In den letzten Jahren ist auch in Europa zunehmend wieder die Rede von Imperialismus oder Neo-Kolonialismus. Doch in den Medien ist dabei nicht selbstkritisch die Rede vom außenpolitischen und ökonomischen Handeln der EU und ihrer Verbündeten, vielmehr wird die Kritik in erster Linie an China (und manchmal auch Russland) gerichtet. Auch die USA, als noch Donald Trump Präsident war, bekamen diese Kritik im Bezug auf seine Außenhandelspolitik gegenüber China und der EU, sowie bezogen auf seine Machtpolitik gegenüber Saudi Arabien oder dem Iran zu hören. Doch hat der Begriff des Imperialismus mehr als einen pseudomoralischen Inhalt, der für die außenpolitische Propaganda verwendet wird? Als Marxist*innen müssen wir diese Frage ganz klar mit ja beantworten und können für die Behandlung dieser Thematik auch auf eine mehr als hundertjährige Theoriegeschichte zurück blicken.
Imperialismus im 21. Jahrhundert
Wenn man sich heute die internationale Politik ansieht, dann wird eines sehr deutlich. Das Zeitalter der unangefochtenen Vorherrschaft der USA, das mit dem Fall der Sowjetunion eingeläutet wurde, ist vorbei. Vor allem China macht sich als Hauptkonkurrent am Horizont breit. Das ist nicht erst seit dem von Trump angezettelten Handelskrieg klar, schon sein Vorgänger Obama versuchte mit seinem „Schwenk nach Asien“ ein Gegengewicht zu China zu stellen. Grund dafür ist in erster Linie, dass es China immer mehr schafft den USA ökonomisch die Stirn zu bieten. Das drückt sich nicht nur im Gesamtvolumen der Wirtschaft aus, sondern zeigt sich in den letzten Jahren immer mehr auch in strategisch wichtigen Bereichen. Beispielsweise ist der chinesische Telekommunikationsausrüster Huawei in der 5G Technologie führend, aber auch in anderen Bereichen wie in der Elektronik-Branche ist mit Lenovo mittlerweile ein chinesischer Großkonzern Weltmarktführer. Der Aufstieg Chinas zur imperialistischen Großmacht zeigt sich aber nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, erst kürzlich ging die beängstigende Meldung durch die westlichen Medien, dass China jetzt die größte Marine der Welt hätte. Aber auch auf geopolitischer Ebene, in Afrika, Südost-, Süd- und Zentralasien versucht China – vor allem durch sein Megainfrastrukturprojekt der „neuen Seidenstraße“, seinen Einfluss auszubauen. Der Konflikt zwischen der aktuell noch führenden imperialistischen Großmacht – den USA – und ihrer aufstrebenden Konkurrenz wird in den nächsten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die internationale Politik wesentlich prägen.
Anhand dieses Beispiels sieht man die Vorzüge einer marxistischen Gesellschaftsanalyse. Sie geht nicht in erster Linie von oberflächlichen Phänomenen wie dem Charakter von führenden Persönlichkeiten oder kultureller Unterschiede aus, sondern versucht die zugrunde liegenden ökonomischen Phänomene zu verstehen. Denn diese sind wesentlich, wenn auch bei weitem nicht das einzig Relevante, um die Dynamiken der modernen Gesellschaft zu erklären und zu verstehen.
Wenn wir heute von imperialistischer Politik sprechen, bezieht sich das aber nicht nur auf das Verhältnis zwischen den Großmächten selbst. Ein wesentliches Merkmal des imperialistischen Weltsystems ist, dass einige wenige Großmächte den größten Teil des globalen Südens bzw. der neokolonialen Welt ökonomisch, politisch und militärisch dominieren. Um das genauer zu verstehen muss man nicht tausende Kilometer weit blicken und die mörderische Politik der USA im Nahen Osten ansehen. Nein, man kann auch ganz „lokal“ bleiben und einen Blick nach Bosnien werfen. Bosnien ist dominiert von internationalen Konzernen, vorne dabei sind vor allem Italien, Österreich und Deutschland. Z.B. ist Raiffeisen der zweitwichtigste Player am Finanzmarkt nach UniCredit (dem italienischen Mutterkonzern der Bank Austria). Damit einher geht aber im konkreten Fall von Bosnien auch zusätzlich noch eine militärische und politische Komponente. Seit dem Friedensprozess 1995 gibt es einen sogenannten „Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina“, seit 2009 bekleidet dieses Amt der Österreicher Valentin Inzko. Er ist allen demokratischen Organen Bosniens übergeordnet und ist mit quasi-diktatorischen Vollmachten ausgestattet. So kann er demokratisch gewählte Amtsträger*innen entlassen, Gesetzte erlassen und Behörden schaffen. Von diesen Vollmachten wurde in den letzten Jahren zwar wenig Gebrauch gemacht, aber das auch nur, weil die bürgerlichen Politiker*innen ohnehin auch von alleine Politik im Interesse des internationalen Kapitals machen. Dazu kommt noch, dass in Bosnien immer noch 600 ausländische Soldat*innen im Rahmen des EUFOR-ALTHEA Einsatzes stationiert sind. Auch hier ist ein Österreicher, Generalmajor Alexander Platzer, Oberkommandierender. Bosnien ist somit in wenig mehr als in Wort und Schrift ein unabhängiges Land und de facto eine moderne Kolonie.
Anti-Imperialismus
Wie soll man sich nun als Sozialist*in zu Imperialismus verhalten? Intuitiv ist für die meisten Menschen klar, dass imperialistische Dominanz und Ausbeutung eng verbunden sind mit dem modernen kapitalistischen System sowie historisch eng verknüpft mit Rassismus und Kolonialismus. Menschenleben im Jemen sind den bürgerlichen Zeitung in Europa kaum eine Erwähnung wert, eben weil Saudi-Arabien diesen blutigen Krieg führt und ein enger Verbündeter der USA und der EU ist. Für uns als Marxist*innen ist es aber essentiell die Betrachtung des Imperialismus in Verhältnis zu anderen Formen der Unterdrückung und der Klassenverhältnisse als ganzes zu sehen und nicht isoliert als unmenschliche Ausprägung der modernen Gesellschaft.
Nicht immer sind Konflikte so einfach aus einer rein moralischen Sichtweise zu beantworten. Als die USA 2003 daran gingen den Irak-Krieg anzuzetteln, mobilisierten wir beispielsweise gegen den Krieg, nicht weil wir den blutigen Diktator Saddam Hussein gut gefunden hätten, oder weil wir der Meinung gewesen sind, dass seine Verbrechen gegen z.B. die Kurd*innen in Halabja 1988 irgendwie entschuldbar gewesen wären. Nein unser Opposition gegen den Krieg leitete sich aus der Ablehnung einer verschärften imperialistischen Dominanz ab
Das globale imperialistische Machtgefüge führt nicht nur zu ungleichen Machtverhältnissen und Entwicklungsmöglichkeiten sondern ist auch zentral dafür, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit verschleiert wird. Wenn wie in Bosnien der Bankensektor quasi komplett von ausländischem Kapital dominiert wird, dann ist es ein sehr einfaches Erklärungsmodell für Nationalist*innen zu behaupten, dass die Ausbeutung und Unterdrückung im Land dadurch beendet werden könnten, dass an Stelle der ausländischen Ausbeuter*innen doch Unternehmer*innen aus dem eigenen Land gesetzt werden sollten. In dieser Hinsicht ähnelt Imperialismus sehr stark Rassismus oder nationaler Unterdrückung, die auch dazu führt, dass Klassengegensätze nicht offen zu Tage treten. Gleichzeitig bietet aber auch der Kampf gegen Imperialismus die Möglichkeit durch eine Mobilisierung der Massen über seine eigenen Begrenzungen hinaus zu wachsen. Historisch gibt es mehr als ein Beispiel wo der anti-imperialistische Kampf sozialrevolutionäre Dynamiken annahm (Kuba, Vietnam, Algerien, etc.).
Gleichzeitig ist der anti-imperialistische Kampf nicht nur relevant für die neo-koloniale Welt, sondern ist ebenso zentral für die imperialistischen Zentren. Friedrich Engels schrieb einmal in Bezug auf die russische Unterdrückung von Polen, dass „Ein Volk, das andere unterdrückt, […] sich nicht selbst emanzipieren [kann].“ (Friedrich Engels, Flüchtlingsliteratur). Die herrschenden Klassen bedienen sich der imperialistischen Ausbeutung und Unterdrückung nicht, weil sie so böse Menschen wären. Vielmehr ziehen sie wesentlichen Profit für ihre eigene Stellung daraus. Deshalb schwächt jeder Erfolg im anti-imperialistischen Kampf die imperialistische Bourgeoisie und ist damit im direkten Interesse der Arbeiter*innenklassen in den imperialistischen Großmächten (auch wenn es kurzfristige Einbussen bedeuten kann, die sich direkt aus der imperialistischen Ausbeutung ergeben).
Ökonomische Grundlagen
Wie wir weiter oben schon kurz dargelegt hatten ist für unser Verständnis von Imperialismus die wirtschaftliche Analyse zentral. In dem was Lenin einmal das imperialistische Stadium des Kapitalismus nannte, drücken sich die kapitalistischen Bewegungsgesetze in spezifischen Formen aus. Wesentlich dabei ist, dass es zu einer Verlagerung der Konkurrenz aus den Binnenmärkten auf den Weltmarkt kommt. Das ist eine direkte Folge der fortschreitenden Zentralisation und Konzentration des Kapitals und der Herausbildung von nationalen Gesamtkapitalen und den mit ihnen verknüpften imperialistischen Nationalstaaten.
Ein weiteres Merkmal ist die Verschmelzung bzw. Verbindung von industriellem und finanziellem Kapital zu dem was Lenin Finanzkapital nannte. Das selbst ist eine Folge der immer größer werdenden Investitionsbedürfnisse und der damit einhergehenden Wichtigkeit von Kredit oder spezifischer Formen des Kapitals wie Aktiengesellschaften und Co. Zu der Herausbildung von Finanzkapital kommt noch eine Veränderung im Export der imperialistischen Kapitale hinzu. War im 19. Jahrhundert beispielsweise die dominante Stellung Großbritanniens auf den Export von Industrieprodukten zurückzuführen, ist heute Kapitalexport viel zentraler geworden.
An dieser Stelle ist nicht Raum dafür eine ausführliche Analyse zu geben wie sich die hier genannten Punkte in eine moderne Analyse einordnen. Sie selbst stammen aus der leninistischen Analyse des Imperialismus aus dem 1. Weltkrieg. In unserem theoretischen Journal dem Revolutionären Marxismus 53 widmen wir uns in ausführlichen Beiträgen einer Aktualisierung und Kritik der Imperialismustheorie von Lenin. In Beiträge wie zum Beispiel zu Imperialismustheorie und Neokolonialismus versuchen wir spezifischer auf die konkreten Mechanismen der imperialistischen Ausbeutung einzugehen und kritisch auf andere Erklärungsansätze wie der „Dependenztheorie“ einzugehen. Außerdem gibt es ausführliche Betrachtungen zu China und den USA als den beiden Hauptkonkurrenten um die Stellung als vorherrschende Großmacht.