Vor etwas mehr als einem Jahr begannen die Spannungen zwischen Nordkorea und den USA immer mehr zuzunehmen. Nordkorea testete Interkontinentalraketen (Juli), die nordkoreanischen Streitkräfte schossen Raketen über Japan (August und September), es wurde eine angebliche Wasserstoffbombe gezündet (September) und schließlich mit der Hwasong-15 Interkontinentalrakete auch eine Rakete getestet, deren potenzielle Reichweite jede US-amerikanische Stadt beinhaltet. Damit einher gingen verbale Attacken von Seiten der USA, Trump drohte Nordkorea mit „fire and fury“ (Feuer und Wut) (August), nannte Nordkoreas Diktator Kim Jong Un „little rocketman“ (September) und schloss mehrmals ein militärisches Eingreifen von Seiten der USA gegen Nordkorea nicht aus. All das scheint spätestens mit dem Treffen von Trump und Kim vergeben und vergessen, ja sogar schon weit in die Vergangenheit gerückt. Doch wie kam es zu diesem schnellen Umschwung der gegenseitigen Gefühle? Handelt es sich bei Kim und Trump einfach nur um zwei unverbesserliche Verrückte?
Internationale Rahmenbedingungen
Bevor wir uns konkreten Fragen widmen wollen, ist es wesentlich die Auseinandersetzung rund um Nordkorea in einen internationalen Rahmen zu setzen. Denn den USA geht es vor allem um zweierlei. Einerseits ist es für den globalen militärischen Hegemon unmöglich zuzulassen, dass ein Staat vollkommen außerhalb seiner Einflusssphäre sich mittels spezieller Waffen (was weithin als Massenvernichtungswaffen verstanden wird) der absoluten Dominanz auf konventioneller militärischer Ebene widersetzt. Klar ist dabei, dass es nicht grundlegend um eine Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen geht, – deren haben nämlich auch die USA am meisten, noch dazu möchte Trump das eigene Atomwaffenarsenal weiter ausbauen und modernisieren – sondern darum, dass sie nicht die „falschen“ Staaten haben.
Der zweite wesentliche Punkt um den es bei dieser Auseinandersetzung geht ist der Konflikt zwischen China und den USA, der vor allem auf einer ökonomischen Ebene (Zölle und Gegenzölle) betrieben wird. Für die USA geht es dabei langfristig um alles. Das bedeutet vor allem die absolute Vormachtstellung im imperialistischen Weltgefüge. Zwar ist die USA auf nahezu allen Gebieten immer noch der klare Hegemon (auf militärischem Gebiet, auf dem Gebiet der internationalen Finanzinstitutionen, der größten und wichtigsten Unternehmen, etc.), doch vor allem China macht den USA diesen Platz immer mehr streitig und befindet sich klar auf dem aufsteigenden Ast. Mit wesentlich höheren Wachstumsraten und strategischen Vorgehen – dabei sei vor allem die „one belt one road“ (Neue Seidenstraße) genannt, die bis auf Teile Afrikas alle Kontinente außerhalb Amerikas erschließen soll, genannt – ist es China in den letzten 10 Jahren gelungen zum größten Konkurrenten der USA auf Weltebene aufzusteigen.
Annäherung der Koreas
Bevor sich Trump mit Kim in Singapur traf, gab es schon zwei direkte Treffen zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In und Kim Jong Un. Der liberale Moon war nach der Amtsenthebung seiner Vorgängerin Park Geun Hye zum Präsidenten gewählt worden – unter anderem mit dem Programm einer Annäherung an den nördlichen Nachbarn. Er kündigte sogar an, dass sein erster Staatsbesuch nach Nordkorea gehen würde. Mit dieser Politik lehnt er sich an die „Sonnenscheinpolitik“ seiner liberalen Vorgänger Ende der 90er Jahre bzw. Anfang der 2000er Jahre an. Auf außenpolitischer Ebene machte er klar, dass er eng mit den USA verbündet bleiben wolle, aber auch, dass er eine eigenständigere Außenpolitik, vor allem auf der koreanischen Halbinsel, anstrebe: „Nur wenn wir die Initiative über die Angelegenheiten der koreanischen Halbinsel übernehmen, werden wir der führende Akteur werden, der den Schlüssel für die Lösung der nordostasiatischen Situation in der Hand hält.“ Damit einher geht auch eine Annäherung an China und der Versuch sich mehr vom Einfluss der USA unabhängig zu machen. Diese Politik zeigte sich letzlich auch in den zwei bisherigen Treffen zwischen Kim und Moon.
Beim ersten Treffen der beiden Koreas wurde eine gemeinsame Deklaration verabschiedet, die neben Bekenntnissen zu einer nationalen Vereinigung, mehr diplomatischen Austausch und zu einer friedlicheren Gestaltung der Beziehungen auch einen nicht unwesentlichen Bezug auf die ökonomische Kooperation (in Form eines Bezugs auf eine ältere Deklaration aus dem Jahr 2007) beinhaltete. Von 2002 bis 2016 betrieben Nord- und Südkorea gemeinsam auf nordkoreanischem Territorium, am westlichsten Teil der gemeinsamen Grenze, eine Sonderwirtschaftszone in Kaesong. In dieser war es für Nordkorea möglich direkt an ausländisches Geld zu kommen (die Löhne der nordkoreanischen Arbeiter*innen wurden direkt an die nordkoreanische Regierung gezahlt) und andererseits war es für die südkoreanischen Konzerne möglich mit extrem niedrigen Löhnen zu operieren, die nirgendwo in der Region sonst möglich wären. 2016 wurde die Zone aber von Seiten Südkoreas nach einem nordkoreanischen Raketentest geschlossen, Moon kündigte hingegen an, dass er anstrebe Sonderwirtschaftszone wieder zu öffnen und sogar zu erweitern.
Trump der Dealmaker?
Nachdem die verbale Auseinandersetzung zwischen den USA und Nordkorea Ende 2017 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte und sogar einen wesentlichen Anteil daran hatte, dass Ex-Außenminister Rex Tillerson zurücktreten musste, überraschten die USA dann im Winter damit, dass es zu einem direkten Treffen mit Kim kommen könnte. Diese Annäherung kam auch nicht von ungefähr. Real einen Krieg gegen Nordkorea umzusetzen wäre technisch sehr schwierig und würde, ganz abgesehen von etwaigen Atomschlägen von Seiten Nordkoreas, alleine durch die nordkoreanische Artillerie hunderttausende Opfer auf südkoreanischer Seite fordern. Außerdem hatte auch China im April 2017 im eigenen internationalen Propagandablatt „Global Times“ angekündigt, dass man „verhindern würde“, dass die USA oder Südkorea das nordkoreanische Regime militärisch stürzen würden. Eine militärische „Lösung“ war also von Vornherein eher unwahrscheinlich, auch wenn sich in hitzigen Auseinandersetzungen oft Situationen ergeben können, die entgegen den Willen der Beteiligten eskalieren können.
Bis zu einem gewissen Grad waren die USA an mehreren Punkten durchaus vom eigenständigen Vorgehen Südkoreas gezwungen auch selbst nachzuziehen, aber auch davon abgesehen bieten sich für die USA ganz aus eigener Perspektive große Chancen. Auf der einen Seite ist es für die Trump-Regierung so möglich von diversen innenpolitischen Problemen abzulenken. Aber vor allem kann ein überlegtes und strategisch gutes Vorgehen potenziell auch gegenüber der Position China erhebliche Vorteile bringen. China ist spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit Abstand der größte Handelspartner Nordkoreas, fast 90% des Handels finden mit China statt. Doch dieses einseitige Verhältnis ist auch Nordkorea bewusst und es wird versucht von Seiten der Führung dem bewusst entgegen zu wirken. Mit der Ausschaltung Kim Jong Uns eigenen Onkels 2014, der als China-nahe galt, ist in diese Richtung auch einiges signalisiert worden. Auch die Zustimmung Chinas im September 2017 zu UN-Sanktionen gegen Nordkorea war ein deutliches Zeichen für das in letzter Zeit mehr als angespannte Verhältnis. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA ist hierbei für den US-Imperialismus mehr als wünschenswert, vor allem auch da für die nordkoreanische herrschende Bürokratie die bürokratische Einführung des Kapitalismus nach vietnamesischen oder chinesischen Vorbild, wohl durchaus eine realistische Option ist.
Der Gipfel im Juni zwischen Trump und Kim war dann durchaus ein historisches Ereignis, auch wenn nichts konkretes festgehalten wurde. Die Übereinkunft beschränkte sich auf eine kurze Deklaration mit vier Punkten, der wesentliche davon – die Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel – blieb vollkommen unkonkret. Man kann durchaus sagen, dass die nordkoreanische Führung durchaus geschickt manövriert hatte um sich auf Augenhöhe mit dem Präsidenten der USA zu treffen. Als Zugeständnis bekam man sogar die Aussetzung der gemeinsamen militärischen Übungen der USA mit Südkorea, die in der Vergangenheit wenig mehr als Drohgebärden Richtung Nordkorea waren.
Einigung in Sicht?
Nordkorea wird versuchen neben den Beziehungen zu den USA auch die Beziehungen zu seinen Nachbarn – in erster Linie Südkorea, aber in weiterer Folge auch Russland und eventuell Japan – zu verbessern um sich gegenüber zu einseitiger Bevormundung aus China zu verschließen. Der aktuell immer mehr eskalierende Handelskrieg zwischen den USA und China bietet dabei optimale Voraussetzungen für ein Lavieren zwischen den Seiten. Es ist zu erwarten, dass Südkorea versuchen wird wieder die Sonderwirtschaftszone in Kaesong zu öffnen und eventuell auch in weiteren Sonderwirtschaftszonen billige nordkoreanische Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt zu bekommen. Gleichzeitig wird Nordkorea nicht so einfach seine Atomwaffen aufgeben wollen, wenn es nicht Gefahr laufen will sein diplomatisch größtes Druckmittel aus der Hand zu geben. Nur mit riesigen Zugeständnissen wird dieses Ergebnis – wenn überhaupt – erreicht werden können.
Die Trump-Regierung steht innenpolitisch hingegen immer mehr unter Zugzwang, gibt es doch von Seiten der Geheimdienste ernsthafte Bedenken wie ernst eine diplomatische Übereinkunft mit Nordkorea überhaupt sein kann. Vor allem die CIA hatte im Vorfeld des Gipfels in Singapur öffentlich bekannt gegeben, dass sie nicht daran glauben, dass Nordkorea seine Atomwaffen aufgeben wird. Auch nach dem Gipfel gab es immer wieder Veröffentlichungen von „Hinweisen“ darauf, dass Nordkorea es nicht ernst meine mit der Abrüstung.
Auch nach dem Besuch und den Verhandlungen von Außenminister Pompeo in Nordkorea Anfang Juli ist die Situation nicht einwandfrei geklärt. Die nordkoreanische Führung bezeichnete die einseitigen Forderungen der USA an Nordkorea sogar als „gangstermäßig“. Allgemein dürften unterschiedliche Vorstellungen dazu bestehen ob die Abrüstung Nordkoreas einseitig vollzogen und die Sanktionen im Anschluss aufgehoben werden sollen, was die Position der USA ist, oder ob es gemeinsame Abrüstung (immerhin haben die USA 28.500 Soldat*innen in Südkorea stationiert) mit einer parallelen Aufhebung der wirtschaftlichen Einschränkungen geben soll. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass sich die nordkoreanische Führung auf eine einseitige Abrüstung ohne weitgehende Zugeständnisse einlässt, was die gesamte diplomatische Initiative der USA als schwer durchführbar erscheinen lässt.
Auf jeden Fall wäre eine Durchsetzung der US-amerikanischen Interessen und ein auf Linie bringen der nordkoreanischen Diktatur ein klarer Rückschritt für die Interessen des Proletariats, nicht nur in der Region, sondern auf der gesamten Welt. Auf der einen Seite ist jeder Erfolg für die Trump-Regierung eine Bestätigung ihres aggressiven imperialistischen Kurses. Auf der anderen Seite wäre ein abgerüstetes Nordkorea auch in keinster Weise ein Garant für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel, sondern würde den Konflikt zwischen den USA und seinen Verbündeten auf der einen Seite und China auf der anderen Seite stark intensivieren. Vielmehr muss es das Ziel für die Arbeiter*innenklassen auf beiden Seiten der entmilitarisierten Zone sein die Herrschenden auf ihrer Seite zu stürzen und den Imperialismus – egal ob US-amerikanisch, chinesisch, japanisch oder russisch – aus der Region zu vertreiben.