In der kapitalistischen Demokratie scheinen Wahlen und Parlamente die einzigen Orte zu sein, wo Politik stattfindet. Auch fast alle außerparlamentarischen politischen Aktivitäten beziehen sich auf die demokratischen Vertretungen, von Petitionen zu Demonstrationen die Forderungen an die Regierung richten. Gleichzeitig machen zahlreiche Beschränkungen der demokratischen Gleichheit, begonnen mit dem Ausschluss von Migrant*innen bis zu den ungewählten Machtzentren in Konzernen, Geheimdiensten und Justiz, klar, dass Mitbestimmung für die Mehrheit der Gesellschaft im Kapitalismus Grenzen hat. Kommunist*innen müssen einen Umgang mit dem bürgerlichen Parlamentarismus finden, der seine Überwindung mit einem Wahrnehmen aller sich bietenden Gelegenheiten für Verbesserungen verbindet.
Beispiele wie die Abschiebungen in Wien im Jänner zeigen, dass das Parlament eben nicht die einzige politische Arena ist. Wenn sich die für Abschiebungen mitverantwortlichen Grünen (Vizekanzler Kogler ist immerhin übergangsmäßig Justizminister) darauf ausreden, einen neuen Gesetzfindungsprozess anzustoßen, wissen alle Beteiligten, dass das an fast täglichen Deportationen und am Sterben an den Außengrenzen nichts ändern wird. Die direkte Aktion von Mitschüler*innen gegen Abschiebungen ist dafür Politik, die sich nicht an scheinbar Verantwortliche richtet, sondern durch praktische Solidarität wirkt.
Wahlkampf und Wahlerfolg
Marxist*innen geht es um die politische und die ökonomische Befreiung von der Herrschaft der Kapitalist*innen. Wenn wir von einer ökonomischen Basis und einem politischen Überbau des Kapitalismus sprechen, heißt das nicht nur, dass Politik und Ideologie ein Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse ist, sondern auch, dass die politischen und rechtlichen Strukturen der Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse dienen, auch deshalb müssen sie überwunden werden. Das bedeutet nicht, dass man Basis und Überbau trennen kann, oder das eine gegenüber dem anderen vernachlässigen sollte.
Die marxistische Ökonomin Ellen Meiksin Wood macht das an einem Beispiel fest: Der grundlegende ökonomische Vorgang im Kapitalismus, die Produktion der Ware durch Arbeiter*innen und ihr Verkauf durch Kapitalist*innen, beginnt mit einem legalen Vertrag (dem Arbeitsvertrag) und endet mit einem Rechtstitel (dem Eigentum an der Arbeit anderer). Die beiden Sphären sind nicht trennbar, und viele ökonomische Kämpfe werden in der politischen „Arena“ ausgefochten“.
Wahlkämpfe sind vor allem eine Auseinandersetzung, in denen unterschiedliche Ausgestaltungen der kapitalistischen Unterdrückung gegeneinander abgestimmt werden. Weil sie als die einzige Form der politischen Mitbestimmung dargestellt werden, wird zu dieser Zeit die Mitbestimmung der Bevölkerung betont. Dort wo die verschiedenen politischen Details diskutiert werden beginnen auch mehr Menschen, über die grundlegende Ausgestaltung des Systems nachzudenken. Sie werden dadurch nicht spontan zu Antikapitalist*innen, aber Wahlkämpfe sind zweifellos Zeiten, in denen das durchschnittliche politische Bewusstsein, Aufmerksamkeit und die Geduld, sich über Politik zu unterhalten, ansteigt.
Wenn man in der gesellschaftlichen Minderheit ist und gleichzeitig die Gesellschaft grundlegend und revolutionär umgestalten möchte, so wie Kommunist*innen das nun mal wollen, dann bietet sich an solche politisierten Momente nicht zu vorbeiziehen zu lassen. Vor allem dort, wo man unter den Arbeiter*innen und Unterdrückten verankert ist, wo man gemeinsame Kämpfe führt, sind Wahlen ein wichtiger Diskussionsanstoß was in der kapitalistischen Gesellschaft eigentlich umsetzbar ist. Ein Wahlkampf, der Menschen für radikale Forderungen begeistert und motiviert sich antikapitalistisch zu organisieren ist für sich schon mehr wert als ein paar Plätze in den staatlichen Körperschaften.
Aber nicht nur der Wahlkampf, auch der Kampf in den Vertretungskörpern ist eine wichtige Arena. Die Rechte von Parlamentarier*innen auf Information und die ausgeprägtere Medienaufmerksamkeit sind gute Grundlagen, um die bürgerlichen Parteien am praktischen Beispiel zu kritisieren. Wo es möglich ist, können Abgeordnete die Forderungen von kämpfenden Bewegungen in die Parlamente tragen, die dort bekannter machen und scheinbar linke Parteien unter Druck zu setzen, sich klar zu positionieren. Außerdem können das Parlament, seine Mittel und Strukturen, genutzt werden, um eine Infrastruktur für die Partei aufzubauen – wobei hier wesentlich ist, sich nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben und eine vollkommene Unabhängigkeit vom Staat zu garantieren.
Opposition statt Parlamentarismus
Gleichzeitig ist der Parlamentarismus (d.h. die strategische Orientierung der Politik auf das Parlament, das ist noch einmal was anderes als die Arbeit in den Parlamenten) eine ziemlich direkte Rutsche in den Reformismus. Reformistisch sind Parteien, die den Kapitalismus schrittweise im Sinne der Arbeiter*innen verändern wollen, entweder weil sie glauben, Stück für Stück zum Sozialismus kommen zu können oder weil sie sich Illusionen machen, dass es einen Kapitalismus mit erträglichem Ausmaß an Ausbeutung und Unterdrückung geben kann. Im Unterschied dazu versteht revolutionäre Politik, dass es keine dauerhafte Aussöhnung zwischen den Klassen geben kann, die Kapitalist*innen sich ihre Macht nicht stückchenweise entreißen lassen werden. Sie kämpfen für die Überwindung des Kapitalismus und eine Gesellschaft, in der über Politik und Wirtschaft demokratisch entschieden wird.
Parlamentaristische Parteien schieben ihre politische Verantwortung in die Vertretungskörper ab, sie kappen die direkte Verbindung zwischen Parteimitgliedschaft und Abgeordneten und organisieren sich nur oder hauptsächlich um die parlamentarischen Rituale herum. Wer seine Strukturen und Forderungen den Regeln des bürgerlichen Staates unterordnet, kann keine grundlegende Veränderung dieser Gesellschaft mehr erzielen, sondern wird in jährliche Wahlspektakel und unzählige Unterausschüsse einverleibt.
Eine klare Hierarchie in der die von der Basis kontrollierte Partei die Aktivität der Abgeordneten demokratisch bestimmt, der Fokus von parlamentarischen Initiativen auf Verlängerung von Kampagnen oder politische Angriffe auf Bürgerliche sind wichtige Rückversicherungen gegen das Versickern in den Institutionen. Anders gesagt: Kommunistische Vertretungsarbeit ist immer grundlegend oppositionell. Eine Koalition mit Bürgerlichen, das Mitverwalten des kapitalistischen Elends um ihm einen menschlichen Anstrich zu geben, ist nicht denkbar. Das bedeutet nicht, dass nicht für jeden Gesetzesvorschlag gestimmt gehört, der die Lage der Arbeiter*innen oder sozial Unterdrückten konkret verbessert. Wo solche Abstimmungen aus der Minderheit aber nicht mit konkreten Organisierungskampagnen oder Kämpfen für weitergehende Forderungen verbunden werden bleiben sie wirkungslos.
Wahlboykott?
Angesichts der finanziellen, medialen und ideologischen Übermacht von kapitalistischen Parteien erscheint es oft sinnlos, selbst zu Wahlen anzutreten. Die bürokratischen Hürden und rassistischen Ausschlüsse machen es zu einer frustrierenden und anstrengenden Angelegenheit. Manche Linke nehmen das zum Anlass, die Stimmabgabe selbst zu boykottieren.
Das kann eine richtige Antwort sein, wenn man gerade Kämpfe führt, die die Macht der Kapitalist*innen direkt in Frage stellt, und wo Wahlen zum Ablenkungsmanöver werden. Auch wenn zwei Kandidat*innen, die sich nicht als Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung aufspielen, gegeneinander antreten, werden sich Kommunist*innen nicht mit einem*r von beiden Bürgerlichen verbünden.
Aber eine prinzipielle Absage an den Kampf um die „politische Arena“ mit der Begründung, dass diese den Ansprüchen des Sozialismus nicht gerecht wird ist ähnlich sinnlos wie nicht um Lohnerhöhungen zu kämpfen, weil man die Lohnarbeit ohnehin abschaffen möchte. Wenn Kommunist*innen ihre Isolation von der Klasse überwinden wollen, müssen sie in den Kämpfen wo es um etwas geht auch strategisch richtige Antworten geben, zum Beispiel in Einheitsfronten mit reformistischen Arbeiter*innenparteien, die man dabei auch unter Druck setzt richtige Forderungen anzugehen (oder das Vertrauen ihrer Wähler*innen zu verlieren).
Bezirksvertretungswahlen
Auf Ebene des Nationalrats, oder sogar von Landesregierungen ist es möglich, weitgehende aber umsetzbare Projekte zur Abstimmung zu bringen und damit die herrschenden Parteien zumindest zur ehrlichen Absage, wenn nicht sogar zu Zugeständnissen zu zwingen. Je niedriger die Ebene, auf der man vertreten ist, desto beschränkter sind die Möglichkeiten, die von den eigenen Wähler*innen überhaupt ernstgenommen werden.
Die neue Partei LINKS, an der sich der Arbeiter*innenstandpunkt beteiligt, hat bei den Wiener Bezirksvertretungswahlen 23 Mandate errungen. Sie hat sich in keinem Bezirk in eine Koalition locken lassen und ihren Oppositionsanspruch klar gemacht. Gleichzeitig sind sowohl die mediale Aufmerksamkeit als auch die von der Stadtverfassung ermöglichten Spielräume eher klein.
Trotzdem kann es gelingen, die Arbeit in den Vertretungen zu einem Kampf gegen den Kapitalismus zu machen. Am wichtigsten ist es, die Arbeit der gewählten Vertreter*innen den Diskussionen und Entscheidungen der Partei unterzuordnen. Was angegangen und wie Gehälter verteilt werden, muss gemeinsam entschieden werden, es darf hier keine Hierarchie der bezahlten Vertreter*innen über die wahlwerbende Basis entstehen.
Außerdem ist es möglich, gezielte Anträge mit Kampagnen in den Bezirken zu verbinden und so neue Aktivist*innen für fortschrittliche Losungen und gemeinsame Aktivitäten zu gewinnen. Ein Beispiel ist der Antrag von LINKS im 20. Bezirk, mit dem durchgesetzt werden konnte, dass ein abzureißendes Gebäude nur durch gemeinnützige Wohnungen ersetzt werden darf. Das könnte sich in kleine Kampagnen um Leerstand, Wohnungsnot und Mietsteigerungen oder um die Lebensqualität in den Gemeindebauten einordnen.
Ein anderes Beispiel sind die Anträge der Initiative „Seebrücke“, wo sich Bezirke und Städte zu „sicheren Häfen“ für Geflüchtete erklären sollen. Hier können LINKS-Vertreter*innen die Anträge stellen, während öffentlich Druck gemacht wird, als Bezirk praktische Solidarität mit Geflüchteten und Flüchtenden zu organisieren. So kann der Antrag im Bezirk zu einer Probe für angeblich antirassistische Parteien gemacht werden, während Aktivist*innen für praktische Solidarität und eine politische Kampagne begeistert werden. Das dient nicht nur der Verankerung von LINKS, sondern baut auch fortschrittliche Bündnisse in den Grätzeln auf.
Mutig nach vorne gehen
Wahlen bieten die Möglichkeit, die eigenen politischen Forderungen einer breiten Masse darzulegen, Wahlerfolge die Herausforderung, daraus konkrete Projekte zu schmieden. Das ist eine Chance, auch für eine neue und politisch breite Partei wie LINKS, sich zu verankern aber auch nach innen zu klären, um welche Aktivität abseits der Wahlkämpfe man sich eigentlich organisiert.
LINKS wurde mit der Begründung gegründet, es brauche eine Wahlalternative ohne Bauchweh. Dass es die wirklich gebraucht hat müssen die Aktivist*innen in den nächsten Jahren beweisen. Eine kompromisslose Parteinahme für die Ausgebeuteten und Unterdrückten und geschickte Zuspitzung der Widersprüche in der Stadt sind der Weg dazu.