Die Frühjahreslohnrunde der Kollektivverträge fand vor dem Hintergrund einer lange nicht mehr gesehenen hohen Inflation statt. Die Verhandlungen in der Textil-, der Elektro-/Elektronik-, der Papier-, der Chemischen und der Glashüttenindustrie haben ihren Abschluss gefunden. Die Ergebnisse fallen aus Sicht der Beschäftigten dürftig aus – und das ohne eine ernstzunehmende gewerkschaftliche Auseinandersetzung.
Im April diesen Jahres ist die Inflation in Österreich auf 7,2 % (Verbraucherpreise) gestiegen, so hoch war sie zuletzt im Jahr 1981, infolge des ersten Golfkrieges. Dabei sind die Preissteigerungen für die lohnabhängige Bevölkerung tendenziell noch höher. Denn deren Ausgaben setzen sich stärker aus noch teurer gewordenen Produkten zusammen, als es die allgemeine Inflationsrate abbildet. So waren Verkehr und Wohnen die stärksten Preistreiber. Für Haushaltsenergie zahlt man heute 29 % mehr als im Vorjahr. Wer auf Kraftstoff für ein Auto angewiesen ist, muss nun um die Hälfte mehr zahlen. Der Mikrowarenkorb, der einen täglichen Einkauf abbilden soll, liegt mit 7,7 % über den Verbraucherpreisen, der Miniwarenkorb, für einen wöchentlichen Einkauf, gar bei 14 %. Da ist es kein Wunder, dass selbst das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) für heuer mit 2,3 % den höchsten Reallohnverlust seit 1955 voraussagt.
Was machen in dieser Situation die Gewerkschaften? Hier die Verhandlungsergebnisse in Bezug auf die Erhöhung der Ist-Löhne und -Gehälter in chronologischer Reihe:
- Textil: 4,2 %
- Elektro: 4,8 %
- Papier: 4,75 %
- Chemie: 4,75 %
- Glas: 4,8 %
Die Abschlüsse liegen zwar tendenziell höher als in den letzten Jahren aber deutlich unter den Preissteigerungen. Wohlwollende Stimmen werden darauf erwidern, dass in den Kollektivvertragsverhandlungen die durchschnittliche Inflation der letzten 12 Monate seit den letzten Verhandlungen als Gesprächsbasis genommen wird und diese eben niedriger war als die aktuelle Inflation. Für die lohnabhängige Bevölkerung, die im Hier und Jetzt mit den Teuerungen zu leben hat, ist das allerdings nur ein schwacher Trost. Eine Studie der Johannes Kepler Universität zeigte unlängst, dass schon fast jede dritte Person in Österreich aufgrund der Teuerung den eigenen Einkauf einzuschränken plant. Darunter fallen natürlich auch Personen, die bisher schon finanzielle Schwierigkeiten hatten und sich das Leben nun tatsächlich nicht mehr leisten können.
Je größer der Preisanstieg, umso schwieriger ist der Alltag für die Lohnabhängigen finanziell zu bewältigen. Da kann man nicht auf die vergangene Inflation und den potentiell nächsten KV-Abschluss verweisen. Die Gewerkschaften hätten durchaus mehr bei der Frühjahreslohnrunde herausholen können, hätten sie tatsächlich einen Kampf gewagt. Lediglich in der Elektro-/Elektronikindustrie kam es kurzzeitig zu Betriebsversammlungen, ein angedrohter Warnstreik fand jedoch nicht statt. Wieder einmal wurde das kämpferische Potential der österreichischen Arbeiter*innenklasse ignoriert und nicht einmal im Ansatz genutzt.
Doch die hohe Inflationsrate zeigt auf, dass eine Anpassung einmal im Jahr nicht ausreicht, um den Lebensstandard zu sichern. Auch wenn die Teuerung nach einem Jahr rückwirkend ausgeglichen werden würde, der Lebensstandard fiele wieder bis zum nächsten Ausgleich. Daher ist es wichtig die Forderung nach gleitenden Löhnen wieder in der Arbeiter*innenbewegung zu verankern. Das bedeutet eine regelmäßige, automatische Anpassung der Löhne an die Inflation. Die Gewerkschaften in Österreich haben eine solche Forderung bisher kategorisch abgelehnt, mit dem Argument man könne in „freien“ Verhandlungen mehr herausholen. Aber was genau die Basis für solche Anpassungen ist, d.h. bspw. welcher Warenkorb und wer den ganzen Prozess kontrolliert, ist selbst Gegenstand des Klassenkampfs. Und der Klassenkampf ist mit der Inflation bei weitem nicht erledigt, sondern sollte ohnehin offen um den Mehrwert geführt werden, welchen sich das Kapital von den Arbeiter*innen aneignet. Auch könnten die Gewerkschaften den Kampf um den Mehrwert von der betrieblichen auf die gesellschaftliche Ebene tragen, wo es um so wichtige Fragen geht wie die Finanzierung zur Bewältigung der Klimakrise, Arbeitszeitverkürzung oder geschlechtergerechte Verteilung der Reproduktionsarbeit.