Im Innenhof eines Unterrichtsstandorts sind Transparente aufgehängt, die allesamt eine zu schlechte Bezahlung beklagen. Beinahe alle der etwa 150 Anwesenden haben entweder eine Ratsche oder eine Trillerpfeife in der Hand, um ein paar Hälse hängen auch selbst zusammengeschweißte Blechtrommeln. Die Stimmung ist ausgelassen. Auf der provisorischen Bühne schwingt der Betriebsrat kämpferische Reden, bevor gemeinsam in die Etagen der Streikbrecher*innen zum Lärm machen aufgebrochen wird. Zumindest an einem der Betriebe, die am Mittwoch und Donnerstag gestreikt haben, hat es so ausgesehen. Eines unserer Mitglieder war selbst als Streikender vor Ort.
Diese Woche, am 3. und 4. Mai haben die Betriebsrät*innen den privaten Bildungseinrichtungen zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte zum Warnstreik gerufen. Hier möchten wir uns kurz mit den Hintergründen und Forderungen auseinandersetzen, bevor wir unsere Einschätzung abgeben.
Den freiwilligen Zusammenschluss der „Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen“ (BABE) gibt es seit 1999, ein gemeinsamer Kollektivvertrag (KV) für diese Vereinigung wird seit 2005 jährlich verhandelt. Wer nicht viel mit der Erwachsenenbildung zu tun hat, wird von den eingeschlossenen Betrieben nur wenige kennen. Hervorzuheben sind die einzelnen Berufsförderungsinstitute (BFI) der Bundesländer, die zur Gänze der Arbeiterkammer und dem Gewerkschaftsbund gehören und einen großen Teil der AMS-Kurse veranstalten sowie der Verband der österreichischen Volkshochschulen.
Dass ansonsten noch eine hohe Zahl an mittelgroßen bis kleinen Bildungsbetrieben beteiligt ist, hilft nicht bei der Organisierungsrate. Generell ist durch die Zugehörigkeit zu Bildungssektor und Sozialbereich eine schwach ausgeprägte Streikkultur erwartbar. Außerdem befinden wir uns in Österreich, wo es eine solche ohnehin nicht gibt. Das beklagen auch kämpferische Betriebsräte, bevor sie zum Eintritt in die Gewerkschaften aufrufen. Eine weitere Schwäche stellt die Verteilung des Sektors über mehrere Gewerkschaften dar. Zwar deckt die Gewerkschaft GPA einen großen Teil der Beschäftigten ab, je nach Bereich der Ausbildung – etwa von Deutschkursen bis zu Schweißausbildungen – kann das aber variieren. Deswegen sitzt auch die vida am Verhandlungstisch, während wieder weitere, wie die Gewerkschaft Bau Holz, nur zu den einzelnen Betriebsversammlungen kommen (können).
Diese Aufteilung bildet sich auch in der Streikbereitschaft der einzelnen Betriebe ab. Da steht auf der einen Seite mit dem BFI Wien ein kämpferisches, größeres Haus, das die kompletten zwei Tage ausnützt, für die der ÖGB seine Streikfreigabe erteilt hat. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen wie die Wiener Volkshochschulen, deren Kurse hauptsächlich am Abend stattfinden, die nur an einem Tag von 11 bis 14 Uhr die Arbeit niederlegen. Der Wille zum Aufbau von Druck von der Basis ist also nicht durchgängig gegeben.
Ziele und Probleme
Die Betriebsrät*innen fordern eine Lohnerhöhung von 15% im Vergleich zum Vorjahr. Der damalige Abschluss wird von jenen Betriebsrät*innen, die ihm wohl selbst auch zugestimmt haben, rückblickend als eine Frechheit bezeichnet, als lächerlich niedrig im Vergleich zu den anderen aus dem letzten Jahr. Das überrascht nicht, immerhin ist das alljährliche Theaterspiel zu den KV-Verhandlungen ein fixer Teil der Sozialpartner*innenschaft. Sieht man sich die Vertragsabschlüsse verschiedener Industrien, die letztes Frühjahr getroffen worden sind, an, dann liegen die auch konsequent über den 3,4% der BABE. Einzelne andere Branchen schlossen noch deutlich schlechter ab, aber daran soll man sich ja besser nicht orientieren.
Neben dem schwachen Abschluss 2022 kämpft die Branche mit zwei weiteren Problemen. Erstens sind gerade die größeren Häuser von den Bildungsmaßnahmen abhängig, die sie für das AMS oder den Integrationsfonds durchführen. Diese sind aber zu nennenswerten Teilen zeitlich begrenzt und bieten keine Möglichkeit mehr zur Vollzeitanstellung, weil die Stundenanzahl schlicht nicht ausreicht. Das bedeutet zwar eine geringere Arbeitszeit, was für manche Lebenslagen sicher gut passt. Wer allerdings noch auf eine Pension hofft, ist nach langer Teilzeitarbeit deutlich stärker von Altersarmut betroffen. Außerdem bietet eine derart befristete Arbeitsweise immer die Gefahr einer Prekarisierung, wie sie gerade bei vielen privaten Sprachbildungsinstituten vorherrscht.
Zweitens wurde im Zuge des KV-Abschlusses 2010 eine neue Gehaltsstufe eingeführt, die für die meisten der seither eingestellten Trainer*innen ein niedrigeres Gehalt bedeutet. In die bis dahin für Trainer*innen (das sind in der Erwachsenenbildung alle, die unterrichten) allgemein geltende Stufe 5 kommen nun bestenfalls solche, die neue Kurse konzipieren und einführen. Für alle anderen gibt es seither die Stufe 4a, deren Einstiegsgehalt bei Vollzeitanstellung aktuell gut 200€ darunter liegt. Das bietet eine willkommene Einsparungsmöglichkeit für die Bosse, die nicht alle, aber viele von ihnen natürlich nutzen.
Inspiration
Die Forderung nach 15% Lohnerhöhung kommt nicht von ungefähr. Die aktuell in den BABE-Einrichtungen geführten Kämpfe orientieren sich stark an den Arbeitskämpfen der letzten Jahre im Sozialbereich. Dieser ist eine ähnlich schwach und kleinteilig organisierte Branche mit historisch nicht vorhandener Streikkultur, die deswegen immer stärker in Richtung Prekarität gerutscht ist. Nachdem über die vergangenen Jahre hinweg immer mehr Streikhandlungen gesetzt wurden, im Zuge derer sich die Branche untereinander vernetzte, gegenseitig stärkte und ein solidarisches Bewusstsein aufbaute, erreichte sie dieses Jahr einen Abschluss mit knapp über 10% Lohnerhöhung. Der stellt immer noch keine Lösung für die gravierenden Probleme im österreichischen Sozialbereich dar, ist aber zumindest im Vergleich zu anderen Branchen trotzdem eher im oberen Bereich angesiedelt. Und etwas Ähnliches erhoffen sich die Verhandler*innen auch vom nächsten BABE-Abschluss. Dabei bekommen sie auch moralische Unterstützung von den Betriebsrät*innen aus dem Sozialbereich, von denen auch zwei auf der branchenweiten öffentlichen Betriebsversammlung gesprochen haben. Dementsprechend verkünden die Vertreter*innen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Was die Verhandlungen bei den BABE etwas interessanter macht, ist auch die andere Seite am Verhandlungstisch. Denn während diese anderswo aus Größen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung besetzt wird, sitzen hier auch alteingesessene Gewerkschaftsbürokrat*innen auf der Gegenseite. Das ergibt sich aus der Größe der einzelnen BFIs, die allein dadurch innerhalb der Berufsvereinigung nennenswerte Macht haben. Die rekrutieren, wie es ihre Besitzverhältnisse anbieten, die Führungsetage auch aus den Reihen von ÖGB und AK. Das führt dann dazu, dass Personen, die sich in ihrem eigenen Leitbild als fester Teil der Gewerkschaftsbewegung verstehen, sich gleichzeitig gegen Lohnerhöhungen in der eigenen Branche stemmen.
Und das tun sie bisher sehr erfolgreich. Vom Einstiegsangebot von 9% Erhöhung hat man sich in den größten Gehaltsgruppen noch kein halbes Prozent hinaufbewegt. In ihren Aussendungen versichern die Betriebsrät*innen, dass sie auf keinen Fall mit einem Abschluss unter 10% in die Betriebe zurückgehen werden. Ob sie diese Ankündigung wahr machen, wird sich zeigen. Ein Blick auf die anderen, kürzlich abgeschlossenen KVs stimmt nicht sonderlich zuversichtlich, da kommt neben dem SWÖ-Kollektivvertag nämlich gerade einmal die Papierindustrie auf ein zweistelliges Ergebnis.
Was können wir erwarten?
Generell offenbaren diese Verhandlungen die doppelte Unzulänglichkeit der modernen Sozialpartner*innenschaft. Zu tatsächlichen Lohnerhöhungen kommt sie nicht, die Reallöhne stagnieren in Österreich seit Jahrzehnten. Außerdem stellt dieser Warnstreik eine Ausnahme dar von einem Sektor, der dieses Mittel wahrscheinlich bisher noch nie in Erwägung gezogen hat. Es ist also schon positiv hervorzuheben, wenn der ÖGB einmal eine Streikfreigabe erteilt und nicht noch schnell ein Abschluss hermuss, um den Warnstreik dann doch zu verhindern. Außerdem fehlt mittlerweile auch in den traditionell starken Branchen, wie der Metallindustrie, die Vorbildwirkung, die dann die anderen Bereiche nachziehen kann. Es müssen also nun andere aufstehen, um in Zeiten der Hochinflation keine starken Reallohnverluste einstecken zu müssen. Ohne eine kämpferische Gewerkschaft, die den Kapitalismus auch angreift, statt ihn entspannt bürokratisch mitzuverwalten, werden tatsächliche Verbesserungen für Lohnabhängige weiterhin unerreichbar bleiben. Es braucht außerdem eine automatische Anpassung der Löhne an die tatsächlich spürbare Inflation, damit Arbeitskämpfe endlich aus der Abwehrhaltung in den Angriff übergehen können.
Direkte demokratische Kontrolle über die Streiks in den einzelnen Betrieben sollte von demokratischen Streikkomitees der Beschäftigten der Standorte ausgeübt werden. Um den öffentlichen Druck zu erhöhen und auch die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen, braucht es bei zukünftigen Streikmaßnahmen Streikkundgebungen im öffentlichen Raum. Auch hier hat der Sozialbereich mit tausenden Menschen starken Demonstrationen gezeigt, wie einerseits die Solidarität innerhalb der Beschäftigten auch über Standorte hinaus gestärkt werden und gleichzeitig breite Solidarität und Aufmerksamkeit in der Bevölkerung geschaffen werden kann. Wenn sich die Verhandlungsteams auf einen Kollektivvertrag geeinigt haben, braucht es als Mindestmaß der demokratischen Mitbestimmung eine Urabstimmung darüber.
Obwohl also leider von keinen großen Gewinnen auszugehen ist, gilt unsere Solidarität den Streikenden in den privaten Bildungseinrichtungen. Denn sie sind es, die durch ihre Berufs- und Weiterbildungen zehntausenden Beschäftigten Chance auf bessere Arbeit geben, die migrierten und geflüchteten Personen durch Sprachkurse eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und auch die einzigen, die durch massenhafte Umschulungen eine ökologische Transformation in der Industrie ermöglichen könnten. 15 Prozent Lohnerhöhung sind dafür das Mindeste!