Griechenland: Die Arbeiter*innenklasse wehrt sich immer noch

Seit 2010 ist Griechenland in einer Krise. 2012 war der Höhepunkt des Klassenkampfes und 2015 kam Syriza in die Regierung. Die Daten bestätigen den Trend zur Verstärkung der absoluten Verelendung der Arbeiter*innenklasse. Mit dem Sparpakt vom 15.1.2018 wird sie noch einmal geschröpft. Im Dezember 2017 gab es einen Generalstreik gegen das neue Reform- und Sparpaket. Dem Klassenkampf von oben wird verstärkt Klassenkampf von unten entgegengesetzt.

Wirtschaft

Das Wirtschaftswachstum betrug 2017 1,6 Prozent und dürfte in diesem Jahr auf 2,5 Prozent anziehen. Die Schuldenlast Griechenlands wird aber nur langsam sinken. Zuletzt bewegte sie sich bei fast 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Tsipras spricht von einer Erholung, aber die gibt es nur für die Reichen.
Auch ein Rückgang der Arbeitslosigkeit wird erwartet. Im dritten Quartal 2017 ist die Arbeitslosenquote leicht (um 0,1 %) gesunken, Ende 2017 sind es 20,2 Prozent und bis Ende 2018 soll sie auf 19 Prozent fallen. Aber bei 55 Prozent der neuen Arbeitsplätze handelt es sich um Teilzeitstellen bzw. unregelmäßige Jobs.
Das Leben des Großteils der Bevölkerung – der Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Kleinbauernschaft, Kleinbürger und -bürgerinnen und der Jugend – ist elendig. Die Lage der Flüchtlinge eine Katastrophe.

Kämpfe …

Im vergangen Jahr gab es einige Streiks, vor allem in den staatlichen Betrieben die privatisiert werden sollen und von denen sich die EU-Kapitalist*innen viel Profit versprechen: Wasser, Strom, Bahn, U-Bahn usw.

… gegen Zwangsversteigerungen

Wegen der Krise konnten immer mehr Leute die Rechnungen für Strom, Wasser, Miete und die Steuer nicht bezahlen. Ihre Wohnungen oder Häuser wurden zwangsversteigert. Im Februar 2017 gab es jeden Werktag 1.000 Zwangsversteigerungen. Eine immer größere Bewegung versuchte dies zu verhindern. Die Anwält*innen der Banken konnten im Gericht überhaupt nicht mehr arbeiten. Sie mussten sich gegen eine Menge von Kämpfer*innen durchwursteln und wenn sie wirklich im Saal saßen konnte das Gericht aufgrund der Störaktionen nicht tagen. Seit Dezember 2017 versucht die Regierung mittels der Polizei, die Widerständigen von den Gerichten wegzuprügeln. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Bewegung war aber so erfolgreich, dass die Anwält*innen in den Streik traten und die Zwangsversteigerungen ausgesetzt wurden.

Da die Banken viele faule Kredite haben und diese aufgrund des Diktates der EU und der Syriza-Regierung abgebaut werden müssen, sollen jetzt verstärkt Wohnungen und Häuser zwangsversteigert werden. Jetzt sind auch die Bewohner*innen eines Erstwohnsitzes – die bisher vor Zwangsversteigerungen geschützt waren – davon betroffen. Sie werden nun auf die Straße gesetzt.

Um die Zwangsversteigerungen zu intensiveren und den Widerstand dagegen zu umgehen, hat es die Regierung durch die Verabschiedung der neuen Gesetze ermöglicht, dass sie nicht mehr am Gericht, sondern online verhandelt werden.

… gegen das Sparpaket

Das griechische Parlament verabschiedete am 15.1.2017 ein viertes Reform- und Sparpaket als Voraussetzung für die Freigabe des europäischen Notkredites in der Höhe von bis zu 6,7 Mrd. Euro. Mit einem Gesetzesbündel, das mehr als 400 Artikel auf 1.531 Papierseiten umfasst, wurden weitere Forderungen der internationalen Geldgeber*innen und auch der griechischen Kapitalist*innen erfüllt.

Die Gewerkschaften störte vor allem die Änderung des Streikrechtes. Die Ausrufung einer Arbeitsniederlegung ist nun von der absoluten Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder abhängig. Das gilt für die „primären“ Gewerkschaften (auf lokaler Ebene oder in bestimmten Berufszweigen). Während die großen Gewerkschaftsverbände sehr bürokratisch und vom Staat gegängelt sind, sind einige der kleineren, „primären“ Verbände wesentlich stärker dem Druck ihrer Basis ausgesetzt. Damit ein von „primären“ Gewerkschaften ausgerufener Streik rechtsgültig ist, muss er fortan von den Generalversammlungen mit einer absoluten Mehrheit von mindestens 50 Prozent aller eingetragenen Mitglieder mitgetragen werden. Wenn bei der Versammlung nur knapp 50 Prozent der Mitglieder anwesend wären, aber 100 Prozent für einen Streik stimmen, wäre das nicht “rechtsgültig“. Bis jetzt waren nur 20 Prozent notwendig, in manchen Fällen genügte auch der Beschluss des Vorstandes.

Im Sparpaket sind unter anderem vorgesehen: weitere Privatisierungen, Kürzungen der Zulagen für kinderreiche Familien, eine Neueinstufung der gesundheitsschädigenden Berufe bei der öffentlichen Hand. Endgültig frei wird der Weg nun auch für Zwangsversteigerungen von Immobilienbesitz ausschließlich via Internet. Davon betroffen sind nicht nur überschuldete Kreditnehmer*innen, sondern auch Schuldner*innen gegenüber den Sozialkassen und dem Fiskus. Sie müssen künftig damit rechnen, dass ihre Immobilie zwangsversteigert wird.
Zudem sind einschneidende Veränderungen bei 14 Staatsbetrieben (DEKOs) vorgesehen. Darunter befinden sich der Stromproduzent (DEI), die Post (ELTA), die Wasserwerke (EYDAP) und sämtliche Nahverkehrsbetriebe. Radiostationen von Städten und Gemeinden laufen Sturm gegen ein neues Lizenzierungsverfahren, weil sie befürchten, unter dem neuen Regelwerk ihre Genehmigungen zu verlieren.

Widerstand

Gegen die Ankündigung des 4. Reform- und Sparpaketes riefen am 14.12.2017 die beiden größten Gewerkschaften des Landes, ADEDY (Öffentlicher Dienst) und GSEE (Privatwirtschaft), landesweit zu einem 24-stündigen Streik auf. Auch die KKE-Gewerkschaftsfront PAME beteiligte sich daran..

Es ist offiziell der 45. Generalstreik seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Frühling 2010. In Athen, Thessaloniki und anderen großen Städten des Landes kam es zu Großkundgebungen. Am Streik beteiligten sich u. a. die Angestellten der staatlichen Eisenbahngesellschaft OSE, der Athener Vorortbahn und des öffentlichen Nahverkehrs, U-Bahn (Attiko Metro) und der Straßenbahn (Tram) und Elektrobahn (Ilektrikos). Die Stadtbusse von Thessaloniki waren mit Notfallpersonal unterwegs.

Ebenfalls streikten die Gewerkschaft der Seeleute PNO, Lehrer*innen an öffentlichen sowie an privaten Schulen, Krankenhauspersonal und Ärzt*innen, Journalist*innen, Angestellte staatlicher Unternehmen, wie etwa bei der Elektrizitätsgesellschaft DEI, bei den Wasser- und Abwasserunternehmen Athens EYDAP, der griechischen Post ELTA, sowie der Telekommunikationsgesellschaft OTE und Beamt*innen der Ministerien und Kommunalverwaltung. Einige Flüge der Olympic Air mussten aufgrund des Streiks gestrichen werden. Bäuerinnen und Bauern wurden von ihren Vertretungen dazu aufgerufen, sich an den Demonstrationen in ihrer jeweiligen Gemeinde zu beteiligen.

Aus Protest gegen geplante Änderungen des Streikrechts haben hunderte „kommunistische“ Gewerkschafter*innen das griechische Arbeitsministerium gestürmt. Diese Mitglieder der Gewerkschaftsfront PAME skandierten dabei “Hände weg von unserem Streikrecht”. Die Eindringlinge konnten bis zum Dach des Gebäudes steigen und Transparente aufhängen.

Der Widerstand gegen das Gesetzespaket erreichte dann am Tag der Abstimmung im Parlament seinen Höhepunkt. In Athen drehte sich so gut wie kein Rad mehr. Die Straßen waren völlig verstopft. Trotz Verkehrschaos reagierte ein Großteil der Bevölkerung gelassen, weil sie den Protesten gegenüber positiv eingestellt waren.

Während in der Volksvertretung beraten wurde, kam es vor dem Parlament auch zu Ausschreitungen. Vermummte attackierten die dort stationierten Einheiten der Bereitschaftspolizei mit Molotow- Cocktails, Steinen und anderen Objekten und versuchten zum Parlamentsgebäude vorzudringen. Die Polizist*innen setzten Tränengas ein.

Linke

Die von der KKE geführte Gewerkschaftsfront PAME war – wie auch in den letzten Jahren immer schon – äußerst sektiererisch. Sie organisierte eigene Demonstrationen und Streiks. Nun hat sie einige Male gemeinsam mit den anderen Gewerkschafter*innen gekämpft, so am 14. Dezember beim Generalstreik und am 15. Dezember bei der Demonstration vor dem Parlament gegen das Sparpaket.

Außerdem hörten wir, dass die linken Organisationen KKE, LAE (Volkseinheit – Abspaltung von Syriza nach der Volksabstimmung gegen das Spardiktat der EU und des IWF) und Antarsya (Bündnis „revolutionärer“ linker Organisationen ) zu Gesprächen über Zusammenarbeit bereit sind, wovon aber nichts in der Öffentlichkeit bekannt ist.

Stimmung

Laut Umfrage vom 14. Dezember stellt sich die politische Lage folgendermaßen dar:

Wahl 9.10.2009 Wahl 25.1.2015 Umfragewerte 14.12.2017
ND 33,5 % 27,8% 30,7
PASOK* 43,9 4,4 10,1 *)
Syriza 4,6 36,3 21,3

*)“PASOK“: In der neuen Mitte-Links-Koalition „Bewegung der Veränderung“ wurde Fofi Gennimata zur Vorsitzenden gewählt. Sie ist gleichzeitig Vorsitzende der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK). Inzwischen werden kritische Stimmen immer lauter, dass die neue Partei, die im Frühjahr gegründet werden soll, als „Erneuerung der PASOK“ bezeichnet werden kann.

Die faschistische Chryssi Avgi (6,8 %) wurde klar auf Platz vier verdrängt; dahinter die kommunistische KKE mit 6,5 %, die Zentrumsunion (2,8 %) und der rechtspopulistische Regierungspartner ANEL (2,2 %).

Die rückläufige Zustimmung für Syriza spiegelt die Desillusionierung des Großteiles ihrer Wähler*innen wieder.
Die Widerstandsbewegung hat seit 2012 an Dynamik verloren. Syriza hat damals die Bewegung ausschließlich auf die Wahlen ausgerichtet und konkrete Aktionen und Widerstandsformen nicht wirklich unterstützt. Die Enttäuschung über die Politik der Syriza-Regierung hat der Bewegung abermals einen Dämpfer versetzt. 7 Jahre Kämpfe gegen die Angriffe haben kaum bleibende Erfolge gebracht.

Trotzdem bestehen noch etliche selbstorganisierte Initiativen, die Widerstand organisieren und für ein solidarisches, nicht vom Profit geleitetes System eintreten.

Die Euphorie der Linken in Europa, dass die griechische Bevölkerung den Kapitalismus in die Schranken weist, hat sich als Illusion herausgestellt. Für die europäische Arbeiter*innenbewegung ist es notwendig, gemeinsam mit griechischen Arbeiter *innen die Lehren aus dieser Niederlage zu ziehen, zu der auch die mangelnde internationale Unterstützung beigetragen hat. Wesentlich dabei ist der Bruch mit den reformistischen Illusionen von Syriza, die Schuldenrückzahlungen sozial gerecht neu verhandeln zu können und statt dessen ein offen klassenkämpferischer und internationalistischer Standpunkt in der europäischen Arbeiter*innenbewegung.