Pinochets Putsch in Chile

Dieser Artikel wurde ursprünglich im September 1983 von Stuart King für die Zeitung Workers Power geschrieben, zum zehnten Jahrestag des Putsches des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Er wurde seither geringfügig überarbeitet und für die Flammende Nr. 6 auf Deutsch übersetzt.

Der chilenische Putsch vom 11. September 1973 war die schwerste Niederlage, die die internationale Arbeiter*innenklasse in der Nachkriegsepoche erlitten hat. Die Ereignisse von 1970-74 sind für uns, in einer neuen Periode von Revolutionen und Konterrevolutionen, eine wichtige Lehre. Wann immer die Arbeiter*innenklasse es versäumt, aus der Vergangenheit zu lernen, ist sie dazu verdammt, sie zu wiederholen.

Am 4. November 1970 übernahm Salvador Allende das Präsidentenamt in Chile. An der Spitze der Unidad Popular (UP) erreichte er 36,3 % der Stimmen gegenüber seinen Konkurrenten des Partido Nacional und der Christdemokraten, die 34,9 % bzw. 27,8 % der Stimmen erhielten. Die Uneinigkeit der wichtigsten bürgerlichen Parteien resultierte aus dem Scheitern der „Reform“-Regierung von Präsident Eduardo Frei (1964-70) und war ein Zeichen der tiefen Krise in Chile.

Die Unidad Popular vereinte die beiden wichtigsten Parteien der chilenischen Arbeiter*innenklasse, die kommunistische und die sozialistische Partei, mit drei kleinen bürgerlichen Parteien – der Radikalen Partei, den Sozialdemokraten und der Unabhängigen Volksaktion (API). Diese stützten sich vor allem auf die Kleinindustriellen, Geschäftsleute und Selbstständige. Die Radikale Partei war einst die wichtigste „liberale Reformpartei“ der chilenischen Bourgeoisie gewesen, wurde aber durch die Christdemokraten aus dieser Rolle gedrängt. Eine kleine kleinbürgerliche Partei, die Bewegung für die einheitliche Volksaktion (MAPU), welche der SP und der KP näher stand, ergänze diese Parteienkoalition.

Volkseinheit – Volksfront

Das war nicht die erste Erfahrung Chiles mit einer Volksfront. Salvador Allende, selbst ein Arzt, hatte 1938-41 als Gesundheitsminister in einer solchen Regierung für Reformen gesorgt. Das Programm der Volkseinheit war, wie Allende der New York Times sagte, „weder ein kommunistisches noch ein sozialistisches Programm“, sondern „eine Annäherung der Meinungen“. Die Unidad Popular, so stellte er klar, werde den Kapitalismus in Chile nicht angreifen. Wie könnte sie das auch, mit drei Parteien in ihren Reihen, die offen das kapitalistische Eigentum verteidigten?

Die KP hielt an einem fast 40 Jahre alten Bekenntnis zur „Revolution“ in Etappen fest, wobei die gegenwärtige Etappe im Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie durchlaufen werden sollte. Ihre Ziele beschränkten sich darauf, die Macht der Landoligarchie und der Monopolisten zu brechen und sich aus dem wirtschaftlichen Würgegriff der US-Konzerne zu befreien.

Diese Strategie hatte freilich eine Schwierigkeit. Die entscheidenden Teile der chilenischen herrschenden Klasse waren eben die Oligarchen und Monopolisten. Es gab keine eigenständige nationale Bourgeoisie, die in der Lage gewesen wäre, unabhängig gegen die USA vorzugehen. Die Schwäche der bürgerlichen Parteien, die sich der Unidad Popular anschlossen, spiegelte genau dies wider. Mit der Unterstützung von Allende versuchte die KP, die Christdemokraten dazu zu bewegen, die Rolle der „ fortschrittlichen nationalen Bourgeoisie“ zu übernehmen. Auf keinen Fall durfte sie in die harte Opposition gedrängt werden. So war im Programm der Unidad Popular nicht von Sozialismus die Rede, sondern von „Volksmacht“ und einer „Volksregierung“ sowie von den „tiefgreifenden Veränderungen, die die nationale Situation erfordert“, basierend auf der Machtübertragung von den alten herrschenden Gruppen auf die Arbeiter*innen, Bauern*Bäuerinnen und fortschrittlichen Mittelschichten in Stadt und Land.

Das Programm sah eine Reihe von Reformen vor, um die Probleme des kränkelnden und stagnierenden chilenischen Kapitalismus zu lösen. Dazu gehörte die ungelöste Landfrage. Chile wurde immer noch von ineffizienten Latifundien (Großgrundbesitz) und einer landhungrigen Bauernschaft beherrscht. Hinzu kam die massive Ausbeutung von Chiles wichtigster Reichtumsquelle – Kupfer – durch den US-Imperialismus. Zwei US-Konzerne, Anaconda und Kennecott, kontrollierten weitgehend die Minen des Landes.

Ihre Superprofite, die durch den Verkauf von chilenischem Kupfer zur Hälfte des Weltmarktpreises an ihre US-amerikanischen Fabriken erzielt wurden, betrugen zwischen 20 und 80 % ihrer chilenischen Geschäfte. Kupfer stand für den entscheidenden Einfluss, den der US- und in geringerem Maße der europäische Imperialismus auf die chilenische Wirtschaft ausübte. Die schwächlichen Versuche Freis, diese Situation zu erleichtern, waren ein kläglicher Misserfolg gewesen. Chiles Wachstumsrate blieb niedriger als die der meisten anderen lateinamerikanischen Länder; die Staatsverschuldung war bis zum Ende seiner Präsidentschaft auf den höchsten Pro-Kopf-Wert der Welt angestiegen. Das Scheitern der Landreform führte zu Unruhen auf dem Land.

In dieser Situation schien die Unidad Popular ein Programm dynamischer Reformen anzubieten: Umverteilung des Grundbesitzes, Verstaatlichung der US-Kupfergesellschaften und Einsatz eines erweiterten Staates sowie eines „gemischten Sektors“ zur Förderung von Wirtschaftswachstum und industrieller Entwicklung. Warum also wurde der Sieg der Unidad Popular von den wichtigsten Teilen der chilenischen herrschenden Klasse mit so viel Angst betrachtet?

Nicht, weil sie sich vor Allende, einem selbsternannten Marxisten, fürchteten. Der unterlegene christdemokratische Präsidentschaftskandidat, Radomiro Tomic, hatte das Maß für Allende gefunden, als er sagte: „Meine besten Wünsche für den Erfolg gehen an den nächsten Präsidenten Chiles, dessen langen und bewährten demokratischen Überzeugungen, die sich in einer Haltung der ständigen Achtung der Verfassung und der Gesetze widerspiegeln, wohl bekannt sind.“

Die wirkliche Angst der herrschenden Elite in Chile und auch ihrer nordamerikanischen Herren bestand darin, dass ein Sieg der Unidad Popular die Erwartungen der proletarischen und bäuerlichen Massen wecken würde, und das nicht nur in Chile, sondern in ganz Lateinamerika. Eine hartgesottene reaktionäre Fraktion der herrschenden Klasse, die von der CIA und dem US-Außenminister Henry Kissinger unterstützt wurde, wollte sogar verhindern, dass Allende sein Amt überhaupt antritt.

Ein gescheiterter Putsch im Oktober führte zur Ermordung des Oberbefehlshabers der Armee, Rene Schneider, der sich geweigert hatte, den Putsch zu unterstützen. Die weitsichtigeren Teile, insbesondere die Mehrheit der Christdemokratischen Partei, verfolgten eine andere Strategie. Sie versuchten, Allende die Hände zu binden, indem sie ihn dazu brachten, ein „Garantiestatut“ zu unterzeichnen, um im Gegenzug ihre Unterstützung für seine Ernennung zum Präsidenten durch den Kongress zu erhalten.

Allende hatte keine absolute Mehrheit erlangt und obwohl der Präzedenzfall vorsah, dass der Kongress den Kandidaten mit den meisten Stimmen wählt, hätte dies erfordert, dass die Christdemokraten für Allende stimmen. Er stimmte den Bedingungen ohne Beanstandung zu. Diese Garantien sahen vor, dass es keine Verkleinerung der Streitkräfte, keine „Einmischung“ in Justiz, Schulen, Presse, Rundfunk usw. und keine „privaten“ Milizen geben solle. Im Allgemeinen stärkten sie den von der Opposition dominierten Kongress gegenüber der Exekutive. Allende hatte so begonnen, wie er vorhatte weiterzumachen.

Chiles Arbeiter*innen gehen in die Offensive

Auf den Sieg der Unidad Popular folgte ein massiver Aufschwung des Kampfes und des Vertrauens der Arbeiter*innenklasse. Es kam zu einem dramatischen Anstieg der Gewerkschaftsmitgliedschaft – die Central Unica de Trabajadores (CUT) erreichte bis 1972 800.000 Mitglieder, 25 % der erwerbstätigen Bevölkerung. Sowohl die Sozialistische Partei als auch die Kommunistische Partei wuchsen dramatisch. Auf dem Land wurde der Sieg der Unidad Popular von einem regelrechten Klassenkampf zwischen den Campesinos (Landarbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen) und den Großgrundbesitzer*innen begleitet. Im letzten vollen Jahr von Freis Amtszeit gab es 148 Landbeschlagnahmungen; 1971 registrierte die Regierung 1.278.

Die Regierung führte eine Reihe von Lohnerhöhungen durch, die sich im Durchschnitt auf 35 % beliefen. Es wurden Sozialmaßnahmen eingeführt, wie z. B. höhere Familienbeihilfen und kostenlose Schulmilch. Das Dekret zur Verstaatlichung der großen US-Kupferminen wurde vom Kongress einstimmig verabschiedet, wobei sogar der rechtsgerichtete Partido Nacional dafür stimmte. Die überwiegend in US-Besitz befindlichen Banken wurden großzügig behandelt, indem die Regierung Aktien aufkaufte, um sie in den staatlichen Sektor einzugliedern. Dennoch versuchten sie, einen weltweiten Boykott des chilenischen Kupfers zu organisieren.

Doch schon jetzt zeigten sich die Grenzen des Programms der Unidad Popular. Die von Frei übernommene Agrarreform war äußerst schwach und sah eine Entschädigung für die Großgrundbesitzer*innen vor, wobei sie 80 Hektar Land ihrer Wahl sowie Gebäude, Maschinen, Tiere usw. behalten durften. Diese Regelung ermöglichte es ihnen, viele ländliche Gebiete weiterhin zu beherrschen. Die Reform wurde zusätzlich dadurch behindert, dass der Regierung die Mittel fehlten, um die großzügigen Entschädigungen zu zahlen. Sie kam erst in Schwung, als die Bauern*Bäuerinnen und landlosen Arbeiter*innen begannen, selbst aktiv zu werden, oft organisiert von der MIR, einer bisherigen Guerillaorganisation, die außerhalb der Unidad Popular blieb.

Die Reaktionen der sozialistischen und kommunistischen Parteiführer auf die Campesinos, die über ihr reformistisches Programm hinausgingen und damit das Bündnis mit der Bourgeoisie gefährdeten, sollten sich bei anderen Teilen der werktätigen Massen immer wieder wiederholen. Am 13. Februar kündigte Allende nach einem Treffen mit der Nationalen Organisation der Landwirte eine Sondergesetzgebung an, um diejenigen zu bestrafen, die zu Landbesetzungen anstifteten. Luis Corvalan, Generalsekretär der chilenischen KP, erklärte: „Wir lehnen Landbesetzungen ab, weil wir eine Verpflichtung gegenüber dem Land haben und weil wir die landwirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Grenzen des Gesetzes durchführen werden.“

In den Städten zwang der Klassenkampf die Regierung ebenfalls in die Knie. Angesichts der Sabotage durch die Arbeitgeber*innen schlugen die Arbeiter*innen zurück. Während des gesamten Jahres 1971 machte die Regierung von der 1932 erlassenen und nie aufgehobenen Gesetzesverordnung Nr. 520 Gebrauch, die es der Regierung erlaubte, in vom Konkurs oder sozialen Konflikten bedrohte Industrien zu „intervenieren“. Im Laufe des Jahres 1971 wurde in siebzig Industriebetriebe auf diese Weise „interveniert“, eine Maßnahme, die nicht mit einer Verstaatlichung gleichzusetzen ist. Dies geschah in der Textilindustrie, der Metallindustrie, der Zementindustrie, der Fischerei und der Elektroindustrie.

Zusammen mit den verstaatlichten Kupfer-, Nitrat-, Eisen- und Kohlekonzernen, den Banken und dem anfänglichen staatlichen Sektor bildeten diese nun den so genannten „Sozialen Produktionssektor“, der 1972 etwa 20 % der Produktion ausmachte. Bei den Kommunalwahlen im April 1971 erhöhte die Unidad Popular ihren Stimmenanteil auf 51 %.

Die Bürgerliche Gegenoffensive

Im Sommer 1971 begann die Bourgeoisie aus Angst vor den Erfolgen der Arbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen ernsthafte Gegenmaßnahmen gegen die Regierung der Unidad Popular. Der US-Imperialismus hatte bereits damit angefangen, die Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen zur Schädigung der Wirtschaft „weichzuklopfen“. Darlehen, Kredite und Investitionen von internationalen Agenturen wurden entweder blockiert, verzögert oder an strenge Bedingungen geknüpft.

Die großen US-amerikanischen Kupferkonzerne versuchten, über die internationalen Gerichte ein Embargo gegen chilenische Kupferlieferungen zu verhängen. Diese Maßnahmen, in Verbindung mit interner Wirtschaftssabotage durch chilenische Unternehmen und dem Verfall der Weltmarktpreise für Kupfer, führten zu einer ernsthaften Schwächung der Wirtschaft. Im Jahr 1970 wurde ein Zahlungsbilanzüberschuss von 91 Mio. Dollar erzielt. Bis 1971 war daraus ein Defizit von 311 Mio. Dollar geworden. Die Inflation stieg sprunghaft an und die Arbeitslosigkeit im Großraum Santiago war mit 8,3 % die höchste seit 10 Jahren.

Unter diesen Umständen begann die Bourgeoisie, den juristischen und parlamentarischen Apparat zu nutzen, um die Pläne der Regierung zu durchkreuzen und den Vormarsch der Arbeiter*innen aufzuhalten. Der Rechnungsprüfer der Republik, der die Aufgabe hatte, die Verfassungsmäßigkeit der Präsidialdekrete zu überprüfen, begann, verschiedene „Interventionen“ für illegal zu erklären. Ab Juni 1971 ordnete er die Rückgabe eines der größten Textilunternehmen an seine Eigentümer an. Im Laufe des nächsten Jahres nutzte der auf Lebenszeit ernannte Rechnungsprüfer zusammen mit der reaktionären Justiz, die Allende unangetastet zu lassen versprochen hatte, alle „verfassungsmäßigen“ Möglichkeiten, um das Programm der Unidad Popular zu behindern. Der von der Opposition dominierte Kongress nutzte sein Vetorecht, um Gesetze zu verhindern und Minister der Regierung zu entheben.

Im Dezember 1971 unterstützten die Christdemokraten einen „Marsch der Töpfe und Pfannen“ der überwiegend bürgerlichen Hausfrauen, die gegen den Mangel und die hohen Lebenshaltungskosten protestierten; viele brachten ihre Hausmädchen zum Klopfen mit. Der Marsch wurde von der inzwischen aktiven faschistischen Jugend von Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit) „beschützt“, was zu zahlreichen Zusammenstößen mit Anhänger*innen der Unidad Popular führte.

Die Führer von SP und KP standen vor einer schweren Entscheidung. Sie hätten die Arbeiter*innen- und Bauernorganisationen gegen die bürgerliche Opposition anführen können, den Boden und die Fabriken entschädigungslos verstaatlichen, die Macht der Staatsbürokratie und der Justiz brechen, die Streitkräfte durch die Förderung von Wahlen in allen Rängen demokratisieren und eine Arbeiter*innen- und Bauernmiliz zur Durchsetzung dieser Maßnahmen mobilisieren können.

Die gesamte Strategie der Unidad Popular sah einen anderen Weg vor. Im April 1972 befand sich ihre Führung in der Defensive. In jenem Monat nahm sie trotz wirkungsloser Proteste von Seiten der Linken in der Sozialistischen Partei Verhandlungen mit den Christdemokraten auf.

Die Regierung versuchte, ihr Bündnis durch Einbeziehung entscheidenderer Teile der Bourgeoisie mittels größerer Zugeständnisse zu verbreitern. Die Arbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen wurden zu Disziplin, zu Opfern und zum „Kampf um die Produktion“ aufgerufen, um die vom Imperialismus und der Bourgeoisie ausgelöste Wirtschaftskrise zu lösen. Diese Linie wurde auf der Versammlung der Unidad Popular in Lo Curro bekräftigt. Ein führender Stalinist, Orlando Millas, wurde als Finanzminister eingesetzt, um den „Kampf um die Produktion“ zu führen. Doch trotz der Bemühungen der Unidad Popular scheiterten die Verhandlungen mit den Christdemokraten, obwohl Millas weiterhin eine Politik betrieb, die darauf abzielte, den Dialog mit der Christdemokratie offen zu halten.

Doch die Arbeiter*innen selbst tasteten sich spontan an einen alternativen Weg heran. Ende 1971 forderte der Bauernrat der Provinz Linares zusammen mit den Regionalkomitees der Unidad Popular und der MIR „die sofortige Abschaffung der Latifundien, die Enteignung der Erbpachtgüter, die Senkung der Grenze für nicht enteigenbares Land von achtzig auf vierzig Hektar, die Nichtentschädigung von enteignetem Land und die Bildung von Bauernräten“.

In Concepción hielt das Regionalkomitee der Sozialistischen Partei im Juli 1972 eine „Volksversammlung“ ab, welche die Strategie der Unterwerfung der Regierung unter die Forderungen der Bourgeoisie anprangerte. Die Parteien der nationalen Unidad Popular lehnten angesichts der Empörung der Rechten und des Kongresses die Beschlüsse ihrer Regionalausschüsse rasch ab. Vor allem aber wurden im Juni 1972 die ersten Cordones Industriales (wörtlich: Industriegürtel, Industriezonenausschüsse, die Fabriken miteinander verbinden) ins Leben gerufen. Ein Arbeitskonflikt um die Löhne in der Konservenfabrik Perlak in Cerrillos führte zu einer Betriebsbesetzung und der Forderung nach einer „Intervention“ in das Unternehmen. Die kommunistische Arbeitsministerin Mireya Baltra verurteilte die Besetzung und die Gerichte wiesen die Polizei an, die Fabrik an die Eigentümer zurückzugeben. Die Arbeiter von Cerrillos reagierten, indem sie ein Gebietskomitee gründeten und alle Straßen um das Industriegebiet von Maipu blockierten, um die Regierung zu zwingen, ihren Forderungen nachzugeben. Die Cordones sollten sich während des Streiks der Unternehmer im Oktober rasch ausweiten.

Der Streik der Bosse – Die Antwort der Arbeiter*innen

Im Sommer und Herbst 1972 verstärkten die Bosse ihre Offensive. Im August kam es in Santiago zu heftigen Kämpfen zwischen Hochschülern, die die Opposition unterstützten, und Mitgliedern der Unidad Popular. Horten und Spekulationen von Händler*innen und Ladenbesitzer*innen führten zu einer allgemeinen Verknappung. Die Inflation erreichte im September 1972 fast 100 %. Im Oktober erklärte die Opposition, die sich nun in der ironisch benannten Demokratischen Föderation zusammengeschlossen hatte, die Regierung Allende für „illegitim“.

Für den 9. Oktober wurde ein Streik der Unternehmer organisiert, der von der Truck Owners‘ Federation losgetreten wurde. Diese Kleineigentümer, ausgestattet mit unbegrenzten Geldern der CIA, erklärten einen unbefristeten Generalstreik. Chile, dessen schmales Territorium sich von Norden nach Süden über 4.270 km erstreckt, ist in hohem Maße vom Straßenverkehr abhängig; mehr als die Hälfte des chilenischen Treibstoffs, der Rohstoffe und der Lebensmittel wird auf diese Weise transportiert. Ein wirksamer Streik würde daher die Wirtschaft schnell zum Erliegen bringen. Am 10. Oktober brachte die Demokratische Föderation 100.000 Menschen auf die Straßen Santiagos, drei Tage später schloss sich der Einzelhandelsverband dem Streik an und SOFOFA, der Arbeitgeberverband der Mittel- und Großindustrie, erklärte eine Aussperrung.

Die Regierung reagierte mit Appellen zur „Einhaltung der Legalität“ und wandte sich an das Militär, indem sie 13 Provinzen unter Militärverwaltung stellte. Im Gegensatz dazu nahmen die Arbeiter*innen die Dinge selbst in die Hand und begegneten dem Streik der Bosse mit einer Welle von Besetzungen geschlossener Fabriken und der Beschlagnahme von Transportmitteln.

Die JAPs, Ausschüsse von Hausfrauen, die als Reaktion auf Knappheit und Horten entstanden waren, weiteten sich dramatisch aus, beschlagnahmten Lebensmittelvorräte, erzwangen die Wiedereröffnung geschlossener Geschäfte und setzten die Preise für die verkauften Waren fest. Die Cordones Industriales verbreiteten sich in allen großen Industriezentren, allein in Santiago entstanden fünf, und verbanden die Industriebetriebe mit einem direkt gewählten Arbeiter*innenausschuss. Sie übernahmen die Mobilisierung der Arbeiter*innen, die Organisation der Verteidigung, des Transports, des Materials und der Fertigprodukte sowie die Verbindung zu den Nachbarschaftskomitees, insbesondere in den militanten Poblaciones (Barackensiedlungen).

Angesichts dieser zunehmenden Übernahme von Produktion und Vertrieb durch die Arbeiter*innen und die Armen, die aus eigener Initiative erfolgte, geriet die Bourgeoisie in Panik. Ende Oktober drängten alle Teile der Bourgeoisie auf Verhandlungen mit der Regierung. In dieser Situation gelang es der Regierung der Unidad Popular, den Sieg, den die Arbeiter*innen für sie errungen hatten, in eine Niederlage umzuwandeln.

Nachdem es ihr nicht gelungen war, breitere Teile der Bourgeoisie in die Regierung einzubeziehen, holte sie das Militär ins Boot. Die Anwesenheit des Militärs – General Carlos Prats als Innenminister, Konteradmiral Ismael Huerta als Minister für öffentliche Arbeiten und Brigadegeneral Claudio Sepelveda von der Luftwaffe als Minister für Bergbau – sollte die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung garantieren.

Die Führungen der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei hatten stets die Illusion verbreitet, dass die chilenische Armee, im Gegensatz zu denen anderer lateinamerikanischer Staaten, „verfassungsgemäß“ und „professionell“ sei und sich verpflichtet habe, jede demokratisch gewählte Regierung zu unterstützen. Luis Corvalán hatte vor der Wahl der Unidad Popular erklärt, dass die KP gegen Vorschläge zur Bewaffnung der Massen sei, da dies „einem Misstrauen gegenüber der Armee gleichkäme“.

Der Landwirtschaftsminister der Sozialistischen Partei rechtfertigte den Eintritt in die Regierung in der Zeitschrift „Chile Hoy“ mit folgenden Worten: „Die Streitkräfte (…) treten in das Kabinett ein, um das institutionelle System zu bewahren, das die schärfsten Köpfe der Opposition zerstören wollen. Auf diese Weise tragen sie dazu bei, die Bedingungen für den Fortgang des Programms zu sichern.“

In der Tat haben die Streitkräfte eine lange und „hervorragende“ Bilanz bei der „Bewahrung des institutionellen Systems“, aber das System war der Kapitalismus. Zu seiner Verteidigung hatten sie eine ganze Reihe von Massakern an Arbeiter*innen begangen, die gegen die Kapitalist*innenklasse kämpften. Wie in jeder anderen südamerikanischen Armee stammte auch ihre Offizierskaste aus den herrschenden Klassen Chiles und war eng in diese integriert. Sie wurde von den USA ausgebildet, die meisten ihrer Offiziere durchliefen die „Schule für Konterrevolution“, die US Army School of the Americas in der Panamakanalzone.

Das war der „Verbündete“, den die Unidad Popular im November 1972 rief. Wenn Allende und Corvalán darauf bestanden, die chilenische Arbeiter*innenklasse in die Fänge der Konterrevolution zu treiben, dann konnten ihre „linken“ Kritiker*innen keine echte alternative Führung für die Arbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen bieten.

Die Linke der Sozialistischen Partei war trotz ihrer Bekenntnisse zum „Marxismus-Leninismus“ und ihrer Unterstützung für die „ununterbrochene Revolution“ in Bezug auf den Charakter der Armee fatalerweise zweideutig. Der Parteisekretär und Führer des linken Flügels erklärte in der Wochenzeitung Marcha am 17. November: „Die Sozialistische Partei hat sich nie gegen die Anwesenheit von Männern in Uniform im Kabinett ausgesprochen. Das ist das Vorrecht des Präsidenten.“

Wie so oft, wenn es darauf ankam, akzeptierte die „Partei-Linke“ die Aktionen der Rechten. Das gleiche Problem der politischen Führung stellte sich auch innerhalb der Cordones. Trotz ihrer Militanz und Initiative in der Not gerieten sie, in Ermangelung einer alternativen Strategie zu jener der Regierung, im November in den Niedergang. Da die Sozialist*innen oft die wichtigste Kraft in ihnen waren, beschränkten sich die Cordones darauf, der Unidad Popular die Unterstützung auszusprechen und die bestehenden Errungenschaften der Regierung zu verteidigen.

Auch die Bewegung der Revolutionären Linken, MIR, bot keine politische Alternative. Sie stellte den Cordones ihre „eigenen“ Frontorganisationen, die Commandos Comunales, entgegen. Politisch schwankte sie zwischen dem Boykott der Wahlen 1970 und der „kritischen Unterstützung“ der Regierung. Und auch in Bezug auf die Natur und die Rolle der Armee schwankte sie. Einerseits prangerte sie „einige schlechte Offiziere“ an, andererseits verwies sie auf die „wahrhaft patriotische und demokratische Rolle“, die sie an der Seite des Volkes zu spielen habe. Die radikale Linke scheiterte also ebenso wie die KP und die SP daran, die entscheidenden Aufgaben anzugehen, vor denen die chilenische Arbeiter*innenklasse 1972-3 stand: die Cordones für die Forderung zu gewinnen, dass die reformistischen Führungen von SP und KP mit den bürgerlichen Parteien brechen, das Militär aus der Regierung werfen und eine Arbeiter*innen- und Bauern-Regierung einsetzen, die sich den unmittelbaren Problemen der Massen annimmt.

Dies hätte eine dringliche Kampagne unter den einfachen Matrosen und Soldaten gegen die Putschisten inkludieren müssen, für volle demokratische Rechte in den Kasernen und auf den Schiffen, die Einbeziehung ihrer Vertreter in die Cordones und die Bildung und Bewaffnung von Arbeiter*innenmilizen zur Verteidigung gegen die Faschist*innen und die Putschist*innen.

Dringende Maßnahmen einer Arbeiter*innen- und Bauernregierung, die sowohl von unten als auch von oben erkämpft und durchgesetzt werden musste, hätten die Enteignung der Großbetriebe und Industrien unter Arbeiter*innenkontrolle, die Streichung der Auslandsschulden und die Enteignung der imperialistischen Anteile beinhalten müssen. Der Kampf um solche Forderungen hätte nicht nur der Offensive der Bourgeoisie entgegengewirkt, sondern auch die Möglichkeit geboten, die Basis der Sozialistischen und Kommunistischen Partei von der verhängnisvollen Volksfrontpolitik ihrer Führer zu lösen und sie für eine revolutionäre kommunistische Alternative zu mobilisieren.

Stattdessen konnte die Regierung ihre Strategie zur Beruhigung der Bourgeoisie fortsetzen, deren Preis die Demobilisierung der Arbeiter*innenklasse und die Auslieferung der Soldaten und Matrosen war, die versucht hatten, sich den Verschwörern zu widersetzen.

Im Januar 1973 wurde der berüchtigte „Millas-Plan“ vorgelegt, in dem dieser „kommunistische“ Minister vorschlug, 123 besetzte Unternehmen an ihre früheren Eigentümer zurückzugeben. Der Plan wurde nur durch den massiven Widerstand der Arbeiter*innenklasse unter Führung der Cordones und Teilen der sozialistischen Linken verhindert. Dies überzeugte die Bourgeoisie davon, dass sie von Allende zwar nichts zu befürchten hatte, dass er aber wenig Kontrolle über die Arbeiter*innen hatte, wenn es darum ging, sich ihre Errungenschaften zurückzuerobern. Das machte sie noch entschlossener, Allende selbst loszuwerden, und zwar mit den blutigsten Mitteln.

Nachdem es der Bourgeoisie nicht gelungen war, bei den Wahlen im März 1973 eine Zweidrittelmehrheit im Kongress zu erlangen, was für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Allende notwendig gewesen wäre (die Stimmen der Unidad Popular hatten bei diesen Wahlen sogar zugenommen), wandte sich die Bourgeoisie mehr und mehr an die Armee, um diese Aufgabe zu übernehmen.

Der Septemberputsch

Nach dem von Allende verabschiedeten Waffenkontrollgesetz vom Oktober 1972 konnte die Armee bei Razzien auf der Suche nach „Waffen“ nahezu eigenwillig handeln. Natürlich wurden diese Befugnisse zunehmend zur Einschüchterung und Entwaffnung der Arbeiter*innenorganisationen genutzt. Im Mai führte die Armee eine Razzia im Hauptquartier der Sozialistischen Partei in der Stadt Rancagua durch. Der amtierende Oberbefehlshaber, Augusto Pinochet, genehmigte die Razzia. Im Juni unternahm das Zweite Panzerregiment einen Putschversuch, der von Truppen, die General Prats treu ergeben waren, niedergeschlagen wurde. Die Armee war zunehmend gespalten zwischen den Offizieren, die einen Putsch befürworteten, und der schwindenden Zahl der „Konstitutionalisten“. Allendes Vorgehen stärkte systematisch die Ersteren und schwächte die Letzteren.

Der Juli bot Allende die letzte Chance, die Arbeiter*innen gegen den drohenden Putsch zu mobilisieren. Der Monat begann mit einer Reihe von Waffendurchsuchungen aller drei Teilstreitkräfte auf Fabriken, Gewerkschaftsbüros und Universitäten, die eine Reihe von Toten und Verhafteten hinterließen. Anfang August wurde eine Gruppe von Matrosen und Unteroffizieren, die Anhänger der Unidad Popular waren und sich den laufenden Putschvorbereitungen widersetzt hatten, verhaftet und gefoltert, weil sie die Parteien der Unidad Popular informiert hatten. Das Oberkommando beschuldigte die Linke der Sozialistischen Partei, MAPU, und die MIR der Anstiftung zur Meuterei.

Allende weigerte sich nicht nur, diese Matrosen zu unterstützen oder ihre Freilassung anzuordnen, sondern denunzierte auch den „Versuch ultralinker Matrosen, Zellen in Schiffen der nationalen Flotte zu organisieren“. Allende schaufelte nicht nur sein eigenes Grab, sondern, was noch tragischer ist, das von Tausenden von Aktivist*innen der Arbeiter*innenklasse, indem er dafür sorgte, dass die Reihen der Streitkräfte sehen mussten, dass sie keine Unterstützung erhielten, wenn sie die Putschbefehle ihrer Offiziere nicht befolgten.

Am 11. September kam es zum Putsch, der mit Hilfe der USA organisiert wurde. Trotz des heldenhaften Widerstands der Cordones und der Aktivist*innen der SP, der KP und der MIR wurde der Putsch aufgrund des Mangels an Waffen und zentraler Koordination mit außergewöhnlicher Gewalt niedergeschlagen. Allende selbst starb unter noch immer umstrittenen Umständen auf dem Moneda-Platz.

In der Hauptstadt Santiago wurde das nationale Fußballstadion in ein Konzentrationslager umgewandelt, in dem etwa 5.000 Häftlinge unter entsetzlichen Bedingungen untergebracht wurden. Selbst zwei Jahre später befanden sich dort nach Angaben der US-Regierung noch 3.811 Personen. Ähnliche Lager wurden in praktisch jedem Bevölkerungszentrum eingerichtet. Amnesty International und das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen schätzten, dass bis Ende 1973 250.000 Chilen*innen verhaftet und inhaftiert worden waren.

Etwa 28.000 von ihnen wurden für längere Zeit inhaftiert und viele von ihnen, sowohl Männer als auch Frauen, wurden grausam vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Viele Gefangene wurden aus Hubschraubern über dem Pazifik abgeworfen; eine Technik, die später in Argentinien nach dem Videla-Putsch 1976 kopiert wurde. Es wird geschätzt, dass allein im Stadion von Santiago 1.850 Menschen getötet wurden. In späteren offiziellen Berichten wurde die Zahl der landesweit Getöteten mit 3.200 angegeben, 1.300 „verschwanden“ und 30.000 gingen ins Exil. Viele halten diese Zahlen jedoch für eine grobe Unterschätzung und glauben, dass die tatsächlichen Zahlen zehnmal höher liegen.

Damit endete das „Experiment“ einer friedlichen demokratischen Etappe auf dem „chilenischen Weg zum Sozialismus“, beruhend auf einem Bündnis mit einer angeblich patriotischen Bourgeoisie und Armee. Wie in Spanien zwischen 1936 und 1939 lieferte die Volksfront die Arbeiter*innenklasse wieder einmal in die Hände der tiefsten Reaktion.