Was ist die Notstandshilfe?
Nach einem Jahr Schwarz-Blau gibt es etliche Veränderungen, von denen keine eine Verbesserung, aber beinahe alle Verschlechterungen für einen Großteil der arbeitenden und lohnabhängigen Bevölkerung bedeuten. Schwarz-Blau rühmt sich vor allem mit Steuersenkungen für Großkonzerne, geplanten Geschenken an die Immobilienwirtschaft und Flexibilisierung der Arbeitszeit (12 Stundentag). Parallel dazu wird der neoliberale Abbau des Sozialstaates, der bereits von Rot-Schwarz fokussiert wurde, zunehmend zu einer Zerschlagung. Ein Aspekt dieser Zerschlagung ist der Kampf gegen das vermeintliche „Sozialschmarotzertum“ und die Bürokratie des Sozialsystems. Mit Verweis darauf wurde nicht nur ein Angriff auf die Sozialversicherungsträger gestartet sondern es werden auch die Versicherungsleistungen der Arbeiter*innen angegriffen, zentral durch die Neustrukturierung des Arbeitslosengeldes im Rahmen derer die Notstandhilfe in ihrer jetzigen Form abgeschafft werden soll.
Die Notstandshilfe ist eine Versicherungsleistung, die im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes gewährt wird und die Menschen zusteht, die auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Um darauf Anspruch zu haben, muss in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit zumindest ein Jahr gearbeitet worden sein. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld – 55% des vorhergegangenen Lohnes – besteht dann für ein halbes Jahr und kann in gewissen Fällen auf ein Jahr verlängert werden. Nach diesem Jahr greift dann die Notstandshilfe, die nur mehr 90 Prozent des Arbeitslosengeldes beträgt. Etliche Menschen erhalten eine derart geringe Notstandhilfe, dass sie auch noch auf Unterstützung vom Sozialamt, im Rahmen der Mindestsicherung angewiesen sind, was bedeutet, dass sie sonst weniger als 863 € im Monat zur Verfügung hätten.
Reform…?
Dass die Notstandshilfe abgeschafft werden soll, hat die Regierung vor knapp einem Jahr als Teil des Regierungsprogramms angekündigt. Im Herbst kam das Thema erneut auf und es wurde von einer Streichung der Notstandshilfe im Jahr 2019 gesprochen. Das bedeutet, dass Menschen die gearbeitet haben und nach der vorgegeben Zeit von maximal einem Jahr keinen Job finden in die Mindestsicherung fallen. Dadurch hätten nicht nur etliche Menschen mit massiven finanziellen Einbußen zu rechnen, sondern es ergeben sich in diesem letzten finanziellen Netz auch komplett veränderte Bedingungen für die Betroffenen.
Anders als beim Bezug von Notstandshilfe muss nämlich, bevor man diese Leistung erhält, das Vermögen soweit aufgebraucht werden, dass nur mehr 4.200 € bestehen bleiben. Außerdem kann sich der Staat bei Eigentumswohnungen ins Grundbuch eintragen lassen, was Menschen dazu zwingt nach dem Finden eines neuen Jobs die Sozialleistungen zurückzuzahlen. Hier hat die Regierung nach massiver Kritik im Rahmen der Neugestaltung der Mindestsicherung Minimales verändert, so dass sich der Staat erst nach einem etwas längeren Zeitraum ins Grundbuch einträgt und das mögliche „Vermögen“ auf 5.200 € erhöht wurde. Diese „Verbesserungen“ sind allerdings eine Farce, vor allem wenn man die restlichen Kürzungen im Bereich der Mindestsicherung bedenkt, die in Kombination mit der Zerschlagung der Notstandshilfe Armut nicht nur verfestigen sondern verstärkt erzeugen. Durch das Ende der Notstandshilfe werden außerdem Abhängigkeiten erzeugt, denn für den Bezug der Mindestsicherung wird das gesamte Haushaltseinkommen berechnet, was bedeutet, dass vor allem Frauen verstärkt in Abhängigkeiten gedrängt werden, weil Partnerinnen verpflichtet werden sich gegenseitig zu erhalten.
…oder Repression?
Dass parallel zum geplanten Ende der Notstandhilfe eben erst auch die Mindestsicherung stark angegriffen wurde ist natürlich kein Zufall. Menschen kann diese Sozialleistung aufgrund einer geringeren Ausbildung oder nicht perfekten Deutschkenntnissen auf unter 600 € im Monat gekürzt werden, außerdem wird es für Kinder weniger Geld geben. Dadurch werden Menschen die ohnehin schon kaum über die Runden kommen noch in die Armut gedrängt, wobei Armut erwiesenermaßen krank macht. Es drohen ihnen Wohnplatzverluste und aufgrund der aussichtlosen Situationen wird auch ein Abrutschen in die Kriminalität erleichtert. Dass Schwarz-Blau parallel dazu das AMS dazu anhält strenger zu kontrollieren und zu sanktionieren, eine Tendenz die sich bereits im letzten Jahr, aber auch in den Jahren davor verstärkt abgezeichnet hat, erweckt den Eindruck, dass auf arbeitslose Menschen mit starker Repression reagiert werden soll. Sanktionen soll es auch für Menschen geben, die straffällig geworden sind und auf Bewährung entlassen werden – diese sollen, für die Zeit ihrer Bewährungsstrafe nur mehr rund 300 € monatlich erhalten, was eine erneute Straffälligkeit zur beinahe einzigen Option macht.
Diese Entwicklungen sorgen nicht nur dafür, dass – besonders häufig – von Armut betroffene Migrantinnen eventuell in die Kleinkriminalität rutschen und die rechte Regierung mit Unterstützung von regierungstreuen Medien so das Bild vom „kriminellen Ausländer“ nähren kann. Sie sind auch ein klarer Versuch arbeitslose Menschen so weit unter Druck zu setzen, dass sie jeden Job annehmen, wodurch in Österreich ein größerer Niedriglohnsektor entstehen würde. Wie schnell das gehen kann hat das deutsche Hartz IV Modell gezeigt, an dem sich die österreichische „Neuregelung“ des Arbeitslosengeldes offensichtlich orientiert.
Vorbild Hartz IV
Hartz IV wurde in Deutschland 2005 eingeführt und steht besonders in den letzten Jahren immer wieder unter Kritik. Durch die Einführung von Hartz IV kann bei Bedarf die Grundsicherung stark gekürzt werden. Es sichert auch in voller Leistung laut Expertinnen kaum das Überleben. Es ist eine Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Die Leistung ist – wie auch die Mindestsicherung in Österreich – als letztes Auffangnetz gedacht, für alle Menschen deren Einkommen eine gewisse Grenze unterschreitet. Es steht aber nur hilfsbedürftigen, „arbeitsfähigen und arbeitswilligen“ Menschen zu. Wie auch bei der Mindestsicherung werden Haushalte als Bedarfsgemeinschaft betrachtet, wodurch das Einkommen der einzelnen Bewohnerinnen für die Berechnung der Sozialleistungen zusammen gezählt wird. Menschen die Hartz IV beziehen, sind verpflichtet so gut wie jeden Job anzunehmen und müssen sonst mit drastischen Kürzungen ihrer Leistungen rechnen. Alleinstehende Hartz IV Bezieherinnen müssen mit rund 330 € im Monat auskommen, die Miete wird noch extra gezahlt, wobei die Wohnung allerdings „angemessen“ sein muss.
Besonders eklatant an dem deutschen Modell ist, dass Personen, abhängig davon wie lange sie gearbeitet haben, maximal zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen können, wenn sie unter 50 Jahre alt sind sogar nur maximal ein Jahr. Danach fallen sie automatisch in die Sozialhilfe.
Armut und Lohndumping
Ein Effekt von Hartz IV ist, dass es einen starken Zuwachs an sogenannten Mini-Jobs gibt, Jobs bei denen Arbeiterinnen nicht sozialversichert sind, die sie allerdings ausüben dürfen ohne, dass ihre Hartz IV Leistung reduziert wird. Diese Jobs erschweren allerdings auch die Suche nach Vollzeitstellen. Der Niedriglohnsektor ist in den letzten 25 Jahren in Deutschland massiv angestiegen, Hartz IV hat seinen Beitrag dazu geleistet. Etwa ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor. Besonders häufig betroffen sind Frauen, fast 65 Prozent der Niedriglohnbezieherinnen in Deutschland sind Frauen. Außerdem sind sie auch besonders häufig der Gruppe der „working poor“ zuzurechnen, jenen Menschen die trotz Arbeit unter der Armutsgrenze leben – auch diese Gruppe hat sich seit der Einführung von Hartz IV stark vergrößert. Stigmatisierung, Druck und vor allem geringe Möglichkeiten aufgrund der prekären ökonomischen Situation, sorgen außerdem dafür, dass viele Kinder von Hartz IV Bezieherinnen selbst in dieser Leistung und/oder im Niedriglohnsektor landen. Auch Altersarmut wird verstärkt, denn besonders für Menschen die mit über 50 ihren Job verlieren ist ein Wiedereinstieg ins Berufsleben schwierig und sie erhalten durch einen langen Bezug von Hartz IV und/oder einem sehr niedrigen Lohn auch eine sehr geringe Pension. Einen Vorteil aus diesem Modell ziehen lediglich Konzerne die sich an dem wachsenden Niedriglohnsektor bedienen und von Lohndumping profitieren, denn allein die Sorge bei Arbeitslosigkeit in Hartz IV fallen zu können schwächt den Widerstand von Arbeiterinnen.
Wie und wer kann etwas gegen diese Reform tun?
Genau diesen gemeinsamen Widerstand braucht es allerdings um gegen diese Politik, die sich gegen die arbeitende Bevölkerung richtet während große Unternehmen begünstigt werden, etwas ausrichten zu können. Es ist ersichtlich, dass sich Kurz und Strache mit ihren Ideen zur Abschaffung der Notstandshilfe am deutschen Hartz IV Modell orientieren und auch die Auswirkungen würden ähnlich verheerend sein. Gemeinsam mit den bereits erfolgten neoliberalen Verschlechterungen, die die österreichische Regierung im Interesse des Kapitals durchgesetzt hat, wie zum Beispiel dem 12 Stundentag, wird der Druck auf alle Arbeiterinnen erhöht. Das macht es Unternehmerinnen großer Konzerne leichter die Arbeitskraft der Beschäftigten zu besonders schlechten Bedingungen auszubeuten.
Wenn Kurz davon spricht, dass Menschen die arbeiten gehen nicht „die Dummen“ sein sollen und daher durch Kürzungen der Versicherungs- und Sozialleistungen der Arbeitsanreiz erhöht werden soll, ignoriert er bewusst, dass das Problem nicht ohnehin schon geringe Unterstützungsleistungen eines schwachen Sozialstaates, sondern die viel zu niedrigen Löhne sind.
Daher müssen wir in Arbeitskämpfen für viel höhere Löhne eintreten, und diese Forderung mit einem Kampf gegen die Angriffe auf Arbeitslose verbinden. Arbeitslosigkeit kann uns im Kapitalismus alle treffen, daher müssen Arbeiterinnen und Arbeitslose gemeinsam und solidarisch für ihre Interessen eintreten und benennen wer wirklich zu Unrecht Geld erhält; nicht die Bezieherinnen von Versicherungs- und Sozialleistungen, sondern die Kapitalist*innen, die unsere Arbeitskraft ausbeuten um selbst Profit zu machen. Die geplante Abschaffung der Notstandhilfe und die Kürzungen bei der Mindestsicherung sind Angriffe gegen uns alle, im Rahmen eines verstärkten Klassenkampfs von oben, dem wir einen Klassenkampf von unten entgegensetzen müssen!