Das Amt des französischen Staatspräsidenten hat wenig gemein mit dem des deutschen Bundespräsidenten. In Frankreich bestimmt der Staatspräsident die politischen Richtlinien und wird von der Bevölkerung für 5 Amtsjahre direkt auf einem Programm als Vertreter einer parteipolitischen Richtung gewählt. Deshalb ist der Wahlausgang von weitreichender Bedeutung.
Für den Urnengang 2017 schicken 11 Parteien ihre Bewerber*innen ins Rennen. Davon haben höchstens 3 eine reelle Chance, die Präsidentschaft zu übernehmen. Das Prozedere sieht jedoch eine absolute Stimmenmehrheit vor, wofür in der Regel eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidat*innen des ersten Wahlgangs in Anspruch genommen wird.
Die aussichtsreichen Kandidat*innen
François Fillon verkörpert als Vertreter der Republikanischen Partei die „respektable“ bürgerlich etablierte Rechte. Er bootete seine Kontrahenten im konservativen Lager, Hollandes Vorgänger im Élysée-Palast Nicolas Sarkozy, unter dem er bereits Premierminister war, sowie Alain Juppé aus. Fillon wurde lange als Umfragefavorit gehandelt, ehe ihn eine Affäre um familiäre Vorteilsnahme einholte und derart zurückwarf, dass ihm selbst die Unterstützung aus den eigenen Reihen teilweise entzogen wurde. Programmatisch hat sich Fillon mit einem „Blitzkrieg“ gegen Sozial- und Arbeiter*innenrechte profiliert: Stellenabbau bei staatlichen Angestellten, Rückkehr zur 39-Stunden-Woche, Heraufsetzung des Rentenalters auf 65 und der Mehrwertsteuer sowie weitere Deregulierungen des Arbeitsrechts.
Marine Le Pen vom rechtspopulistischen, nationalistischen und rassistischen Front National konnte durch mehrere Kampagnen, u. a. gemeinsam mit der katholischen Kirche und rechten Republikaner*innen, gegen gleichgeschlechtliche Ehen ihre Nichtanerkennung durch das offizielle bürgerliche Establishment verblassen lassen. Der Unternehmerverband MEDEF hat Le Pen bereits empfangen und sie ihre ökonomischen Ideen vortragen lassen.
Der FN hat am stärksten von der Terroristenhetze gegen Migrant*innen und Muslime profitiert, die der Staat unter PS-Führung vorangetrieben hat. Vor dem Hintergrund der Verarmung von Industrieregionen v. a. im Norden hat der FN sich zum Anwalt der Arbeiter*innen aufgeschwungen, die sich von der PS-Regierung im Stich gelassen fühlen. Hier konnte die Partei ihr rassistisches Gift mit der Propaganda versprühen, die „Sozialist*innen“ und die Migrant*innen seien an Abstieg und Arbeitslosigkeit der „einheimischen“ Arbeiter*innenschaft schuld.
Der Dritte im Bunde dieser unheiligen Allianz ist der Shooting Star Emmanuel Macron. Er verwaltete bis August 2016 das Wirtschaftsressort unter Hollande, hatte jedoch 2009 bereits sein Parteibuch des Parti Socialiste zurückgegeben. Schon damals war er als „Genosse der Bosse“ berüchtigt, seine guten Verbindungen besonders zum Finanzsektor pflegte er seit 2008 als Investmentbanker. Zu seinen Verdiensten zählt, dass er den Kauf der Säuglingsnahrungssparte des US-Pharmariesen Pfizer durch den Nestlé-Konzern einfädeln half.
Macron präsentiert sich als unabhängiger, unverbrauchter Kandidat, der kurzerhand seine eigene Partei „En Marche“ (Bewegend) gegründet hat. Auf Grund der Schwäche der Linken mag er bei vielen Französ*innen den Bonus des „kleineren Übels“ gegenüber den traditionellen Rechten und Ultrarechten haben. Zwar versucht er mit vielen Versprechen etwa zur Schaffung von Arbeitsplätzen, z. B. in den Brennpunkten der Jugendarbeitslosigkeit, den Banlieues, seine wahren Absichten zu vernebeln, doch im Wesentlichen vertritt Macron ein Programm des Umbaus der Sozialsysteme und des Parlaments. Damit ist er nicht fernab von den rechten Populist*innen des FN. Die Liste seiner Taten weist ihn als Arbeiter*innenfeind aus. Macron verlängerte als Minister die Ladenöffnungszeiten. Das El Khomri-Gesetz zur Deregulierung des Arbeitsschutzes, das 2015/2016 so viel Unruhe unter der Arbeiter*innenschaft und Jugend gestiftet hat, trägt seine Handschrift.
Die linken Bewerber*innen
Als offiziellem Kandidaten des Parti Socialiste haftet Benoît Hamon natürlich der Makel des glücklosen, ungeliebten derzeitigen Amtsinhabers Hollande an, dessen Zögling er ist. Hamon kann als typisches Produkt der bürokratischen Schule des PS gelten. Er setzte sich parteiintern gegen den Ex-Premier Manuel Valls durch, dessen Recht und Ordnungs-Linie zu wenig des ursprünglichen PS-Profils signalisierte. Hamon versucht, mit der Garantie eines allgemeinen Einkommens für alle zu punkten. Das klingt zwar fortschrittlich und egalitär, aber der versprochene Grundbetrag von 600 Euro liegt nur knapp oberhalb der jetzigen Sozialhilfe und reicht weder vorne noch hinten, um einen angemessenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Praktisch würde diese Variante des bedingungslosen Grundeinkommens rasch zu einer Lohnsubvention für Billigjobs werden. Zudem bietet diese Regelung keinen Anknüpfungspunkt zu Forderungen nach Erweiterung der Rechte für die Arbeiter*innenklasse und würde die Ungleichheiten des Kapitalismus, Massenarbeitslosigkeit und sozialen Ausschluss, nicht angreifen, sondern als unabänderlich hinnehmen.
Jean-Luc Mélenchon warf schon vor einem Jahr für den Parti de Gauche (Linkspartei) seinen Hut in den Kandidat*innenring. Sein Programm setzt sich aus linksreformistischen Positionen zusammen: Umverteilung der Reichtümer, Anhebung des Mindestlohns, Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden, Verstaatlichung einiger Banken und massive Investitionen zur Belebung der Wirtschaft. Verglichen mit seinen Wahlaussagen von vor 5 Jahren hat diese Neuauflage eine linksnationalistische Schlagseite, denn Bezüge zur Arbeiter*innenklasse werden jetzt begrifflich umgekleidet in „Volk“ und „Nation“. Parteien möchte Mélenchon durch „Bürgerbewegungen“ ersetzt wissen. Konkret befürwortet er mehr französische Unabhängigkeit durch NATO-Austritt und einen Protektionismus, der „ökologisch und solidarisch“ sein soll.
Links vom Reformismus
Weiter links verortet sich die Kandidatin der Lutte Ouvrière Nathalie Arthaud; aber die Blütezeiten der LO, in denen ihre Vorzeigefigur, die Bankenstreikführerin Arlette Laguiller, das Ergebnis zuletzt 2002 noch über 5 Prozent holen konnte, sind längst dahin. Die Haltung der LO ist wie immer die des Attentismus, also des Abwartens auf die Entwicklung von spontanen Arbeiter*innenkämpfen, und der passiven Propaganda statt des Eingreifens in die täglichen politischen Herausforderungen. Antirassistische, antisexistische und antiimperialistische Kämpfe ignoriert sie weitestgehend zugunsten rein ökonomistischer, betrieblicher Auseinandersetzungen.
Die NPA (Neue Antikapitalistische Partei) hat Philippe Poutou aufgestellt. Zwar nimmt er Bezug auf die jüngsten Klassenkämpfe, v. a. gegen das El Khomri-Gesetz, bleibt aber die Antwort schuldig, wer für deren Niedergang und Verrat zur Hauptsache verantwortlich ist. Die NPA scheut sich die Politik der Gewerkschaften und der reformistischen Politiker*innen beim Namen zu nennen. Auch die Notwendigkeit für eine revolutionäre Partei, den Reformismus zu bekämpfen und eine Bilanz der NPA-Politik bleiben im Poutou-Programm unerwähnt. Ebenso wenig findet man die Verbindung von Ideen wie Arbeiter*innenausschüssen, Arbeiter*innenkontrollorganen und Arbeiter*innenselbstverteidigungeinheiten mit der Macht- und Regierungsfrage. Genau diese Verbindung wäre jedoch notwendig, um zumindest propagandistisch und in der Wahlagitation eine Regierungsalternative, den Kampf für eine Arbeiter*innenregierung zu thematisieren, die sich auf Kampforgane gegen die unvermeidlichen Angriffe der nächsten Regierung stützt. Zugleich fehlt auch eine Agitation für die Bildung einer Arbeiter*inneneinheitsfront, die systematische Aufforderungen zur Aktion an die reformistischen Parteien und Gewerkschaften enthielte. Eine revolutionäre Alternative präsentiert auch der Kandidat der NPA nicht – das Programm von Poutou und die Politik seine Partei tragen vielmehr einen zentristischen Charakter, schwanken also zwischen revolutionären, radikalen und reformistischen Positionen.
Kritische Wahlunterstützung für die NPA
Trotz dieser Mängel sollten Arbeiter*innen dem Bewerber der NPA im ersten Wahlgang ihre Stimme geben. Damit setzen sie ein Zeichen für eine klassenkämpferische Haltung, für Antirassismus und internationale Solidarität. Aber klar ist auch, dass die NPA in ihrer Konsistenz und Politik nicht den Durchbruch zu einer revolutionären Partei schaffen kann. Sie hat sich als unfähig erwiesen, die Arbeiter*innen- und Jugendvorhut zu sammeln oder sich nur annähernd an die Spitze von Kämpfen zu setzen und diese voranzutreiben. Die Aufgabe einer radikalen programmatischen und organisatorischen Neuorientierung ist daher dringend geboten.
In einem eventuellen zweiten Wahlgang werden die Vertreter*innen der offen bürgerlichen Parteien aller Voraussicht nach unter sich sein. Hier verbietet sich jede Stimmabgabe für ein vermeintlich geringeres Übel.
Nach den Wahlen
Die Krise in Frankreich drückt sich in fast allen Sektoren aus. Das BIP ist seit 2014 um 400 Milliarden Dollar gesunken und hat den Wert von 2007 nicht wieder erreicht. Die Schere zwischen den Pro-Kopf-Einkommen der begütertsten 20 % der Bevölkerung und den ärmsten 20 % hat sich auf 5:1 geöffnet. Die Arbeitslosigkeit verbleibt auf einem hohen Sockel von knapp unter 10 %. Auf politischem Gebiet haben die gebrochenen Versprechen der PS-Regierung und ihre offen arbeiter*innenfeindliche Politik wie die 50 Milliarden-Mehrbelastung von Haushalten durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Demoralisierungserscheinungen ihres Anhangs und in Teilen der Arbeiter*innenklasse geführt.
Unter der Präsidentschaft eines der bürgerlichen Kandidaten sieht die Perspektive für die Arbeiter*innenklasse, die Armen, die Jugend und die unterdrückten Gruppen noch düsterer aus. Eine weitere Beschneidung von Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse wird einhergehen mit zunehmender Barrierefreiheit für das Kapital. Der sogenannte Sicherheitsapparat wird zusätzlich aufgerüstet und demokratische Rechte insbesondere zu Einwanderung und Aufenthalt werden noch deutlicher ausgehebelt.
Schon jetzt muss daher die Phase erhöhter politischer Aufmerksamkeit während des Wahlkampfs genutzt werden, um den Abwehrkampf gegen eine ungezügelt arbeiter*innenfeindliche Regierung vorzubereiten, zu organisieren und zu koordinieren. Hier gilt es, kampfbereite Teile der Arbeiter*innenklasse, wo möglich mit den reformistischen Führer*innen, wo nötig gegen sie um sich zu scharen. Ein solcher Kampf wird mit Teilaktionen nicht gewonnen werden können. Das haben nicht nur die Massenstreiks in der ersten Jahreshälfte 2016 um das Arbeitsrecht gezeigt. Die Programme aller drei aussichtsreichen Kandidat*innen und die ökonomische Krise des französischen Kapitalismus werden unvermeidlich zu einem Generalangriff auf die Arbeiter*innenklasse führen. Das wird erneut die Frage des Generalstreiks und die Frage des Kampfes bis zum Sturz der Regierung aufwerfen, trotz der ungünstigen Kräfteverhältnisse.