
Solidarität und Klassenkampf statt mehr Repression
Dieser Artikel wurde in einer ersten Fassung am 9. November auf unserer Homepage veröffentlicht. Aufgrund der weiteren Entwicklung mit der Großrazzia gegen Muslimbrüder und Hamas sowie dem angekündigten „Antiterrorpaket“ haben wir uns entschlossen, den Artikel zu diesen Themen auszubauen.
Am 2. November, dem letzten Tag vor der Einführung nächtlicher Ausgangsbeschränkungen, hat sich in Wien der erste größere Terroranschlag seit Jahrzehnten ereignet. Ein Anhänger des sogenannten Islamischen Staat (IS) hat am Abend im ersten Bezirk, in der Gegend des Schwedenplatzes, vier Menschen ermordet, viele weitere verletzt und die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Darüber hinaus hat er wieder einmal den reaktionären Charakter des Dschihadismus offenbart, der eine kulturelle und religiöse Spaltung provoziert und in dieser Nacht unschuldige Arbeiter*innen getroffen hat.
Hintergründe
Wie mittlerweile bekannt, handelt es sich bei dem 20-Jährigen Angreifer, der von der Polizei erschossen wurde, um einen in Österreich aufgewachsenen Jugendlichen. Kein „importierter Terrorist“ wie es spätestens seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von den Medien und den rechten Parteien immer geheißen hatte. Er hatte sowohl die österreichische als auch die mazedonische Staatsbürger*innenschaft. Die Tatsache, dass der Täter in Österreich aufgewachsen ist und die österreichische Staatsbürger*innenschaft hat, scheint den meisten etablierten Parteien sauer aufzustoßen – jetzt sollen Menschen, die sich terroristischen Vereinigungen anschließen zu „Ausländern“ gemacht werden, indem ihnen die österreichische Staatsbürger*innenschaft entzogen wird. Diese Forderung stellt in der jetzigen Situation die SPÖ auf – eine Forderung die letztes Jahr noch von der FPÖ kam und von der SPÖ damals abgelehnt wurde. Es liegt auf der Hand, dass eine Ausbürgerung von sogenannten Gefährdern das Problem nicht löst sondern nur in andere Länder verlagert.
Die genauen Hintergründe der Tat sind noch nicht gänzlich aufgeklärt, es wirkt so als ob sich der Anschlag in Wien in eine Reihe von anderen Attacken international einreihen würde. Was alle diese gemein hatten war, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zentral vom Islamischen Staat geplant und durchgeführt wurden, wie noch die Terroranschläge vor einigen Jahren (Charlie Hebdo, Bataclan, LKW-Amok-Fahrt in Nizza, etc.), was in erster Linie daran liegen dürfte, dass der Islamische Staat seine Machtbasis in Syrien und dem Irak verloren hat.
Rassismus und Antirassismus
Die Reaktionen auf das Attentat in Wien waren sehr gemischt. Auf der einen Seite gab es den zu erwartenden antimuslimischen Rassismus von Seiten der FPÖ. Auch die Identitäre Bewegung, bzw. ihre Tarnorganisation, versuchte die Tat für sich zu nutzen und veranstaltete am 5. November einen Mini-Aufmarsch, der aber von aktiven Antifaschist*innen teilweise blockiert und verzögert werden konnte.
Die Regierung versuchte hingegen eine Stimmung der nationalen Einheit und des nationalen Zusammenhalts zu beschwören. Während wir gegen jegliche Spaltung der Gesellschaft nach Religion oder Herkunft auftreten, kann es für uns keine Einheit mit dem Kapital und seiner Regierung geben, die die kapitalistische Ausbeutung und die imperialistische Abhängigkeit aufrecht erhält und täglich für den Tod von Menschen im Mittelmeer verantwortlich ist. Insbesondere im Zuge des verheerende (Nicht-)Management der Coronavirus-Pandemie und den kürzlich verschärften Beschränkungen kam ihr der Anschlag vermutlich durchaus gelegen, um von ihrem Versagen abzulenken. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass von Seiten der Regierung, insbesondere von Innenminister Nehammer die Situation genutzt wird, um weitere Eingriffe in demokratische Freiheiten umzusetzen. Die Regierung hat schon den Plan eines einschneidenden „Antiterrorpakets“ präsentiert. Von Seiten der EU wurde kürzlich schon angekündigt, dass in Zukunft verschlüsselte Kommunikation verunmöglicht werden soll, indem Plattformanbieter wie WhatsApp, Signal oder Telegram dazu gezwungen werden sollen, sogenannte Generalschlüssel zur Verfügung zu stellen, die den Zugang zu verschlüsselter Kommunikation für die Geheimdienste sicherstellen sollen. Außerdem wurden in Wien zwei Moscheen geschlossen, in denen der Attentäter verkehrte und sich angeblich radikalisiert habe, allerdings unter Bezugnahme die totalitär anmutender Forderung aus dem diskriminierenden Islamgesetz nach einer „positiven Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“.
Neben den rassistischen Vorstößen und diesen reaktionären Gesetzesvorschlägen gab es aber in Wien auch eine Welle der Solidarität, des Antirassismus und der positiven Hervorhebung von migrantischen bzw. muslimischen Helfer*innen von Verwundeten. Diese klare Positionierung weiter Teile der Bevölkerung, die genau nicht die Mehrheit der Muslim*innen in Wien und in Österreich mit der Tat identifizieren, ist wichtig und richtig. Denn nicht nur ist es einfach falsch Muslim*innen mit Terror zu identifizieren, es ist eben auch genau der Wunsch des IS durch seine Terroranschläge den Rassismus gegenüber Muslim*innen zu verstärken um leichter Anhänger*innen zu rekrutieren.
Behördliches Versagen
Schon kurze Zeit nach dem Anschlag musste die Story der Regierung und insbesondere von Innenminister Nehammer, dass die Behörden so brillant agiert hätten und dass der Angreifer das Deradikalisierungsprogramm perfide getäuscht hätte, in Zweifel gezogen werden. Doch dazu noch kurz die Vorgeschichte. Der IS-Sympathisant hatte 2018 versucht über die Türkei nach Syrien einzureisen, wurde aber von der Türkei verhaftet und nach Österreich zurück gestellt. In Österreich wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Organisation zu 22 Monaten Haft verurteilt. Er wurde Ende 2019 aus der Haft entlassen. Die Rufe, die jetzt laut werden und meinen, dass die frühzeitige Haftentlassung der zentrale Fehler gewesen wäre, verkennen dabei, dass er auch ohne dieser im Juli diesen Jahres regulär aus der Haft entlassen worden wäre.
Sehr bald nach dem Anschlag wurde dann bekannt, dass die Slowakei Österreich im Oktober gewarnt hatte, dass der Täter dort Munition kaufen wollte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hatte aber mit diesen Informationen offensichtlich nichts getan und auch die zuständigen Personen aus dem Deradikalisierungsprogramm sowie die Justiz nicht informiert. Zusätzlich dazu gab es auch schon im Juli eine Warnung an das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) von deutschen Behörden, die meldeten, dass der Wiener IS-Anhänger von amtsbekannten deutschen Kollegen besucht worden wäre. Von Innenminister Nehammer wurde das ganze auf Kommunikationsprobleme zurückgeführt, musste aber bald schwerwiegende Fehler eingestehen, die er aber nicht bei sich selbst sieht. Mittlerweile scheint klar zu sein, dass die Polizeibehörden ein Vorgehen gegen den Attentäter wegen einer geplanten Razzia gegen die Musllimbruderschaft und Hamas hintanstellten. Die Operation „Ramses“ wurde eine Woche nach dem Anschlag unter dem neuen Namen „Luxor“ durchgeführt. 930 Polizist*innen führten 60 Hausdurchsungen durch, verhafteten kurzzeitig 30 Personen und beschlagnahmten Dokumente, elektronische Geräte und mehrere Millionen Euro. Etliche Linke kritisieren nun in sozialen Medien, dass der Anschlag hätte verhindert werden können und freuen sich über den scheinbaren Schlag gegen den Islamismus. Dabei ist noch lange nicht klar gegen wen sich diese Razzia genau gerichtet hat, aus welchen Gründen und ob es sich hier nicht vor allem um eine anti-muslimische Inszenierung handelt. Jedenfalls sollte klar sein, dass der bürgerliche Staat kein Verbündeter gegen den Dschihadismus sein kann (mit dem die Muslimbrüder oder die Hamas auch nicht sonderlich viel zu tun haben). Denn erstens sichert er die kapitalistische und imperialistische Ausbeutung ab, welche der Nährboden für den Islamismus ist, zweitens, wird er alle rechtlichen, finanziellen und unterdrückerischen Mittel im „Kampf gegen den Terror“ auch gegen die Arbeiter*innenbewegung einsetzen, sollten diese die herrschenden Eigentumsverhältnisse bedrohen. Die derzeitige Debatte um das Behördenversagen ist keine Debatte über die prinzipielle Unfähigkeit des bürgerlichen Staates die Bevölkerung vor Terror zu schützen und darüber wie der westliche Imperialismus den Terror mitverursacht, es ist eine Debatte die die Stärkung der staatlichen Repression vorbereitet, was Nehammer auch schon in Form einer Neuaufstellung des Verfassungsschutzes samt mehr Personal und Ressourcen schon angekündigt hat.
Demokratische Rechte
Die schwarz-grüne Regierung bereitet nun als Antwort auf den Terroranschlag ein „Antiterrorpaket“ vor. Damit möchte sie die rechtliche Handhabe gegen sogenannte Gefährder vergrößern, sprich gegen Menschen, die radikalisiert sind, die aber nicht aufgrund einer Straftat oder konkreter Tatbegehungsgefahr weggesperrt werden können. Die weitestgehenden Aspekte davon sind die Einführung einer präventiven „Sicherungshaft“, vorbeugende elektronische Überwachung (z.B. über eine Fußfessel) und ein neuer Straftatbestand „Verbreitung des politischen Islam“. Dabei ist die Sicherungshaft unter bürgerlichen „Expert*innen“ umstritten und selbst der Leiter der Justizanstalt Stein äußert sich skeptisch. Kritik bezieht sich auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Haft aufgrund abstrakter Gefährdung, auf die Unsinnigkeit das bestehende System des Maßnahmenvollzugs mit Terrorismus zu vermengen und auf die Notwendigkeit von Prävention und Resozialisation zur Deradikalisierung. Politisch wäre die Sicherungshaft jedenfalls eine Katastrophe, weil es dem Staat ermöglicht gegen politische Gegner*innen ohne Verurteilung aufgrund einer Straftat vorzugehen, sie wäre also ein Schritt in Richtung eines willkürlichen Polizeistaats, noch dazu scheint sie auf unbegrenzte Verlängerbarkeit angedacht zu sein. Auch der Straftatbestand zum politischen Islam sollte von linker Seite klar zurückgewiesen werden. Während Marxist*innen zwar klar für die Trennung von Staat und Religion eintreten und schon alleine deshalb (von anderen reaktionären Inhalten abgesehen) den politischen Islam bekämpfen, ist der Vorstoß von der Regierung weder einer zur Durchsetzung des Säkularismus noch einer gegen den Dschihadismus. Er ist vor allem rassistisch und undemokratisch. Denn es gibt kein berechtigtes Argument warum religiöse Strömungen nicht auch politische Ansprüche haben dürften und wenn doch warum das nur den Islam trifft und nicht alle Religionen.
Fazit
Nach vielen anderen europäischen Ländern hat der dschihadistische Terror nun auch Österreich getroffen. Wie in den anderen Ländern auch ist die politische Auseinandersetzung damit eine wichtige Herausforderung für die Linke und die Arbeiter*innenbewegung. Die Antwort auf den Terror kann aber nicht ein allmächtiger Repressionsapparat des kapitalistischen Staates sein, der sich letztlich auch gegen die revolutionäre Arbeiter*innenbewegung richten wird. Die Antworten lauten antirassistischer Klassenkampf, internationale Solidarität und Anti-Imperialismus.