Werkschließung MAN: Der Kampf um die Krisenlast beginnt in Steyr

Bei MAN in Steyr wird vorentschieden, wer die Krise bezahlen muss. Das Autowerk mit 2.400 Beschäftigten steht im (gar nicht so) Kleinen für einen Konflikt der sich durch ganz Europa zieht. Dass die Belegschaft gegen den Übernahmeplan mit Massenkündigungen und Lohnkürzungen gestimmt hat, zeigt das Potential für Widerstand gegen eine Krisenlösung auf Kosten der Arbeiter*innenklasse. Dass der Konzern als Reaktion die Schließung beschleunigt und 250 Leiharbeiter*innen gekündigt hat, zeigt aber auch, dass die Kapitalseite mit scharfer Munition schießt. Echte Solidarität und eine Diskussion über eine Krisenbewältigung im Sinne der Arbeiter*innen sind notwendig, damit dieser mutige Schrei nicht verhallt.

Schrittweise Eskalation in Steyr

Im Herbst 2020 hatte der MAN-Konzern angekündigt, das Werk in Steyr zu schließen. Dort sind 2.400 Arbeiter*innen, Angestellte und Leiharbeiter*innen beschäftigt, rund ein Drittel der regionalen Autoproduktion. Die Schließung war Teil eines Sparplans für den ganzen Konzern, inklusive angedrohten Massenkündigungen in deutschen Werken.

Sowohl MAN als auch deren Eltern-Holding Traton sowie auch deren Eigentümerin VW waren trotz der Pandemie (und trotz der Entschädigungszahlungen im Diesel-Abgasskandal) immer profitabel. Die Münchner Konzernzentrale will die Produktion auch nicht einstellen, sondern hauptsächlich nach Osteuropa verlagern, wo die Löhne niedriger sind.

Deshalb gingen die MANler*innen im Oktober selbstbewusst in den Warnstreik. Zusammen mit tausenden Unterstützer*innen forderten sie einen Erhalt des Werks und Unterstützung durch die Landes- und Bundesregierung.

Im Frühling 2021 machte der ehemalige Magna-Manager (und Multimillionär) Siegfried Wolf ein Übernahmeangebot: Er wollte das Werk fürs Zuliefern für den russischen GAZ-Konzern verwenden. Sein Angebot enthielt die Kündigung von ungefähr einem Drittel der Belegschaft und empfindliche Lohnkürzungen für den Rest. So wie MAN im Schatten der Pandemie Lohnkosten sparen will, versucht Wolf den drohenden Arbeitsplatzverlust zur Erpressung zu verwenden. In einer Abstimmung erteilte die MAN-Belegschaft dem aber mit 64 % eine klare Absage.

In Oberösterreich wird 2021 gewählt, Steyr ist ein wichtiger Industriestandort. Gleichzeitig erkennt die Industriearbeiter*innengewerkschaft PRO-GE, dass die Ereignisse bei MAN in zig anderen Betrieben nachgemacht werden könnten. Aus diesen Gründen hat die drohende Werkschließung es bis in den Nationalrat geschafft.

Dort fordert die Sozialdemokratie von der Oppositionsbank, dass die staatliche Beteiligungsgesellschaft ÖBAG einen Minderheitenanteil der MAN übernehmen soll, um das Werk für Investor*innen attraktiv abzusichern. Die ÖBAG hält sich, zumindest offiziell, mit strategischen Überlegungen bei ihren Beteiligungen heraus, bei der OMV verfolgt sie zum Beispiel überhaupt keinen Kurs zur Emissionsreduzierung. Die türkisgrüne Regierung und besonders die ÖVP lehnt aber sogar eine solche ab, der Kanzler behauptet im Geheimen mit Investor*innen über eine privatwirtschaftliche Lösung zu verhandeln. Der Arbeitsminister Kocher schließlich ist ehrlich genug um zu sagen, dass er genau nichts für die Arbeiter*innen tun wird, sondern das AMS Oberösterreich auf viele neue „Kund*innen“ vorbereitet.

Keine Lösungsvorschläge vom Bürger*innenblock

Die ÖVP ist nicht prinzipiell dagegen, den Industriestandort zu erhalten: Zu einem funktionierenden Kapitalismus gehört die Ausbeutung von möglichst vielen Arbeiter*innen (und ein paar Erwerbslose, um den Rest unter Druck zu setzen). Die Bürgerlichen verachten zwar Erwerbslose und wollen deren Existenz durch immer weitere Kürzungen zur Hölle machen, aber nicht zwangsläufig neue schaffen.

Trotzdem werden die neue und die alte ÖVP den Teufel tun und die Arbeiter*innen in Steyr unterstützen: Dafür ist das Prinzip zu wichtig, dass staatliche Hilfen in der Krise an die Unternehmen gehen, und die Arbeiter*innen zur Kasse gebeten werden. Die Türkisen haben verstanden, dass bei MAN im Kleinen verhandelt wird, wer für die Krise zahlt (und wer sogar von ihr profitiert). Besonders der Plan von Sigi Wolf, die Situation für eine radikale Senkung des Lohnniveaus zu nutzen, passt ihnen gut.

Vielen Ökonom*innen ist das zu Nichtstuerisch. Auch die Vorschläge von SPÖ und Grünen kommen aus derselben Richtung: Sie fordern ein Wiederaufleben der Industriepolitik. Das bedeutet im Prinzip, staatliche Investitionen als Strategie zu fahren, mit der der freie Markt zu langfristig profitablen oder anderweitig wünschenswerten (zum Beispiel nicht extrem umweltschädlichen) Entscheidungen „motiviert“ wird.

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte der „Verstaatlichten“ in Österreich. Weil das heimische Kapital nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schwach war, wurden eine Stahlindustrie im Staatsbesitz aufgebaut (die VOEST). Um die herum sollten private Kapitale sich als weniger kapitalintensive Zuliefer*innen und Weiterverarbeiter*innen aufbauen. In der Verstaatlichten selber waren dafür die Löhne, Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte vergleichsweise gut, was wiederum Auswirkungen auf den gesamten Arbeitsmarkt hatte. In den Neunzigern war diese Strategie (die auch die soziale Basis für die österreichische Sozialpartner*innenschaft bildete) abgeschlossen, die VOEST und andere Staatsbetriebe wurden „sanft“ privatisiert.

Sie schlagen also vor, die Krise mit staatlichen Investitionen zu durchtauchen um den Machtanspruch des Kapitals langfristig abzusichern, eine klassische keynesianische Politik. Die linkeren Teile von SPÖ und Grünen wollen das in einen sozial-ökologischen „Transformationsfonds“ einbetten, der die Kosten für eine klimafreundliche Umrüstung übernimmt und diese dann dem Markt zur Verfügung stellt. Auch die Forderung der SPÖ, die MAN durch eine ÖBAG-Beteiligung abzusichern, um profitorientierten Investor*innen Appetit zu machen, hat denselben Hintergrund. Dass auch diese Investor*innen bei der nächsten Gelegenheit das gute Lohnniveau in der Fahrzeugindustrie ins Visier nehmen werden, wissen und ignorieren sie.

Besonders zynische Grüne wollen die Werkschließung sogar als kapitalistische Lösung der Klimakrise sehen: Wenn weniger Autos hergestellt werden, wäre das doch gut für die Emissionen. Das ignoriert, dass die Produktion ja verlagert werden soll (aus den Augen aus dem Sinn?). Es ist aber auch dieser Zynismus, der es schwierig macht, die Arbeiter*innenbewegung für den notwendigen Kampf gegen die Klimakrise zu gewinnen, wenn den Arbeitenden nicht nur abgesprochen wird dabei mitzureden (das überlassen die Bürgerlichen gut bezahlten Wissenschaftler*innen) sondern ihre Existenzen auch als willkommenes Opfer verhandelt werden.

Gegen Krisenprofiteur*innen und alten Wein in neuen Schläuchen

Die Grundlage der Krise bei MAN ist nicht die scheinbar aus dem Nichts über uns hereingebrochene Pandemie, sondern das strategische Interesse von Konzernen, ihre Profite zu erhöhen. Die Lösung ist es nicht, das noch einfacher zu machen, oder grün anzumalen. Die Beschäftigten bei MAN kämpfen im Kleinen für alle Arbeiter*innen in Österreich und diesen konkreten Kampf müssen Linke und Gewerkschafter*innen solidarisch unterstützen.

Das bedeutet, kein Arbeitsplatzverlust und keine Verschlechterung sind hinnehmbar. Wir müssen von der untätigen Regierung und ihren zynischen Beifallsklatscher*innen fordern, die milliardenschweren Coronahilfen in die Hand zu nehmen und die Arbeitseinkommen bei MAN zu retten. Das bedeutet das Werk zu verstaatlichen, und zwar entschädigungslos – keine Unterstützung für einen Konzern, der die Arbeiter*innen frontal angreift. Es gilt ganz generell zu fordern, dass die Milliarden an Corona-Maßnahmen ausschließlich für Arbeiter*innen, Erwerbslose und anders auf Unterstützung angewiesene Personen ausgegeben werden, statt Unternehmenseigner*innen zugeschoben zu werden!

Es ist kurzsichtig, keine Forderungen an den bürgerlichen Staat zu richten. Der Hinweis darauf, dass auch arbeiter*innenfreundliche Maßnahmen dazu dienen den Kapitalismus zu stabilisieren, ist zwar richtig, aber sinnlos. Das gilt für alle bürgerlichen Regierungen, trotzdem macht es Sinn um objektive Verbesserungen zu kämpfen. Und wenn jeder Mensch weiß, dass der Staat das Werk retten könnte bedeutet es, sich vom konkreten Kampf selbst zu isolieren, wenn man sich weigert an einer Strategie mitzuarbeiten, die funktionieren kann.

Gleichzeitig wäre es genauso verantwortungslos, so zu tun als wäre eine Verstaatlichung eine nachhaltige Lösung. Besonders die Geschichte der Verstaatlichten in Österreich, bei der überbezahlte Manager-Bürokrat*innen sich genauso aufgeführt haben wie in Privatkonzernen, zeigt dass ein Besitzer*innenwechsel nicht die grundlegende Herrschaft des Kapitals über die Arbeiter*innen außer Kraft setzt, noch dem Klima nützt. Und dass diese Herrschaft notwendigerweise zu Verschlechterung auf Kosten unserer Klasse geht.

Statt das zu ignorieren, müssen konkrete Lösungen her: Gemeinsame Entscheidungen über die Produktion durch Beschäftigte und Bevölkerung (Vergesellschaftung statt nur Verstaatlichung). Schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich um die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen. Und schließlich einen Erfolg im Arbeitskampf als Ausgangspunkt für gemeinsamen Klassenkampf gegen den Kapitalismus an sich zu nehmen.

Sozialistisch-Ökologische Transformation

Ein Umbau der Produktion und des Nahverkehrs ist unvermeidbar um die Klimakatastrophe einzudämmen. Die zunehmende Produktion und Verwendung von Diesel-LKWs, wie sie in Steyr zusammengebaut sind, sind hier Teil des Problems. Gleichzeitig kann eine Reduzierung des Autoverkehrs nur durch einen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, vor allem am Land, funktionieren. Die MAN selber stellen Überland- und Stadtverkehrbusse her. Durch Umstellungen in der Produktion und ordentliche Ankäufe der Produkte durch Gemeinden könnte das Werk also vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden.

Der bedingungslose Kampf um die Arbeitsplätze kann also mit einer Klimastrategie von unten verwoben werden, wenn Arbeiter*innen und solidarische Linke vertrauensvoll zusammen kämpfen. Das meinen wir vom Arbeiter*innenstandpunkt, wenn wir (zum Beispiel in unserem Grundsatzpapier „Methoden und Grundsätze“) von der Fusion der Kommunist*innen mit der Arbeiter*innenbewegung sprechen. Nämlich die Lösungen für die konkreten Probleme der Klasse mit den Lösungen für das allgemeine Problem der Klasse, den Kapitalismus, praktisch zu vereinigen.

Die konkreten Vorschläge müssen aber im Detail diskutiert werden. Ein Genossenschaftsmodell für den Betrieb zum Beispiel gibt den beteiligten Arbeiter*innen mehr Mitsprache und Absicherung. Gleichzeitig schafft es aber (wie beim „Vorzeigebeispiel“ Mondragon in Spanien) zwei Klassen von Beschäftigten, den Genossenschafter*innen und später Dazugekommenen die sich einen Anteil entweder teuer kaufen müssen, oder genauso ausgebeutet werden wie in einem Privtabetrieb.

Die Forderung nach Arbeiter*innenkontrolle über die Produktion ist eine radikale Alternative. Aber wie der russische Revolutionär Leo Trotzki in einem Brief von 1932 erklärte, ist diese Forderung mehr als nur ein Absichern von Mitsprache. In Privatunternehmen ist sie ein strategischer Schritt, um die Unternehmer*innen zu entmachten, sozusagen das betriebliche Äquivalent zur gesellschaftlichen Doppelmacht, wo die Arbeiter*innen dem bürgerlichen Parlament ihre Räte entgegensetzen. Sie ist keine stabile Klassenzusammenarbeit, sondern radikaler Klassenkampf.

Wir unterstützen deshalb konkrete Kämpfe, Streiks und Besetzungen solidarisch und schlagen die Vergesellschaftung, also staatliches Eigentum und Verwaltung durch Arbeiter*innen und Bevölkerung, vor. Der sozial-ökologischen Transformation der Reformist*innen, angeführt durch Politikwissenschafter*innen und Politik, stellen wir die sozialistisch-ökologische Transformation als klassenkämpferische Strategie entgegen.

Vom Mittelfinger zur Faust

Die Mehrheitsabstimmung gegen Wolfs „Sanierungsvorschlag“ war ein Mittelfinger an einen Industriemillionär, der dachte er kann angesichts der Werkschließung zu einer billigeren Produktion kommen. Die MAN ist das zentrale Industriewerk in Steyr, die Beschäftigten können sich auf die Bevölkerung ebenso verlassen wie auf Aufmerksamkeit aus Politik und Medien. Sie zeigen also nicht nur Wolf den Mittelfinger, sondern auch allen Unternehmen, die jetzt glauben, dass sie in der Krise ein paar Kolleg*innen loswerden können.

Vergleichbare Kämpfe, wie im Lokomotivenwerk in Bellinzona (Schweiz) gegen die Schließung 2008, haben es geschafft Streiks mit Betriebsbesetzungen und solidarischen Demonstrationen durch die lokale Bevölkerung zu verbinden. So kann gleichzeitig politischer und wirtschaftlicher Druck aufgebaut werden.

Auch um die Kampfbereitschaft der Arbeiter*innen hochzuhalten, ist eine Solidaritätsbewegung wirklich wichtig. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass wir auch für das Richtige kämpfen. Dafür müssen die Verhandlungen transparent sein, alle entscheidenden Schritte in Betriebsversammlungen diskutiert und abgestimmt werden. Gerade wenn die Position des Konzerns so klar arbeiter*innenfeindlich ist, sind Hinterzimmerdeals und „vertrauliche“ Verhandlungen ein echtes Problem. Wenn sie offen geführt werden, kann die Diskussion über die Verhandlungen auch mit einer über Forderungen an die Regierung und eine Umstellung der Produktion verbunden werden.

Also: Solidarisieren, Organisieren, Kämpfen!

Der Kampf um die MAN ist wichtig und bedeutend: Es geht um 2.400 Existenzen. Aber sie ist auch der Auftakt um die Verteilungskämpfe in dieser Krise. Das ist eine strategische Auseinandersetzung, ein zentraler Klassenkampf. Das ist ein Auftrag an alle Gewerkschafter*innen und jede*n Linke*n.

Es ist jetzt notwendig, zu zeigen, dass die Beschäftigten nicht alleine stehen: Solidarische Aktionen, wie sie LINKS zum Beispiel Ende April in Wien organisiert hat, und Resolutionen von Gewerkschaftsgruppen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn die Kämpfe sich zuspitzen geht es um Großdemonstrationen in Steyr und Wien, Delegationen zu Streikposten und wenn es notwendig ist, Blockaden gegen Maschinenabstransporte.

Das dürfen wir nicht allein machen, sondern müssen den Druck auf SPÖ und Gewerkschaftsspitze erhöhen, gemeinsam auf die Straße zu gehen, auch wenn die das Geschehen mit zahmen Forderungen vereinnahmen. Sich bewusst vom Klassenkampf und seiner (falschen weil reformistischen) Führung zu isolieren bringt den Sozialismus bestimmt nicht näher. Gleichzeitig muss man halbgaren Kompromissen ein konsequentes Kampfprogramm entgegensetzen und versuchen, eine Mehrheit der Arbeiter*innen dafür zu gewinnen.

Es muss uns auch gelingen, die Argumente der Herrschenden, von „der Markt regelt das“ bis zu „Anreize schaffen und AMS-Qualifizierung ausbauen“ auseinanderzunehmen. Auch und insbesondere, wenn der Ressentiments gegenüber der Klasse grünlackiert sind und die Existenzzerstörung als notwendiger Schritt in einen umweltfreundlichen Kapitalismus verkauft wird. In den nächsten Monaten wird die Regierung noch mehr Geld in die Hand nehmen und Unternehmen zustecken: Wir fordern stattdessen, dass 100 % der Coronahilfen an die Arbeiter*innen gehen.

In Steyr geht es um die Zukunft: Um tausende Arbeitsplätze und darum, wer für die Krise bezahlt. Diesen Klassenkampf müssen wir jetzt führen und gewinnen.