Das Privateigentum, nicht nur an der eigenen Zahnbürste, sondern an Firmen, Zinshäusern und Fluglinien, definiert den Kapitalismus. Und jetzt, mitten in der Pandemie und am Beginn einer globalen Wirtschaftskrise, zeigen die Probleme der privaten und profitorientierten Verwaltung unserer Lebensgrundlagen auch die tiefe Problematik des Kapitalismus auf. Die Forderungen der von Markt und Staat alleingelassenen Arbeiter*innen und Arbeitslosen müssen in die Richtung gehen, die Kapitalist*innen zu entmachten und das Steuer selbst in die Hand zu nehmen. In der Praxis bedeutet das die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, aber auch die Vergesellschaftung der notwendigen Arbeit.
Marktwirtschaft in Aktion
Todkranke werden in den USA nicht behandelt, weil sie nicht versichert sind und stecken beim Sterben daheim noch zehn andere an. Leere Flugzeuge kreisen zwischen Britannien und Festlandeuropa, damit Startplätze an den wichtigsten Flughäfen nicht an andere Fluglinien (die auch keine Passagier*innen befördern dürfen) verloren werden. Und dringend notwendige Schutzmasken und Beatmungsgeräte werden zum zwanzigfachen des Vor-Pandemie-Preises verkauft, weil die Nachfrage für ein paar kurze Monate keine Grenzen kennt. In anderen Worten: Wenn es wirklich darauf ankommt, wenn es um Leben und Tod geht, befriedigt die Marktwirtschaft eben nicht die Bedürfnisse der Konsument*innen, aber dafür gibt es Milliardenprofite für ein paar wenige Kapitalist*innen.
Wenn nicht gerade Krise ist, dann funktioniert die konservative Propaganda ganz gut: Das System würde funktionieren, gerade weil einzelne Menschen diese ganzen nützlichen Werkzeuge zur Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen besitzen und in Firmen zusammenfassen. Gerade weil diese Einzelnen besonders große Profite machen wollen würden sie Innovationen nachjagen, Arbeitsplätze schaffen und die Preise für die Konsument*innen niedrig halten.
Wenn dann doch Krise ist, beginnt diese Geschichte zu bröckeln. Laudamotion sagt dann ganz offen, dass es für sie keinen Sinn macht, Löhne über der Armutsgrenze zu bezahlen. Erntehelfer*innen bekommen ihr Gehalt verweigert, und Industriearbeiter*innen werden vor die Wahl gestellt unter höchster Ansteckungsgefahr arbeiten oder beim AMS stempeln zu gehen.
In der Krise hört die Frage des Privateigentums auf, sich um gerechtere oder weniger gerechte Einkommensverteilung zu drehen; es geht darum ob Profite mit dem Sterben und Leiden erkauft werden sollen. Oder ob dieses System grundsätzlich unfähig ist, ein schönes Leben für alle zu ermöglichen, ob der Kapitalismus nicht sterben muss damit wir überleben können. Es gibt keine dritte Alternative, keine sozial verträgliche Marktwirtschaft: Wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, und die regelmäßigen kapitalistischen Krisen lassen da niemandem eine Wahl, werden die Unternehmer*innen sich immer für den Profit und immer gegen die Arbeitsplätze und den Zugang zu lebenswichtigen Grundleistungen entscheiden.
Die Alternative dazu ist die Ent-Privatisierung, also die Vergesellschaftung des Reichtums. Mit Vergesellschaftung des Reichtums ist aber nicht Luxus für Alle gemeint (auch wenn für viele das Leben deutlich luxuriöser wird wenn nicht mehr die Hälfte vom Nettoeinkommen für die Miete draufgeht), sondern die demokratische Entscheidung darüber, was und wie produziert wird. Eine gesellschaftliche Verhandlung darüber, ob neue SUVs gebaut oder in den Nahverkehr am Land investiert werden soll.
Vergesellschaftung der Arbeit
Die Vergesellschaftung von Produktion und Verteilung ist das Programm marxistischer Revolutionär*innen seitdem der „Bund der Kommunisten“ sich im 19. Jahrhundert Gedanken über eine Strategie zur Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung gemacht hat. Karl Marx selbst war der Meinung, dass der wichtige erste Schritt dafür schon im Übergang zum Kapitalismus gemacht war: Die Vergesellschaftung der Arbeit.
Vor dem Kapitalismus haben die meisten Menschen vor allem im Privaten gearbeitet. Das bedeutet, sie haben im Familienverband fast alles hergestellt was sie gebraucht haben, vor allem Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Eventuelle Überschüsse konnten verkauft werden, um sich Dinge wie Werkzeug zu kaufen, die man selbst nicht herstellen konnte. Nur ein ganz kleiner Teil der Gesellschaft, Adel, Klerus und ein paar Händler*innen und Handwerker*innen, bekamen das was sie zum Leben brauchten von anderen.
Im beginnenden Kapitalismus änderte sich das. Durch die Enteignung der kleinen Bäuerinnen und Bauern (die teilweise recht brutal und gut geplant war) wurden Massen von Besitzlosen in die Städte getrieben. Dort verkauften sie ihre Arbeitskraft und deckten sich „auf dem freien Markt“ mit Nahrung und Wohnungen ein. Nach einiger Zeit führte das dazu, dass die meiste Arbeit in der ganzen Gesellschaft für den Konsum von anderen verrichtet wurde und die meisten gesellschaftlichen Bedürfnisse durch die Arbeit von anderen gedeckt wurden. Das hat sich im Großen und Ganzen bis heute gehalten.
Marxist*innen verstehen das als Fortschritt, weil die vergesellschaftete Arbeit effizienter ist, schnell gelernt werden kann, und weil die Arbeiter*innen sich am Arbeitsplatz zusammentun und für eine bessere Gesellschaft kämpfen können. Das Problem ist, dass die Entscheidung wie diese Arbeit verrichtet wird, weiterhin privat getroffen wird, und zwar von denen die die Produktionsmittel und die Produkte besitzen. Der Zwang, die Profite auf Kosten der Arbeiter*innen zu erhöhen oder vom Markt verdrängt zu werden kann sich sehr brutal auswirken, mit Hungerlöhnen, gefährlichen Arbeitsbedingungen und prekären Beschäftigungsverhältnissen (aber auch Umweltzerstörung, giftigen Chemikalien in Konsumprodukten und industrieller Landwirtschaft). Statt aber zurück zur privaten Arbeit, in die gar nicht so gute alte Zeit, wollen Marxist*innen die Vergesellschaftung vollenden, sodass nicht nur der Arbeitsprozess, sondern auch die Entscheidung wie und was gearbeitet wird, vergesellschaftet wird.
Es gibt auch im modernen Kapitalismus noch sehr viel Arbeit, die privat verrichtet wird: Vor allem unbezahlte Hausarbeit. Die wird vor allem von Frauen verrichtet und ist ein zentraler Faktor in deren systematischer Unterdrückung. Auch hier ist die Lösung nicht die Neuordnung des Privaten, sondern eine Vergesellschaftung all dieser Aufgaben in Kindergärten, Kantinen und Lieferdiensten, Waschküchen und Putzkolonnen.
Vergesellschaftung des Reichtums
Im Kapitalismus ist die Arbeit großteils vergesellschaftet, aber sie wird eingesetzt um das Kapital zu vermehren, nicht um Bedürfnisse zu befrieden. Die Arbeiter*innen bestimmen nicht, welche Arbeit sie verrichten und wofür sie sie einsetzen.
Das ist ein großes Problem, weil sich Profitabilität und gesellschaftlich wünschenswerte Verhältnisse eher selten überschneiden. Klare Beispiele sind etwa ein Mindestlohn, von dem es gut wäre, wenn er hoch liegen würde, was aber die Profite sehr direkt schmälern würde. Auch wichtig ist die Nutzung von fossilen Brennstoffen oder Kurzstreckenflügen; wegen der Klimakatastrophe wäre es gut, wenn solche Dinge nicht gemacht würden, sie sind aber sehr profitabel.
Der Weg raus ist sehr eingängig und fällt vielen Leuten schlagartig ein, wenn sie mit den negativen Auswirkungen des Privatbesitz an Produktionsmitteln konfrontiert sind: Man kann sie ihren Besitzer*innen wegnehmen, wenn die nur Unsinn damit anstellen. Karl Marx nannte das die „Enteignung der Enteigner*innen“ (weil die Kapitalist*innen ja die davor selbstversorgenden Bäuerinnen und Bauern enteignet und so erst zur Lohnarbeit gezwungen hatten, in der sie sich den Mehrwert aneignen). In Bezug auf Schutzmasken und in Spanien sogar Krankenhäuser wurde das zu Beginn auch gemacht, und nochmal viel öfter gefordert.
Die Enteignung oder Verstaatlichung ist aber noch keine Vergesellschaftung, allerdings eine notwendige Voraussetzung dafür. Noch wichtiger aber ist die Übernahme des Reichtums, durch diejenigen die ihn produzieren. Auch dafür gibt es historische Beispiele, wie Fabriksbesetzungen in Griechenland und Argentinien, wo Arbeiter*innen den Arbeitsprozess übernommen haben und ihn dann auch gemeinsam umgestaltet haben. Sie haben entschieden, wie produziert wird.
Letztendlich sind aber auch Arbeiter*innengenossenschaften noch kein vergesellschafteter Reichtum. Erst die demokratische Entscheidung der Bevölkerung, also der Konsument*innen darüber was produziert wird, unter Kontrolle der Arbeiter*innen die produzieren, kann das erreichen. Diese Debatten gibt es schon jetzt, wenn auf Facebook diskutiert wird, dass mehr Krankenhäuser gebaut werden sollen, oder sich Zeitungskommentare streiten ob man die AUA nicht hätte sterben lassen sollen. Die angemessene politische Form, ein demokratisches System von Räten mit rechenschaftspflichtigen und jederzeit abwählbaren Delegierten, das den Bedürfnissen der arbeitenden und konsumierenden Bevölkerung einen unmittelbaren Ausdruck verleiht, wird vom kapitalistischen Staat klarer Weise unterdrückt.
Trotzki: Verstaatlichung der Kernindustrien
Für den russischen Revolutionär und anti-stalinistischen Kommunist Leo Trotzki war die Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ein zentrales Element im Erkämpfen der Arbeiter*innenmacht. Im berühmten „Übergangsprogramm“, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale, legt er das in den Abschnitten zu Fabrikkomitees, Arbeiter*innenkontrolle und schließlich zur Enteignung „bestimmter Gruppen von Kapitalist*innen“ dar.
Auch er unterscheidet zwischen Arbeiter*innenkontrolle und Vergesellschaftung. In Besetzungsstreiks können Arbeiter*innen Fabrikkomitees errichten und die Arbeitsbedingungen verändern. Sie übernehmen Kontrolle darüber, wie produziert wird. Das bedeutet eine echte, unversöhnliche Doppelherrschaft im Betrieb, zwischen bürgerlichem und proletarischem Regime. Die Hauptaufgabe der Fabrikkomitees ist für Trotzki aber nicht eine angenehmere Arbeitssituation im Betrieb, sondern ein Generalstab für den Kampf um die Macht.
Für Trotzki beginnt der Kampf um die Macht mit der gesellschaftlichen Kontrolle über den Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft, also über die Firmen. Und es müssen die Arbeiter*innen (und Arbeitslosen) sein, die Einblick in die sonst geheimen Geschäftsbücher nehmen, Alternativpläne umsetzen und öffentliche Großprojekte anstoßen (heute würde man da wohl an einen massiven Ausbau des Gesundheitssystems oder klimafreundliche Infrastruktur denken). Wem man hier nicht vertrauen soll sind die Beamt*innen und Technokrat*innen der kapitalistischen Demokratie: Die können zwar die „Anarchie des Wettbewerbs“ überwinden, aber nicht das Machtmonopol der Kapitalist*innen.
Also: Vergesellschaften und eine neue Gesellschaft aufbauen
Die Vergesellschaftung der Arbeit und des Reichtums bedeutet auch die Abschaffung der Privilegien durch Reichtum. In Bezug auf die wichtigsten Fragen der Produktion und Verteilung hätten alle dieselben Rechte und dasselbe mitzureden. Das bedeutet auch ein Ende der Ausbeutung von Arbeiter*innen, und ist ein wichtiger Schritt vorwärts zur Abschaffung der sexistischen und rassistischen gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die Vergesellschaftung von Arbeit und Reichtum ist also nicht nur eine Voraussetzung, sondern eine Strategie hin zu Marx‘ Forderung „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.