SPÖ Krise: Bürokratische Machtkämpfe oder Potential für die Linke?

Mit den letzten Nationalratswahlen hat die SPÖ einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das historisch schlechte Ergebnis war zwar wenig überraschend, hat aber trotzdem in der Partei Schockwellen ausgelöst. Noch am Wahlabend verkündete Rendi-Wagner, die „Richtung stimmt“. Doch schon am Tag nach der bitteren Wahlniederlage trat Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda zurück. Ihm folgte – was angesichts des Wahlergebnisses einer gewissen Ironie nicht entbehrt – Wahlkampfmanager Christian Deutsch. Doch wenn sich die führende Clique damit gedacht hatte, die parteiinternen Konflikte zu befrieden, hat sie sich getäuscht. Vielmehr ging damit der Kampf um die SPÖ und ihre Ausrichtung erst richtig los.

Ursachen der Krise

Die Ursachen der aktuellen Krise in der SPÖ sind in ihrem widersprüchlichen Charakter als bürgerliche Arbeiter*innenpartei angelegt. Seit Jahrzehnten macht die SPÖ offen Politik im Interesse des Kapitalismus. Nicht erst seit ihrer neoliberalen Wende Ende der 80er Jahre, sondern genauso unter Bruno Kreisky wie im Roten Wien der Zwischenkriegszeit. Das soll nicht heißen, dass sie nicht (gerade in den revolutionären Jahren 1918-20) wesentliche Verbesserungen für die große Mehrheit der Menschen in Österreich gebracht hat, aber alle diese Verbesserungen waren nur Verbesserungen im Rahmen des Systems und konnten und können deshalb jederzeit wieder rückgängig gemacht werden, wie die Jahre 1934-45 deutlich gezeigt haben. Gleichzeitig mit ihrer bürgerlichen Politik bleibt die SPÖ aber die dominante Kraft in der österreichischen Arbeiter*innenbewegung. Ihre besondere Beziehung zu den Gewerkschaften ist es auch, die sie für revolutionäre Sozialist*innen zu einem wichtigen Gegenstand der Auseinandersetzung machen muss.

Die allgemeine Feststellung des widersprüchlichen Charakters der SPÖ reicht aber nicht aus um die aktuelle konkrete Auseinandersetzung nach dem desaströsen Wahlergebnis zu verstehen. Vielmehr ist der aktuelle Konflikt in gewisser Weise eine Fortsetzung des Konflikts, der sich schon im Frühling 2016 mit der rassistischen Flüchtlingspolitik von Faymann und Co. abgespielt hatte. Damals analysierten wir, dass die Rolle Christian Kerns vor allem die einer Verschleierung der Gegensätze in der SPÖ sei. Nach ein paar Lippenbekenntnissen unterstützten alle Seiten in der SPÖ Christian Kern und gaben ihm Vorschusslorbeeren, insbesondere die SJ saß damit einer falschen Illusion auf. Diese Überspielung der Gegensätze funktionierte dann auch, speziell in der Opposition, länger als anfangs zu vermuten gewesen wäre, doch schon die mehr als zweifelhafte Auswahl Pamela Rendi-Wagners als Nachfolgerin von Christian Kern begann wieder die Gräben aufzureißen, obwohl die externe Spitzenbeamtin dieselbe Rolle erfüllen sollte. Mit dem denkbar schlechten Wahlergebnis aber traten die Konflikte wieder offen zu Tage.

Machen wir was?

Nachdem sich Rendi-Wagner noch am Wahlabend positiv zum eingeschlagenen Kurs geäußert hatte, trat mit „machen wir was“ eine Initiative des linken Flügels auf den Plan. Anfangs wurden Unterschriften für eine Kurskorrektur der SPÖ gesammelt, doch schon bald wurde eine Resolution veröffentlicht, die in „Sektion, Ortspartei oder Betriebsgruppe“ beschlossen werden könne. Die Resolution spricht sich für „eine grundlegende, politische und organisatorische Neuaufstellung, die umfassende Öffnung und Demokratisierung der Partei und ihrer Strukturen, sowie die Einbindung der Parteibasis“ aus. Wie genau diese politische Neuausrichtung aussehen soll, wird mehr angedeutet als ausformuliert. Es brauche eine „klare politische Erzählung“, man müsse „wieder kompromisslos auf der Seite aller arbeitenden Menschen stehen, unabhängig vom formalen Beschäftigungsstatus und ihrer Herkunft“. Die Resolution endet mit 5 Forderungen: Einleitung eines „Diskussions- und Partizipationsprozess“, der in einem Reformparteitag endet; Direktwahl des*der Vorsitzenden; Ablehnung einer Koalition mit der Kurz-ÖVP; Mitgliederabstimmung über Koalitionsabkommen sowie Ausbau von Strukturen und Kampagnenfähigkeit.

Wohl nicht zufällig haben auch die sozialdemokratischen Jugendorganisationen (SJ, AKS, VSSTÖ, FSG Jugend, Rote Falken und Junge Generation) ebenfalls 5 Punkte zur Reform der SPÖ vorgestellt: eine „inhaltliche Neuaufstellung“ und die Positionierung der SPÖ als Systemalternative; die Priorisierung von Glaubwürdigkeit über Regierungsposten inklusive Abstimmung über Koalitionsabkommen; die Umsetzung der 2018 beschlossenen Organisationsreform, die von Rendi-Wagner abgedreht wurde; eine Strukturelle Neuaufstellung um Strukturaufbau und Kampagnenfähigkeit in den Mittelpunkt zu stellen und schließlich ein Reformparteitag Anfang 2020.

Wie man auch an der Übereinstimmung der Forderungen sieht, hat sich der linke Flügel wohl voll und ganz in den Kampf um eine Reform der SPÖ geworfen. Doch wie konsequent wird dieser Kampf geführt werden, welche Aussicht hat er und wie leicht wird man sich durch kleine Zugeständnisse befrieden lassen?

Risse in der Bürokratie?

Bis jetzt haben sich in der Führungsclique um Rendi-Wagner, Christian Deutsch, Doris Bures und Co. noch wenige Risse gezeigt, aber als prominentester Unterstützer einer „Neuausrichtung“ und einer Neuauflage des Einigungsparteitags von Hainfeld hat sich Max Lercher positioniert. Unter Christian Kern noch zum Bundesgeschäftsführer befördert, wurde er von Rendi-Wagner abgesetzt. Von der führenden Clique wurde die offene Kritik am aktuellen Kurs damit beantwortet, dass pikante, großteils aber auch falsche, Details über einen Vertrag zwischen SPÖ und einem Medienunternehmen, dessen Geschäftsführer Lercher ist, an die Tageszeitung Österreich gespielt wurden. Das Motiv dabei war ganz klar, die wenigen prominenten Parteikritiker öffentlich anzupatzen, wie es auch schon 2016 mit dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler passiert sein dürfte.

Bisher handelt es sich beim Beispiel Lercher auch eher um einen Einzelfall, ansonsten kommt Kritik von prominenter Seite nur vom rechten Flügel. Der Tiroler Landesparteichef Dornauer meinte zum Wahlergebnis, dass FPÖ-Wähler*innen doch keine Frau mit Doppelnamen wählen würden. Darüber hinaus hält sich der rechte Flügel aber weitgehend zurück, Doskozil und Co. scheinen in der aktuellen Situation auf abwarten zu setzen.

Für den linken Flügel ist es aber ohnehin fragwürdig auf prominente Unterstützung zu hoffen. Auch der jetzt als „Parteirebell“ titulierte Max Lercher war vor einigen Jahren noch eifrig an der Umsetzung eines massives Sparpaket in der Steiermark beteiligt. Möchte der linke Flügel eine echte Veränderung und nicht nur einen Austausch der Spitze erreichen, muss man sich klar von allen Karrierefunktionär*innen abgrenzen und einen glaubwürdigen klassenkämpferischen Kurs fahren, statt den aus der Gunst gefallenen Bürokrat*innen wieder an die Spitze zu verhelfen.

Reformprozess?

Auf den offensichtlichen Druck hin, der nach dem Wahldebakel und der Mobilisierung des linken Flügels gefolgt ist, reagierte die Parteispitze verhalten mit einem angekündigten Reformprozess, der in einem „Zukunftskongress“ im April 2020 enden soll. Damit wird offenbar versucht einige der Forderungen von „machen wir was“ und den sozialdemokratischen Jugendorganisationen der Form nach aufzunehmen, aber – was entscheidend ist – ohne wirkliche demokratische Einbeziehung der Basis durchzuführen. Explizit ausgeschlossen wurde dabei eine „Personaldebatte“. Offensichtlich geht es darum die kritischen Stimmen an der Basis zu befrieden ohne wirkliche Zugeständnisse zu machen.

Zusätzlich wurde angekündigt, dass die „Organisationsreform“, die am Parteitag 2018 beschlossen wurde mit „Leben gefüllt“ werden soll. Was das genau bedeutet ist genauso wie der Charakter des Zukunftskongresses noch ziemlich unklar. Wenn sich der Prozess aber unter Kontrolle von Rendi-Wagner, Deutsch und Co. abspielt, wird wohl wenig mehr als Kosmetik zu erwarten sein.

Wie weiter?

Wenn der linke Flügel erfolgreich sein möchte, dann braucht es klare Vorschläge was am Ende eines Reformparteitags stehen soll. Wenn man ausschließlich auf der Formel einer „inhaltlichen, organisatorischen und personellen Erneuerung“ besteht aber gleichzeitig nicht ein alternatives Programm formuliert, kann die Parteiführung ganz einfach diverse scheinbare Zugeständnisse machen, die aber letztlich nichts an den Machtverhältnissen ändern. In bescheidenen Ansätzen passiert das zwar, sowohl bei „machen wir was“ als auch bei den sozialdemokratischen Jugendorganisationen, aber es ist überhaupt nicht klar, wie sie sich die Zukunft der SPÖ konkret vorstellen. In der Diskussion werden gerne sowohl die portugiesische wie spanische Sozialdemokratie als Positivbeispiele genannt, die in letzter Zeit einen gemäßigt linken Kurs in der Regierung fahren, auf der anderen Seite wird auch gerne Jeremy Corbyn und die britische Labour-Party als Vorbild genannt. Doch es braucht mehr als ein paar linkere reformistische Vorbilder.

Was das britische Beispiel zeigt ist vor allem die Tatsache, dass sich die rechten Bürokrat*innen so stark in den sozialdemokratischen Organisationen eingerichtet haben, dass selbst wenn linke Reformist*innen die Parteispitze übernehmen, deren Position ständig untergraben wird. Was in Großbritannien bis heute aussteht ist ein klarer Bruch mit den Berufsbürokrat*innen, vor allem aus der Parlamentsfraktion. Diese sind letztlich das größte Hindernis dafür, dass die Labour-Party geeint hinter ihrem vergleichsweise linken Programm steht. Ein relevanter Teil der Labour-Parlamentsfraktion hat ein großes Problem damit die Labour-Politik in einer Regierung auch wirklich umsetzen zu müssen.

Die Ausrichtung des linken Flügels muss deshalb ganz klar darauf abzielen die ganze Bäckerei und nicht nur ein Stück des Kuchens zu bekommen. Das bedeutet auch, dass von Anfang an die Notwendigkeit eines Bruchs mit der Bürokratie erkannt wird, ohne die ein anhaltender Erfolg nicht möglich ist.

Gleichzeitig gebietet uns die drohende Klimakatastrophe, den Kapitalismus so bald als möglich los zu werden, sollte es daher nicht möglich sein die SPÖ von einer Verteidigerin des Kapitalismus zu einer offenen Gegner*in zu verwandeln, wovon wir aufgrund der historischen Erfahrung ausgehen können, dann muss es zu einem klaren Bruch kommen. Denn was es in Österreich braucht ist eine Partei der Arbeiter*innen, die den Kampf mit dem Kapitalismus offen führt und für Millionen einen Ausweg aus Perspektivlosigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung aufzeigen kann. Da sich die SPÖ bei Beibehaltung ihres bürokratischen und reformistischen Charakters als unfähig erweisen muss, diese Rolle zu erfüllen, ist es die Pflicht aller konsequenten Sozialist*innen in der SPÖ sich ohne Angst vor Bruchpunkten am Kampf für eine andere Partei zu beteiligen.