In Österreich traditionell wenig beachtet, aber dennoch beachtenswert, sind die EU-Wahlen, die mit 9. Juni bevorstehen. Das europäische Parlament, welches formal die EU-Kommission wählt und über deren Gesetzesvorlagen abstimmt, wird neu besetzt. Damit stellt sich auch die Frage der politischen Ausrichtung des europäischen Blocks als einer der Großmächte im imperialistischen Weltgefüge.
Die politische Krise der herrschenden Klasse ist offenkundig selbst das Produkt des widersprüchlichen Charakters der europäischen Einigung. Während sich die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten wirtschaftlich und geopolitisch verschärft, steht die Europäische Union als ideelle Gesamtkapitalistin Europas schwach da. Politisch gespalten in widerstrebende nationale Interessen mit schwachen suprastaatlichen Strukturen ist die EU in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. In Bezug auf die Ukraine ist sie befangen zwischen militärischer Unterstützung, die sie unfähig ist, ohne die Regie der USA zu organisieren, und einem Selenskyj der einen Waffenstillstand nicht akzeptieren will, während sie vor einer direkten Konfrontation mit Russland aufgrund der offenkundigen katastrophalen Eskalation zurückschreckt. Bei der Energiewende werden die Probleme, einen „grünen Kapitalismus“ zu realisieren und damit vorrangig Autarkie zu erringen, immer deutlicher. Zu zaghaft sind die Versuche, die Infrastruktur zu transformieren, zu schwach das „grüne“ Kapital, zu groß der politische Widerstand von rückschrittlichen Kräften. Und im Bereich essenzieller digitaler Technologien im Halbleiterbereich, Batterieproduktion, digitaler Kommunikation oder Künstlicher Intelligenz ist Europa im absoluten Hinterfeld und von Entwicklungen in den USA und China bis auf einzelne Ausnahmen nahezu vollständig abhängig.
In all diesen Bereichen gibt es nicht nur politische Spaltungen nach Nationalstaaten, sondern auch Spaltungen gemäß der politischen Lager bzw. Parteien. Am deutlichsten drückt sich das im Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsradikaler Kräfte aus. Diese wollen die nationalstaatlichen Kompetenzen stärken und die europaweiten Strukturen schwächen. Dahinter stehen selbst Wirtschaftsinteressen eines Teils der nationalen herrschenden Klassen, Unterstützung kommt aber auch von kleinbürgerlichen Kräfte sowie von reaktionären Teilen der Arbeiter*innenklasse. Die rechten Parteien wie AfD, FPÖ, Fidesz, Partij voor de Vrijheid, Rassemblement National oder Fratelli d’Italia bedrohen einerseits die zentralistischeren Vorstellungen der liberaleren Bourgeoisie. Andererseits machen sich die konservativen Parteien bereit, die rechteren Kräfte in ihre Herrschaftsstrategie zu integrieren. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plädiert sogar dafür, mit den rechten Parteien zusammenzuarbeiten, wenn diese „proeuropäisch“ und „rechtsstaatlich“ denken sowie auf Seiten der Ukraine stehen.
Die „linken“ Kräfte wie Sozialdemokrat*innen und Grüne sind gegenüber den Rechten und Konservativen in der Defensive. Gleichzeitig haben sie keine Alternative gegenüber dem Kurs der liberalen Bourgeoisie und bilden quasi nur ihr „progressives“ Feigenblatt. Das sehen wir sehr gut am einflussreichen sozialdemokratischen deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und an der grünen deutschen Außenministerin Annalena Baerbock – Speerspitzen des pro-imperialistischen Aufrüstungskurses in Europa und Apologet*innen des zum Himmel schreienden Krieges Israels gegen den Gazastreifen und seine Bevölkerung. Links davon steht noch die Partei der Europäischen Linken, doch sie ist vergleichsweise schwach und politisch sehr heterogen. Sie befürwortet eine demokratischere und solidarischere Union, eine gesellschaftspolitische Perspektive oder gar Strategie fehlt in ihrem Manifest für die EU-Wahl weitgehend. Hier zeigt sich wieder einmal der reformistische Charakter der sogenannten Transformationstheorie, welche den kapitalistischen Staat in einen anderen überführen möchte, anstatt reale Gegenmacht aufzubauen. In Bezug auf die Ukraine tritt sie in pazifistischer Manier für Friedensverhandlungen, einen Waffenstillstand und gegen das Wettrüsten ein, nicht aber konsequent für die Niederlage Russlands bzw. den Sieg der Ukraine sowie die Entwaffnung der Imperialist*innen in Ost und West durch die Arbeiter*innen. Bezüglich Israel fordert die EL Sanktionen, kann sich aber auch hier nicht zu einer klaren Position durchringen, die eine Absage an den zionistischen Siedlerkolonialismus sein müsste.
Der Europäischen Union steht ein Rechtsruck bevor und die liberalen und „linken“ Parteien werden ihn nicht verhindern, auch nicht die radikalere Linke. Viele fortschrittliche und linke Menschen setzen ihre Hoffnungen aber in den Aufbau einer politischen Alternative und unterstützen die Parteien der Europäischen Linken.
Auch in Österreich können wir mittlerweile eine solche Entwicklung feststellen. Die KPÖ hat in Graz, Salzburg und Innsbruck wichtige Wahlerfolge erzielt. Nach den EU-Wahlen folgen im Herbst schon die Nationalratswahlen, bei denen die KPÖ erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert tatsächliche Chancen auf einen Einzug hat. Die EU-Wahlen und die Nationalratswahlen werden für die KPÖ der Test sein, ob sie eine Wähler*innenbasis abseits von lokalpolitischen Themen und dem Thema Wohnen lukrieren kann. Wir wollen das Bedürfnis nach einer Kraft links von SPÖ und Grünen unterstützen und rufen daher bei der EU-Wahl für die KPÖ auf. Wir warnen aber gleichzeitig vor der reformistischen und lokalpolitischen Strategie der KPÖ und sagen, es braucht eine andere linke Partei, die sich ganz klar auf die Arbeiter*innenklasse und klassenkämpferische Mobilisierungen stützt sowie mit einem internationalistischen Grundverständnis klar Position für die Unterdrückten weltweit bezieht. Für eine solche Partei setzen wir uns ein, als Arbeiter*innenstandpunkt derzeit außerhalb der KPÖ, aber in LINKS, das mit der KPÖ immer wieder Kooperationen eingegangen ist und solche auch für die kommende Nationalratswahl und die Wiener Gemeinderatswahl 2025 anstrebt.