Terroranschlag in Wien

Am 2. November, dem letzten Tag vor der Einführung nächtlicher Ausgangsbeschränkungen, hat sich in Wien der erste größere Terroranschlag seit Jahrzehnten ereignet. Ein Anhänger des sogenannten Islamischen Staat (IS) hat am Abend im ersten Bezirk, in der Gegend des Schwedenplatzes, vier Menschen ermordet, viele weitere verletzt und die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Darüber hinaus hat er wieder einmal den reaktionären Charakter des Dschihadismus offenbart, der eine kulturelle und religiöse Spaltung provoziert und in dieser Nacht unschuldige Arbeiter*innen getroffen hat.

Hintergründe

Wie mittlerweile bekannt, handelt es sich bei dem 20-Jährigen Angreifer, der von der Polizei erschossen wurde, um einen in Österreich aufgewachsenen Jugendlichen. Kein „importierter Terrorist“ wie es spätestens seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von den Medien und den rechten Parteien immer geheißen hatte. Er hatte sowohl die österreichische als auch die mazedonische Staatsbürger*innenschaft. Die Tatsache, dass der Täter in Österreich aufgewachsen ist und die österreichische Staatsbürger*innenschaft hat, scheint den meisten etablierten Parteien sauer aufzustoßen – jetzt sollen Menschen, die sich terroristischen Vereinigungen anschließen zu „Ausländern“ gemacht werden, indem ihnen die österreichische Staatsbürger*innenschaft entzogen wird. Diese Forderung stellt in der jetzigen Situation die SPÖ auf – eine Forderung die letztes Jahr noch von der FPÖ kam und von der SPÖ damals abgelehnt wurde.

Die genauen Hintergründe der Tat sind noch nicht gänzlich aufgeklärt, es wirkt so als ob sich der Anschlag in Wien in eine Reihe von anderen Attacken international einreihen würde. Was alle diese gemein hatten war, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zentral vom Islamischen Staat geplant und durchgeführt wurden, wie noch die Terroranschläge vor einigen Jahren (Charlie Hebdo, Bataclan, LKW-Amok-Fahrt in Nizza, etc.), was in erster Linie daran liegen dürfte, dass der Islamische Staat seine Machtbasis in Syrien und dem Irak verloren hat.

Rassismus und Antirassismus

Die Reaktionen auf das Attentat in Wien waren sehr gemischt. Auf der einen Seite gab es den zu erwartenden antimuslimischen Rassismus von Seiten der FPÖ. Auch die Identitäre Bewegung, bzw. ihre Tarnorganisation, versuchte die Tat für sich zu nutzen und veranstaltete am 5. November einen Mini-Aufmarsch, der aber von aktiven Antifaschist*innen teilweise blockiert und verzögert werden konnte.

Die Regierung versuchte hingegen eine Stimmung der nationalen Einheit und des nationalen Zusammenhalts zu beschwören. Während wir gegen jegliche Spaltung der Gesellschaft nach Religion oder Herkunft auftreten, kann es für uns keine Einheit mit dem Kapital und seiner Regierung geben, die die kapitalistische Ausbeutung und die imperialistische Abhängigkeit aufrecht erhält und täglich für den Tod von Menschen im Mittelmeer verantwortlich ist. Insbesondere im Zuge des verheerende (Nicht-)Management der Coronavirus-Pandemie und den kürzlich verschärften Beschränkungen kam ihr der Anschlag vermutlich durchaus gelegen, um von ihrem Versagen abzulenken. Gleichzeitig ist wahrscheinlich, dass von Seiten der Regierung, insbesondere von Innenminister Nehammer die Situation genutzt wird, um weitere Eingriffe in demokratische Freiheiten umzusetzen. Von Seiten der EU wurde kürzlich schon angekündigt, dass in Zukunft verschlüsselte Kommunikation verunmöglicht werden soll, indem Plattformanbieter wie WhatsApp, Signal oder Telegram dazu gezwungen werden sollen, sogenannte Generalschlüssel zur Verfügung zu stellen, die den Zugang zu verschlüsselter Kommunikation für die Geheimdienste sicherstellen sollen. In Österreich wird auch wieder über Sicherungshaft gesprochen, die ursprünglich geplant war um „gefährliche Asylsuchende“ ohne großen Grund wegzusperren – also Freiheitsentzug ohne konkreten Tatverdacht. Dies scheiterte bis jetzt da sich ein Widerspruch mit der Verfassung ergab, wo das Recht auf persönliche Freiheit einen relativ hohen Rang hat.

Als Linke Kräfte müssen wir uns entschieden gegen beide dieser Vorschläge stellen. Abgesehen davon, dass es bezweifelbar ist ob diese Maßnahmen wirklich zum stärkeren Verhindern von Anschlägen führen, sind es Maßnahmen, die negativ auf alle zurückfallen, die Opposition gegen dieses System zeigen wollen – also auch gegen uns.

Neben diesen reaktionären Gesetzesvorschlägen gab es aber in Wien auch eine Welle der Solidarität, des Antirassismus und der positiven Hervorhebung von migrantischen bzw. muslimischen Helfer*innen von Verwundeten. Diese klare Positionierung weiter Teile der Bevölkerung, die genau nicht die Mehrheit der Muslim*innen in Wien und in Österreich mit der Tat identifizieren, ist wichtig und richtig. Denn nicht nur ist es einfach falsch Muslim*innen mit Terror zu identifizieren, es ist eben auch genau der Wunsch des IS durch seine Terroranschläge den Rassismus gegenüber Muslim*innen zu verstärken um leichter Anhänger*innen zu rekrutieren.

Behördliches Versagen

Schon kurze Zeit nach dem Anschlag musste die Story der Regierung und insbesondere von Innenminister Nehammer, dass die Behörden so brillant agiert hätten und dass der Angreifer das Deradikalisierungsprogramm perfide getäuscht hätte, in Zweifel gezogen werden. Doch dazu noch kurz die Vorgeschichte. Der IS-Sympathisant hatte 2018 versucht über die Türkei nach Syrien einzureisen, wurde aber von der Türkei verhaftet und nach Österreich zurück gestellt. In Österreich wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Organisation zu 22 Monaten Haft verurteilt. Er wurde Ende 2019 aus der Haft entlassen. Die Rufe, die jetzt laut werden und meinen, dass die frühzeitige Haftentlassung der zentrale Fehler gewesen wäre, verkennen dabei, dass er auch ohne dieser im Juli diesen Jahres regulär aus der Haft entlassen worden wäre.

Sehr bald nach dem Anschlag wurde dann bekannt, dass die Slowakei Österreich im Oktober gewarnt hatte, dass der Täter dort Munition kaufen wollte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hatte aber mit diesen Informationen offensichtlich nichts getan und auch die zuständigen Personen aus dem Deradikalisierungsprogramm sowie die Justiz nicht informiert. Zusätzlich dazu gab es auch schon im Juli eine Warnung an das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) von deutschen Behörden, die meldeten, dass der Wiener IS-Anhänger von amtsbekannten deutschen Kollegen besucht worden wäre. Von Innenminister Nehammer wird das ganze auf Kommunikationsprobleme zurück geführt, die genauen Hintergründe dafür sind noch nicht bekannt.

Die Antwort auf den Terror in Wien kann aber nicht ein allmächtiger Repressionsapparat des kapitalistischen Staates sein, der sich letztlich auch gegen die revolutionäre Arbeiter*innenbewegung richten wird. Die Antworten lauten antirassistischer Klassenkampf, internationale Solidarität und Anti-Imperialismus.

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