
Obwohl wir gerade mitten in einer äußerst ungewöhnlichen Phase sind, die sicher den größten Teil unserer Aufmerksamkeit verlangt und politischen Aktivismus eindämmt, dürfen wir trotzdem nicht den Blick auf das große Ganze verlieren. Vor allem jetzt wird offensichtlich wie stark Frauen unter der kapitalistischen geschlechtlichen Arbeitsteilung leiden. Nicht nur, dass weibliche Berufsgruppen zu den unverzichtbarsten, gleichzeit schlechtbezahltesten, der Gesellschaft zählen – in der Pflege und im Einzelfachhandel zum Beispiel – Frauen sind auch in sozialer Isolation noch wahrscheinlicher von häuslicher Gewalt betroffen, als normal. Diese „Randprobleme“ des Coronavirus zeigen wieder auf, wie weit wir noch gehen müssen, um reale Gleichberechtigung, geschweige denn Emanzipation, zu erkämpfen.
Anfang März war Frauenkampftag und wir wollen in diesem Artikel kurz die relevantesten Frauenbewegungen beleuchten die in den letzten Jahren an Wichtigkeit gewonnen haben, und auch die Themen die zukünftig präsent sein werden und mit denen sich die Linke perspektivisch auseinandersetzen muss.
Femizide
Frauenunterdrückung kennt viele Ausprägungen. Von verbaler Belästigung über Genitalverstümmelung bis hin zu Vergewaltigungen ist alles in den patriarchalen Strukturen eingebettet, die sich im Kapitalismus bis jetzt herausgebildet haben. Der Höhepunkt dieser Unterdrückung äußert sich in sogenannten „Femiziden“ – also Morden die aufgrund des (weiblichen) Geschlechts der Person geschehen.
Dieses spezielle Mord-“Motiv“ ist ein globales Problem, allerdings gibt es bestimmte Regionen wo sich diese schrecklichen Ereignisse häufen. Von den 25 Ländern mit der höchsten Femizidrate, sind 14, also mehr als die Hälfte, in Lateinamerika. Im Durchschnitt werden pro Tag 12 Frauen in Lateinamerika ermordet, obwohl die Dunkelziffer sicher um einiges höher ist (Brasilien ist wegen der schlechten Daten-Lage zum Beispiel nicht in diese Zahl inkludiert – obwohl dort Gewalt an Frauen sehr präsent ist). 2018 wurden 3.287 Frauen in Südamerika ermordet.
Auch das Problem von (häuslicher) Gewalt ist sehr relevant. In Bolivien geht man zum Beispiel davon aus, dass mehr als jede zweite Frau (!) in ihrem Leben von physischer und sexualisierter Gewalt betroffen ist.
Natürlich sind andere Formen von Frauenunterdrückung nicht weniger prägend für die männlich-dominierte Gesellschaft – viele Länder Lateinamerikas haben äußerst restriktive Abtreibungsgesetze, die teilweise Abtreibungen unter keinen Umständen zulassen. Aber auch in Ländern die inzwischen Abtreibungen aufgrund von Vergewaltigung und lebensbedrohlichen Situationen erlauben (Chile hat diese Kriterien erst 2017 ergänzt), werden Abtreibungen durch bürokratische Maßnahmen verlangsamt und verhindert. Der bekannte Fall der 11-jährigen „Lucia“ in Argentinien, die vom Lebensgefährten ihrer Großmutter vergewaltigt und geschwängert wurde, wurde, wegen einer Verzögerung der Behörden bis kein legaler Abbruch mehr möglich war, gezwungen das Kind auszutragen – das kurz nach der Geburt durch Kaiserschnitt starb.
Um gegen diese speziellen Umstände zu mobilisieren, war und ist die Frauenbewegung in Lateinamerika ein wichtiger Anhaltspunkt. Unter unterschiedlichen Führungen ist auf frauenpolitische Themen aufmerksam gemacht worden. „Ni una menos“, eine 2015 gegründete argentinische Plattform, sammelte einige der Gruppierungen hinter sich und organisierte ein paar der größten Proteste und Streiks bisher. Der Auslöser war die 14-jährige Chiara Paez, die am 11. Mai 2015 totgeschlagen und einige Wochen schwanger, vergraben unter dem Haus ihres Freundes gefunden wurde. Dieser Mord steht stellvertretend für viele andere, die immer wieder thematisiert werden. Die Bewegung breitete sich auf andere Teile Lateinamerikas aus. In Chile, durch die Bewegung gegen die neoliberale Politik Piñeras, bekam die Frauenbewegung eine spezielle Rolle, da sie federführend an den Protesten beteiligt war.
Seit 2015 wurde einiges erreicht – dass der Tatbestand des Femizids in vielen lateinamerikanischen Ländern eingeführt wurde und bessere Statistiken geführt werden ist z.b. auf sie zurückzuführen. Aber auch der Anstieg von Morden an Frauen und speziell an Aktivist*innen ist zu beobachten. Doch wenngleich die Aufmerksamkeit erfolgreich auf das Thema gelenkt wurde, wurden nicht die Strukturen geschaffen, die tatsächlich nötig wären, um Morde und Gewalt an Frauen zu verhindern. In Chile ist zum Beispiel die anhaltende Polizeigewalt, die sich auch in speziell sexualisierter Gewalt gegen Frauen äußert, ein großes Problem.
Die Thematisierung von Machismo, also eine reaktionäre Männlichkeitskultur, die suggeriert Frauen(körper) seien im Besitz von Männern, ist sehr zentral für die Analyse von patriarchalen Strukturen in Lateinamerika. Im Kapitalismus ist Frauenunterdrückung keine Seltenheit, sondern ein systemerhaltender Bestandteil. Die staatlichen Rahmenbedingungen, der Polizei- undJustizapparat tragen dazu bei, wie ausgeprägt ein Land diese Unterdrückung spürt. Deshalb sind auch die meisten Proteste gegen die Regierung und ihre unzureichenden Maßnahmen ausgerichtet. 2020 kam es speziell in Mexiko und Chile zu einem großen Frauenstreik an denen ein paar Millionen Menschen beteiligt waren. Er sollte darauf hinweisen, dass eine Gesellschaft ohne weibliche Arbeit nicht funktioniert – diese Analyse führt uns weiter nach Europa. Wir fordern außerdem als Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen:
- Ausbau von Frauenhäusern und ähnlichen Gewaltschutz-Maßnahmen
- Selbstverteidigungsangebote von Frauen für Frauen
- Vergesellschaftung der Hausarbeit durch die Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen, Waschküchen, Gemeinschaftsküchen, öffentlichen Kantinen, usw.
Frauenstreiks
In Europa haben Frauenstreiks einen großen Einfluss gewonnen, aber dieses Jahr wurden sie durch die Streiks in Mexiko und Chile zahlenmäßig überholt. Die bisher größten Streiks waren in Spanien 2015 mit über 5 Millionen Menschen (vor allem Frauen) die sich daran beteiligten. Auch in der Schweiz demonstrierten 2019 eine halbe Millionen Menschen. In anderen europäischen Ländern und auch in den USA, gab es kleinere Streiks, die sich am 8. März hinter die größeren stellten. Für uns ist wichtig zu analysieren was die politische Agenda der Streiks ist und welche Perspektive die organisierte Linke hineintragen muss. Wir haben global immer noch eine Krise der Führung des Proletariats was darin resultiert, dass eigentlich alle globalen Bewegungen meist kleinbürgerliche, reformistische oder sogar keine Anleitung haben – das heißt nicht, dass die Bewegungen schlechte Arbeit leisten, sondern nur, dass wir uns umso mehr anstrengen müssen unsere Forderungen hineinzutragen.
Eine zugrundeliegende Betrachtung, die einen wahren Kern hat, aber oft zu einer falschen Schlussfolgerung führt, ist die der Unterbewertung von weiblich konnotierter Arbeit. Das inkludiert Hausarbeit (die ja immer noch zum Großteil von Frauen erbracht wird) aber auch die schlechtere Bezahlung von Branchen in denen mehrheitlich Frauen beschäftigt werden und die statistisch nicht erklärbaren Lohndifferenzen von Männern und Frauen im gleichen Beruf. Natürlich ist reproduktive Arbeit (also Arbeit im Haushalt, Kindererziehung und ähnliches) nicht weniger wichtig für den Erhalt einer Gesellschaft als Arbeit, die in der Produktionssphäre geleistet wird. Allerdings stellt sich die Frage, wo am meisten Druck aufgebaut werden kann und das ist in der Produktionssphäre. Hier wird der Mehrwert erzeugt und der Profit abgeschöpft, was dazu führt, dass Streiks ihre Wirksamkeit erlangen. Das heißt aber nicht, dass Frauenstreiks keine Relevanz haben. Genau wegen der Wichtigkeit von Streiks als Teil einer gemeinsamen starken Arbeiter*innenbewegung ist es unerlässlich die spezielle Rolle von Reproduktions- und weiblicher Arbeit zu betonen. Wir müssen auch hier die Frage von Arbeit zuhause und die speziellen Probleme von Unterbezahlung von Frauen thematisieren.
Corona
Durch die jetzige Ausnahmesituation werden in Zukunft einige Fragestellungen wichtig werden und neue Anknüpfungspunkte für die bereits existierenden Frauenbewegungen entstehen. Die Auswirkungen für Frauen gegenwärtig, aber auch in der Zeit, in der die Ausbreitung des Virus bereits eingedämmt ist, werden sehr heftig werden.
Eine Weltwirtschaftskrise bahnt sich an und es ist nicht schwierig zu sehen, dass proletarische Frauen, junge Menschen und Migrant*innen am heftigsten darunter leiden werden. Deshalb ist es wichtig die Situation und besondere Rolle von Frauen während der Corona-Krise zu betonen – aber auch danach. Streiks bei denen auf die Doppel- bzw. Mehrfachbelastung von arbeitenden Frauen hingewiesen wird, stehen für alle linken Kräfte auf der Tagesordnung. Dabei sagen wir:
- Wir zahlen nicht für eure Krise. Keine Abwälzung der Krisenkosten auf die Werktätigen und Arbeitslosen. Lasst die Reichen zahlen und sichern wir durch gemeinsame Organisierung Arbeitsplätze.
- Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeitsbereiche, die als essentielle Bestandteile des Lebens angesehen werden und weiterhin funktionieren müssen.
Frauen auf der Flucht
Ein anderer Punkt, der sich durch die Corona-Krise zuspitzt aber auch davor ein wichtiges Thema war, ist die besondere Betroffenheit von Frauen auf der Flucht. Der Appell an alle Staaten, Menschen nicht dem sicheren Tod auszuliefern indem man ihnen Asyl verwehrt, sie unter unmenschlichen Bedingungen in Camps festhält, oder ihnen sogar den Landgang verwehrt und ihre Boote versenkt, findet wieder mehr Halt in der Zivilgesellschaft. Die Widersprüche des „friedlichen“ Europas und ihrem „Krieg“ gegen Geflüchtete spitzen sich zu und wir müssen die Möglichkeit ergreifen, um für eine sofortige Verbesserung der Situation zu kämpfen: Daher:
- Grenzen auf, Überall! Wir haben genug Platz für Alle.
- Für eine Enteignung von Immobilienspekulant*innen und die Bereitstellung der Wohnungen für Geflüchtete Menschen und Obdachlose.
- Eine gezielte Ausbildung von geflüchteten Menschen in Mangelberufen (mit Einbeziehung und Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikationen) und ein Aufheben des Arbeitsverbots.
- Spezielle Mittel und Betreuung für Geflüchtete Frauen und Minderjährige. Der Kampf gegen sexuelle Gewalt, die auf der Flucht erlebt wird, muss ein Ende haben. Geschützte Wohnmöglichkeiten für Frauen, LGBTQIA+ Personen und Kinder muss gesichert sein.
Perspektive
Der internationale Rechtsruck der letzten Jahre hat bleibende Spuren hinterlassen, gegen die sich Frauenbewegungen überall auf der Welt auflehnen. Ihre Wut und ihre Entschlossenheit müssen ein Signal sein für alle fortschrittlichen Kräfte, anhaltend Widerstand zu leisten. Frauen sind in jeder sozialen Bewegung vorne mit dabei und eine genaue Analyse und Antworten auf ihre spezielle Unterdrückung sind unerlässlich.
Die kommende Periode ist unsicher, aber Frauenkämpfe international werden auch in Zukunft ein wichtiger Bezugspunkt für emanzipatorische, klassenkämpferische Politik sein!