Das Phänomen Babler

Die SPÖ hat einen neuen Chef. Andreas Babler ist der wohl linkeste Parteichef der SPÖ seit vielen Jahrzehnten. Bedeutetet das jetzt, dass die SPÖ wieder zu einer Partei für die arbeitenden Menschen in Österreich geworden ist oder ist eigentlich eh alles beim Alten geblieben? Wir wollen mit diesem Artikel nicht nur eine Analyse der Hintergründe liefern, sondern auch wesentliche Elemente für die praktische Auseinandersetzung mit der neuen (?) SPÖ liefern.

Der lange Abstieg der Sozialdemokratie

Die SPÖ war in den Jahrzehnten nach 1945 gemeinsam mit der ÖVP die absolut dominante Kraft in der österreichischen Politik. Innerhalb der Arbeiter*innenbewegung war diese Dominanz nahezu unangefochten. Ende der 1970er Jahre hatte die SPÖ noch über 720.000 Mitglieder – fast jede*r zehnte Österreicher*in war damals also SPÖ-Mitglied, innerhalb der Arbeiter*innenklasse dürfte das ein noch viel größerer Anteil gewesen sein. In den folgenden Jahrzehnten sanken die Mitgliedszahlen aber rapide (siehe Grafik).

Gründe dafür gibt es viele, von einer Wandlung der österreichischen Arbeiter*innenklasse weg von der Hauptstütze in der Industrie bis hin zum Zusammenbruch des „Realsozialismus“. Der wichtigste Grund war aber die neoliberale Wende der SPÖ. Die erfolgreichste Zeit der SPÖ in der Zweiten Republik stellte mit Sicherheit die Kanzlerschaft von Bruno Kreisky dar. Die SPÖ konnte hier über mehr als ein Jahrzehnt hinweg die österreichische Politik bestimmen und stellte mehrere Alleinregierungen. Der Preis dafür war aber die Wende der SPÖ weg von ihrer traditionellen Basis der Arbeiter*innenschaft hin dazu, eine „linke Volkspartei“ zu werden. Kurzfristig sicherte das zwar Wahlerfolge, langfristig führte es aber zu einer Aufweichung des sozialdemokratischen Profils und läutete den Abstieg der SPÖ ein. Das drückte sich nicht nur in fallenden Mitgliedszahlen, sondern auch in sinkenden Wahlergebnissen aus.

Der ökonomische Hintergrund dafür war im Wesentlichen die Unfähigkeit des Nachkriegskapitalismus, den Boom der 50er und 60er Jahre zu erhalten. Wie so oft setzte diese Entwicklung in Österreich zwar etwas verspätet ein, ging aber auch hier nicht spurlos vorüber. Nach und nach gab es weniger Reformen zu erreichen, weil insgesamt weniger zu verteilen war. In den 80er Jahren gab es dann international auch noch den ideologischen Aufschwung des Neoliberalismus, den die SPÖ zwar offiziell ablehnte, an den sie sich aber in vielen wesentlichen Punkten anpasste – der deutlichste Ausdruck davon ist die Umbenennung der Partei von sozialistisch auf sozialdemokratisch. Die Privatisierungen in Österreich begannen nicht erst mit der schwarz-blauen Regierung nach 2000, sondern wurden schon unter der SPÖ-geführten großen Koalitionsregierungen der 1990er begonnen.

Die SPÖ ist damit schon seit fast 5 Jahrzehnten in einer Abwärtsspirale gefangen. Diese spiegelt sich auch in den von der SPÖ geführten Gewerkschaften wider, deren Abwärtstrend in der Mitgliedschaft sich ebenfalls seit den 1980er mehr oder weniger ungebrochen fortsetzt. Die Gewerkschaftsbürokratie und der Apparat der SPÖ haben aber auch ein Interesse daran, die Substanz der eigenen Organisation zu erhalten, denn ohne Mitgliedsbeiträge gibt es auch weniger Geld für die Hauptamtlichen. Das spielt zwar für die SPÖ weniger eine Rolle als für den ÖGB, weil sie großteils das Geld aus der Parteienförderung bezieht, aber auch diese ist an Stimmen gebunden. Und gut bezahlte Posten im Staatsapparat gibt es auch einfacher mit Regierungsbeteiligung. Alles in allem ist die Bürokratie in der Arbeiter*innenbewegung also keine unwidersprüchliche Gehilfin des Kapitals, sondern hat – aufgrund ihres Selbsterhaltungsinteresses – auch ein Interesse daran, ihre Basis nicht komplett zu verlieren.

Die Grundlagen für Bablers Sieg

Um die aktuellen Ereignisse in der österreichischen Sozialdemokratie zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Wesentlich hierfür sind die Entwicklungen, die sich innerhalb und außerhalb der Partei seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 abspielten. Nach einer anfänglich noch recht zaghaften und abwartenden Politik schwenkte die Bundesregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann spätestens im Herbst 2015 auf klar rassistische Antworten um. Sinnbildlich dafür stand die Errichtung eines Grenzzauns an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld. Recht kurze Zeit später, im Winter 2016, wurde dann von der SPÖ-geführten Regierung der Kurs weiter verschärft. Sie schuf eine Obergrenze für Geflüchtete. Damit durften jährlich nur mehr eine begrenzte Anzahl an Asylsuchenden in Österreich aufgenommen werden. Im März war dann die österreichische Regierung – in diesem Fall mit dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz – zentral an der Schließung der Fluchtrouten über den Westbalkan beteiligt.

Das alles führte zu großem Unmut in der SPÖ, der linke Flügel – insbesondere die Jugendorganisationen – begehrten immer offener gegen den rechten Kurs der Parteiführung auf. Gleichzeitig drängte der rechte Parteiflügel auf einen noch stärker rassistischen Kurs und die Öffnung der Bundespartei in Richtung einer Koalition mit der offen rassistischen FPÖ. Der rechte Flügel sammelte sich insbesondere rund um die SPÖ Burgenland, die schon im Frühling 2015 eine lokale Koalitionsregierung mit der FPÖ eingegangen war. Auf der traditionellen 1.-Mai-Demonstration der SPÖ in Wien krachten dann die Lager offen aneinander. Die traditionelle Beschwörung der Einigkeit in der Partei musste dort einem Pfeifkonzert während der Rede von Werner Faymann weichen. Das, sowie die Tatsache, dass der SPÖ-Kandidat für die Bundespräsidentschaft Rudolf Hundstorfer im ersten Wahldurchgang nur 11,3 % erreichte, führten dazu, dass Werner Faymann nur kurze Zeit später seinen Rücktritt verkünden musste.

Nach Faymanns Rücktritt wurde Christian Kern neuer Parteichef. Wir schrieben damals: „Der rechte Flügel und Teile der Gewerkschaftsbürokratie fordern eine Öffnung in Richtung der FPÖ, mit der im Burgenland bereits koaliert wird. Die linken Teile und die Jugendorganisationen stellen sich gegen den rassistischen Kurs der Partei und fordern fortschrittliche Antworten in der sozialen Frage ein. Auch das neue Team an der Parteispitze, das um den ehemaligen ÖBB-Manager Christian Kern aufgezogen wird, kann die existenzielle Krise der SPÖ nicht kaschieren. Sein Auftrag ist die Befriedung der Partei, bisher bringt er aber vor allem seine eigenen Vertrauten in höchste Positionen. Ein Überspielen der Konflikte wird die Krise der Partei nur vertiefen und die Position des linken Flügels, der kämpferischen Gewerkschafter*innen und der Jugendorganisationen weiter untergraben.“

Im Wesentlichen erwies sich unsere Analyse als richtig. Christian Kern schaffte es, die tiefen Widersprüche in der Partei zu übertünchen, ihm wurde sowohl vom linken wie auch dem rechten Parteiflügel das Vertrauen ausgesprochen, die Parteijugend sowie alle Bundesländer stellten sich hinter ihn als neuen Parteichef. Das Übertünchen der Differenzen innerhalb der SPÖ wurde aber auch recht bald um einiges einfacher. Nicht einmal ein Jahr lang war Christian Kern Bundeskanzler einer funktionierenden Bundesregierung gewesen und mit der Verbannung der SPÖ auf die Oppositionsbank nach der Wahl 2017 war es deutlich leichter, die Widersprüche der Partei im Zaum zu halten. Auch der linke Flügel konnte sich insbesondere im Widerstand gegen die reaktionäre Politik von ÖVP und FPÖ wieder in der Partei stärken. Diese Perspektive hatten wir 2016 noch unterschätzt.

Mit der Ablöse von Christian Kern durch seine persönlich ausgesuchte Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst 2018 änderte sich politisch sehr wenig an der Spitze der SPÖ. Rendi-Wagner stand weiterhin für eine staatstragende Politik (insbesondere während der Corona-Pandemie), die versuchte, die Widersprüche in der SPÖ auszusitzen. Nach dem historisch schlechtesten Abschließen der SPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 zeigte sich im Frühling 2020 dann, wie viel Rückhalt Rendi-Wagner in der SPÖ verloren hatte. Ohne Gegenkandidat*in bei der Mitgliederbefragung erreichte Rendi-Wagner nur eine Zustimmung von 71,4 %.

Insgesamt gab sich der linke Parteiflügel hier deutlich kompromissbereiter, es wurde kaum öffentliche Kritik an der Parteiführung geäußert. Anders sah das beim rechten Parteiflügel aus. Insbesondere Hans-Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlands, schoss sich immer wieder medial gegen Pamela Rendi-Wagner ein. Hier spielte in der innerparteilichen Auseinandersetzung sicherlich ein kräftiger Schuss Sexismus mit hinein, doch öffentlich drehte sich die Kritik an der Parteiführung vor allem um die Forderung nach einer reaktionären Politik in Bezug auf Geflüchtete und Migrant*innen. Der Ausbruch der Corona-Pandemie zögerte die Konflikte dann sicherlich noch weiter hinaus, ging es doch darum sich in dieser komplett neuen Situation erst einmal zu orientieren. Gleichzeitig gab es – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – ein Zusammenrücken der meisten politischen Kräfte im Zuge der Politik der nationalen Einheit im Angesicht der allgemeinen Krise. Die Schwäche der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner zeigte sich letztlich insbesondere in den letzten beiden Jahren sehr deutlich. Trotz der riesigen Verwerfungen der österreichischen Innenpolitik im Zuge der ÖVP-Korruptionsaffären konnte die SPÖ kaum profitieren.

Die herben Verluste der SPÖ bei den Kärntner Landtagswahlen im März dieses Jahres brachten dann das Fass zum Überlaufen. Es sollte zu einer Mitgliederbefragung zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil um den Parteivorsitz kommen. Doch ganz so einfach kam es dann doch nicht.

Wenn sich zwei streiten…

Die Konflikte und Widersprüche innerhalb der SPÖ sind also keine grundsätzlich neue Sache. Sie haben sich vielmehr lange angebahnt und haben viele Ähnlichkeiten mit vergleichbaren Entwicklungen in anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien. In letzter Konsequenz ist sie eine Folge des Charakters der SPÖ als bürgerliche Arbeiter*innenpartei, eine grundsätzlich widersprüchliche Formation, die auf der einen Seite bürgerliche Politik vertritt, aber ihre soziale Basis in der Arbeiter*innenklasse und der Arbeiter*innenbewegung hat. Bürgerliche Arbeiter*innenparteien können zwar auch über lange Zeiten hinweg recht stabil wirken, aber so lange sie nicht vollkommen in eine bürgerliche Formation übergehen, wie beispielsweise in Italien, können Entwicklungen, wie wir sie heute in der SPÖ erleben, nie ausgeschlossen werden.

Der Ablauf nach der Bekanntgabe der Mitgliederbefragung war dann mehr als chaotisch. Zuerst sollten nur Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil am Stimmzettel stehen. Klar festgelegt wurde diese Regel aber nirgends. Nachdem sich mit Niko Kowall dann aber auch ein Kandidat der Partei-Linken aufstellen lassen wollte, brach der Damm. Es meldeten sich dutzende Mitglieder (und Nicht-Mitglieder) für die Wahl zum Vorsitz an. Nachdem sich auch Andres Babler, bisher Bürgermeister von Traiskirchen, um den Vorsitz beworben hatte, zog dann Kowall seine Kandidatur zurück. Am Stimmzettel landeten dann nur 3 Kandidaten: Doskozil für den rechten Flügel, Rendi-Wagner für das Zentrum und den Parteiapparat sowie Babler für den linken Flügel.

Im Zuge der Mitgliederbefragung traten der SPÖ 9.000 neue Mitglieder bei. Die Befragung ging ausgesprochen knapp aus, mit jeweils ungefähr einem Drittel der Stimmen landete Doskozil auf Platz 1, Babler schaffte es knapp vor Pamela Rendi-Wagner auf den zweiten Platz. Die Konsequenz war für Rendi-Wagner die Ankündigung des Rücktritts und für Doskozil die Siegessicherheit für die endgültige Abstimmung am Parteitag.

Andreas Babler hatte schon davor angekündigt, dass er es sich im Falle eines knappen Ergebnisses offen lassen würde, am Parteitag zu kandidieren, auch wenn er nicht auf Platz 1 in der Mitgliederbefragung landen würde. Schon im Vorfeld des Parteitags wurde recht klar, wie sich die unterschiedlichen Teilorganisationen positionierten. Die Mehrheit der Landesorganisationen stellte sich hinter Doskozil, einige andere positionierten sich nicht offen und nur die Vorarlberger SPÖ-Vorsitzende sprach sich für Babler aus. Dazu kamen logischerweise auch die traditionell linken Jugendorganisationen, wie auch die große Mehrheit der Frauenorganisationen. Bei den gewerkschaftlichen Delegierten für den Parteitag dürfte Babler auch recht stark abgeschnitten haben, war doch hier insbesondere Doskozils Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (statt eines kollektivvertraglichen) schlecht angekommen. Doch die wohl größte Unterstützung kam vermutlich aus der Wiener Landespartei, die gleichzeitig auch die größte und mächtigste Landespartei der SPÖ ist.

Letztlich reichte es knapp. Nach der kurzen Konfusion, die Doskozil mit einer Mehrheit sah, wurde 2 Tage nach dem Parteitag das Ergebnis korrigiert. Der Parteitag hatte schließlich Babler mit 53 zu 47% zum neuen Vorsitzenden gewählt.

SPÖ unter neuem Vorsitz

Babler auf dem Bundesparteitag 2023, Foto: SPÖ/David Višnjić

Das zeigt recht gut, dass Babler im Gegensatz zu beispielsweise Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party doch auch starken Rückhalt in relevanten Teilen der Bürokratie – insbesondere in Wien – genießt. Daraus lassen sich mehrere Dinge schlussfolgern. Recht offensichtlich ist, dass ein Teil der Bürokratie durchaus bereit ist, einen linkeren Kurs einzuschlagen, um sich aus der Misere zu manövrieren. Dabei erhofft man sich sicherlich nicht nur eine Verbesserung der Umfragesituation, sondern auch neue Mitglieder und Elan.

Das neue Team, das sich Andreas Babler nach dem Parteitag zusammenstellte, zeigt schon sehr klar auf, dass die Linke innerhalb der SPÖ damit eindeutig nicht zur Offensive übergehen konnte. Das „Hickhack“ der letzten Jahre wollte man recht deutlich hinter sich lassen und versuchen, die neuen Lager zu vereinen. In das zentrale Team aus Bundesgeschäftsführung und Klubpräsidium gelangten 2 Unterstützer*innen von Rendi-Wagner, 2 Unterstützer von Doskozil und 3 Unterstützer*innen von Babler selbst. Wieder und wieder wird die Einigkeit der Partei betont.

Die Unterstützung durch Teile der Bürokratie zeigt recht klar, dass er vermutlich nicht unmittelbar mit offener oder versteckter Gegner*innenschaft des gesamten Apparats zu rechnen hat, vielmehr wird wohl versucht werden – was in Bezug auf einige wichtige Punkte schon gelungen ist – seine allzu radikalen Kanten abzuschlagen. Die Losung von Geschlossenheit und Einheit war schon immer ein zentrales Mittel, mit dem linke Stimmen in der SPÖ ruhiggestellt werden sollten. Doch auch Babler hat diese Herangehensweise verinnerlicht. Den rechten Parteiflügel schert das aber meistens doch eher recht wenig. Doskozils mediale Angriffe in Richtung Pamela Rendi-Wagner hatten nicht nur über Jahre den Konflikt eskaliert und letztlich die Mitgliederbefragung vom Zaun gebrochen, auch nach Bablers Sieg zog der rechte Flügel mit den ersten Angriffen gegen Babler auf. Vom Salzburger SPÖ-Chef Egger, der vor kurzem noch das historisch schlechteste SPÖ-Ergebnis in Salzburg eingefahren hatte, gab es gleich laute Kritik an Bablers Vorschlag der 32-Stunden-Woche und seinen Positionen in Bezug auf Geflüchtete. Auch der Chef der SPÖ Tirol, Georg Dornauer, spricht sich medial wirksam gegen zentrale Punkte der Politik Bablers aus. Auf der einen Seite sprach er sich für eine „restriktive Migrationspolitik“ aus, auf der anderen Seite lehnte er auch klar Bablers Absage an eine Koalition mit der ÖVP ab. In Bezug auf eine zukünftige Koalition hatte sich auch schon Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (der nicht unbedingt dem rechten Parteiflügel zuzurechnen ist) ablehnend geäußert. Hier scheint sehr klar der Wunsch großer Teile des Apparats durch, rechtzeitig vor den nächsten Nationalratswahlen in dieser zentralen Frage eine Klärung herbeizuführen.

Das alles zeigt, dass der Ruf nach Einheit und Einigkeit der Partei in der SPÖ in erster Linie als Waffe gegen die Linke eingesetzt wird. Wenn Babler und seine Bewegung nicht bald die linke Basis mit einer kämpferischen Programmatik und einer aktivistischen Perspektive organisiert und auf dieser Grundlage eine klassenkämpferische Politik gegenüber dem rechten Parteiflügel und dem bürgerlichen Apparat durchsetzt, wird ihn früher oder später dasselbe Schicksal ereilen wie Jeremy Corbyn, der letztlich von der Bürokratie der Labour Party (insbesondere der Parlamentsfraktion) abgesägt wurde. Statt auf eine vorgetäuschte Einigkeit mit den rassistischen und bürgerlichen Teilen der SPÖ zu setzen, müssen sie klar und öffentlich zurechtgewiesen und vor die Wahl gestellt werden sich der neuen Führung des linken Flügels unterzuordnen oder die Partei zu verlassen. Kurzfristig scheint es zwar einfacher (insbesondere auch, um in den Medien kein noch chaotischeres Bild abzugeben) sich mit den rechten und bürgerlichen Teilen der SPÖ auszusöhnen, doch langfristig wird es Babler und dem linken Flügel nur auf den Kopf fallen. Die rechten Teile der SPÖ haben nämlich kein Interesse an einer Zusammenarbeit, in der sie nicht selbst den Ton angeben können. Wenn sie nicht in die Schranken gewiesen werden, werden sie versuchen, entweder Bablers linken Kurs zu reinen Worthülsen zu machen oder alles daran zu setzen, ihn zum richtigen Zeitpunkt durch innerparteiliche Intrigen und mediale Angriffe abzusägen. Mit Pamela Rendi-Wagner war das ja auch gut gelungen.

Wie weiter?

Der linke Flügel, der eigentlich seit Babler deutlich im Aufwind sein könnte, ist bisher sehr zaghaft. Die Social-Media-Kanäle der SPÖ sind zwar ganz im Eindruck des neuen Messagings, doch reale Auswirkungen auf die Strukturen hat das bisher wenig. Es gibt auch einen realen Zulauf an Mitgliedern in die SPÖ, die in den letzten Monaten 15.000 neue Mitglieder gewonnen hat. Das ist zwar mit einem Plus von über 10 % durchaus beachtlich (vor allem weil es dem langjährigen Trend widerspricht), aber nicht vergleichbar mit anderen ähnlichen Bewegungen wie beispielsweise der Corbyn-Bewegung innerhalb der Labour-Party, die es schaffte, die Mitgliedschaft der Labour Party mehr als zu verdoppeln. Dieser Trend dürfte sich auch in den Basisstrukturen widerspiegeln, die wieder etwas mehr Zulauf bekommen, aber eine reale Änderung der Partei hat bisher nicht stattgefunden.

Doch gerade hier würde ein massives Potential für die Linke innerhalb der SPÖ bestehen. Bei vielen Eintritten dürfte es sich um vor allem junge Menschen handeln – ganz im Widerspruch zur traditionell eher alten Parteimitgliedschaft. Doch eine wirkliche Organisierung und Aktivierung dieser Menschen gibt es bisher nicht. Babler hat zwar angekündigt, mit einer „Comeback-Tour“ ganz Österreich zu bereisen und sich mit neuen und alten SPÖ-Mitgliedern austauschen zu wollen, aber mit Basisorganisierung hat das wenig zu tun. Wenn es die Linke in der SPÖ nicht schafft, die neuen Mitglieder in einer Basisbewegung zu organisieren, geht das wichtigste Mittel in der innerorganisatorischen Auseinandersetzung mit dem rechten Flügel wie der Bürokratie im Allgemeinen verloren.

Eine wichtige Auseinandersetzung, die innerparteilich für die SPÖ ansteht, ist der für den Spätherbst angekündigte Parteitag, auf dem unter anderem ein Demokratisierungspaket für die Partei beschlossen werden soll. Wenn es nach Babler geht, soll zukünftig die Mitgliedschaft über Parteivorsitzende wie auch Koalitionsabkommen abstimmen. Hierzu gibt es schon innerparteilichen Gegenwind, nicht zuletzt von Seiten der Wiener SPÖ, die in Person der Wiener SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak mitteilen ließ, dass – was auch immer der Bundesparteitag entscheiden wird – direkte Mitgliederentscheidungen in der SPÖ-Wien nicht kommen werden.

Direkte Mitgliederentscheidungen über Koalitionsabkommen und Parteivorsitz sind zwar ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber in sich gesehen noch sehr beschränkt. Was einem Mitgliederentscheid vorgelegt wird, entscheidet nämlich immer noch die Bürokratie. In anderen – auch oftmals rechts der SPÖ-stehenden – sozialdemokratischen Parteien in Europa (wie beispielsweise der SPD in Deutschland oder der britischen Labour Party) gibt es schon die Direktwahl des Vorsitzes und – wenn auch seltener – Abstimmungen über Koalitionsabkommen (wie beispielsweise bei der Berliner SPD). Das alleine reicht offensichtlich nicht aus, um die Partei nach links zu treiben. Was es stattdessen bräuchte, ist ein viel breiteres Demokratisierungsprogramm der Partei. Direktwahl des Parteivorsitz und Mitgliederentscheidungen über Koalitionsabkommen sollte es nicht nur auf Bundesebene geben, sondern auf allen Ebenen der Partei. Alle Funktionär*innen sollten einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn beziehen sowie der Mitgliedschaft rechenschaftspflichtig sein. Das Prinzip der Abwählbarkeit sollte auf allen Ebenen verankert werden.

Mindestens genauso wichtig wie die Demokratisierung der Strukturen ist aber auch eine inhaltliche Neuausrichtung. Ohne eine aktive und politisch gestärkte Parteibasis reichen die besten organisatorischen Maßnahmen nicht aus. Wie wir schon weiter oben erwähnt haben, sind die inhaltlichen Punkte, auf deren Basis Andreas Babler zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, alles andere als unumstritten in der SPÖ. Sie sind nicht nur der Parteirechten ein Dorn im Auge, sondern auch dem Zentrum wie beispielsweise der Wiener Landespartei, die in Wien – zumindest für die Gemeindebediensteten – eine Forderung wie die 32-h-Woche durchsetzen könnte. Dasselbe gilt für Bablers relativ fortschrittliche Haltung in Bezug auf Geflüchtete und Asyl.

Eine inhaltliche Ausrichtung auf die Interessen der Arbeiter*innenklasse und Unterdrückten ist deshalb mehr als notwendig. Nicht nur in Bezug auf Arbeitszeit und Antirassismus, auch auf Fragen der Ökologie oder einer Erneuerung der Gewerkschaften. In diesen wesentlichen Punkten wird sich die alteingesessene SPÖ-Bürokratie nicht einfach überreden lassen, vertritt sie doch hier ihre Positionen nicht einfach aus Tradition oder Unwissen, sondern weil sie als staatstragende Partei in Österreich letztlich Politik im Sinne des Kapitalismus macht.

Um die Forderungen nach einer 32-Stunden-Woche oder eines effektiven Kampfes für höhere Löhne im Angesicht der Teuerung in reale Veränderungen umsetzen zu können, braucht es die Zusammenarbeit von Linken innerhalb und außerhalb der SPÖ. Nicht zuletzt seit den Wahlerfolgen der KPÖ in Salzburg oder der Steiermark hat sich gezeigt, dass linke Politik in Österreich durchaus eine Basis hat. Es bräuchte die koordinierte Zusammenarbeit von Linken in der Sozialdemokratie, den kampfbereiten Teilen der KPÖ, LINKS und sowie der Linken im Allgemeinen. Startpunkt für so eine gemeinsame Kampagne könnte eine Konferenz der Linken sein, die sich zum Ziel setzt, die zentralen Punkte zu fixieren und darum eine Kampagne auf der Straße und in den Betrieben aufzubauen.