
Es ist kein Geheimnis, dass es in LINKS auseinandergehende politische Vorstellungen über die Ausrichtung und Arbeitsweise der Organisation gibt. LINKS wurde vor fünf Jahren als pluralistische Partei mit dem Anspruch eines linken Einzugs in den Gemeinderat ins Leben gerufen und versuchte damit von Anfang an, unterschiedliche politische Zugänge zu verbinden. Der Arbeiter*innenstandpunkt hat sich seit der Gründungskonferenz von LINKS an der Organisation beteiligt, mehrere Bezirksgruppen mitaufgebaut, Wahlkämpfe geführt, Kampagnenvorschläge eingebracht, Aktionen und Konferenzen (mit)organisiert, sowie programmatische Vorschläge gemacht. Wir haben Kandidat*innen für Wahllisten aufgestellt und uns in jedem einzelnen Koordinationsteam (der Tagesleitung) nach der Gründungskonferenz beteiligt. Unsere Mitglieder haben sich immer um einen solidarischen und demokratischen Umgang in der Organisation bemüht, auch in unserer Kritik, in der wir von Anfang an klargemacht haben, dass wir für eine klassenkämpferische, internationalistische und revolutionär-antikapitalistische Ausrichtung eintreten.
Seither ist viel passiert. Es wurde ein umfangreiches Programm beschlossen, ein vergleichsweise starker Wahlkampf in Wien 2020 geführt, es wurden viele Positionen in Bezirksvertretungen gewonnen, neue Aktivist*innen organisiert, Auseinandersetzungen um Sexismus in der Organisation geführt, Kampagnen wie „Lobau bleibt“ unterstützt, erfolgreiche Maßnahmen auf Bezirksebene gefeiert, eine Fraktion in der Arbeiter*innenkammer aufgebaut, mit der KPÖ um den Einzug in den Nationalrat gekämpft, um nur einiges zu nennen. LINKS hat als junge politische Organisation und kleine Partei viel Erfahrung gesammelt und sich entwickelt. Doch eine entsprechende Weiterentwicklung auf einer inhaltlichen und programmatischen Ebene wurde verabsäumt und in gewisser Weise vermieden. Das hat unserer Meinung nach weniger mit Vernachlässigung zu tun als mit einem gewissen Selbstverständnis in Teilen der Organisation.
Von alten Differenzen …
Selbstverständlich gab es in LINKS immer wieder Differenzen, die mal mehr, mal weniger zum Vorschein kamen. So war von Anfang an eine Frage, wie wichtig ein Bezug auf die Arbeiter*innenklasse sei und wie das im Verhältnis zu sozialen Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Sexismus, Heteronormativität etc. stehen würde. Eine Identitätspolitik, welche die Unterdrückungserfahrung anstelle einer allgemeineren Gesellschaftsanalyse zum vorrangigen Bezugspunkt für politische Kritik und Perspektive macht, war weit verbreitet. Damit verbunden kritisierten wir auch eine populistische Haltung, die eine offene Einnahme eines Klassenstandpunkts zugunsten unterschiedlicher politischer und sozialer Zielgruppen vermeidet. Wir gehen hierzu grundsätzlich von der Frage aus, welche soziale Kraft die wirtschaftliche und politische Macht zur, sowie ein objektives Interesse an der Überwindung des Kapitalismus hat. Das sind heute genauso wie auch früher die Arbeiter*innen als soziale Klasse. Eine weitere Frage betraf das Verhältnis von der Arbeit in Vertretungskörpern (konkret in der Bezirksvertretung) zur sonstigen Aktivität von LINKS, sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen, wo wir eine starke Tendenz zur Eingrenzung auf lokale Bezirksthemen und einen Mangel an zentralen, gemeinsamen Aktionen und Kampagnen beobachteten. Viel Diskussion gab es auch darum, ob das Koordinationsteam die Aufgaben einer politischen Leitung einnehmen soll oder nicht, was oftmals mit Verweis auf die Fülle an organisatorischen Aufgaben tendenziell abgelehnt wurde und den Mangel an kollektiver Perspektive reproduzierte.
Zu all diesen Fragestellungen versuchten wir, marxistische Positionen einzunehmen und solidarisch in die Organisation zu tragen. Bis heute sind sie nicht ausreichend geklärt, sondern mehr und mehr ins kollektive Unbewusste verdrängt worden. Das betraf auch den Krieg in der Ukraine, wo man es trotz monatelanger Beschäftigung selbst bis heute nicht zu einer Position brachte, die über die Ablehnung des russischen Angriffs und Solidarität mit Geflüchteten und Deserteuer*innen hinausging.
Als in weiterer Folge des 7. Oktober 2023 der Krieg im Gaza-Streifen losbrach, war LINKS gespalten. Ein Teil wollte in Solidarität mit den Palästinenser*innen aktiv sein und politisch die systematische Unterdrückung der Palästinenser*innen bekämpfen, ein anderer Teil wollte sich nicht „auf eine Seite Stellen“, verteidigte den Zionismus und lehnte Berührungspunkte mit der Palästina-Solidaritätsbewegung ab. Für die Aktivist*innenkonferenz im Februar 2024 stellten Mitglieder vom Arbeiter*innenstandpunkt gemeinsam mit anderen Aktivist*innen einen Antrag „Gegen die gewaltsame systematische Unterdrückung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung“. Dieser Antrag wurde mit einer Mehrheit von zwei Stimmen vertagt, das heißt auf die Konferenz im nächsten Jahr verschoben. Bis dahin sollte das Thema weiter bearbeitet werden, was nur unzureichend geschah, sodass sich LINKS sich auch nach 15 Monaten des Krieges, während der UNO-Sonderausschuss UNSCIIP und Menschenrechtsorganisationen einen Genozid anprangerten, nicht dazu durchringen konnte, Partei zu ergreifen.
… zur neuen PLATTFORM
In Hinblick auf die diesjährige Aktivist*innenkonferenz haben sich einige Aktivist*innen innerhalb von LINKS, wie auch wir, zusammengetan und die „PLATTFORM Internationalismus, Klassenkampf, Antikapitalismus“ gegründet. In einer politischen Erklärung wurden die wichtigsten politischen Anliegen und Forderungen für eine erstrebte Kursänderung von LINKS zusammengetragen. Unter einer Reihe von Forderungen befand sich eine Position gegen einen Genozid in Gaza, gegen Apartheid, Besatzung und Unterdrückung, für das Recht auf Widerstand und für eine internationale Bewegung gegen Krieg und Imperialismus. Gefordert wurde neben einigen anderen Punkten eine politische Ausrichtung auf die Arbeiter*innenklasse, ein Fokus auf soziale und außerparlamentarische Kämpfe, Beteiligung an Bündnissen gegen Rassismus und Sozialabbau, ein antikapitalistischer Wien-Wahlkampf, sowie deutliche Kritik am kapitalistischen System und Aufbau von Gegenmacht zum kapitalistischen Staat.
Die PLATTFORM wurde von über 20 Aktivist*innen offiziell unterstützt und von mehreren Sympathistant*innen darüber hinaus begrüßt. Verschiedene dieser Aktivist*innen bereiteten Anträge für die Konferenz vor: Der vertagte Palästina-Antrag aus dem Vorjahr wurde überarbeitet und aktualisiert, ein Antrag zur Politischen Perspektive 2025 und einer für die Bedingungen einer gemeinsamen Kandidatur mit der KPÖ bei den Wienwahlen wurden gemeinsam mit einer vorgeschlagenen Änderung der Parteistatuten zur politischen Leitungsfunktion des Koordinationsteams eingebracht. Damit erreichte die PLATTFORM eine Politisierung der Konferenz, die ansonsten kaum inhaltliche Fragen behandelt hätte. Zusätzlich kandidierten fünf Unterstützer*innen für die nächste Koordination, von denen zwei in das neunköpfige Gremium gewählt wurden.
Eine Position zu Palästina!
Wir können mit Stolz sagen, dass der überarbeitete Antrag „Gegen Genozid und Apartheid“ mit einer deutlichen Mehrheit der Stimmen auf der LINKS-Aktivist*innenkonferenz angenommen wurde. Dem voraus ging jedoch eine höchst kontroverse Debatte und die Kampfabstimmung zwischen diesem Antrag und einem Gegenantrag. Letzterer sprach sich vage für Frieden und für Solidarität mit allen Betroffenen von Gewalt aus. Während er beispielsweise die Militäroperation Israels ablehnte, einen Waffenstillstand und den Rücktritt der Netanjahu-Regierung forderte, unterließ er nicht nur die Benennung von Genozid und Apartheid, sondern selbst jene der systematischen Unterdrückung der Palästinenser*innen. Darin war der Versuch erkennbar, eine klare Positionierung (und selbst eine inhaltsbezogene Debatte) zu vermeiden und sich zu diesem Zweck auf unterschiedliche Positionen unter den Aktivist*innen und auf die angebliche Komplexität des Nahost-Konflikts (nach 15 Monaten Krieg!) zu berufen. Das spiegelte die Haltung wider, dass eine Position zu Palästina (trotz Genozid) für eine „Wien-Partei“ nicht nötig, sondern belastend sei und man quasi pragmatisch zumindest vorerst darauf verzichten könne. Doch was für eine Partei baut man auf diese Weise eigentlich auf und wie will man – falls man es denn will (!) – solche „komplexen“ Fragen in einer noch größeren, womöglich noch breiteren Partei klären? Internationale Solidarität ist ein notwendiger Teil linker Politik, den man nicht einfach unter den Teppich kehren kann. Die gegenseitige Unterstützung der Ausgebeuteten und Unterdrückten über die nationalen Grenzen hinweg ist eine Grundbedingung, damit Widerstand im globalisierten Kapitalismus überhaupt Erfolg haben kann. Wenn eine linke Bewegung oder Partei nicht im Geiste des Internationalismus aufgebaut wird, dann mag sie am Ende vieles sein, aber sie wird nicht links sein!
Zum „Perspektivantrag“
Weniger erfolgreich war der sogenannte „Perspektivantrag 2025“ mit dem eigentlichen Titel „Die politische Basis für eine starke antikapitalistische Partei legen“. Er konnte sich zwar ebenfalls in einer Kampfabstimmung mit einem Gegenantrag knapp behaupten, wurde in der darauffolgenden Abstimmung zur Bestätigung durch die Konferenz aber mit einer Differenz von einer Stimme abgelehnt. Das war bitter, denn dieser Antrag bot eine Einschätzung der aktuellsten Fragen des internationalen und nationalen Klassenkampfs, sowie den Rahmen für eine Positionierung, mit der man für die Herausforderungen der Zeit Handlungsfähigkeit gewonnen hätte. In einer nachgereichten Ergänzung wurde auf die bevorstehende blau-schwarze Regierung und die Widerstandsbewegung dagegen Bezug genommen: LINKS solle sich an den Protesten und an linker Bündnisarbeit beteiligen; sich bei einer starken Bewegung für Aktionskomitees (offene Gruppen von Aktivist*innen) einsetzen; für Massenaktionen wie Demonstrationen, Besetzungen, (politischen) Streiks, bis hin zum Generalstreik plädieren; und die Organisationen der Arbeiter*innenbewegung und Linken – insbesondere Gewerkschaften, Sozialdemokratie und KPÖ – zum Kämpfen auffordern. Der Gegenantrag formulierte keine eigene politische Perspektive, sondern orientierte sich neben Bekenntnissen wie zu Pluralismus und einer Bewegung von unten vor allem an der Ablehnung des eigentlichen Antrags. Argumentativ bediente er sich direkter und indirekter Vorwürfe gegen die Antragsteller*innen, wie etwa dem Bedienen überkommener Muster, programmatischer Einengung, dem Aufbau einer Kaderpartei oder der Umsetzung hierarchischer und autoritärer Modelle. Im Angesicht dessen, dass wir politische Positionen auf dem wichtigsten Gremium von LINKS allen Aktivist*innen zur gemeinsamen Debatte und Beschluss vorgelegt hatten, erscheint das äußerst absurd. Tatsächlich wollte der Antrag nichts anderes als eine inhaltliche Diskussion mit einer anschließenden demokratischen Entscheidung über die dringlichsten Fragen der politischen Ausrichtung verbinden. Der Gegenantrag hingegen lehnte eine solche Entscheidung über eine gemeinsame Ausrichtung grundsätzlich ab und überließ die inhaltliche und praktische Ausrichtung lieber autonom agierenden, demokratisch kaum kontrollierbaren und demnach auch der Organisation gegenüber nicht rechenschaftspflichtigen Teil(-organisation-)en von LINKS. In der Debatte um den Perspektivantrag ging es somit nicht einfach um unterschiedliche Auffassungen über die Positionen und Schwerpunkte der Organisation (eine solche inhaltliche Debatte wurde schlichtweg nicht geführt), sondern um zwei grundsätzlich gegensätzliche Verständnisse von Partei.
Partei oder Bewegung?
Die Formulierung im Gegenantrag „LINKS ist eine Bewegung von unten“ ist nicht ohne besondere Bedeutung. Dahinter steht die Auffassung, dass es am besten keine zentralen politischen „Vorgaben“ der Partei für die Aktivist*innen, Bezirksgruppen, Bezirksrät*innen, etc. geben soll – weder vom Koordinationsteam (das im wahrsten Sinne des Wortes nur koordinieren soll), noch von anderen entscheidungsfindenden demokratischen Gremien, denn das würde den Pluralismus gefährden. Das Gemeinsame sollte also auf das Nötigste reduziert sein, der Rest quasi von autonomen Gruppierungen erledigt. Das Schöne dabei ist, dass sich viele Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen in LINKS organisieren können und dabei den Projekten nachgehen können, die sie am liebsten haben. Der signifikante Nachteil ist, dass effektives Handeln in Bezug darauf, was nötig wäre, schlichtweg verunmöglicht wird. Deshalb haben sich seit der Gründung von LINKS leider auch schon viele Aktivist*innen wieder verabschiedet. Für effektives Handeln braucht es den Austausch darüber, was der Großteil der Aktivist*innen überhaupt als nötig oder sinnvoll befindet und erst, wenn er sich darüber klar ist, kann er sich entscheiden, die Kräfte dafür zu vereinen. Der Prozess, in dem man das herausfindet, und die Entscheidung, die eine gewisse Verbindlichkeit und Legitimation herstellt – das ist Demokratie. Ob sich Aktivist*innen einem solchen Mehrheitsbeschluss anschließen oder nicht ist keine Frage der „Unterwerfung“ (so wurde es von der Gegenseite formuliert) sondern letztlich eine Frage der Überzeugung.
Was aber hat das nun mit Partei und Bewegung zu tun? Sehen wir uns an, was eine Bewegung und eine Partei letztlich unterscheidet: Eine Bewegung entsteht normalerweise um wenige vage politische Ziele, hinter denen sich viele Menschen zeitweilig vereinigen können. Sie bezieht sich auf einen Teilaspekt der Gesellschaft. Im Gegensatz dazu möchte eine Partei in der Regel auf die Gesellschaft als solche einwirken und benötigt dafür mehrere und klarere politische Ziele, die eine gewisse Kohärenz haben. Dementsprechend muss sich auch die Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb einer Bewegung und innerhalb einer Partei unterscheiden. Eine Partei braucht Demokratie, einer Bewegung reicht oftmals die Vernetzung – sofern sich nicht über sich selbst hinauswachsen möchte.
Rassistische Vorfälle
Neben den deutlichen Kontroversen wurde die Aktivist*innenkonferenz leider auch von rassistischen Vorfällen überschattet. Das bezog sich auf einzelne Wortmeldungen von Aktivist*innen, die bestimmt nicht so gemeint, aber dennoch rassistisch waren. Da die Stimmung durch die Differenzen deutlich angespannt war und die Debatte zu Palästina schon eine deutliche eurozentristische (wenn nicht sogar austrozentristische) Ignoranz offenbarte, waren diese Vorfälle insbesondere für von Rassismus betroffene Aktivist*innen schwer zu ertragen. Als sich ein Genosse genötigt sah, die Vorfälle klar zu benennen, gingen die Wogen hoch, die Konferenz musste unterbrochen werden, der Genosse verließ die Konferenz und ein*e weitere*r Genoss*in erklärte den Parteiaustritt. Auch wenn daraufhin eine gewisse Reflexion stattfand und beschlossen wurde, das Geschehene aufarbeiten zu wollen, zeigt es, dass ein hoher moralischer Anspruch von Antirassismus nicht ausreicht, wenn die politische Ausrichtung und damit verbunden die Zusammensetzung der Organisation diesem nicht so ganz entsprechen.
Zwei Lager stehen sich gegenüber
Die diesjährige Aktivist*innenkonferenz hat einen wichtigen Fortschritt in der Positionierung zu Palästina gebracht, aber ein weiteres Mal aufgezeigt, dass LINKS große Schwierigkeiten hat, eine gemeinsame politische Perspektive zu finden. Stärker als bisher hat die Konferenz gezeigt, dass es zwei Lager in LINKS gibt, die gegensätzliche Auffassungen über den Aufbau der Partei vertreten. Sie sind bestimmt nicht einheitlich und es gibt viele Positionen dazwischen, aber die Polarität ist deutlich. Der anlaufende Wien-Wahlkampf wird zeigen, ob LINKS eine neue Dynamik und politische Stärke entfalten und womöglich den linken Einzug in den Gemeinderat gemeinsam mit der KPÖ verwirklichen kann. So oder so, die Frage der politischen Perspektive wird sich im Wahlkampf und allerspätestens danach wieder und mit größerer Deutlichkeit aufdrängen.