
Wer in linken Kreisen unterwegs ist, ist sicher schon mal über das Wort Queer-Feminismus gestolpert. Feminismus gilt hier als selbstverständlich und immer mehr, vor allem junge Aktivist*innen, bezeichnen sich als queer. Wenn beides als progressiv gilt, dann kann die Synthese nur noch besser sein. Oder…? Wir wollen in diesem Beitrag Überlegungen anstellen, was Queer-Feminismus eigentlich ist und ob er eine sinnvolle Strategie zu Frauen- und Queer-Befreiung ist.
Ist jetzt aber Queer-Feminismus einfach nur Feminismus, der nicht nur die Gleichberechtigung von Frauen, sondern auch die von queeren Menschen anstrebt? „Heterosexismus“ wird als System erkannt, das allen Menschen, nicht nur Frauen, innerhalb derselben Logik einer binären Geschlechterordnung Unterdrückungsmechanismen aufdrängt. Tatsächlich ist der Begriff aber nicht so einfach zu verstehen. Wenn man Aktivist*innen nach ihrer Definition von Queer-Feminismus fragt, herrscht meist Unklarheit oder man bekommt eine Antwort im obigen Sinn. Tatsächlich findet man etliche linke politische Organisationen, die sich offen, wenn auch selten klar und nachvollziehbar, auf einen Queer-Feminismus berufen. Eine Ausnahme finden wir bei LINKS, das sich angesichts der Wiener Gemeinderatswahlen 2020 gegründet hat und den Queer-Feminismus in seinem Selbstverständnis, sowie auch statutarisch, verankert hat. Das gab uns, die Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt, auch eine Motivation, dieses politische Konzept genauer zu betrachten. Eine Definition davon, was der Begriff politisch eigentlich aussagen soll, wurde in LINKS bisher selten und wenn doch sehr stark unterschiedlich beschrieben.
Viel öfter als den expliziten Bezug auf Queer-Feminismus finden wir politische Ausrichtungen, wie von dem Bündnis „Take back the streets!“, welches mittlerweile in Wien die jährliche Demonstration am 8. März veranstaltet. Dabei wird ein Feminismus vertreten, welcher die Unterdrückung von homo-, bi-, intersexuellen und agender Menschen sowie Menschen mit nicht-binärer, trans- oder queerer Geschlechtsidentität neben die frauenspezifische Unterdrückung stellt und sie quasi gleichberechtigt oder auf der selben Ebene behandelt. Ohne das an dieser Stelle bewerten zu wollen, soll damit gesagt sein, dass ein Feminismus weitere Verbreitung findet, welcher LGBTQIA+-Personen inkludiert und gleichberechtigt zu Frauen repräsentieren möchte.
An der Österreichischen Hochschüler*innenschaft an der Fachhochschule Campus Wien finden wir ein Referat für Queer-Feminismus. Dieses kümmere sich „um alle Anliegen betreffend Gender-Identität(en) und Feminismus. Es stellt Deine Anlaufstelle bei Problemen mit Diskriminierung auf Deine Gender-Identität(en) und sexuelle Orientierung und kämpft für gleiche Studienbedingungen, unabhängig von diesen Faktoren.“
Die „feministische“ Gegenposition zu diesem „inklusiven“ Feminismus hängt sich meist auf der der (Nicht-)Inklusion von trans Personen auf. Durch die Integration von trans Frauen in den Feminismus und in Frauenräume würde die Stellung von Frauen und deren Anliegen unterminiert oder Schutzräume von Frauen gestört (so etwa bei der Debatte um die Nutzung von Frauentoiletten). Im Juni 2023 kam es zu einer aufgeregten Debatte, als die Grüne Nationalratsabgeordnete Faika El-Nagashi an einer Kundgebung der transfeindlichen Initiative „Let Women Speak“ teilnahm. Dort sah man Schilder mit „Men are not Women“ und hörte den Slogan „Keine Frau hat einen Penis!“. Danach teilte sie auch weitere transfeindliche Inhalte anstatt sich davon zu distanzieren.
Wovon reden wir?
Worum geht es also bei diesen Debatten? Was ist Queer-Feminismus? In einem Artikel des deutschen Magazins stern findet man beispielhaft eine gewisse populäre Auffassung: „Im Queer-Feminismus geht man also nicht davon aus, dass es nur Mann und Frau, sondern eine breite Palette an Geschlechtern und Sexualitäten gibt. (…) Unter Queer-Feminismus versteht man also auch den Kampf für Gleichheit, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter und Identitäten.“ Das entspricht dem Verständnis, das wir eingangs bereits beschrieben haben.
Auf Wikipedia findet man ein paar wenige, aber doch substantiellere Angaben. Dort heißt es der Queer-Feminismus gehöre zur Dritten Welle des Feminismus, genauer zum dekonstruktivistischen Feminismus, und richte sich sowohl gegen Heteronormativität als auch binäre Geschlechterordnung. Viel gesagt ist damit jedoch immer noch nicht.
Eine genauere Definition findet man auf der Website feministisch-verandern.de. Hier heißt es: „Queer-Feminismus kann insbesondere in den deutschsprachigen Auseinandersetzungen als feministische Strömung bezeichnet werden, die sich in Bezugnahme auf Queer Theory in ein akademisches (erkenntnistheoretisches) und ein politisches Projekt ausdifferenzieren lässt. (…) Die erkenntnistheoretische Dimension queerfeministischer Debatten geht davon aus, dass Sexualität, geschlechtliche Identität und Körper nur durch eine Matrix kulturellen Wissens erfahr- und verstehbar sind. (…) Queerfeministische Praxis nutzt den Modus der störenden Performanz (Butler 1995: 35), um etablierte kulturell vergeschlechtlichte Praxen und Konzepte zu »durchqueeren« und zu unterwandern, von der Sprache bis hin zu habituellen Merkmalen wie zum Beispiel Kleidungsstilen oder auch Alltagspraktiken, die geschlechtlich gelesen werden. Dominante Repräsentationen, die sich ständig reproduzieren, werden subversiv aufgebrochen.“ Das klingt schon klarer, wenn auch kompliziert.
Klärung grundsätzlicher Begriffe
Damit die Sache nicht noch komplizierter wird, wollen wir zuerst mit einer Abgrenzung des Begriffes von anderen, klarer abgesteckten Begriffen beginnen, bevor wir nochmal einen Blick auf die genaue Bedeutung des Begriffes „Queer-Feminismus“ werfen.
Queer: Aus dem Englischen bedeutet es ursprünglich „seltsam“ oder „eigenartig“ und wurde lange Zeit als Schimpfwort für Menschen benutzt, die von den vorherrschenden, heterosexuellen Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht abweichen, insbesondere homo-, trans und intersexuelle Personen. Es wird seit einiger Zeit aber als positive Selbstbezeichnung verwendet.
Geschlecht: Im Feminismus begann man mit der Unterscheidung eines sozialen Geschlechts oder einer Geschlechterrolle („gender“) und einem biologischen Geschlecht („sex“), das im Zusammenhang mit der menschlichen Fortpflanzung steht. Auf diese Weise sollte die Auffassung erleichtert werden, dass weibliches Verhalten und die Aufgaben, die Frauen gesellschaftlich zugeschrieben werden, nicht mit einer weiblichen Natur gleichzusetzen sind. Dadurch konnte die Geschlechterrolle Frau als gesellschaftlich konstruiert debattiert werden. Der dekonstuktivistische Feminismus und die Queer-Theorie, die von Judith Butler maßgeblich geprägt wurde, gehen hier einen radikalen Schritt weiter und fassen auch das biologische Geschlecht als sozial konstruiert (womit nicht gemeint ist, dass es keine anatomischen Körper gibt).
Dekonstruktivismus: Eine philosophische Strömung, stark geprägt durch Jacques Derrida, in der – vereinfacht gesagt – die Bedeutung von „Text“ kritisch untersucht und seine Grundannahmen aufgedeckt und hinterfragt werden. Dabei ist Text nicht einfach das geschriebene Wort, sondern eigentlich im Sinne Derridas praktisch alles, was Bedeutung trägt.
Queer-Theorie: Die wohl wichtigste Vertreter*in ist Judith Butler, welche in den 1990er-Jahren die Queer-Theorie mit dem Buch „Gender Trouble“ (dt. Das Unbehagen der Geschlechter) prägte. Butler setzt mit einer Kritik am Feminismus an, welcher sich auf das in einer binären Geschlechterordnung befangene Subjekt Frau stützt und damit Ausschließungen produziert. Butler untersucht diskursiv, wie diese binäre Geschlechterordnung aus einem heterosexuellen Zwangssystem folgt und worin eine subversive Strategie besteht.
Identitätspolitik: Die Identitätspolitik geht auf das Combahee River Collective zurück. Die Idee dabei ist, dass eine Gruppe mit einer bestimmten Identität am besten die eigenen Interessen vertreten sollte und die Identität das Mittel ist, um kollektive Handlungsmacht zu stärken. Das Problem dabei ist nicht, dass Identität schlecht und ausgrenzend ist oder dass Betroffene nicht selbst gegen ihre Unterdrückung kämpfen sollen. Das Problem bei Identitätspolitik entsteht dann, wenn Betroffene nicht über den Rahmen der eigenen Erfahrung und Betroffenheit hinausgehen und darauf aufbauend ihre Unterdrückung im Kontext der kapitalistischen Klassengesellschaft begreifen und bekämpfen.
Nachdem wir diese Begriffe ungefähr geklärt haben, wollen wir einen Überblick über die Queer-Theorie geben, da sie den theoretischen Kern sowie praktischen Bezugspunkt des Queer-Feminismus bildet. Im weiteren Verlauf wollen wir noch eine marxistische Kritik daran vorstellen, sowie strategisch-programmatische Ansätze für die Frauenbefreiung sowie LGBTQIA+-Befreiung.
Zur Butlers Queer-Theorie
Judith Butler hat die Queer-Theorie maßgeblich geprägt, wenn nicht gar begründet. Dabei erstreckt sich das theoretische Werk über mehrere Bücher, angefangen in den 90er Jahren mit dem „Unbehagen der Geschlechter“. Darin wird der Zusammenhang von Geschlecht, Körper und Macht diskutiert. Macht ist dabei, abstrakt gefasst, alles durchdringend und konstituiert Diskurs, Wirklichkeit und Wahrheit. Der Diskurs bezeichnet die mitunter sprachliche Praxis, die systematisch die Wirklichkeit bildet und ordnet. Es handelt sich hier also um eine Philosophie, die sich unter anderem an Foucault anlehnt. Die Untersuchung von Diskursen und ihre Verortung in Machtprozessen nennt sich Genealogie. Sie sucht nicht nach der Wahrheit hinter den Kategorien, sondern entlarvt diese als Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen. Butler versucht eine Genealogie der Geschlechterbinarität, das ist die Auffassung in unserer Gesellschaft, dass es zwei Geschlechter gibt, nämlich jene von Mann und Frau. Butler stellt die Frage wie der Körper zu einem Geschlechtskörper wird und warum es dabei nur zwei Geschlechter gibt. Das ist insofern relevant, weil Butler das biologische Geschlecht selbst als sozial konstruiert betrachtet, der Zweigeschlechlichkeit die theoretische Unendlichkeit von Geschlecht entgegenhält. Dem bisherigen Feminismus unterstellt Butler, dass er die binäre Geschlechtsordnung bestätigt und mit der Vorstellung einer homogenen Gruppe „Frauen“ Ausschlüsse produziert. Es geht dann nicht einfach darum, die Unterdrückung zu bekämpfen, sondern jene Begriffe zu dekonstruieren, welche die Unterdrückung erst ermöglichen.
Performativität
Wenn man Geschlechterbinarität von klein auf gewohnt ist, wenig mit Queer-Theorie zu tun hatte und vielleicht die klassisch-feministische Trennung von sex und gender verinnerlicht hat, mag es zunächst schwer begreiflich sein, wie Butler zu diesen Ansichten kommt. Wie schon erwähnt, ist Butler von Foucault beeinflusst und stützt sich auf dessen Begriff von Macht und Genealogie. In dieser Perspektive lautet die Frage nicht, was der biologische Kern des weiblichen oder des männlichen Geschlechts sei. Die Frage ist vielmehr, durch welche Mechanismen das Geschlecht als biologische Eigenschaft des Körpers erscheint. Die bedeutende Rolle kommt hier dem Begriff der Performanz (engl. Performance = Darstellung, Inszenierung) zu. Butler lehnt sich damit an ein Konzept des Sprachphilosophen John L. Austin an. Dieser bezeichnet „performative Sprechakte“ als jene Sprechakte, die das, was sie bezeichnen, auch in Kraft setzen bzw. erzeugen. Sprache schafft hier also Wirklichkeit. Das klassische Beispiel ist der Ausruf bei der Geburt: „Es ist ein Junge!“ oder „Es ist ein Mädchen!“. Die Wirkmächtigkeit besteht hierbei im wiederholten Zitieren von Normen, bzw. in der ständig wiederholten Macht des Diskurses.
Die heterosexuelle Matrix
Butler vollzieht die Abtrennung von Geschlecht und Geschlechtsidentität vom Körper. Geschlecht wird nun am Körper über gewisse Merkmale markiert, diese Merkmale sind aber die Wirkung von Vorgängen, welche das Geschlecht auf den Körper zurückführen. Das geschehe über eine binär organisierte, heterosexuelle Matrix, die in ihrer Entstehung auf die Erkenntnispolitik der Humanwissenschaften zurückgehe und selbst der Performanz unterliege. Vor allem Gynäkologie und Sexualwissenschaft im 19. Jahrhundert waren bemüht, eine Einheit zwischen dem sozialen Geschlecht und der Anatomie des Körpers herzustellen. Letztlich sei dieser Versuch aber gescheitert, es gebe kein eindeutiges Kriterium zur Geschlechtsbestimmung, was herauskomme sind nur die Durchschnitte männlicher und weiblicher Geschlechtsmerkmale. Wo gender war, wird sex. Geschlecht erscheint bei Butler als Wirkung eines zwangsordnenden Regimes der Heterosexualität. Das dient letztlich einer auf Fortpflanzung ausgerichteten Körper- und Bevölkerungspolitik.
Möglichkeiten des Widerstands
Die Macht schlägt sich im Individuum und seiner Psyche nieder, wo es sich unbewusst selbst normativ diszipliniert (Stichwort Gewissen). Dabei ist es nicht so, dass sich ein schon vorhandenes Subjekt erst dieser Macht unterwirft, sondern es wird mit seiner Erzeugung zeitgleich unterworfen, die Unterwerfung ist Bedingung seiner Existenz. Die Subjektbildung ist aber nie vollständig abgeschlossen und die Anweisung zu einer bestimmten Geschlechtsidentität unterliegt Verfehlungen. In der Möglichkeit der Reflexion des Subjekts liegt das Potential zu Widerstand und Subversion. „Queer“ ist bei Butler nun der politische Ausdruck des von der Norm Abweichenden, Namenlosen, das nun benannt werden kann und die Möglichkeit eröffnet, Bereiche des Psychischen und des Gesellschaftlichen zu verschieben. Das gelingt in der Strategie der Queer-Theorie in einer Politik des Performativen. Sozial autorisierte Kontexte von Sprechakten können durch performative Verschiebung durchbrochen werden, indem ein Sprechakt eine nichtkonventionale Bedeutung erhält. Die Mittel dafür sind etwa Parodie, Travestie und Geschlechterinszenierung, wie das Experimentieren mit alternativen Identitätsformen. Beispielsweise unterläuft Drag die Vorstellungen von Geschlechternormen. Das politische Ziel liegt in der Vermehrung und Vervielfältigung kultureller Konfigurationen von Geschlecht.
Kritik der Queer-Theorie
Was ist nun das Problem der Queer-Theorie? An sich klingt es ja fortschrittlich, die starren Geschlechtervorstellungen in unserer Gesellschaft aufzubrechen. Tatsächlich liegt das Problem auch nicht in diesem Anspruch, sondern einerseits auf der theoretisch-philosophischen Ebene, andererseits auf der praktisch-politischen. Diese beiden Ebenen sind miteinander verknüpft, was man hoffentlich aus der obigen Darstellung der Theorie erkennt.
Zum Theoretischen: Butler versucht darzustellen, wie Geschlecht konstruiert wird, nämlich als Effekt einer heterosexuellen Zwangsordnung. Dabei ist es durchaus nicht uninteressant, welche Rolle performative Sprechakte spielen. Allerdings ist es problematisch, auf dieser Ebene der Analyse zu verbleiben. Was steht hinter dem Zwang zur Heterosexualität? Butlers Genealogie liefert zwar Ansätze zum Verständnis, wie die heterosexuelle Matrix zustande kommt, aber letztlich ist die historische Perspektive nur schwach ausgeprägt und ein historisch-materialistischer Zugang fehlt nicht nur, sondern wird bewusst abgelehnt. Das liegt an der diskurstheoretischen Auffassung selbst. Die Materialität des Körpers ist nicht etwas objektiv Gegebenes, das erkannt werden kann, sondern immer schon kulturell. Gesellschaft und ihre symbolische Ordnung materialisieren sich im Körper, der Diskurs erzeugt die Materie. Das ist letztlich eine philosophisch-idealistische Position, die die Bedingungen der Geschlechterbinarität nicht richtig erfasst und dadurch auch keine adäquate Strategie zur Befreiung von geschlechtlicher Unterdrückung liefert.
Zum Praktischen: Butlers Strategie verbleibt auf der Ebene des Performativen. Dabei ist es, wie gesagt, nicht verkehrt, starre Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten aufzubrechen. Allerdings ist das kein geeigneter Ansatz, um das Problem an der Wurzel zu packen, welche nämlich in der sozialen Reproduktion und der bürgerlichen Familie liegt. Um hier anzusetzen, braucht es eine Strategie des ökonomischen und politischen Klassenkampfs, der mit dem Aufbrechen von Geschlechterrollen verbunden werden kann und die Grundlagen schafft, diese auch wirklich abzuschaffen.
Ein marxistisches Verständnis von Geschlecht
Geschlecht hängt nicht im luftleeren Raum oder schlichtweg an einer auf Fortpflanzung ausgerichteten Bevölkerungspolitik. Es manifestiert sich historisch in Relation zur menschlichen Fortpflanzung. Damit ist nicht gesagt, dass Geschlecht biologisch und sozial nicht darüber hinaus geht, dass ein Mann ohne Hoden kein Mann sein könne, eine Frau ohne Uterus keine Frau usw. Nur weil es keinen fixen Punkt gibt, der für alle Zugehörigen eines Geschlechts gleich und für Geschlecht in seiner Totalität determinierend ist, heißt es aber auch nicht, dass es keine Grundlage hätte. Zur Reproduktion der menschlichen Spezies bestehen zwei qualitative Pole, die historisch, biologisch männlich und weiblich genannt werden und anhand derer Geschlecht sozial vermittelt ist . Wichtig ist hier, dieses zweigepolte Spektrum nicht mit einer Binarität (entweder das eine oder das andere) zu verwechseln. Auf Grundlage der Reproduktionsfähigkeit lässt sich historisch eine geschlechtliche Arbeitsteilung feststellen, die mit dem Aufkommen des Privateigentums und der Klassengesellschaft verstetigt und mit einer gesellschaftlichen Unterdrückung verbunden wurde. Daran sind soziale Vorstellung von Geschlecht und Sexualität als männlich und weiblich geknüpft. Natürlich gibt es biologisch und sozial geschlechtliche Ausprägungen dazwischen, die historisch entweder in einer gewissen Form akzeptiert oder unterdrückt sind. Im Kapitalismus ist die soziale Reproduktion zu einem großen Teil in Form der bürgerlichen Familie organisiert, also in den privaten Haushalt der Kleinfamilie gedrängt. Auch wenn diese Struktur Zerrüttungen unterworfen ist, ist es für das Kapital die ökonomisch sinnvollste Form, das Aufziehen von Kindern, die Hausarbeit und Formen physischer und psychischer Pflegearbeit der unbezahlten, vorwiegend weiblichen, Arbeitskraft aufzubürden.
Strategie zur Befreiung
Eine Strategie zur geschlechtlichen und sexuellen Befreiung muss an der geschlechtlichen Arbeitsteilung ansetzen und mit ihr die starre Form der bürgerlichen Kleinfamilie aufheben. Das geschieht durch Formen der Vergesellschaftung von Reproduktionsarbeit, sodass die Familie nicht mehr die „kleinste ökonomische Einheit“ in der Gesellschaft ist. Das bedeutet den Ausbau von Pflege, Kinderbetreuung, kollektive und kollektivierte Formen der Hausarbeit (Kantinen, Wäschereien, etc.), die Stärkung der ökonomischen Unabhängigkeit von geschlechtlich und sexuell Unterdrückten und alternativen Formen des Zusammenlebens. All das kann natürlich nicht von heute auf morgen passieren und es gibt viele andere Aspekte, die nicht auf dieser politisch-ökonomischen Ebene liegen, für die es heute zu kämpfen gilt. Dazu zählt insbesondere das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung, dazu zählt immer das auf eine eigene Geschlechtsidentität. Die Kämpfe darum sind keineswegs irrelevant oder nachgeordnet, aber ohne Umgestaltung der ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft sind die Erfolge dieser Kämpfe begrenzt.
Queer-Feminismus: Ja oder Nein?
Wie sollte man gemäß diesen Ausführungen also zum Queer-Feminismus stehen? Aufgrund der schwammigen politischen Konzeption und der dekonstruktivistischen, irreleitenden theoretischen Basis lehnen wir für uns eine Selbstzuschreibung als queer-feministisch ab und tun dies auch in politischen Zusammenhängen, in denen wir aktiv sind, z.B. LINKS. Gleichzeitig wollen wir uns nicht sektiererisch oder gar unsolidarisch gegenüber Kräften und Aktivist*innen verhalten, die sich in die queer-feministische Strömung einordnen. Sofern es praktische Überschneidungen im Kampf um Frauenbefreiung oder LGBTQIA+-Befreiung gibt, und davon gibt es etliche, wird eine Zusammenarbeit auch sinnvoll sein. Somit ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns in diese Kämpfe einreihen und sie als integralen Teil des Klassenkampfs begreifen. Dabei verteidigen wir auch die Einbeziehung von trans Frauen in die Frauenbewegung sowie die Zusammenführung von Kämpfen rund um queere Identitäten mit dieser Frage. Wir wollen, so gut es geht, miteinander in einer starken Arbeiter*innenbewegung für unser aller Rechte kämpfen. Dabei bekämpfen wir natürlich auch Exklusionen innerhalb der Arbeiter*innenbewegung.
Wir sind aber dagegen die Frage vom Kampf gegen geschlechtliche und sexuelle Unterdrückung inhaltlich zu stark zu vermischen, wie es beispielswei se bei der Verwendung des FLINTA*-Begriffs (Frauen, Lesben, integeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) passieren kann, denn hier stehen zum Teil unterschiedliche Forderungen im Vordergrund. Beispielsweise wird der FLINTA*-Begriff häufig für Themen verwendet, wo es eigentlich klar ist, dass sich Frauen davon angesprochen fühlen sollen, was wiederum FLINTA* zu einem reinen Ersatz-Begriff für Frauen macht und die anderen Identitäten wieder in den Hintergrund rücken lässt oder umgekehrt. Darüber hinaus ist beispielsweise die Frage von Kinderbetreuung eine, die Mütter eher betrifft als homosexuelle Männer, während sich viele Frauen von der Frage eines dritten Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten nicht betroffen fühlen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht mit den Anliegen verschiedener Gruppen (auch praktisch) solidarisieren müssen. Eine saubere inhaltliche Analyse erlaubt nur zielgerichtete Forderungen. Letztlich wollen wir diese Kämpfe gemeinsam im Sinne eines solidarischen Klassenkampfs führen, der den Zusammenhang von geschlechtlicher sowie sexueller Unterdrückung und Kapitalismus erkennt und den Kampf um Befreiung mit einer revolutionären, sozialistischen Perspektive verbindet.