Pariser Kommune: Marx‘ „Der Bürgerkrieg in Frankreich“

„Der Bürgerkrieg in Frankreich“ ist ein wichtiger marxistischer Text zur Pariser Kommune von 1871, im Zuge derer die Arbeiter*innenklasse zum ersten mal die Macht in ihre eigenen Hände nahm. Diese Episode dauerte nur kurz, vom 18. März bis zum 28. Mai, die Kommune wurde von der Nationalregierung unter Adolphe Thiers blutig niedergeschlagen. Karl Marx verfolgte die damaligen Geschehnisse genau und verarbeitete sie im Auftrag des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation, sodass dieser den Text schon am 30. Mai als Adresse an seine Mitglieder annahm. Seine Bedeutung liegt in den aus den Ereignissen gewonnenen Anschauungen über die Bedingungen der proletarischen Revolution, dem Verhältnis zum Staat und der „endlichen entdeckten politischen Form unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte“.

Über den Deutsch-Französischen Krieg

Die Pariser Kommune war ein Resultat des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, in dem das französische Zweite Kaiserreich gegen das Königreich Preußen um die Vormachtstellung in Europa kämpfte. Obwohl Frankreich den Krieg eröffnete ging es daraus als Verlierer hervor. Karl Marx war sich der Bedeutung der Auseinandersetzung bewusst und schrieb für den Generalrat der Internationale zwei Adressen, in denen er die Position der internationalen Arbeiter*innenklasse zum Deutsch-Französischen Krieg formulierte.

In der Ersten Adresse des Generalrats, die sofort nach Ausbruch des Krieges geschrieben wurde, positioniert sich Marx scharf ablehnend gegen diesen Krieg. Er zitiert eine französische Erklärung die da fragt und selbst antwortet: „Ist der Krieg gerecht? Nein! Ist der Krieg national? Nein! Er ist ausschließlich dynastisch.“ Damit positioniert er sich aber nicht einfach neutral. Für Deutschland handle es sich um einen Verteidigungskrieg. Doch Preußen unter Ministerpräsident Otto von Bismarck sei nur das Gegenstück des bonapartistischen Regimes. „Erlaubt die deutsche Arbeiterklasse dem gegenwärtigen Krieg, seinen streng defensiven Charakter aufzugeben und in einen Krieg gegen das französische Volk auszuarten, so wird Sieg oder Niederlage gleich unheilvoll.“ Und er formuliert am Ende eine internationalistische Haltung: „Während das offizielle Frankreich und das offizielle Deutschland sich in einen brudermörderischen Kampf stürzen, senden die Arbeiter einander Botschaften des Friedens und der Freundschaft.“

Anlässlich des Zusammenbruchs des französischen Kaiserreichs nach der Schlacht von Sedan nahmen Marx und die Internationale mit der Zweiten Adresse eine Neueinschätzung der Lage vor. Zu Beginn wird rekapituliert: „Wir haben uns nicht über die Lebensfähigkeit des zweiten Kaiserreichs getäuscht. Wir hatten auch nicht unrecht in unserer Befürchtung, der deutsche Krieg werde ‚seinen streng defensiven Charakter verlieren und in einen Krieg gegen das französische Volk ausarten‘.“ Nicht nur, dass die deutschen Truppen weiter gegen Frankreich vorrückten, es gab nun auch Ambitionen das Elsass und Lothringen zu annektieren. In der Eroberungspolitik und dem Kräfteverhältnis in Europa sieht Marx schon die nächste Bedrohung und warnt: „Vergessen die Arbeiter ihre Pflicht, bleiben sie passiv, so wird der jetzige furchtbare Krieg nur der Vorläufer noch furchtbarerer internationaler Kämpfe sein und wird in jedem Lande führen zu neuen Niederlagen der Arbeiter durch die Herren vom Degen, vom Grundbesitz und vom Kapital.“

Revolution und Konterrevolution

Am 1. September 1870 begann die Schlacht von Sedan, in der die französische Armee ihre entscheidende Niederlage erlitt. Der bis dahin schon unpopuläre Kaiser Napoleon III. geriet in deutsche Gefangenschaft und wurde in Paris für abgesetzt erklärt, die Republik wurde proklamiert und eine provisorische Regierung der „nationalen Verteidigung“ gebildet. In weiterer Folge wurde Paris mehrere Monate von deutschen Truppen belagert. In dieser Situation, die in Paris von einer revolutionären Stimmung begleitet war, strömten viele Arbeiter und Arbeitslose in die Nationalgarde, die in der Hauptstadt zur stärksten bewaffneten Macht unter dem Einfluss von Sozialisten und Revolutionären wurde. Doch die Regierung wollte den Krieg beenden und kapitulierte Ende Jänner 1871. In kürzester Zeit sollten Wahlen zur Nationalversammlung durchgeführt werden, welche einen Frieden ausverhandeln sollte. Die Festungen rund um Paris wurden übergeben und die regulären Truppen entwaffnet. Nur die Nationalgarde konnte ihre Waffen behalten. Die Wahlen brachten eine konservative Nationalversammlung, dominiert von monarchistischen Kräften. Die Nationalgarde im aufständischen Paris bildete dazu eine Gegenmacht, geführt von einem Zentralkomitee, das von einer Versammlung von Delegierten der Bataillone eingesetzt wurde. Nun versuchte die Regierung diese bewaffnete, proletarische Bedrohung zu entwaffnen. In einer geheimen gehaltenen Aktion mit regulären Truppen sollten über Nacht die Kanonen der Nationalgarde gestohlen werden. Die Operation scheiterte am Einschreiten der Bevölkerung und der Meuterei der Soldaten. Die Regierung musste mit ihren Handlangern fliehen, die Macht fiel in Hände des Zentralkomitees.

Marx sah in diesen Ereignissen eine Auseinandersetzung zwischen Revolution und Konterrevolution: „Die Beschlagnahme des Geschützes sollte nur dienen als Vorspiel der allgemeinen Entwaffnung von Paris und damit der Entwaffnung der Revolution vom 4. September. Aber die Revolution war der gesetzliche Zustand Frankreichs geworden. ( … ) Die Arbeiterrevolution vom 4. September war der einzige Rechtstitel der Nationalversammlung in Bordeaux und ihrer vollziehenden Gewalt. ( … ) Und Paris sollte jetzt entweder seine Waffen niederlegen auf das beleidigende Geheisch der rebellischen Sklavenhalter von Bordeaux und anerkennen, dass seine Revolution vom 4. September nur die einfache Übertragung der Staatsmacht von Louis Bonaparte an seine königlichen Nebenbuhler bedeute;“

Bürgerkrieg

Im Anschluss an die Machtergreifung durch das Zentralkomitee war die Empörung in Paris groß. Einige forderten die Nationalgarde nach Versailles zu mobilisieren, wohin sich die Regierung zurückgezogen hatte, und die reaktionäre Nationalversammlung auseinander zu jagen. Doch das Zentralkomitee wollte den Bürgerkrieg nicht. Marx analysierte das als fatalen Fehler. Nachdem sich die Regierung ihre gefangene Armee wieder von Bismarck beschafft und Paris eingenommen hatte, wurde ein regelrechtes Massaker an den Kommunard*innen angerichtet. Laut Marx hatte der Bürgerkrieg schon mit dem Entwaffnungsversuch begonnen: „Dabei aber, in seinem Abscheu gegen den Bürgerkrieg ( … ) beharrte das Zentralkomitee in einer verteidigenden Haltung ( … ) In seinem Widerstreben, den durch Thiers‘ nächtlichen Einbruch in Montmartre eröffneten Bürgerkrieg aufzunehmen, machte sich das Zentralkomitee diesmal eines entscheidenden Fehlers dadurch schuldig, dass es nicht sofort auf das damals vollständig hülflose Versailles marschierte ( … ).“

Was ist die Kommune?

Der „Bürgerkrieg in Frankreich“ ist in seiner Analyse des Klassencharakters der neuen Macht in Paris unzweideutig: „Die ruhmvolle Arbeiterrevolution des 18. März nahm unbestritten Besitz von Paris. Das Zentralkomitee war ihre provisorische Regierung.“

Interessant sind die verschiedenen Aspekte, die Marx an der Herrschaftsform der Kommune hervorhebt. An erster Stelle steht dabei die bewaffnete Macht: „Paris konnte nur Widerstand leisten, weil es infolge der Belagerung die Armee losgeworden war, an deren Stelle es eine hauptsächlich aus Arbeitern bestehende Nationalgarde gesetzt hatte. Diese Tatsache galt es jetzt in eine bleibende Einrichtung zu verwandeln. Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.“

Verallgemeinernd formuliert er an anderer Stelle die revolutionäre Erfahrung Frankreichs: „Aber die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen.“

Die Arbeiter*innenklasse braucht eine Staatsmacht von anderer Form: „Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit. Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller anderen Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, musste der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden.“

Diese Herrschaftsform war aber nicht einfach das Resultat einer aufständischen Stadt. Marx diskutiert die damaligen Vorstellungen einer nationalen Kommune-Organisation: „Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationalversammlung in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar und die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein. Die wenigen, aber wichtigen Funktionen, welche dann noch für eine Zentralregierung übrigblieben, sollten ( … ) an kommunale, d.h. streng verantwortliche Beamte übertragen werden.“ Während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren, galt für die Kommune „Sie war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse“.

Kommunismus

Marx sah in der Kommune also die „Diktatur des Proletariats“, wie es Engels später in seinem Vorwort zum „Bürgerkrieg in Frankreich“ formulierte. Damit musste sie auch zur ökonomischen Umgestaltung der Gesellschaft voranschreiten: „Ihre besonderen Maßregeln konnten nur die Richtung andeuten, in der eine Regierung des Volks durch das Volk sich bewegt. Dazu gehören die Abschaffung der Nachtarbeit der Bäckergesellen; das Verbot bei Strafe, der bei Arbeitgebern üblichen Praxis den Lohn herabzudrücken ( … ) Eine andere Maßregel dieser Art war die Auslieferung von allen geschlossenen Werkstätten und Fabriken an Arbeitergenossenschaften ( … )“ Und an anderer Stelle verallgemeinert er: „Die politische Herrschaft des Produzenten kann nicht bestehn neben der Verewigung seiner gesellschaftlichen Knechtschaft. ( … ) Sie [die Kommune] wollte das individuelle Eigentum zu einer Wahrheit machen, indem sie die Produktionsmittel ( … ) in bloße Werkzeuge der freien und assoziierten Arbeit verwandelt. ( … ) wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigene Leitung nehmen ( … ) – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der „mögliche“ Kommunismus?“