Frankreich: Macrons Durchmarsch

Wie erwartet gewann Emmanuel Macrons Partei La République en Marche (deutsch: Die Republik in Bewegung) die absolute Mehrheit in der zweiten Runde der Wahl zur französischen Nationalversammlung am 18. Juni. Mit 308 von 577 Sitzen schlug sie die traditionelle Partei der gaullistischen Rechten, die Republikanische Partei, die 113 Sitze erringen konnte, um Längen. Die Mouvement démocrate (MoDem; deutsch: demokratische Bewegung), Partei des offen bürgerlichen Zentrums und Koalitionspartnerin Macrons, gewann 42 Sitze, obwohl bereits drei der von ihr gestellten Minister auf Grund von Verstößen gegen das Wahlgesetz zurücktreten mussten – wahrlich kein guter Anfang!

Ein weiterer Aspekt des Ergebnisses, der den Triumph Macrons trübt, ist, dass fast 58 % der Bevölkerung sich entweder der Stimme enthalten oder ungültig gewählt haben, ein klares Zeichen für ihre Unzufriedenheit – auch mit der „neuen“ Politik Macrons.

Ebenfalls wie prognostiziert erlitten die reformistischen linken Parteien eine schwere Niederlage. Die Parti Socialiste (PS) erhielt lediglich 5,7 % der Stimmen und somit nur 29 Sitze, was einen enormen Verlust von 286 Sitzen bedeutet. Die Parti Communiste Français (PCF) konnte trotz Stimmenverlusten Sitze hinzugewinnen und stellt nun 10 Vertreter*innen in der Nationalversammlung. Den einzigen, wenn auch kleinen, linken Erfolg konnte die stark auf die Person Jean-Luc Mélenchons ausgerichtete populistische La France Insoumise (FI; deutsch: Unbeugsames Frankreich) mit knapp 5 % der Stimmen und 17 Sitzen erringen.

Marine Le Pens Front National (FN) schaffte es zwar mit 8 Sitzen in die Nationalversammlung, ist jedoch durch das französische Wahlsystem sowie einen Block aller anderen Parteien gegen die FN stark unterrepräsentiert. Die Rechtspopulist*innen konnten ihre Stimmenanzahl trotzdem vervierfachen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Macron bei der Verwirklichung seiner Reformpläne zumindest im Hinblick auf das Parlament mit wenig oppositionellem Gegenwind zu rechnen hat.

Tiefgreifende Umgestaltung

In nur wenigen Monaten ist die französische Politiklandschaft tiefgreifend umgestaltet worden. Macron, mit 39 Jahren das jüngste französische Staatsoberhaupt seit Napoleon Bonaparte, teilt mit seinem Vorgänger nicht nur dessen Jugend, sondern auch die Gier nach persönlicher Kontrolle über die Staatsmaschinerie und eine Vorliebe dafür, scheinbar über den Klassen zu stehen. Macron hat dies sogar theoretisiert, indem er die französische Sehnsucht nach einem „Monarchen“ lobt und behauptet, dass seine Präsidentschaft „jupiterähnlich“ sein wird.

Das alles ist natürlich ideologische Mythenbildung. Macron, der vorgibt, ein „neuer Mann“ zu sein, ist in Wirklichkeit ein Produkt des französischen Elite-Bildungssystems, ein ehemaliger Investmentbanker und Wirtschaftsminister in der Regierung der sozialistischen Partei.

Eine seiner ersten Entscheidungen betrifft die Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere drei Monate, zum mittlerweile sechsten Mal. Um diese Routine zu umgehen, schlägt er vor, die meisten der Maßnahmen in die reguläre Gesetzgebung zu integrieren: ein permanenter Ausnahmezustand!

In wenigen Wochen wird Macron anfangen, die gleichen, alten neoliberalen Rezepte anzuwenden, die er vor zwei Jahren vorschlug, als er unter Präsident François Hollande diente. In der Tat wird seine erste Aufgabe darin bestehen, „die Arbeit“ von den Regulierungen zu „befreien“, d. h. die Arbeit„geber“*innen zu befreien, um die Ausbeutung ihrer Belegschaft zu erhöhen, indem sie landesweite Tarifverträge abschaffen und die Möglichkeit von Arbeitsgerichtsklagen seitens der Arbeiter*innen aushebeln.

Die Militanz der französischen Arbeiter*innen zu zähmen und sie ihres Rechtsschutzes zu berauben, ist die Hauptaufgabe, die die Bourgeoisie, sowohl international als auch national, Macron übertragen hat. Sein kometenhafter Aufstieg ist nicht einfach ein Produkt seiner eigenen Talente, wie von den Medien fälschlich verbreitet wird. Wer mag ernsthaft glauben, dass ein einzelner Mann eine neue politische Bewegung aus dem Nichts gründen und ein Jahr später Präsident werden kann? Das ist nicht einmal für eine/n drittklassige/n DrehbuchautorIn ein glaubwürdiger Stoff.

Der blitzartige Erfolg Macrons wäre ohne zwei entscheidende Faktoren nicht möglich gewesen: Erstens die enthusiastische Unterstützung des Großkapitals und dessen enorme wirtschaftliche und soziale Ressourcen, durch die seine Bewegung finanziert und von den wichtigsten Medien hochgejubelt wurde. Für den Großteil des Jahres war er auf den Titelseiten der Zeitschriften, die alle völlig von Macron berauscht waren. Der zweite wesentliche Faktor aber war und ist das große Chaos und die politische Verwirrung innerhalb der Arbeiter*innenbewegung.

Obwohl die Arbeiter*innenklasse sich nicht mit Macron identifizierte, stimmten viele für ihn als das „kleinere Übel“ gegenüber Marine Le Pen. Viele weigerten sich komplett, zwischen neoliberaler Austeritätspolitik und rassistischer Reaktion zu wählen.

Darüber hinaus sorgt das französische Wahlsystem mit seinem Prinzip der „einfachen Mehrheit“ dafür, dass aus jedem Wahlkreis nur ein Abgeordneter ein Mandat erhält. Es gibt keine proportionale Repräsentation, wie es in Italien oder Deutschland der Fall ist. Müde von fast einjährigem Wahlkampf, angewidert von den traditionellen Parteien mit ihren Lügen und ihrer Korruption blieben viele Wähler*innen, darunter eine Mehrheit der jungen, einfach zu Hause.

Macron spaltet die Linke und die Rechte

In den wenigen Wochen vor den Parlamentswahlen gelang es Macron, Risse sowohl in der Republikanischen als auch der Sozialistischen Partei zu verschlimmern. Zuerst setzte er den Republikaner Édouard Philippe als Premierminister ein, einen Rechtsaußen und zuverlässigen Angreifer auf die Arbeiter*innen. Die Republikanische Partei ist tief gespalten in diejenigen, die mit Macron zusammenarbeiten und Amtspfründe genießen wollen und diejenigen, die die Rolle als größte Opposition gegen Macron im Parlament vorziehen.

In ganzen Regionen, die seit mehr als einem Jahrhundert zu den Hochburgen der Arbeiter*innenparteien gehört hatten wie der Norden und Südwesten, konnten sich keine Kandidat*innen der PS bis in die zweite Wahlrunde hinein durchsetzen.

Für die PS geht es dabei weniger darum, dass sie Stimmen im Parlament einbüßt, vielmehr bringt das schlechte Abschneiden eine tiefe finanzielle Krise mit sich, da die staatliche Parteienfinanzierung von der Anzahl der Abgeordneten und Stimmen abhängt. Die historische Parteizentrale in der Rue de Solferino muss wohl verkauft werden. Sogar die wenigen verbliebenen Abgeordneten lassen sich einteilen in die, die darauf brennen, mit Macron zusammenzuarbeiten wie z. B. der ehemalige Premier Manuel Valls, und diejenigen, die der Opposition beitreten wollen, wie der gedemütigte Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon. Viele Arbeiter*innen werden wenig Tränen für die PS vergießen, da ihr Debakel eindeutig das Ergebnis jahrzehntelangen Verrats ist.

Ein Bonaparte der Linken

Mit 11 % der Stimmen in der ersten und fast 5 % in der zweiten Runde ist das „Enfant terrible“ der französischen Linken, Jean-Luc Mélenchon, in die Rolle eines Anwärters auf die Führungsrolle in einer neuen Linken geschlüpft. In gewisser Weise ist ihm ein ähnliches Kunststück gelungen wie Macron, wenngleich in viel kleinerem Maßstab. Ohne Partei und mit einer sehr kleinen Basis von Aktivist*innen ging Mélenchon als führender Kandidat der Linken aus der Wahl hervor, vor PS und PCF.

Allerdings wurde Mélenchons kleiner Triumph teuer – und letztlich auf Kosten der Arbeiter*innenbewegung – erzielt: Das Gesamtergebnis der Linken liegt unter 25 %, was erbärmlichen 27 Sitzen entspricht. Da Mélenchon jede Zusammenarbeit mit einer der anderen reformistischen Arbeiter*innenparteien abgelehnt hat, obwohl seine Bewegung nahezu über das gleiche Programm wie die PCF verfügt, ist die Linke hoffnungslos gespalten, ausgerechnet zu einer Zeit, in der sich die Arbeiter*innenbewegung gegen Macron vereinen muss.

Das viel ernstere Problem ist aber, dass Mélenchon durch seine eigene neue Marke des Linkspopulismus „gewonnen” hat, indem er nicht nur auf die rote Fahne oder jede Erwähnung der Begriffe Kommunismus und Sozialismus verzichtet, sondern diese durch einen „neuen sozialen Humanismus“ zu ersetzen versucht. Mélenchons LFI verleugnet selbst die grundlegendsten Elemente linker Politik wie Klassenidentifikation und Internationalismus. Das „Unbeugsame Frankreich“ trägt die Trikolore zur Schau und seine Kampagne basiert auf nationalistischen Lösungen wie z. B. Schutzzöllen statt Klassenkampf.

In den kommenden Wochen wird die französische Arbeiter*innenklasse mit der Notwendigkeit des Klassenkampfes konfrontiert werden. Macron, bewaffnet mit seinem Erdrutschsieg, hat versprochen, dass er das Werk der PS vollenden wird, welches vor über einem Jahr begonnen wurde: die Zerstörung des „Code du Travail“, des Arbeitsrechts. Ziel ist es, die Arbeitszeit, die Löhne, Verträge und den Kündigungsschutz derart zu deregulieren, dass die Arbeit„geber“*innen durch lokale Vereinbarungen ihre Bedingungen durchsetzen können und gleichzeitig vor Klagen durch Arbeiter*innen geschützt sind. Trotz seiner komfortablen parlamentarischen Mehrheit hat Macron bereits angekündigt, dass er präsidiale „Verfügungen“ zum Regieren nutzen will, die nicht vom Parlament gebilligt werden müssen, vergleichbar mit Trumps Vorgehen in den USA.

Leider verweist nichts in Mélenchons Propaganda auf die Notwendigkeit eines Kampfes gegen diese Angriffe. Mélenchon ruft lediglich dazu auf, für seine LFI zu stimmen, obwohl er nur zu gut weiß, dass seine Handvoll Abgeordneten praktisch nutzlos sein werden, um Macron zu blockieren.

Widerstand

Wie schon so oft in der Vergangenheit muss der Widerstand von außerhalb des Parlaments und ebenso außerhalb der Reihen der reformistischen Parteien kommen. Noch für Juni riefen zwei Demonstrationen zu Protesten gegen Macrons Angriffe auf soziale Errungenschaften auf: eine Demonstration des CGT (allgemeiner Gewerkschaftsbund) am 27. Juni sowie eine weitere, die vom Front Social (FS) organisiert wird, einem radikalen linken Bündnis aus kleineren Gewerkschaften wie SUD und CNT.

Bereits am 16. Juni, also noch vor der Wahl, hielt der FS eine Generalversammlung mit 400 Vertreter*innen von 30 Organisationen ab, darunter auch Mitglieder der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA). Der FS stellt sich nicht gegen die großen Gewerkschaftsverbände und will im Gegenteil ihre Mobilisierungen unterstützen.

Es ist klar, dass Massenwiderstand gegen Macron auf den Straßen und in den Betrieben die einzige Möglichkeit ist, seine bösartigen Angriffe zu stoppen. Sein Handeln zeigt, wie taktisch töricht und prinzipienlos diejenigen Linken sich verhielten, die zur Wahl Macrons aufgerufen haben, um das „größere Übel“ Le Pen zu verhindern. Doch ein Macron, mit einer vereinigten europäischen Bourgeoisie und einer komfortablen parlamentarischen Mehrheit im Rücken, ist eine ebenso große Gefahr wie Le Pen. Ihr Sieg, was auch immer ihre bösen Absichten sind, hätte die Bourgeoisie gespalten, Frankreich in der EU isoliert und nicht nur die ganze Arbeiter*innenklasse, sondern auch große Teile des Mittelstandes zum Widerstand ermuntert. Kein/e bürgerliche/r KandidatIn, weder Neoliberaler noch rassistische Populistin, verdienen auch nur eine Stimme der französischen Arbeiter*innenklasse.

Der Zusammenbruch der PS und PCF und der bewusste Verzicht auf eine Klassenperspektive durch Mélenchon zeigen, wie wichtig die Aufgabe ist, eine neue Arbeiter*innenpartei aufzubauen, die sich auf ein revolutionäres und antikapitalistisches Programm stützt. Trotz vergangener Misserfolge liegt es nun bei der NPA, dieses Ziel innerhalb der mobilisierten Massen zu verfolgen, um Macron zu besiegen.