Pflegereform: Was plant die Regierung für die Pflege?

Die Lebenserwartung in Österreich steigt an – damit auch die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen. Der zusätzliche Bedarf, kombiniert mit einer Pensionswelle die auf uns zurollt, führt zu rund 76.000 Stellen im Pflegebereich, die bis 2030 besetzt werden müssen. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass bereits jetzt 1.500 Pflegeplätze wegen Personalmangels unbesetzt bleiben, kann auch die Regierung nicht ignorieren, dass es dringenden Handlungsbedarf in diesem Bereich gibt.

Mitte Jänner kündigte die Regierung an, dass die Pflegereform zu ihren ersten großen Projekten zählen würde. Verschiedene Punkte wurden bereits diskutiert und teilweise konkretisiert, jedoch nicht alle im Regierungsprogramm genannten Forderungen wurden in diesem Zusammenhang thematisiert.

Dreistufenkonzept

Sozialminister Anschober von den Grünen plant den Beginn der Pflegereform mit einer Dialogtour. Unter dem Motto „Zukunft der Pflege“ möchte er den Kontakt mit verschiedensten in diesem Bereich involvierten Institutionen und Personen suchen, um ein Bild von der Situation zu bekommen und Ideen zu sammeln. Ab Ostern soll dann die „Task Force Pflege“ eingesetzt werden, ab Jahresende die Zielsteuerungskommission.

So lobenswert der Ansatz sein mag die Stimmen der Betroffenen zu hören, es scheint fraglich wie viel Einfluss diese am Ende des Tages haben werden, insbesondere wenn man sich die bisherigen Vorschläge im Regierungsprogramm im Vergleich zu den objektiven Notwendigkeiten ansieht.

Ausbildung

Erst 2016 gab es eine gröbere Umstrukturierung der Ausbildungen im Pflegebereich. Das Berufsbild des Pflegehelfers wurde durch die Pflegeassistenz mit einer einjährigen Ausbildung ersetzt, die zweijährige Ausbildung zur Pflegefachassistenz neu eingeführt. Die vollständige Überführung der Ausbildung zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege (DGKP) an die Fachhochschulen wurde beschlossen.

Noch bevor die Auswirkungen dieser Änderungen vollständig abschätzbar sind, plant die Regierung erneut Änderungen in der Ausbildung. Die oben genannten Berufe und ihre Ausbildungen sollen zwar beibehalten werden, zusätzlich stehen jedoch zwei neue Ausbildungswege zur Debatte.

Bereits mit Start September 2020 beschlossen wurde der Schulversuch einer höheren Lehranstalt mit wahlweise einer dreijährigen Ausbildung zur Pflegeassistenz (mit Praktikum im Anschluss) oder einer fünfjährigen Ausbildung, die mit Pflegefachassistenz und Matura abschließt.

Der zweite Ausbildungsweg, der im Regierungsprogramm genannt aber noch nicht unmittelbar beschlossen wurde, ist jener der Pflegelehre. Der Lehrberuf wäre für Personen ab 15 Jahren zugänglich und würde wie andere Lehrberufe die praktische Ausbildung im Betrieb mit der theoretischen Ausbildung an der Berufsschule verbinden. Diese Variante wird von der FPÖ und der Wirtschaft stark unterstützt bzw. eingefordert, von SPÖ, AK, Gewerkschaften und Pflegeorganisationen jedoch mehrheitlich abgelehnt. Grund für die Ablehnung ist, dass 15-Jährige direkt an alten und unter Umständen schwerkranken Patient*innen arbeiten würden. Einerseits wird dabei argumentiert, dass die physische und psychische Belastung für Jugendliche zu hoch wäre, andererseits, dass so ein verantwortungsvoller Beruf erst nach einer fundierten Ausbildung und nicht parallel dazu ausgeübt werden kann und soll.

Pflegende Angehörige

Die Unterstützung von pflegenden Angehörigen stellt einen zentralen Punkt im Regierungsprogramm und auch in der aktuellen Debatte dar. Ein wichtiger Punkt ist dabei der „Pflege-daheim-Bonus“, im Wahlkampf von der ÖVP noch mit 1.500 Euro jährlich beziffert, findet sich im Regierungsprogramm keine konkrete Zahl. Ebenfalls geworben wird mit einem pflegefreien Tag im Monat für Angehörige. Auch die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wird genannt – jedoch ohne nähere Konkretisierung. Die SPÖ fordert ein, das im Burgenland bestehende Pilotprojekt einer Anstellung von pflegenden Angehörigen zu einem Mindestlohn von 1.700 Euro netto auf ganz Österreich auszuweiten.

Pflegeversicherung

Das Thema Pflegeversicherung hat viele aufhorchen lassen, wurde jedoch bereits stark abgeschwächt. Zum jetzigen Zeitpunkt wird die Einführung einer eigenen Versicherung von den Regierungsparteien abgelehnt. Auch eine Erhöhung der Abgaben zur Finanzierung einer solchen Versicherung soll es nicht geben. Geplant ist jedoch Mittel der AUVA zur Finanzierung der Pflege zu verwenden. Auch wenn die genauen Details noch nicht bekannt gegeben wurden, reiht sich dieser Vorschlag definitiv in die Angriffe auf die AUVA unter Schwarz-Blau ein.

Gleichzeitig wird gesagt, dass eine beitragsfinanzierte Pflegeversicherung zwar derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, aber niemand sagen könne was die Zukunft bringt. Damit ist klar, dass Kurz sich definitiv nicht darauf festlegen möchte ein solches System unter seiner Amtszeit nicht einzuführen. Konkret würde das bedeuten die Kosten der Pflege auf die Arbeiter*innen abzuwälzen. Neben der zusätzlichen finanziellen Belastung arbeitender Menschen stellt sich auch die Frage der Absicherung all jener Menschen ohne Sozialversicherung. Die Zahlen dazu sind unklar, da teilweise von Versicherungen im Ausland ausgegangen wird, von denen unklar ist ob sie überhaupt existent sind und Menschen ohne Aufenthaltstitel in Österreich nicht miteinberechnet werden. Fest steht jedoch, dass es sich um tausende, wahrscheinlich sogar um zehntausende Menschen handelt, die derzeit in Österreich nicht sozialversichert sind, und auch, dass bei Einschränkungen im Zugang zur Mindestsicherung diese Zahlen steigen würden. Daher ist es dringend notwendig, dass Pflegeleistungen staatlich finanziert werden und nicht von einer Versicherung abhängig sind.

Community-Nurses

Ein weiterer Punkt in der aktuellen Debatte ist die Einführung von Community Nurses in 500 Gemeinden. Das geplante Aufgabengebiet erstreckt sich von der Beratung Angehöriger, über Pflege- und Betreuungsdienste bis hin zur Koordination medizinischer und sozialer Leistungen. Das erklärte Ziel einer solchen Berufsgruppe soll es sein die überfüllten Ambulanzen zu entlasten und eine Ansprechperson vor Ort zu haben, dabei soll es sich um DGKPs mit einer speziellen Zusatzausbildung handeln. Es ist ein Konzept, das bereits in anderen Staaten zur Anwendung kommt, eine sinnvolle Beurteilung ist jedoch erst möglich wenn die Rahmenbedingungen für Österreich konkretisiert werden.

Ausbau der Pflegekräfte

Neben der Änderung der Ausbildung mit dem Ziel mehr Pflegekräfte auszubilden steht noch ein weiterer Aspekt im Mittelpunkt. Mit einem stärkeren Fokus auf Nostrifikation von Pflegeausbildungen (also Anerkennung von Ausbildungen aus dem Ausland) und der Wiederaufnahme in die Mangelberufsliste wird klar gezeigt, dass man einen Gutteil des Bedarfs durch Menschen mit Migrationshintergrund oder Hauptwohnsitz in anderen Ländern decken möchte. Obwohl die Maßnahmen prinzipiell nicht abzulehnen sind, müssen wir uns doch vor Augen halten worum es dabei eigentlich geht, nämlich darum Löhne zu drücken und katastrophale Arbeitsbedingungen aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, dass die Arbeitsmigration von ausgebildeten Pflegekräften nach Österreich das Risiko eines Pflegekräftemangels im eigenen Land (wie z.B. in Rumänien) birgt.

Analyse

Diese Pläne der Regierung sind die zentralsten bei der aktuellen Pflegereform. Sie zeigen zwei wichtige Punkte auf. Erstens setzt nicht nur die Regierung, sondern jede Parlamentspartei auch weiterhin auf eine möglichst weitreichende Auslagerung der Pflege auf Angehörige – meistens auf Frauen. Ob es sich dabei um einen Tropfen auf den heißen Stein handelt wie der „Pflege-daheim-Bonus“ oder der pflegefreie Tag oder um größere Unterstützung wie die Anstellung von pflegenden Angehörigen, unsere Position dazu ist klar. Wir befürworten zwar jegliche Unterstützung der Betroffenen, die sich häufig in einer prekären Lage befinden, dennoch sind die Grundrichtung und der Hintergedanke nicht zu unterstützen. Jede pflegebedürftige Person hat das Recht auf bestmögliche Behandlung, unabhängig von den finanziellen Mitteln, den zeitlichen Ressourcen und der Qualifikation von Angehörigen. Die Pflege ist eine gesellschaftliche Aufgabe die von fachlich qualifiziertem Personal durchgeführt und staatlich finanziert werden muss!

Zweitens setzt die Regierung vor allem auf die Rekrutierung ausgebildeter Kräfte aus dem Ausland und die Ausbildung von neuen Pflegekräften. Zwar sagt der Sozialminister, dass er mit besseren Arbeitsbedingungen und höherer Bezahlung die circa 30.000 aus dem Beruf ausgeschiedenen Pflegekräfte zurückholen möchte, doch ist im Regierungsprogramm wenig konkretes dazu zu finden. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass die Regierung durch die stetige öffentliche Thematisierung unter dem Druck steht, kleine Zugeständnisse zu machen, doch kleine Zugeständnisse werden nicht ausreichend sein. Um den Mangel tatsächlich zu bekämpfen ist es vor allem notwendig die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege massiv zu verbessern. Im Gegensatz zur Regierung haben wir auch eine klare Antwort auf die Frage wie solche Maßnahmen finanziert werden können – nämlich durch eine Umverteilung des Vermögens. Die höhere Besteuerung der Reichen und Superreichen, ihres Vermögens, ihrer Einkommen und Erbschaften, würde ausreichend Mittel zur Verfügung stellen.

Widerstand organisieren

Obwohl die Missstände in der Pflege vielen Menschen bekannt sind und große Teile der Bevölkerung der Meinung sind, dass bessere Arbeitsbedingungen notwendig sind, ist das bei weitem nicht ausreichend um diese zu erreichen. Um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen muss gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden. Dazu ist es notwendig, dass die Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialwesen gemeinsam kämpfen. Nicht nur die verschiedenen Pflegeberufe, sondern auch andere Berufsgruppen, die mit ihnen eng zusammenarbeiten, haben dieselben Interessen und können gemeinsam mehr Druck aufbauen und damit auch mehr erreichen.

Um einen gemeinsamen Kampf erfolgreich zu organisieren, ist eine Zusammenführung aller Berufsgruppen in eine Gewerkschaft notwendig. Solange es unterschiedliche Kollektivverträge gibt, solange unterschiedliche Gewerkschaften zuständig sind und solange es eine künstliche Konkurrenz zwischen den Berufsgruppen (z.B. in Bezug auf Kompetenzen) gibt, kann nicht vereint gekämpft werden.

Gerade in der Pflege ist das Thema Streik ein sensibles – schließlich ist das Berufsleben auf das Wohl der Patient*innen ausgerichtet. Doch auch die Arbeitsbedingungen sind gefährdend und schaden der Versorgung der Betroffenen. Es ist daher nicht nur in Ordnung, sondern notwendig Streikmaßnahmen zu ergreifen und den Betrieb nur für absolute Notfälle aufrecht zu erhalten. Um die Gewerkschaften zum Kampf zu zwingen ist es notwendig sich dort zu organisieren und von der Basis Druck auf die Führung zu machen.

Gleichzeit ist es notwendig auf die Straße zu gehen, Demonstrationen zu organisieren und Patient*innen, Angehörige und andere Solidarische zu gewinnen und damit neben dem wirtschaftlichen Druck, der durch durch Streiks entsteht kann, auch gesellschaftlichen Druck zu erzeugen.

Daher fordern wir:

  • Kostenlose und professionelle Pflege für alle, die sie benötigen
  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Realistische Personalschlüssel, kontrolliert von den Beschäftigen