https://www.haaretz.com/israel-news/2017-10-11/ty-article-magazine/.premium/israeli-lawmaker-muslims-are-prone-to-cultural-murderousness/0000017f-e5b7-da9b-a1ff-edff0c110000

27 https://www.thenationalnews.com/news/europe/2024/09/11/austrian-pro-palestine-activists-protest-against-israeli-officials-visit-as-vote-looms/?utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1726063243

28 https://www.derstandard.at/story/3000000244339/edtstadler-bedauert-zunehmende-polarisierung-wegen-protests-gegen-rosenkranz

29 Im Gegensatz zu österreichischen Medien, berichtet sogar schon die israelische Presse über den Vorfall: https://www.ynetnews.com/article/syweq110hje

30 https://nunu.at/artikel/keine-toleranz-der-intoleranz/

31 https://tradingeconomics.com/austria/exports/israel

32 https://www.ceicdata.com/en/austria/exports-by-country-annual/exports-non-eu-israel

33 https://www.wko.at/oe/aussenwirtschaft/israel-wirtschaftsbericht.pdf

34 https://militaeraktuell.at/en/gdels-steyr-tatra-is-an-8×8-pandur-ii-evo-coming/

35 https://www.israeldefense.co.il/en/node/62737

36 https://elbitsystems.com/pr-new/elbit-systems-awarded-approximately-53-million-contract-to-supply-crossbow-unmanned-turreted-mortar-systems-for-a-european-customer/

37 https://www.bundesheer.at/aktuelles/detail/bundesheer-beschafft-225-neue-radpanzer

38 https://www.gdels.com/de_pr.php?news=184

39 https://www.politico.eu/article/spains-sanchez-urges-brussels-to-suspend-trade-deal-with-israel/

40 https://www.dw.com/en/eu-ministers-reject-suspending-dialogue-with-israel/a-70807176