Identitäre Neofaschist*innen: Zerschlagen, nicht nach einem Verbot betteln

Die Identitären-Demonstration 2016 in Wien wurde erfolgreich blockiert.

Die meisten Medien, die Opposition und sogar die ÖVP sind sich einig: Bei der „Identitären Bewegung“ handelt es sich nicht um schlaue, ein bisschen rechts stehende Social Media Profis, sondern um gefährliche „Rechtsextreme“. Wenig überraschend ist die Konsequenz, die bürgerliche Politiker*innen daraus ziehen: Der Rechtsstaat soll es richten. Kanzler Kurz will eine Auflösung prüfen lassen, die SPÖ möchte die Identitären verbieten (und betont, dass Michael Häupl das schon 2014 gefordert hat). Und auch Teile der außerparlamentarischen „radikalen Linken“ wie die Linkswende tragen das mit und veranstalteten eine Kundgebung für das Verbot vor der Uni Wien.

Ein Verbot durch eine Regierung, die viele identitäre Kernforderung ins Koalitionsprogramm aufgenommen hat, hilft genau nichts gegen die faschistische Gefahr. Schlimmer noch: Es zieht eine Linie zwischen anscheinend legitimen rassistischen Forderungen und Aktionsformen die dann doch zu weit gehen. Die Verbotslosung in den Mittelpunkt zu stellen verleiht ihrer Politik und dem bürgerlichen Staatsapparat scheinbare Legitimität durch diejenigen, die sich entschieden gegen beide stellen müssen. Die identitären Gewalttäter*innen und ihre Politik können nicht durch einen fehlgeleiteten Schulterschluss mit dem bürgerlichen Staatsapparat sondern nur durch antifaschistischen Widerstand auf allen Ebenen gestoppt werden.

Linke Schützenhilfe für die Regierung

In der antifaschistischen Linken greift die Linkswende die Verbotslosung der Bürgerlichen auf. Auch in anderen Fragen antifaschistischer und antirassistischer Theorie hat die Linkswende besondere Merkmale, zum Beispiel Rücktrittsforderungen gegenüber dem Polizeipräsident Pürstl oder wenn sie die FPÖ faschistisch nennt. Auch in diesen Forderungen ist sie sich eher mit kleinbürgerlichen Linken einig und im Streit mit revolutionären und radikalen Aktivist*innen. Sie gibt systematisch falsche Analysen und Forderungen aus, simuliert Massenunterstützung dafür und schürt gefährliche Illusionen in den bürgerlichen Staat.

Das ist ein Problem. Während der zwei ersten Jahre Schwarz-Blau waren Linke bemerkenswert erfolglos, den massiven Rechtsruck in der Regierungspolitik zu verhindern. Dass jetzt so etwas wie antifaschistische Empörung über die Verstrickungen von Terrorist*innen, Neofaschist*innen und der Regierungspartei FPÖ hochkocht wäre ein wichtiger Kristallisationspunkt für den Widerstand gegen die Regierung. Diese stattdessen halb ins Boot zu holen und anschließend darauf aufmerksam zu machen, dass sie nicht weit genug geht (was sie nicht tun wird), ist ein strategischer Fehler.

Faschistische Selbstenttarnung

Zum Ende hin ging es dann ganz schnell. Antifaschist*innen in Österreich und Deutschland hatten seit den ersten öffentlichen Auftritten der Identitären darauf aufmerksam gemacht, dass diese erstens Faschist*innen und zweitens brandgefährlich sind. Es brauchte 5 Jahre und das antimuslimisch rassistische Attentat in Neuseeland mit 50 Toten unter dem Hauptmotto der Identitären – „Gegen den großen Austausch“ – damit diese Erkenntnis sich auch in der Medienlandschaft und im Parlament breiter durchsetzte.

Über diese so genannte Bewegung und ihre Strategie ist in den letzten Jahren genügend und Gutes geschrieben worden. Wichtig ist die anhaltende Recherchearbeit von Antifaplattformen wie der Recherche Graz, antifa-recherche.info und der Autonomen Antifa Wien. Auch das Buch von Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl („Die Identitären“) arbeitete schon früh die Kernpunkte der identitären Strategie auf.

Für diese Analyse wichtig sind ihre Stärke, ihre Vernetzung und ihre Erfolge. Die Identitären sind die größte und wichtigste neofaschistische Bewegung in Österreich. Sie waren in den letzten Jahren erfolgreich darin einen Aktivist*innenstamm und ein aktivierbares Umfeld aufzubauen, sowie sich finanziell auf sehr stabile Füße zu stellen. In den Kernländern ihres Aktivismus, Österreich, Deutschland und Frankreich, sind sie mit großen parlamentarischen Parteien, FPÖ, AfD und Rassemblement National eng verwoben. Aber auch ihre Vernetzung mit klassischen Neonazi- und teilweise Hooligan-Milieus sind ausführlich dokumentiert. Sie haben eine Professionalisierung der faschistischen Rechten hinbekommen, an der die Neonazis der 90er- und 2000er-Jahre gescheitert sind. Das bezieht sich auf klassische Medienarbeit, also Interviews und Themensetzung in Zeitungen und Fernsehen, aber auch und vor allem auf die sozialen Medien.

Sie haben es außerdem geschafft zwei ihrer zentralen politischen Punkte im schwarz-blauen Regierungsprogramm zu verankern, nämlich es zunehmend unmöglich zu machen von außerhalb des europäischen und amerikanischen Westen nach Österreich einzuwandern, sowie die Ablehnung der UN-Migrationsvereinbarung. Zu ihren Aktivitäten an der Schnittstelle zwischen parlamentarischer und aktivistischer, rechtsradikaler Politik kommen gewalttätige Übergriffe, auf die sie sich mit Kampfsport und Bewaffnung gezielt vorbereiten.

Erfolgreicher Widerstand

Es ist antifaschistischen Bündnissen in den letzten paar Jahren gelungen die identitären Neofaschist*innen in zentralen Punkten zu stoppen. Große Aufmärsche in Wien und Berlin wurden durch Massenblockaden auf sehr kurze Ausweichrouten gezwungen, massiv verzögert und teilweise verhindert. Durch geduldiges und stetiges Aufzeigen ihrer faschistischen Ideologie und ihrer Vernetzungsarbeit konnte die Selbstdarstellung als gewaltfreie NGO nachhaltig zerstört werden und der Medienumgang, der oft die Stärke und die Bilder der Identitären in den Mittelpunkt gestellt hat, verschoben werden. Auch das öffentliche Anprangern von Aktivist*innen, Konfrontationen an der Universität, am Arbeitsplatz und im Internet behindern die Rekrutierung der Bewegung.

Zahnlose Verbotsforderung

Während der Faschismus in der Zwischenkriegszeit groß wurde, gab es in einigen europäischen Ländern die Forderung nach dem Verbot beziehungsweise der Entwaffnung faschistischer Formationen. Zum Beispiel wurde in Deutschland 1932 die SA entwaffnet. Wie die weitere Entwicklung zeigte, änderte das aber für die SA sehr wenig. Sie konnte unter neuem Label und ohne Abzeichen weiter agieren.

Leo Trotzki beschäftigte sich in dieser Zeit intensiv mit der Analyse faschistischer Parteien und Bewegungen, insbesondere seine Analyse des Nationalsozialismus zeigt schon früh sehr deutlich die Gefahren und Herausforderungen für die Arbeiter*innenbewegung auf. Er setzte sich dabei auch mit der Frage des Rufs nach staatlicher Entwaffnung bzw. dem Verbot der faschistischen Organisationen auseinander. Im Kontext der Niederlande schrieb er Anfang 1936 „Das Großkapital hofft, mit den Mitteln des starken, konzentrierten, d.h. des halbbonapartistischen oder bonapartistischen Staates mit den drohenden Gefahren fertig zu werden. Um aber den wirklichen Feind, das revolutionäre Proletariat, nicht in den Himmel wachsen zu lassen, kann und wird Colijn den Faschismus niemals kaltstellen oder gar ausrotten; er wird ihn höchstens in Schach halten. Daher ist die Losung, Auflösung und Entwaffnung der faschistischen Banden durch den Staat (die deutschen Sozialdemokraten schrien: »Staat greif zu!«) und das Abstimmen für ähnliche Maßnahmen durch und durch reaktionär.“

Klar ist, dass diese Analyse nicht eins zu eins auf Österreich heute umlegbar ist, aber die Ähnlichkeiten sind trotzdem nicht von der Hand zu weisen. Die Regierung arbeitet schon jetzt daran diverse demokratische Freiheiten abzubauen, beispielhaft dafür sind Sicherungshaft, „digitales Vermummungsverbot“ oder die Einführung von Gesichtserkennung. Falls die Regierung sich wirklich dazu durchringen würde die Identitären behördlich zu verbieten, würde das nicht nur dazu führen, dass die Identitären in den Untergrund getrieben würden und der antifaschistische Kampf gegen sie dadurch nicht unbedingt leichter werden würde, es würde damit auch ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden, für alle fortschrittlichen Organisationen, die potenziell als linksextrem verboten werden könnten.

Der antifaschistische Kampf muss für uns in erster Linie so geführt werden, dass er die Arbeiter*innenbewegung im allgemeinen und die revolutionäre Strömung darin im besonderen stärkt. Das bedeutet, dass der Kampf gegen die Faschist*innen mit den Mitteln des Klassenkampfs und der (physischen) Konfrontation mit den faschistischen Organisationen geführt werden muss, der Ruf nach einem Verbot wirkt in diesem Kontext in erster Linie als demobilisierend und schiebt die Verantwortung augenscheinlich auf den bürgerlichen Staat ab. Die Erwähnung, dass man sich dabei nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen kann ändert leider nichts an den Möglichkeiten, dass sich der Staat mit Verweis auf den Extremismus autoritär rüstet. So auch schon der Nationale Sicherheitsrat eine Strategie gegen „rechts, links und islamistisch motivierten Extremismus“ beschlossen und die Regierung aufgefordert, die personellen Ressourcen des Verfassungsschutzes zu überprüfen.

Perspektive Widerstand

Antifaschist*innen und Linke haben in den letzten Jahren erfolgreich Schlüsselmobilisierungen der Identitären gestört und ihren Aufbau damit empfindlich gestört. Der öffentliche Blick auf die Verflechtungen von Neofaschist*innen mit der Regierung muss jetzt genutzt werden um diesen erfolgreichen Widerstand auch auf die Bewegung gegen Schwarz-Blau auszuweiten.

Dazu ist ein ehrliches und diszipliniertes Bündnis gegen Faschist*innen und Bürgerliche, eine antifaschistische Einheitsfront der Arbeiter*innen, Jugendlichen und Unterdrückten notwendig. Diese muss gemeinsame Demonstrationen, Blockaden und Streiks organisieren. Gleichzeitig muss so eine Einheitsfront über die Bündnisarbeit der letzten Jahre hinausgehen, sich Basisstrukturen an Arbeitsplätzen, Schulen und in den Grätzln aufbauen. Die erfolgreichen Mobilisierungen der Donnerstagsdemonstrationen, auch in den Bundesländern, können ein Anfangspunkt dafür sein.

Die Antifaschist*innen in Österreich dürfen es aber nicht bei der Zusammenarbeit belassen. Es ist zwingend notwendig, eine politische Debatte über die Ausrichtung des Widerstands gegen Faschismus und Kapitalismus zu führen. Das höfliche Ignorieren der politischen Widersprüche bewahrt nur den erfolglosen Status Quo und die reformistisch-zivilgesellschaftliche Perspektive, die in den letzten Jahren immer wieder gescheitert ist. Es braucht eine Diskussion darüber, warum Rechtsruck und Kapitalismus zusammenhängen, und wie wir beides überwinden können.

Auch dürfen wir nicht vergessen, dass Neofaschist*innen wie die Identitären sowohl gewaltbereit sind als auch beste Verbündete in Polizei und Geheimdiensten zu haben scheinen. Rechtsausleger der FPÖ wie Kickl und Kunasek kontrollieren Polizei und Militär. Unsere Bewegung muss in der Lage sein, sich zu verteidigen, Demonstrationen zu schützen und durchzusetzen. Das hat mit der militanten Riot-Romantik des Schwarzen Blocks nichts zu tun, sondern mit der kollektiven Organisation und Vorbereitung der Selbstverteidigung.