Teaser: Österreich ist in der längsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist Teil einer globalen Rezession, die österreichische Situation ist wegen der besonders hohen Inflation in den letzten Jahren und dem Budgetdefizit aber besonders angespannt. Die Folgen bekommen Arbeiter*innen und Erwerbslose jetzt schon zu spüren. Die kommende Regierung plant aber einschneidende Verschlechterungen, wenn wir keinen Widerstand auf die Beine und auf die Straße bekommen.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist relativ lang und besteht aus zwei großen Abschnitten. Der erste Abschnitt ab „Das mit den Zyklen“ beschäftigt sich allgemein mit marxistischer Ökonomie und Krisentheorie. Für Leser*innen, die sich damit schon gut auskennen, beginnt der Teil zu Österreich und der aktuellen Situation mit „Eine globale Krise…“.
Die österreichische Wirtschaft ist seit zwei Jahren nicht gewachsen. Das ist die längste Rezession seit dem zweiten Weltkriegi. Der Kapitalismus ist jedoch auf ständiges Wachstum angewiesen, um stabil zu bleiben. Das Wirtschaftssystem erzeugt durch seine eigene Funktionsweise regelmäßig Krisen. Die marxistische Ökonomie ist weiterhin das beste Werkzeug, um zu verstehen, warum es zu solchen Krisen kommt, aber auch, wie schwerwiegend die Entwicklung der letzten Jahre ist. Sie hilft uns beim Verstehen, zeigt aber auch, dass es dringend nötig ist, sich schon jetzt zur Wehr zu setzen. Denn eine Krisenlösung der Kapitalist*innen und ihrer Parteien wird sonst zu massiven Verschlechterung für uns führen.
Die Krise bekommen jetzt erstmal unmittelbar tausende Arbeiter*innen zu spüren, die vor allem in Industrie, Leiharbeit und Bau ihre Jobs und damit ihr Einkommen verlieren. Auch das staatliche Budgetdefizit ist höher, wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht wächst oder gar schrumpft, was die Parlamentsparteien zum Anlass für unsoziale Sparpläne nehmen. Gleichzeitig ist den bürgerlichen Ökonom*innen und den Austeritätsextremist*innen von FPÖ, ÖVP und NEOS unklar, was die Wirtschaft wieder herausreißen soll. In den offiziellen Prognosen wird auf vage ‚Impulse aus dem Ausland‘ gehofftii. Doch auch dort herrscht Rezession, und die Nachfrage nach Investitionsgütern ist gering.
2007 und 2022: Das sind die ersten großen Krisen des 21. Jahrhunderts. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 war die tiefste Wirtschaftskrise seit 1929, die Rezession ab 2023 bisher die längste. Sie kommt aber bisher ohne Bankencrash aus – im Gegenteil: Die weltweiten Börsenindizes wachsen schneller als in den Vorjahren, in Österreich wird das vor allem von Banken-Aktien getrieben. Wenn Dividendenausschüttungen mitgezählt werden, ist der ATX Total Returns-Index im letzten Jahr um 12 % auf ein Rekordhoch gewachsen, der Aktienumsatz um 17 %, getrieben von der Erste Bank Group und den CA Immobilien Anlageniii. Dazu kommen die steigenden Kurse von hochspekulativen Finanzanlagen wie Bitcoin, dessen Kurs sich im letzten Jahr verdoppelte. Die hohen Kurse von Finanz- und Immobilienanlagen sind aber keine Erholungshoffnung, sondern der „sichere“ Hafen für Kapitalist*innen, die in Produktion, Dienstleistungen und Handel gerade keine Profite erwarten. Ökonomisch gesehen sind diese Anlagen aber Anrechte auf gesamtgesellschaftlichen Profit, und der muss auch irgendwoher kommen. Wenn die produktiven Geschäftszweige abstürzen, während die Kurse klettern, lösen sich die Preise der Profitanrechte von den darunterliegenden Werten ab, mehr oder weniger große Finanzmarktblasen entstehen. Auch wenn platzende Blasen selbst nicht immer Krisen auslösen müssen, Konjunkturimpulse sind sie sicher keine.
Finanzmarktkurse sind nicht das, was Krisen ausmacht. Deshalb geht es sich gut aus, dass die offizielle Krisen-Geschichtsschreibung in einem Jahr mit einem Bankencrash beginnt und 15 Jahre später, nach zwei Jahren Rezession, noch Kursrekorde erzielt werden. Unter beiden Krisen und auch unter den noch öfter vorkommenden Rezessions- und Erholungszyklen des Kapitalismus schlummert der tatsächliche Auslöser, das Profitmotiv und seine Anwendung in der Produktion. Im Kapitalismus gilt das Vorrecht der Kapitalakkumulation. Firmen, die hohe Profite schreiben und wieder investieren, setzen sich durch. Jene, denen das nicht gelingt, werden vom Markt verdrängt und prägen das System nicht weiter.
Diese Kapitalakkumulation ist von Zyklen geprägt: Ein 3- bis 5-jähriger Auf- und Abschwung folgt daraus, dass Firmen auf höhere Nachfrage mit mehr Produktion reagieren, bis sie einen Teil davon nicht mehr loswerden und als Verlust schreiben müssen (sogenannte Inventar- oder Kitchinzyklen). 7- bis 10-jährige Zyklen entstehen, weil im Aufschwung auch fixes Kapital aufgebaut, Maschinen gekauft und Gebäude errichtet werden, die im Abschwung ihre eigenen Errichtungskosten nicht mehr erwirtschaften können (die nennt man Kapitalzyklen oder Juglar-Schwünge). In beiden Fällen verursacht die Partystimmung im Aufschwung auch den Kater im Abschwung. Dazu kommt aber noch, dass der Abschwung ganz selbstverschuldet ist, er ergibt sich aus der Logik der Zyklen selbst. Nicht jeder Abschwung bedeutet gleich eine Rezession (also kein Wirtschaftswachstum), geschweige denn eine Krise. Aber Krisen zu verstehen wird umgekehrt sehr schwierig, wenn man diese Zyklen ignoriert.
Krisen sind einzigartige Ereignisse. Die gegenwärtige Rezession und die globale Finanzkrise schauen auf den ersten Blick ganz unterschiedlich aus. Während 2008 eine Bank nach der anderen zusammengebrochen ist oder nur mit Staatsmilliarden gerettet werden konnte, geht es den Börsenkursen heute vor allem wegen den steigenden Bankengewinnen hervorragend. Für Arbeitende und auch für Kapitalist*innen fühlen sie sich aber ganz ähnlich an: Jobverluste, sinkende Einkommen und immer mehr Unternehmen in Insolvenz. Auch die Lösungen von Regierung, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sind fast wortgleich abgeschrieben: Sicherheit für Unternehmen, Löhne und Lohnnebenkosten senken, den Sozialstaat kaputtschießen und alles privatisieren, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die marxistische Krisentheorie kann erklären, warum Krisen unterschiedlich erscheinen – und was sie grundlegend verbindet. Sowohl vor 2008 als auch vor 2022 sind die Profitraten in der produzierenden Industrie schon seit Jahren gesunken. Bei jeder neuen Investition war unklar, ob mehr Profit rausschaut als Kosten hineingesteckt wurden.
Selbst die bürgerlichsten Ökonom*innen erkennen meistens an, dass die Krisentheorie noch das Beste an der Wirtschaftswissenschaft von Marx ist. Über sein ganzes Werk verstreut stellt dieser unter anderem fest: Der Kapitalismus produziert seine Krisen selbst und löst sie auch selbst – in der Regel zum Nachteil der Arbeitenden aber im Interesse von wieder steigenden Profiten. Krise ist nicht immer, sondern wenn die herrschende Wirtschaftsweise nicht mehr weitertun kann wie davor. Das bedeutet vor allem, dass die Grundlage fürs Profitemachen und damit für den Aufbau von mehr Kapital nicht mehr gegeben ist. Krisen werden in der Tendenz nicht weniger oder schwächer, sondern je weiter der Kapitalismus wächst und in sich verwächst, immer dramatischer.
Das mit den Zyklen
Die Wirtschaft bewegt sich in Zyklen, also in Phasen von Auf- und Abschwung. Diese Zyklen sind das Ergebnis des Wettbewerbs zwischen Firmen, und den profitorientierten Handlungen einzelner Kapitale. Sie definieren aber auch die Wendepunkte, an denen es besonders oft zu Rezession oder sogar Krise kommt. Diese Zyklen sind grundlegende Bewegungsmuster der kapitalistischen Wirtschaft, aber eben keine Naturgesetze. Sie sind das Ergebnis von sozialen Handlungen und werden durch das politische Umfeld und menschliche Entscheidungen gestreckt oder gedämpft.
In den kürzeren Inventarzyklen sind Firmen mit steigender Nachfrage konfrontiert, zum Beispiel weil die Realeinkommen und damit der Konsum steigt oder weil der Staat seine Investitionen erhöht. Sie steigern die Produktion mit ihren vorhandenen Mitteln, lassen Arbeiter*innen länger arbeiten und die Maschinen auf höherer Kapazitätsauslastung laufen. Das verschärft auch den Wettbewerb untereinander. Die Firmen, die jetzt mehr produzieren, unterbieten sich gegenseitig im Preis, um ein größeres Stück Marktanteil zu erobern. Der Preiswettbewerb an sich führt aber nicht zum Abschwung, er bringt die Firmen aber in eine immer instabilere Situation: Bei engen Gewinnmargen reicht schon eine kleine Reduktion der Nachfrage, um in die roten Zahlen zu schlittern. Sobald das geschieht, purzeln einige Firmen in die Insolvenz (und ihre Arbeiter*innen zahlen durch den Jobverlust die Rechnung) und es folgt eine Phase, in der eher Lagerbestände abverkauft und Überstunden abgebaut werden.
In den längeren Kapitalzyklen geht es direkt an die Substanz der Wertproduktion. Im kapitalistischen Produktionsprozess arbeiten Arbeiter*innen mithilfe von Kapital und produzieren Waren, die um mehr Geld verkauft werden, als den Arbeiter*innen bezahlt wird. Die Arbeit allgemein und vor allem die Arbeit über das Erwirtschaften der eigenen Löhne hinaus schafft die Profite, der Einsatz von mehr Kapital kann das effizienter und produktiver machen, aber selbst keinen Wert schaffen. In diesen Juglar-Zyklen erweitern die Firmen ihre Kapazitäten, indem sie in neues Kapital investieren. Das sind nicht nur weitere Produktionslinien (für die entsprechend neue Arbeiter*innen eingestellt werden), sondern auch die Erneuerung von Anlagen, durch die Arbeit produktiver wird (weshalb Arbeitende schon im Aufschwung ihren Job verlieren). Dadurch steigt aber auch das Verhältnis von fixem, unproduktivem Kapital (Maschinen usw.) zur lebendigen Arbeit, die aber die Profite schafft. Das Verhältnis von Profiten zu Investitionen sinkt bis zu einem Punkt, wo die neuen Kapitalinvestitionen ihre Kosten nicht mehr hereinbringen. Das ist dann auch der Punkt, wo Banken keine weiteren Kredite mehr geben wollen, Kredite nicht mehr bedient werden, und Firmen mit ihrem schönen neuen Kapitalstock in der Insolvenz landen. Der einzige Trost dabei ist, dass ihre produktiven Maschinen im nächsten Aufschwung dann zum Schleuderpreis von der Konkurrenz aufgekauft werden.
Das Besondere an Krisen
In beiden Fällen ist es so, dass das Handeln der Firmen vom erwarteten Profit bestimmt wird. Ist dieser höher als bisher, dann wird üblicherweise investiert. Fällt er unter das gewohnte Niveau, werden die Aktivitäten zurückgefahren. Das ist der Moment, wo das kapitalistische System an seine eigenen Grenzen stößt: Stabilität bedeutet für den Kapitalismus Wachstum zu stabilen Wachstumsraten und zurückgefahrene Investitionen bedeuten das Gegenteil. Kapital, das Kapital produziert, findet keine Abnehmer*innen mehr für seine Maschinen. Konsumprodukte bleiben in den Regalen liegen, wenn Arbeitenden die Löhne gekürzt werden. Banken geben keine Kredite aus, wenn sie Gefahren für die Rückzahlung sehen. Über all diese Kanäle – und ein paar weitere – führen fallende Profite zu Existenzproblemen (nicht nur) für einzelne Kapitale.
So unangenehm das klingt, das ist noch keine Krise. Marx war in seiner Krisentheorie recht klar: Er meint damit nicht, wenn es mal nicht so gut läuft, sondern den „Eklat aller Widersprüche“, eine Situation, die erstens das ganze System umfasst und zweitens so problematisch ist, dass ein Weitermachen wie bisher für die Herrschenden nicht mehr möglich ist.
Es kommt uns manchmal so vor, als würden wir ständig Krisen erleben: Gesundheitskrise da, Klimakrise dort, Wirtschaftskrise hier und der bürgerlichen Demokratie geht es angesichts der rechtsautoritären Wahlerfolge auch schon ganz schlecht. Der Begriff der Vielfachkrise hat sich eingebürgert. Und es stimmt: Vor allem im Bereich der Ökologie, aber nicht nur dort, haben die inneren Dynamiken des Kapitalismus eine Situation hervorgebracht, die nicht nachhaltig ist, innerhalb derer nicht einmal der kapitalistische Alltagswahnsinn mehr funktioniert. Aber während der Kapitalismus immer an seiner nächsten Krise arbeitet, ist er nicht immer in der Krise. Der Kapitalismus kennt lange Aufschwungperioden und scheinbar unbegrenztes Wachstum. Nach der globalen Finanzkrise ab 2007 blieb die Weltwirtschaft bis zur Pandemie relativ stabil – fast neun Jahre, von 2011 bis 2020. Die marxistische Krisentheorie ist auch deshalb nützlich, weil sie Krise und Nicht-Krise klar unterscheiden kann und nicht alles in einen Topf schmeißt.
Das mit den Profiten
Im Kern des kapitalistischen Wachstums stehen steigende Profite und steigende Profitraten. Im Kern der kapitalistischen Krise stehen daher Situationen, in denen dieses Wachstum nicht mehr möglich ist. Das Kapital, das von Kapitalist*innen verwaltet wird, sucht nach einer schnellen Vermehrung. Das ist ein quasi evolutionärer Prozess: Kapitale, die weniger schnell wachsen (und die Entscheidung woanders zu investieren steht jede*r Kapitalist*in frei), verlieren an Markanteilen und Marktmacht, sie können einfacher verdrängt werden und spielen eine weniger wichtige Rolle. Diejenigen, die wachsen und sich durchsetzen, nehmen eine größere Bedeutung ein, ihr Verhalten prägt auch die Entwicklungen des Gesamtsystems.
Der kapitalistische Wettbewerb funktioniert so, dass jedes einzelne Kapital versucht, auf seine Investitionen eine Profitrate über der Durchschnittsprofitrate zu erzielen. Wo überdurchschnittliche Profite erwartet werden, dorthin wird investiert. Wo die Profite darunterliegen, verlangsamen sich die Investitionen.
Mehr Investitionen bedeuten aber auch mehr Wettbewerb und mehr Kapitalintensität – beides Faktoren, die die Preise und damit die Profite im Kapitalismus drücken. Das liegt daran, dass menschliche Arbeit Profite produzieren kann. Kapitalintensivere Produktion kann einzelnen Firmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn produktiver produziert aber zu Durchschnittspreisen verkauft wird. Sobald sich die neue, kapitalintensivere Technologie aber durchsetzt, fallen auch die Preise, und damit der Profit. Dasselbe passiert, wenn sich mehr Firmen gegeneinander durchsetzen wollen, und sich gegenseitig unterbieten, um ein bisschen Marktanteil zu erobern. In den gerade noch überdurchschnittlich profitablen Bereichen werden jetzt unterdurchschnittliche Gewinne erzielt und die Investitionsströme drehen sich um. Das nennen marxistische Ökonom*innen den turbulenten Ausgleich der Profitrate, und Marx stellt im dritten Band des Kapitals klar: Nur diese Fluktuationen lassen eine gemeinsame Durchschnittsprofitrate erst entstehen, geben ihr Bedeutung.
Blöd wird es dann halt, wenn quasi überall Profite unter der Durchschnittsrate erzielt werden. Zum Beispiel, weil die Kapitalintensität in der Gesamtwirtschaft gestiegen ist, und die Gesamtprofitrate sinkt. Oder weil in einer Rezession ein größerer Teil der produzierten Waren liegen bleibt, nicht verkauft wird, und die entstehenden Verluste in die Profitrate eingepreist werden. Oder wenn es den Banken zu unsicher wird, noch Kredite zu vergeben und die verlangten, „risiko-angepassten“ Zinsen über der erwarteten Profitrate liegen.
Die Profitproduktion im Kapitalismus läuft nach einem einfachen, allgemeinen Schema ab: G – W – P – W‘ – G‘, und vereinfacht G – W – G‘. Das heißt Kapitalist*innen besitzen Geld G (oder borgen es sich aus) und kaufen dafür Waren W (vor allem Kapital, Arbeitskraft und Material). Im Produktionsprozess P schaffen dann die Arbeiter*innen Waren von höherem Wert als sie selbst als Lohn ausbezahlt bekommen, das nennen wir Ausbeutung und Mehrarbeit bzw. Mehrwert. Die entstehenden Waren sind also mehr wert als die Sammlung von Kapital, Arbeit und Material, was der Apostroph ausdrückt: W‘. Entsprechend werden sie auch für mehr Geld G‘ verkauft, das dann umgehend wieder investiert wird. Indem hier die Summe des Kapitals ständig steigt, weil Arbeiter*innen mehr herstellen als sie selbst bekommen, können wir von Kapitalakkumulation sprechen. Gleichzeitig muss klar sein: Die produzierten Waren W‘ werden nur zu einem kleinen Teil verfrühstückt, ein großer Teil wandert als Kapitalgüter wieder zurück in den Prozess, was zu höherer Kapitalintensität und geringeren Profitraten führt.
Rezession ist, wenn der Unterschied zwischen G‘ und G klein wird oder G‘ sogar weniger wird als G. Krise ist, wenn der Zyklus der Kapitalakkumulation an einem Glied so unter Druck gerät, dass das Werkl aufhört sich zu drehen.
Zum Beispiel in der globalen Finanzkrise ab 2007. Damals führten fallende Profitraten in Industrie und Bau dazu, dass immer mehr Firmen auf den Finanzmärkten investierten. Kursgewinne und Zinsen erschienen als sichere und bessere Alternative zur Profitproduktion. Diese Investitionen waren aber nicht mehr von der Grundlage, dem gesamtwirtschaftlichen Profit, abhängig, sondern davon, weitere Käufer*innen für die Anlageprodukte zu finden, und vom Kursgewinn zu profitieren: Eine klassische Finanzblase. Weil sich die Anlagen in Aktiengesellschaften bald nicht mehr lohnten, wurde immer mehr mit Häuserkrediten gehandelt, jene mit niedriger Rückzahlungswahrscheinlichkeit („subprime mortgages“) wurden zu einem richtigen Hype. Als die Blase für besonders risikoorientierte Banken – vor allem die Investmentbank Lehman Brothers – platzte, hörten andere Banken fast schlagartig auf, Kredite zu vergeben und Unternehmen waren nicht mehr in der Lage, neue Investitionen zu finanzieren. Weil ja die Unternehmensprofite durch die schon länger fallenden Profitraten schon arg in Mitleidenschaft gezogen waren, wurde die Kreditklemme für viele Firmen existenzbedrohend. Gleichzeitig verkauften immer mehr Anleger*innen ihre Portfolios, die Kurse fielen immer weiter. Das wurde zu einem großen Problem für Unternehmen (und auch Staaten), die Teile ihrer Finanzen in solche Produkte angelegt hatten, statt sie wiederzuinvestieren. Das Platzen der Immobilienkreditblase unterbrach den Kapitalzyklus an der Stelle G – W und brachte eine schon länger schwelende Krise zum Ausbruch.
In begrenztem Ausmaß haben österreichische Unternehmen jetzt ein ähnliches Problem, eine Geldklemme. Signa, KTM und kika/Leiner bekommen keine Kredite mehr, weil die Banken nicht damit rechnen, sie wiederzubekommen. Deren schuldenbasiertes Geschäftsmodell (und bis zu einem gewissen Maß ist jedes Unternehmensmodell im 21. Jahrhundert schuldenbasiert) geht sich dadurch nicht mehr aus. Strenggenommen, nachdem dies ja nicht von Problemen auf dem Bankensektor, sondern der Unternehmen selbst ausgeht, ist hier aber nicht das Glied G – W im Kapitalzyklus unterbrochen, sondern W‘ – G‘. Die Unternehmen erfüllen die selbst gesteckten Gewinnerwartungen nicht mehr.
Im März 2023, als die Silicon Valley Bank und die Signature Bank New York in den USA bankrottgingen, dachten einige Ökonom*innen, dass sich die Finanzkrisen-Dynamik von 2008 wiederholen würde. Tatsächlich mobilisierte das amerikanische Bankenaufsichtssystem in einer Woche 150 Milliarden an Bankenhilfen, mehr als während der Finanzkrise in so kurzer Zeit ausgezahlt wurden. Es kam jedoch zu keiner Finanzkrise, auch wenn die globalen Bankenkurse um 16 % einbrachen. Ein Grund dafür war, dass die globale Rezession noch nicht voll ausgebrochen und auch die Beschäftigung in den USA stabil war (was Druck aus Privatkrediten herausnahm) Ein anderer, dass die Zentralbanken es sich leisten konnten, schnell viel Geld zu mobilisieren. Wir vom Arbeiter*innenstandpunkt haben damals geschrieben:
„Zentralbanken, halbwegs stabile Industrieprofite und hohe Beschäftigung verhindern aber gerade eine Ausbreitung der „kleinen Bankenkrise“. Aber darunter brodelt die typische kapitalistische Krisentendenz: Seit Jahren fallende Profitraten, überschuldete Haushalte und Staaten, und Blasenbildung bei Aktien und Immobilien. Die Rezession wird nicht jetzt ausbrechen, das Chaos rund um SVB, SBNY und Credit Suisse ist aber ihr Vorbote.“iv
Schon ein paar Monate davor schätzten wir ein, dass die nächste Krise nicht am österreichischen Bankensektor beginnen würde, der aber umgekehrt einer Krisendynamik nicht standhalten würde:
„Die Eigenkapitalquote ist, bis auf Kleinstbanken wie im berüchtigten Mattersburg, relativ stabil. Das wird nicht ausreichen, wenn es eine gesamtwirtschaftliche Krisendynamik gibt (das zeigt auch die jetzt schon langsamere Kreditvergabe). Derzeit deutet aber nichts darauf hin, dass diese in Österreich vom Bankensektor ausgehen würde. […] Egal ob die Krise vom Finanzsektor ausgeht oder der Finanzsektor als Multiplikator darunter liegender Krisendynamiken funktioniert, wird mit der Rezession ab 2023 auch eine Finanzkrise einhergehen. Die Banken werden keinesfalls stabilisierend wirken können, sondern im Gegenteil die Geschwindigkeit der Krisenentwicklung weiter anheizen.“v
Die Krise 2008 und die Rezession ab 2023 sehen also an der Oberfläche ganz unterschiedlich aus. Unter der Oberfläche verbirgt sich aber dieselbe Dynamik: Der kapitalistische Wettbewerb um einerseits höhere Profite und andererseits einen größeren Anteil des Gesamtprofits für einzelne zerstört, zumindest zeitweise, die Grundlage der Profitproduktion. Seit 2011 wurde in Europa und den USA massiv Kapital angehäuft, und in der Corona-Rezession ab 2020 wurde der Nachfrageeinbruch durch Staatshilfen verschoben. Die Überakkumulation und Überschuldung blieb dieselbe. Deshalb ist diese Rezession auch so lang, und wenn sie in eine Krise umschlägt, sehr tief. Sie drückt die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktion aus, in einem durch politische Intervention gestreckten Zyklus.
Wegen den Unterschieden nochmal…
Kapitalistische Krisen können ganz unterschiedlich aussehen. Die Krise ab 2007 brach nach einem Kurssturz bei Immobilienkrediten aus, ein ebenfalls großer Bankencrash 2022 wurde fast mühelos aufgefangen. Das lag auch daran, dass 2007 Jahre der Industrierezession bereits zu einer Ablösung des Preises von der gesellschaftlichen Wertproduktion geführt hatten. Immer mehr Unternehmen investierten ihre fallenden Profite am Finanzmarkt, weil eine Ausweitung der Produktion unter den gegebenen Profitraten unsicher schien, und nahmen immer mehr Finanzprodukte in ihre Portfolios. Als Silicon Valley Bank, Signature Bank New York und Credit Suisse vor zwei Jahren crashten, waren Beschäftigung und Profite in der Erholungsphase nach der Pandemie stark und die Staatshilfen saßen locker.
Trotzdem haben wir es mit zwei unterschiedlichen Krisenentwicklungen zu tun: einer an der Oberfläche primären Finanzkrise, die die Produktion lähmt, und einer weltweiten Industrierezession bei gleichzeitigen Rekordkursen an der Börse. Mit einem ähnlichen Rätsel war Marx in den 1850er- und 1860er-Jahren konfrontiert. 1857 brach eine klassische Überakkumulationskrise aus, die seine „Krisenhefte“ entscheidend prägten. Im Wettbewerb hatten sich die englischen Unternehmen im Investieren überboten, bis die verbleibenden Profitraten hinter allen Zahlungsverpflichtungen zurückfielen. Auch ab 1860 gab es Anzeichen einer wiederholten Überakkumulation in der Baumwollbranche, die aber durch eine Produktionskrise im amerikanischen Baumwollanbau unterbrochen wurde. Stattdessen floss das Geldkapital in ägyptische und indische Baumwollplantagen, beziehungsweise deren Aktien auf den Finanzmärkten, in England bildeten sich immer neue Anleger*innengesellschaften. 1866 platzte die Blase schließlich in einem Finanzcrash am „black friday“ – in ganz anderer Form als noch neun Jahre davor.vi
Marx war von den unterschiedlichen Erscheinungsformen der beiden aufeinanderfolgenden Krisen überrascht, stellte dann aber fest: Hier wurde an anderer Stelle derselbe Kapital- und Profitzyklus durchbrochen. Ein Verständnis von finanziellen Krisen hatte er bereits in den Jahren davor theoretisch entwickelt, er schreibt über die Zirkulationskrise: „Kauf und Verkauf setzen sich gegeneinander fest, und unbeschäftigtes Kapital erscheint in der Form von brachliegendem Geld“vii und später im ersten Band des Kapitals über die Krise von 1866, dass diese an den industriellen Zyklus anschloss, durch den Finanzcrash zwar nicht begründet, aber ausgelöst wurde.
Ähnlich wie bei den Zyklen ist es so, dass jede konkrete Krise die Bewegungsgesetze des Kapitalismus und seine inneren Widersprüche ausdrückt, aber gestreckt und gestaltet durch die historischen Umstände und politisch-ökonomische Entscheidungen. Jede Krise ist einzigartig und ihr Verlauf schwer vorherzusehen. Klar sind aber ihre Gründe und leider auch die erwartbaren Konsequenzen für Arbeiter*innen und Erwerbslose.
Eine globale Krise …
Österreich ist in der Rezession, das ist aber nicht in erster Linie ein österreichisches Problem. 2024 ist die ganze Weltwirtschaft in eine Rezession eingetreten. Von den G7 sind nur die USA gewachsen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILOviii) hat die Mehrheit der weltweiten Arbeiter*innen Reallohnverluste erlitten oder ihr inflationsbereinigtes Einkommen zumindest nicht verbessert. Das gilt auch für alle G7-Länder außer den USA, wo die Löhne um sehr moderate 1,4 % gewachsen sind.
Wenn sechs der sieben größten kapitalistischen Volkswirtschaften nach ihrer eigenen Definition (nämlich stagnierendem oder sinkendem realen Bruttoinlandsprodukt) in einer Rezession sind, ist das eine globale Rezession. Dazu kommt die sich verschärfende Schuldenkrise in den neokolonialen Staaten, die die Ausgaben der Pandemie noch schlechter abschreiben konnten als das imperialistische Zentrum. Die Auslandsschulden der Entwicklungsländer (laut Weltbank-Definition) sind 2023 auf 1,1 Billionen US-Dollar gewachsen, das sind um 18 % mehr als vor 2020. Im selben Jahr 2023 fielen die internationalen Investitionen bereits um 2 %, was starken Druck auf Hersteller*innen von Kapitalgütern ausübt.
Die Rezession hat mit den Kostenschocks nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine begonnen. Die Preise für fossile Energie schossen in die Höhe, die für Gas blieben dort jahrelang. Vor allem in den von Russland abhängigen Staaten (Guten Morgen Österreich!) trieb das auch die Inflationsraten nach oben, durch die Verstricktheit des Weltmarkts schlug die Preisexplosion aber bis in die USA durch und erreichte in den neokolonialen Staaten des globalen Südens ihre Höhepunkte. Dazu kamen wieder unterbrochene Lieferketten aus dem osteuropäischen Raum und mit Russland (Hallo Corona-Flashback!), und spät aber doch brach auch der Privatkonsum unter den Preissteigerungen ein.
In den USA sind die Profite bis letztes Jahr noch gestiegen und die Wirtschaft ist gewachsen. Auch die chinesische Wirtschaft ist nicht in der Rezession. In beiden Ländern gibt es aber tiefgehende Probleme unter der Gesamtsumme. In den USA wächst die produktive Industrie schon seit einem Jahr nicht mehr (auch die Gesamtrezession in Österreich kam nach einer einjährigen Industrierezession), in China wächst der staatliche Sektor (und ist in vielen Produktionsbereichen weltmarktführend), private Firmen schrumpfen aber bereits seit 2020 und vor allem der große Immobiliensektor ist nicht mehr profitabel.
Die Wachstumshoffnungen in den USA haben Ausmaße angenommen, die an die Selbstüberschätzung der 1990er-Jahre erinnern. So wie damals Francis Fukuyama vom geschichtsbeendenden Sieg des Kapitalismus gesprochen hat, schreibt der weltgrößte Investmentfonds BlackRock „Boom- und Bust-Zyklen im Kapitalismus sind ein Ding der Vergangenheit“. Sie stützen ihre Hoffnungen, genau wie die größte Versammlung von akademischen Ökonom*innen bei der ASSA-Konferenz, auf den Siegeszug von künstlicher Intelligenz. Tatsächlich ist das nominelle Wirtschaftswachstum in den USA stark von Investitionen in KI-Technologie und Aktienkursen von entsprechenden Unternehmen abhängig. Diese Technologie wird die Arbeitsrealitäten zweifellos verändern, ähnlich wie auch die Durchsetzung von Halbleiter-Computern oder das Internet. Aber die Anleger*innenblase in eine neue Technologie (wie schon bei der DotCom-Blase der frühen 2000er) ist nicht dasselbe wie Investitionsnachfrage. Darunter befindet sich auch in den USA eine Industrierezession, die sich schnell in eine allgemeine Krise einordnen kann. Dafür, dass diese neue und irgendwann sicher produktivitätssteigernde Technologie die Abfolge von Auf- und Abschwung, oder den tendenziellen Fall der Profitrate umdrehen kann, gibt es erst recht keine Begründung.
So schaut also eine weltweite Rezession ohne Bankencrash aus: Ein bisschen überdurchschnittlich viele Firmen gehen in Konkurs, es werden ein bisschen weniger Löhne bezahlt und Firmen verschieben ihre Investitionen, während manche Staaten dafür einspringen – zum Beispiel bei Klimaschutzinvestitionen – und andere einsparen. So verschärft sich die Rezession auch stetig weiter: Indem die Nachfrage nach Kapitalgütern und Konsumprodukten zurückgeht, geraten immer mehr Firmen unter Druck. Indem Steuereinnahmen sinken, wachsen Budgetdefizite und staatliche Investitionen werden zurückgefahren. Der Grund dafür bleibt derselbe: Ein anderes Verhalten ist für die einzelnen Firmen nicht profitmaximierend, die Überakkumulation der letzten Jahrzehnte lässt sich nicht mehr verwerten. Und so warten die einzelnen Firmen darauf, dass ein paar andere Firmen in Konkurs gehen, um deren Marktanteile zu erobern und deren Konkursmasse günstig aufzukaufen und mit wieder lohnenden Profitraten weiterzumachen – wenn es sie halt nicht selber erwischt.
Marx, die klassischen politischen Ökonom*innen vor ihm und Menschen wie Keynes nach ihm war das schon bewusst. Jeder Firma ist klar, dass ihre Existenzberechtigung in ihrer Profitabilität liegt (das hat Anwar Shaikh 2011 geschriebenix), genauer gesagt darin, dass ihre erwarteten Profite erstens über der allgemeinen Zinsrate liegen (sonst könnten sie das Geld auch einfach auf ein Sparkonto legen) und zweitens nahe denen ihrer Konkurrenz (denn sonst sterben sie den langsamen Tod des Verdrängtwerdens). In der Rezession ist gerade vielen Firmen bewusst, dass diese Existenzberechtigung auf der Kippe steht und sie verhalten sich entsprechend.
Die Anlageninvestitionen (also neu gekaufte Kapitalgüter) in den USA sind 2023 und 2024 nur sehr langsam gewachsen, 2022 waren sie überhaupt rückläufig. Die Zahlen für die gesamten OECD-Länder, von denen sich die meisten ja selbst in der Rezession befinden, sind sehr ähnlich, die Auslandsinvestitionen fallen seit 2023. Das sind keine guten Neuigkeiten für die Produzent*innen von Anlagegütern und vor allem kein Pfad hinaus aus der Rezession. Auch österreichische Wirtschaftsforscher*innen, die den Pfad aus der österreichischen Rezession in einem internationalen Wachstumsimpuls erhoffen, dürften sich nicht freuen.
Eine andere Sonderform nimmt der deutsche Kapitalismus ein, der ebenfalls seit fast zwei Jahren in der Rezession steckt. Die OSZE rechnet sogar vor, dass Deutschland nächstes Jahr so langsam wachsen wird wie keine andere Industrienationx. Ähnlich wie in Österreich wurde die Rezession in Deutschland durch hohe Abhängigkeit von russischer Energie, einem Zusammenbruch der Konsumnachfrage von Arbeitenden angesichts der Überinflation, Pleiten im Bausektor und der Instabilität der Ampel-Regierung befeuert. Dazu kommt noch die Krise der deutschen Autoindustrie, die gleichzeitig am Verbrenner festhalten, die Marktführer*innenschaft bei E-Autos gewinnen, Löhne kürzen, Massen entlassen und vor allem Staatssubventionen erhalten wollen, während die Nachfrage einbricht.
… in der Österreich besonders schlecht da steht
Die KTM-Insolvenz, die kika-Leiner Pleite und der Personalabbau in der Industrie finden also als Teil einer globalen Rezession statt. Österreich ist als kleine Volkswirtschaft nicht mehr hauptsächlich von der deutschen Autoindustrie abhängig. Der industrielle Wandel weg von der Zulieferindustrie hin zu Feinmechanik und Maschinenbau hat das österreichische Kapital zwar gestärkt, hilft bei einem Einbruch der weltweiten Nachfrage für Kapitalgüter aber wenig.
Außerdem schlägt die Rezession in Österreich besonders heftig ein, hat also österreichische Besonderheiten. Das liegt erstmal an der österreichischen Überinflation. Mehr als ein Jahr lang lag die Inflationsrate in Österreich mehrere Prozentpunkte über dem EU-Schnitt. Das lag zu einem Teil an der besonders hohen Abhängigkeit von russischem Gas, das seit dem Krieg in der Ukraine massiv teurer geworden ist. Diese Gaspreise betreffen nicht nur Konsument*innen, auch die Industrie setzt viel Erdgas und daraus gewonnene Energie ein, entsprechend sind die Lohnstückkosten gestiegen und der Geldbedarf der Firmen explodiert. Dazu kam auch die bewusste Politik der türkis-grünen Regierung, keine Preiskontrollen einzuführen, um Krisengewinner*innen nicht das Geschäft zu verderben.
Die hohe Inflationsrate hat auch zu relativ hohen Lohnsteigerungen (in Prozent, nicht im Verhältnis zur Kaufkraft) geführt. Die Auswirkungen auf die Lohnstückkosten und die Überlebensfähigkeit der Unternehmen ist in den Medien massiv übertrieben worden. Tatsächlich dürfte der gedämpfte Kaufkraftverlust die Inlandsnachfrage gestärkt und die Rezession noch um drei Quartale herausgezögert haben. Aber im Grunde genommen gilt natürlich, dass alles, was in Löhne fließt, nicht als Profit ausgeschüttet werden kann. Eine übliche Krisenstrategie der Kapitalist*innen, um fallenden Profitraten zu begegnen, ist eine erhöhte Ausbeutung und niedrigere Löhne. Die kam in Österreich in den allermeisten Fällen nicht zur Anwendung, was auf den internationalen Märkten schon als Wettbewerbsnachteil gilt. Dazu kommen die Krise der deutschen Automobilindustrie, von der immer noch ein relevanter Teil der österreichischen Produktion abhängig ist, und waghalsige Kreditkonstruktionen, die nur im Aufschwung durchgehen, wie von Benko und Pierer.
Dazu kommt die österreichisch besondere Budgetkrise. Die schwarz-grüne Regierung hatte sich geweigert, ihre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und in die explodierenden Preise einzugreifen oder die Übergewinne von Banken und Energiekonzernen einzuschränken. Sie dämpfte aber die Auswirkungen auf Unternehmen durch die sehr großzügigen Coronahilfen und entlastete Arbeiter*innen teilweise durch Einmalzahlungen. Die grüne Klimapolitik lenkte noch ein paar Milliarden an Technologieförderung an größere Unternehmen. Diese Politik kam vor allem großen Unternehmen und solchen, die Konsumprodukte herstellen, zugute, weil die Inlandsnachfrage erst später einbrach. Nach dem Auslaufen der Corona-Überförderungen standen aber Handel und Gastronomie erheblich unter Druck. Daraus entstand auch das Budgetdefizit, das der ÖVP-Finanzminister bis zur Wahl wegrechnen ließ, und das durch das sinkende Bruttoinlandsprodukt in Prozentpunkten nochmal stieg. Die EU-Schuldenregeln verlangen (wenn man sich entscheidet, sie einzuhalten) deshalb Milliardeneinsparungen, die die Rezession noch vertiefen werden.
Mit den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und der Insolvenz von Schlüsselunternehmen in Schlüsselindustrien hat die Rezession in Österreich die Ausmaße einer Krise angenommen. Ein ähnliches Umschlagen ist auch weltweit möglich. Eine Entspannung durch steigende Auslandsnachfrage ist jedenfalls eine leere Hoffnung, auch angesichts der fast genauso langen Rezession in Deutschland.
Die neue Regierung wird versuchen, diese Strategie der Lohndrückerei durchzudrücken: durch geringere Arbeitgeber*innenbeiträge zur Sozialversicherung, Ausbau des Niedriglohnsektors und Druck auf die Kollektivvertragsverhandlungen. Gleichzeitig verhindert das Ausbluten der Arbeiter*innen keine Krisen, es verzögert sie maximal und verzögert auch den folgenden Aufschwung.
Fast 7000 Unternehmen sind 2024 insolvent gegangen, das sind um 22 % mehr als 2023 und mehr als doppelt so viele wie 2019xi xii. Davon sind 86 Fälle sogenannte Großinsolvenzen mit mehr als 10 Millionen Euro an ausständigen Zahlungen. Ein bisschen überraschend hat sich nicht Rene Benko den Top-Platz im Insolvenzranking geschnappt, sondern der Elektroauto-Zulieferer Pfister aus Graz. Das liegt aber daran, dass zwei Benko-Privatunternehmen und sieben SIGNA-Töchter getrennt pleitegegangen sind. Insgesamt sind 30.000 Mitarbeiter*innen betroffen, die nicht nur um den Job, sondern auch um ein paar Lohnzahlungen umfallen. Die Insolvenzzahlen waren schon im vorigen Jahr 2022 sehr hoch gewesen, die Rezession steht also nicht nur in den Büchern. Dazu kommen noch bis zu 20.000 Zombiefirmen, das sind Unternehmen, die nur noch durch Umschuldungen überleben können. Bei ihnen übersteigen die Zinszahlungen die Gewinne, was für die Gläubiger profitabel sein mag (weil sie immer höhere Zinsen fordern können), aber explosives Potential beim Ausbruch einer Krise darstelltxiii. Die Insolvenzen werden vor allem vom Baugewerbe getrieben, weil weniger Immobilien und vor allem weniger Gewerbeimmobilien (klassische Investitionen) gebaut werden. Dazu kommen Gastronomie und Handel, wo Inflation und Kaufkraftverlust stark durchschlagen. Insolvenzen selbst bedeuten noch keine Krise, aber die sehr hohen Zahlen zeigen die Auswirkungen der bestehenden Rezession, und die Zahl der betroffenen Arbeiter*innen die Auswirkungen.
Die Rezession in Österreich wurde durch die globale Entwicklung ausgelöst und durch österreichische Besonderheiten verschlimmert. Sie wird auch nicht in Österreich „gelöst“, sondern maximal durch eine Krisenpolitik gegen Arbeitende und Erwerbslose weiter verschärft werden. Für einen Aufschwung am globalen Rockzipfel fehlt aber die Grundlage. Die Lage wird nächstes Jahr erst einmal schlimmer werden, und die bürgerlichen Antworten werden die Unternehmensverluste in Angriffe auf uns und die Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse übersetzen.
Krisengewinner*innen und wir
Wer schon einmal auf das falsche Youtube-Video („Wir sind alle Investoren – Komm in die Gruppe!“) geklickt oder mit einem BWL-Studenten geredet hat, weiß: Jede Krise ist eine Chance. Wenn es anderen schlecht geht, sind sie leichter unter Druck zu setzen, verscherbeln das Tafelsilber zu Schleuderpreisen oder mucken bei Lohnkürzungen nicht auf, weil Arbeitslosigkeit noch schlimmer ist.
Dass auf eine kapitalistische Krise ein Aufschwung folgt, liegt zum Beispiel auch daran, dass überlebende Kapitalist*innen von ihren insolventen Kolleg*innen erstens weniger Wettbewerbsdruck befürchten müssen (eher gar keinen) und zweitens die profitabelsten Teile aus deren Unternehmen zu günstigen Preisen kaufen können. Viele Menschen in Österreich haben sich nach der SIGNA-Pleite durch die Auktionsseite des Masseverwalters geklickt (anscheinend war der mit Markenlogo verzierte Mistkübel ein Topseller). So wie günstige Mistkübel werden aber auch Immobilien und Maschinen verkauft. Ein günstigerer Kapitalstock bedeutet für die Käufer*innen erst einmal höhere Profitraten und schnelleres Wachstum. Auch Arbeitskraft ist während und nach einer Krise günstiger zu haben: Generell sind die Löhne von Wiedereinsteiger*innen nach der Arbeitslosigkeit geringer. Außerdem ist es einfacher, gegen Lohnerhöhungen zu verhandeln, wenn genügend Arbeitslose „als Ersatz“ dastehen und angesichts der wirtschaftlichen Lage auch mit dem Schließen von Produktionsstandorten gedroht werden kann. So wie die innere Krisentendenz des Kapitalismus sinkende Profitraten wegen Überakkumulation sind, ist seine innere Krisenlösungsstrategie die Zerstörung von Kapital und Arbeitsplätzen.
Das ist den Interessensvertreter*innen des Kapitals, von Industriellenvereinigung über Wirtschaftskammer bis zu ÖVP und NEOS aber nicht genug. Während jeder Krise wird nach Budgetsanierung, also Sparpaketen gerufen, und werden so genannte Strukturreformen eingefordert. Die Strukturen, die geändert werden sollen, sind die sozialen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung. Die Arbeitslosenversicherung soll gesenkt, die Sozialhilfe gekürzt, das Pensionssystem ausgehöhlt und die Krankenversicherung zusammengeschossen werden. Denn die Beiträge zu diesen Versicherungs- und Sozialstaatsleistungen sind nicht nur ein Kostenfaktor für Firmen (die von der Arbeiter*innenbewegung entweder erkämpft oder gegen Lohnerhöhungs-Verzicht eingetauscht wurden). Sie sind eben auch eine Absicherung für Arbeitende, dass sie nicht alles mit sich machen lassen müssen. Die „Zuckerlkoalition“ aus ÖVP, SPÖ und NEOS hat sich auf wesentliche Sparmaßnahmen geeinigt (siehe dazu unseren Artikel „Regierungsprogramm 2025: Ist der Status quo wirklich so viel besser?“).
Sparpakete sind aber noch keine Strukturreformen (halt nicht ganz). Vor allem in den Austeritäts-Regimes nach der Finanzkrise spielten Verschlechterungen im Arbeitsrecht und Privatisierungen von staatlichem Eigentum eine große Rolle. Auch die erste schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel hat massiv privatisiert. Der Zweck von Arbeitsmarktreformen ist es, die Löhne zu drücken, zum Beispiel indem ein Niedrigstlohnsektor geschaffen wird, oder wie bei den Hartz-Reformen in Deutschland, sogar eine Form der Zwangsarbeit für Sozialleistungs-Empfänger*innen eingeführt wird. Das spart den Firmen Lohnkosten und treibt kurzfristig die Profitraten hinauf. Weil die allgemein niedrigere Kaufkraft aber auch die Inlandsnachfrage zusammenschießt, werden diese Maßnahmen eher von der produzierenden Industrie (die Kapitalgüter und zu einem Teil für das Ausland produziert) und kleinen, nicht besonders profitablen Branchen wie der Hotellerie gefordert. Privatisierungen eröffnen neue Investitionsmöglichkeiten. Was davor als Teil der Staatsverwaltung kostenneutral oder teilweise auf Kosten von Steuergeld betrieben wurde, kann jetzt zum Profitemachen eingesetzt werden. Ein Beispiel sind die teilweisen Privatisierungen der Krankenhäuser durch Schwarz-Blau, wo die privaten Leistungen noch immer großteils von Krankenkassen und dem Staat bezahlt werden – aber eben inklusive einer normalen Profitrate für die Investor*innen. Solche Reformen sind durchaus nachhaltig, weil sie den Bereich der Kapitalakkumulation erweitern und es erlauben, einen größeren Teil der Lohnkosten in Form von Gesundheitskosten zurückzufordern. Dasselbe gilt für die Privatisierung von Wohnraum und Energieversorgung, die von den verfügbaren Einkommen in Österreich einen immer größeren Teil wegschneidet.
Es gibt gar keinen Zweifel, dass in der nächsten Legislaturperiode massive Einsparungen und weitere Verschlechterungen drohen. Die bürgerlichen Parteien regieren im Sinne der Unternehmen und gegen uns alle. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen aus den letzten Krisen, dass Widerstand möglich ist und erfolgreich sein kann – wenn wir es schaffen, einen relevanten Teil der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren und die Reformen durch Streiks und politische Blockade zu teuer zu machen.
Nicht nur das österreichische Kapital, auch ihre traditionellen Vertreter*innen in ÖVP und NEOS sitzen nicht so fest im Sattel wie noch 2019. Die autoritäre Wende der FPÖ und der Wähler*innen zeigt vor allem einen tiefen Vertrauensverlust in die gewohnten Regierungsregelungen an (aber auch ein nicht vorhandenes Vertrauen in die linken Alternativen am Wahlzettel).
Aussicht: 5 Kämpferische Jahre
Die österreichische Rezession wird nicht in Österreich enden. Die österreichischen Industrieprofitraten sind seit fast zehn Jahren am Fallen und haben dem Kostenschock nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht standgehalten. Eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas und gestörte Handelsverbindung mit Zulieferern in Osteuropa haben die Rezession aber noch tiefer einschlagen lassen, ebenso wie die Weigerung der türkis-grünen Regierungen in die Preise auf Kosten der Krisengewinner*innen in Energie und Bankensektor einzugreifen. Dass die Rezession mittlerweile die Längste in der Geschichte der zweiten Republik ist, liegt vor allem daran, dass Firmen auf der ganzen Welt ihre Investitionen mangels Profiterwartungen auf die lange Bank geschoben haben, was Hersteller*innen von Kapitalgütern trifft. Dazu trifft die langsamere Nachfrage nach Gewerbeimmobilien und Wohnhäusern die Baubranche, und die gestiegenen Fixkosten den Handel und die Gastronomie.
Die österreichischen Kapitalist*innen können sich nicht aus eigener Kraft, auch nicht durch inländische Kapitalvernichtungen aus dieser Rezession bewegen. Aber sie schicken ihre Wunschzettel an die neue Regierung, von der sie Lohnsenkungen fordern (direkt durch Druck auf Arbeitslose und indirekt durch Sozialabbau), aber auch längerfristige Gefallen wie Privatisierungen und Angriffe aufs Pensionssystem erwarten.
Diese Rezession hat nach dem Scheitern der blau-schwarzen Koalition doch wieder die traditionellen Kapitalvertreter*innen von ÖVP und NEOS (im Bündnis mit der Sozialdemokratie) an die Macht gebracht. Getrieben von der FPÖ wird die neue „Zuckerlkoalition“ nicht nur massive Sparpolitik betreiben, sondern auch – wie aus dem Regierungsprogramm ersichtlich – stark auf Rassismus gegen Geflüchtete setzen. Der Widerstand dagegen kann aber gelingen, vor allem wenn er deren Pläne von Beginn an verlangsamt und verhindert. Dafür braucht es Einheit, Klarheit und Solidarität.
Einheit bedeutet, dass es gelingen muss, Kämpfe gegen Sozialabbau auf die Straße, gegen arbeiter*innenfeindliche Politik in die Betriebe und gegen Rassismus in eine Blockade des Abschieberegimes zu bringen und zu verbinden. Dafür braucht es Druck in den Gewerkschaften, in der Sozialdemokratie und in den linken Parteien und Organisationen.
Solidarität bedeutet, dass wir die Versuche, uns gegeneinander auszuspielen, nicht nur ignorieren, sondern aktiv zurückweisen müssen. Wie jeder Regierung der letzten Jahrzehnte wird auch die kommende Regierung insbesondere Rassismus nutzen, um einen möglichen Widerstand zu spalten. Die Linke und die Arbeiter*innenbewegung müssen proaktiv Bündnisse aufbauen und klar die Einheit der Arbeitenden mit einer klaren Kante gegen jede Form von Rassismus oder Sexismus verbinden.
Klarheit bedeutet, dass wir mit der Politik brechen müssen, die die Rechte erst stark gemacht hat. Weder eine „linke Abschiebepolitik“ noch „vernünftige Austerität“ gewinnen die Stimmen zurück, die die FPÖ fast an die Macht gebracht haben. Vor allem der Spaltung durch israelsolidarische Organisationen der Linken und Zivilgesellschaft, die die antimuslimische Hetze von FPÖ und ÖVP in akademischere Phrasen packen, darf es nicht gelingen, Proteste zu schwächen und zu spalten.
Die Stärke der Rechten ist ein Ergebnis einer schwachen Linken. Die Antwort darauf kann nicht weiter eine Politik des immer kleineren gemeinsamen Nenners sein, wir brauchen harte und kritische Diskussionen, was für einen Widerstand, was für eine Linke, was für eine Alternative wir aufbauen wollen. Offenheit in der Kritik und Offenheit in der Zusammenarbeit schließen sich nicht aus, die Kombination ist der einzige Weg, schlagkräftig gegen den Rechtsruck vorzugehen.
Die Rezession hat das Ausmaß einer Krise erreicht, in der wichtige Kapitalfraktionen nicht mehr weiterkönnen wie bisher und auf neue Lösungen setzen. Also, um die Frage aus dem Artikeltitel zu beantworten, ja, eine Rezession ohne Finanzcrash kann schon als Krise zählen. Aber die Krise hat noch nicht die gesamte Wirtschaft erfasst, viele Unternehmen und Arbeitsplätze stehen zwar noch, aber auch unter Druck. Die konkreten (Spar-) Maßnahmen der aktuellen Regierung stehen uns noch bevor. Wir werden einen langen Atem und viel Kraft brauchen, aber ein so geschwächter Gegner wie das österreichische Kapital ist auch einfacher zu schlagen.
i https://www.handelsblatt.com/politik/international/konjunktur-oesterreich-erlebt-laengste-rezession-der-nachkriegszeit/100076071.html
ii https://www.wifo.ac.at/wp-content/uploads/upload-9700/mb_2024_10_01_konjunkturprognose.pdf
iii https://www.wienerborse.at/news/wiener-boerse-news/wiener-boerse-2024/#:~:text=F%C3%BCr%20das%20Jahr%202024%20wird,den%20Monaten%20Juni%20bis%20September
iv https://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=4912
v https://www.wifo.ac.at/wp-content/uploads/upload-9700/mb_2024_10_01_konjunkturprognose.pdf
vi https://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=4912
vii https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110745023/html?lang=de&srsltid=AfmBOorV32CcKXSlhwc9jyv12w0ID8VZ6rtv5_2xoEyafXWjvz1FLGqP
viii https://mega.bbaw.de/de/mega-baende/ii-abteilung: II/3 S. 1118.
ix https://www.ilo.org/publications/flagship-reports/global-wage-report-2024-25-wage-inequality-decreasing-globally
x https://socialistregister.com/index.php/srv/article/view/14330
xi https://www.derstandard.at/story/3000000252973/deutsche-wirtschaft-2024-erneut-geschrumpft?ref=rss
xii https://www.ksv.at/insolvenzstatistik/insolvenzstatistik-2024-final#:~:text=Wien%2C%2013.01.2025%20%E2%80%93%20Laut,und%20der%20Bereich%20Beherbergung%2FGastronomie
xiii https://www.ksv.at/KSV1870_Insolvenzstatistik_Unternehmen_2023_PDF