Reform der Sozialversicherung: Kein Kampf der Zwei-Klassen-Medizin

Dass das österreichische Sozialsystem nicht fair ist, ist ein offenes Geheimnis. Nicht nur weil Menschen mit genug Geld sich private Zusatzversicherungen und -leistungen erkaufen können, sondern durchaus auch aufgrund unterschiedlicher Leistungen der verschiedenen Versicherungsträger.

Pläne der Regierung

Protest im Rahmen einer Betriebsversammlung beim Lorenz-Böhler Unfallkrankenhaus

Diesem Thema widmet sich jetzt die Regierung und behauptet dabei, dass es ihr vor allem um eine Angleichung der Leistungen ginge. Auch eingespart soll werden, insgesamt eine Milliarde Euro bis 2023, aber angeblich nicht bei den Leistungen, sondern vor allem bei der Verwaltung. Auf den ersten Blick klingt das alles also eigentlich nicht so schlimm.

Die derzeit 21 Sozialversicherungsträger sollen auf vier bis fünf zusammengelegt werden – je nachdem ob die AUVA die von der Regierung vorgegebenen 500 Millionen Euro einspart. Auch strukturell soll sich einiges ändern, die „Österreichische Gesundheitskassa“, in der die neun Gebietskrankenkassen und bei Interesse auch die fünf Betriebskassen zusammengefasst werden sollen, soll weitgehende Befugnisse bei Beitragseinhebungen und Verhandlungen eines bundesweiten Gesamtvertrages mit den Ärzt*innen erhalten. Doch dieser Zentralisierung entgegen steht, dass die Landesstellen nach wie vor gewisse autonome Befugnisse haben sollen, zum Beispiel Zu- und Abschläge zum Gesamtvertrag zu verhandeln.

Auch die Machtverhältnisse sollen sich mit dieser Reform grundlegend ändern. Derzeit hat in zwei Gremien der Sozialversicherungen die Arbeiterkammer die Mehrheit, in nur einem die Wirtschaftskammer. Im neuen Modell sollen beide gleich stark vertreten sein. Das ist nicht nur unlogisch, da die Beiträge hauptsächlich von den Arbeiter*innen bezahlt werden, sondern ist auch eine klare Machtverschiebung in Richtung der schwarz-blauen Regierung bzw. der Unternehmer*innen.

Reaktionen

Der Beginn der Proteste kam mit der Ankündigung von Kürzungen bei der AUVA noch vor der eigentlichen Reform. Gegen die damit angedrohte Zerschlagung der Unfallsversicherung gab es zahlreiche Aktionen in verschiedenen Bundesländern.

Einige Gebietskrankenkassen protestierten bereits mit Betriebsversammlungen, andere haben diese bereits angekündigt. Entgegen der Wünsche des Vorsitzenden des Hauptverbandes, Alexander Biach, treten auch viele Betriebsversammlungen und -rät*innen für Streik ein, sollte diese Reform umgesetzt werden. Sebastian Kurz zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt. Für einige der Kassen mag ein zentraler Grund für den Protest der Machtverlust sein, dennoch sind ihre Argumente der Verschlechterung für die Versicherten klar richtig und ihr Protest ist gerechtfertigt.

Auch in den Gewerkschaften gibt es Protest, kleinere Aktionen werden bereits organisiert und auch hier ist Streik ein Thema. Hierbei interessant ist, dass auch ÖVP-dominierte Gewerkschaften, wie zum Beispiel die GÖD, öffentlich Kritik an der Reform äußern. Dieser Konflikt wird auch als Kampf von schwarz gegen türkis bezeichnet und zeigt auf, dass Sebastian Kurz‘ autoritärer Parteiführungsanspruch langfristig nicht unerschüttert bleiben kann.

Kritik

Einheitliche Gesundheitsleistungen sind ohne Frage sinnvoll, doch die aktuelle Reform hat leider mit diesem Ziel wenig zu tun. Es soll nicht nur eine Kassa geben, sondern nach wie vor mehrere, wobei insbesondere die Sonderstellungen von Selbstständigen und Beamten aufrecht erhalten werden. Auch die Krankenfürsorgeanstalten (KFA) werden durch die Reform nicht hinterfragt, da diese formell keine Sozialversicherungsträger sind – nichts desto trotz bieten sie in den allermeisten Bereichen mit Abstand die meisten und besten Gesundheitsleistungen.

Gleichzeitig gibt es ein erklärtes Einsparungsziel, jedoch keine konkreten Ansätze wie sich die Zusammenlegung der Kassen auf deren Leistungen auswirken soll. Auch wenn Sozialministerin Hartinger-Klein behauptet es werde mehr Leistungen geben und nicht weniger, scheint das wenig vertrauenerweckend. Nicht nur weil sich diese Regierung regelmäßig selbst widerspricht, sondern auch weil es rein rechnerisch schwer vorstellbar ist, dass eingespart wird und trotzdem mehr Leistungen finanziert werden. Deutlich realistischer scheint es, dass die sogenannte Leistungsharmonisierung in den meisten Fällen eine Anpassung an die niedrigeren Leistungen sein wird.

Klassen-Medizin

Wenn die Regierung also von der Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin spricht, sind das nichts mehr als leere Worte. Um die Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen, muss die Klassengesellschaft als solche abgeschafft werden. Natürlich ist auch im Rahmen des Kapitalismus der Kampf für kostenlose Gesundheitsleistungen für alle ein zentraler, der auch beinhaltet sich allen Verschlechterungen entgegenzustellen. So sind auch die Streikankündigungen der Gewerkschaften gut zu heißen, dürfen aber keine leeren Drohungen bleiben. Dennoch wird in einer kapitalistischen Gesellschaft auch Gesundheit immer kapitalistischen Interessen unterworfen sein – und damit ist der Kampf für ein faires Gesundheitssystem immer auch der Kampf gegen dieses unfaire Gesellschaftssystem.