2024 wird in ganz Österreich die Vollversammlung (das Parlament) der Arbeiter*innenkammer neu gewählt. Doch welche Rolle spielt die AK und haben diese Wahlen überhaupt Relevanz für Revolutionär*innen?
Eine Interessenvertretung für die Arbeitnehmer*innen – klingt doch ganz gut! Auch wenn die Klassenlinien nicht exakt anhand der juristischen Definitionen der sogenannten Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen verlaufen, gehört dennoch der Großteil der AK-Mitglieder, der Arbeiter*innenklasse an.
Doch die AK ist keine von der Klasse für sich selbst geschaffene kämpferische Interessenvertretung. Vielmehr ist ihre Rolle insbesondere seit der Nachkriegszeit in erster Linie die einer Sozialpartnerin. Sie ist zahlreichen gesetzlichen Auflagen und Einschränkungen unterworfen.
Die Geschichte der Arbeiter*innenkammer ist eigentlich von Anfang an einer der einer gesetzlichen – und damit auch den Regeln des bürgerlichen Staates unterworfenen – Interessensvertretung. Schon während der Monarchie gab es Bestrebungen zur Gründung eines Gegenstücks zur Handelskammer (der späteren Wirtschaftskammer), die im Zuge der Revolution von 1848 durchgesetzt werden konnte. Diese kamen damals weniger von sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Seite als von bürgerlich-liberaler Seite.
Aufgegriffen wurde der Vorschlag dann wieder im Zuge der revolutionären Entwicklungen am Ende des 1. Weltkriegs. Die Sozialdemokratie war zu diesem Zeitpunkt schon offen zur Verteidigung des Kapitalismus übergegangen. Während die Arbeiter*innen in Österreich im Zuge des Jännerstreiks 1918 und dann später auch im Zuge des Sturzes der Habsburgermonarchie selbst Arbeiter*innenräte gründeten, war es der Sozialdemokratie ein Anliegen, die Bewegung gegen das herrschende System in bürgerlich-demokratische Bahnen zu lenken.
Die Rätebewegung spielte in Österreich auch noch nach der Errichtung der 1. Republik eine wichtige Rolle – insbesondere auch weil im benachbarten Ungarn im Frühjahr und Sommer 1919 eine Räterepublik bestand. Doch die erste Koalitionsregierung (aus Sozialdemokratie, Christlich-Sozialen und Deutschnationalen) nach dem Krieg versuchte die selbstorganisierte Rätebewegung systematisch zu untergraben und ins bürgerlich-kapitalistische Österreich zu integrieren. Im Mai 1919 wurden die Betriebsräte – in Abgrenzung zu den Arbeiter*innenräten – gesetzlich verankert und mit beschränkten Rechten ausgestattet. In dieselbe Kerbe schlug auch die Gründung der Arbeiterkammer 1920, mit ihr sollte eine gesetzliche Vertretung der Arbeiter*innen in Österreich geschaffen werden, die es der breiten Masse der Arbeiter*innen als unnötig erscheinen lässt, eine eigene, allumfassende Vertretung in Form der Arbeiter*innenräte zu haben. Die Arbeiter*innenkammer hatte von Anfang an eine wichtige systemintegrierende Funktion. Das Ganze wurde dann nach der Gründung der 2. Republik und der Institutionalisierung der Sozialpartner*innenschaft noch einmal auf die Spitze getrieben.
Eine ehrliche, wirkliche Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse wäre aber ein Kampforgan, das sich nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne einsetzt und den Kapitalismus möglichst „arbeiter*innenfreundlich“ mitverwaltet, sondern den politischen Kampf gegen das kapitalistische System und seine Ausbeutung und Unterdrückung führt. Sie wäre nicht wie die heutigen österreichischen Gewerkschaften von einer Schicht aus Bürokrat*innen geführt, die selbst vom System profitieren und früher oder später Spitzenposten in Sozialdemokratie und Privatwirtschaft vermittelt bekommen. Wir treten für eine kämpferische Arbeiter*innenbewegung ein, die von der Basis kontrolliert und demokratisch geführt wird.
Um eine solche Arbeiter*innenbewegung zu erreichen, müssen wir die Gewerkschaften von der Basis aus verändern und die Bürokratie entmachten. Gleichzeitig muss die Bindung der Arbeiter*innenkammer an den bürgerlichen Staat gebrochen werden. Die Ressourcen der Arbeiter*innenkammer – Strukturen, Vermögen, Personal, etc. – in solche von der Basis kontrollierte, kämpferische Gewerkschaften überführt werden, um eine gemeinsame starke Struktur zu schaffen, die unabhängig von kapitalistischen Interessen agiert.
Die AK erfüllt also nicht unseren Wunsch an eine Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse. Doch sie ist uns auch nicht egal – wir wollen sie verändern! Die Kammern – insbesondere neben der AK die Wirtschaftskammer – spielen eine wichtige Rolle im österreichischen politischen Gefüge. Die Rolle der Klassenzusammenarbeit in Form von Sozialpartner*innenschaft, die wir kritisieren, wird sich jedoch nicht in Luft auflösen, wenn wir die AK und ihre Wahlen ignorieren. Durch die Sozialpartner*innenschaft und speziell durch die damit einhergehende Ideologie der Klassenzusammenarbeit (immerhin hat auch die Sozialpartner*innenschaft ihre glorreichen Zeiten hinter sich) wird das Potential der Arbeiter*innenklasse, durch Arbeitskämpfe und Co. echte Verbesserungen zu erzielen nachhaltig geschwächt. Einmal ganz abgesehen von der revolutionären Organisierung der Arbeiter*innenklasse gegen das ganze System als solches.
Die Sozialpartner*innenschaft spielt heute nicht mehr die Rolle, die sie einmal hatte. Sie war stark zu Zeiten einer starken Arbeiter*innenbewegung, denn damals diente sie als Schutzschild und Gehhilfe des kapitalistischen Systems – Mitverwaltung für die Arbeiter*innen für Systemerhalt des Kapitalismus war der Deal nach 1945. Spätestens seit den 1980er Jahren geht die Macht der organisierten Arbeiter*innnebewegung in Österreich aber stetig zurück. Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie verlieren seit Jahrzehnten stetig an Mitgliedern und die Kapitalist*innen gingen mit dem Neoliberalismus der 1980er Jahre (der in Österreich aber erst wirklich in den 1990er Jahren ankam) in die Offensive. Mittlerweile kommen von bürgerlicher Seite zunehmend Angriffe und eine Abschwächung der Rolle der Sozialpartner*innen. Teile der Sozialdemokratie versuchen diese Rolle gegen die Vorstöße der Bürgerlichen zu verteidigen. Einschränkungen für die AK oder ein Rechtsruck innerhalb der Kammer führen trotzdem nur dazu, dass die Rechte von Arbeiter*innen noch leichter angegriffen werden können.
Vorstöße gegen die AK kommen immer wieder, beispielsweise während Koalitionsverhandlungen 2017 oder in der Sommerpause 2023. Mit Forderungen wie danach, die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern abzuschaffen oder die Beiträge zu senken, fallen insbesondere FPÖ und NEOS auf. Die FPÖ, die sich gerne als „Partei des kleinen Mannes“ präsentiert, fällt überall dort, wo sie an Regierungen beteiligt ist, durch arbeiter*innenfeindliche Politik auf. Die NEOS verheimlichen ihre neoliberalen Positionen weder in ihrem Namen noch in ihrer Programmatik. Wir verteidigen die Arbeiter*innenkammer gegen die Angriffe von rechts, ohne aber unsere eigene Kritik an der Bindung an den bürgerlichen Staat aufzugeben!
Die AK-Vollversammlung und wer da zu finden ist
In der Vollversammlung der AK wird ihre grundsätzliche politische Stoßrichtung bestimmt. Zu ihren Aufgaben gehört es, die Tätigkeiten der vertretenen Fraktionen zu unterstützen. Es ist uns also nicht egal, wer dort die Mehrheit hat. Die ungebrochene Dominanz der Sozialdemokratie zeigt sich unter anderem im klaren sozialpartner*innenschaftlichen Kurs.
In der AK-Vollversammlung in Wien sind derzeit 12 verschiedene Fraktionen vertreten (von 13, die bei der letzten Wahl 2019 kandidierten). Die absolute Mehrheit hat, wie bereits erwähnt, die FSG (Fraktion sozialdemokratische GewerkschafterInnen), die dadurch auch einen Gutteil der Posten besetzen kann.
Die FSG steht für sozialdemokratische Politik. Ihre Forderungen und Anträge setzen sich zwar meistens für die Verbesserung der Situation von arbeitenden Menschen ein, doch sie halten sich strikt im Rahmen des kapitalistischen Systems und der Sozialpartner*innenschaft. Die FSG ist genauso wie die SPÖ von Bürokratie durchdrungen. Viele, die als „ehrliche“ Sozialdemokrat*innen starten, lassen sich später von den Aussichten auf gute Jobs sowie allgemein von der Ideologie des Reformismus „überzeugen“: Der Erhalt und die Interessen der Fraktion werden wichtiger als jene der Arbeiter*innenklasse. Ihre Machtbasis erhält die FSG vor allem, indem sie sich auf jene gut organisierten Schichten der Klasse stützt, in denen sie schon immer eine gute Verankerung hatte. Prekär beschäftigte, schwach organisierte Sektoren und die Interessen besonders unterdrückter Schichten treten für die FSG dagegen in den Hintergrund. Solange sie die Mehrheit hat, erhalten auch ihre Kernschichten die größte Aufmerksamkeit und Unterstützung. Das sehen wir beispielsweise bei den jährlichen Verhandlungen über die Kollektivverträge, wo diese meistens deutlich besser abschneiden als schlechter organisierte Branchen wie Handel oder Pflegeberufe.
Neben Fraktionen der verschiedenen anderen Parteien haben auch verschiedene offiziell unabhängige Fraktionen bzw. wahlwerbende Gruppen einzelne Mandate. Die meisten von ihnen haben einen klaren Fokus auf Servicepolitik, manche haben auch ein politisches Programm, andere verstehen sich als unparteiische Interessensvertretung ohne klare politische Positionierung. Was die meisten von ihnen gemeinsam haben, ist, dass sie rein im Rahmen des kapitalistischen Systems agieren und argumentieren. Die Ausnahme bilden dabei der eng mit der KPÖ verbundene Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) und die Kommunistische Gewerkschaftsinitiative – International (KOMintern) mit einer etwas klassischeren stalinistischen Ausrichtung und mehr Verbindungen mit migrantischen Linken Organisationen. Sie bringen Fragen der Umverteilung auf die Tagesordnung, die KOMintern stellt sogar offen die Systemfrage.
Nach der Wahl im April 2024 könnte noch eine weitere Kraft dazukommen, die über die Grenzen des Kapitalismus hinausdenkt. LINKS Wien hat seine Kandidatur eingereicht – auch wir kandidieren auf dieser Liste. LINKS ist ein heterogenes Projekt, das aber an sich selbst den Anspruch des Antikapitalismus stellt. Die Forderungen von LINKS für die AK-Wahlen reichen von „simplen“ Verbesserungen wie gratis Öffis und gratis Einbürgerungen bis hin zu Enteignungen und demokratischer Kontrolle über die Produktion. Als Arbeiter*innenstandpunkt setzten wir uns dabei besonders für Übergangsforderungen ein, die über das System hinausweisen und damit den Kampf für Reformen mit dem Kampf gegen das System miteinander verbinden.
Das außergewöhnliche an diesen Wahlen ist nicht nur, dass hauptsächlich Arbeiter*innen wahlberechtigt sind, sondern auch, dass das Wahlrecht von der Staatsbürger*innenschaft unabhängig ist. Besonders unterdrückte Teile der Arbeiter*innenklasse, die bei anderen Wahlen teils kaum Interesse zeigen, weil sie nicht mitbestimmen dürfen, können wir bei dieser Wahl leichter erreichen. Wir geben uns dabei keinen Illusionen hin, eine lebenswerte Gesellschaft für alle über die AK oder bürgerliche Parlamente erreichen zu können. Doch die AK-Wahlen und die Arbeit in der AK-Vollversammlung bieten Marxist*innen eine Plattform, um Ideen für eine Gesellschaft ohne Kapitalismus und den Weg dorthin zu präsentieren.
Unsere grundsätzlichen Forderungen für die AK:
- Verteidigung der AK gegen alle Angriffe von bürgerlichen Parteien und Regierungen!
- Auflösung der Abhängigkeit der AK vom Staatsapparat!
- Für die Eingliederung der Ressourcen der AK in die Gewerkschaftsbewegung!
- Gegen die Bürokratie in AK und Gewerkschaften! Für die Beschränkung von Löhnen auf ein durchschnittliches Facharbeiter*innengehalt! Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit!
- Schluss mit sozialpartnerschaftlichen Kompromissen, für eine kämpferische Arbeiter*innenbewegung!
- Für eine Ausrichtung auf Branchen mit vielen Frauen und Migrant*innen, die bisher wenig und schlecht von der Arbeiter*innenbewegung vertreten werden, wie Handel, (private) Pflege oder Gastronomie.
- Für die Bildung von Streik-, Betriebs- und Fabrikkommittees – für die Kontrolle der Arbeitenden über Arbeitskämpfe und Produktion!