Venezuela: Todeskampf des Chavismus

Venezuela, die Heimat des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, den der charismatische Präsident Hugo Chávez verkündet hatte, hat unter seinem Nachfolger Nicolás Maduro einen spektakulären wirtschaftlichen und politischen Schiffbruch erlitten. Das Land weist negative Wachstumsraten von 8 %, die höchste Inflationsrate der Welt mit 482 % und einen Arbeitslosenstand von 17 % mit steigender Tendenz auf. Die Wochenration an Grundnahrungsgemüse für eine Familie hat sich im März und April 2016 allein um 25 % verteuert und übersteigt das Mindesteinkommen für Staatsbedienstete um das 22-fache.

Der Hauptgrund für diese Katastrophe liegt auf der Hand. Er ist in Venezuelas Segen und Fluch, dem Öl, zu suchen. Die Ölpreise kletterten bis zum Beginn der großen Depression 2008 auf ihren historischen Höchststand. Chávez nahm die Ölindustrie des Landes, die bislang eine Melkkuh für ausländische multinationale Konzerne und die wohlhabende venezolanische Elite gewesen war, unter Kontrolle und lenkte die Einkünfte in Ausgaben für sozialen Wohnungsbau, Bildung und Gesundheitswesen um.

Er verstaatlichte 1.200 Privatfirmen und setzte Formen von Arbeiter*innenmitbestimmung in der Geschäftsführung ein, obwohl die meisten dieser Pläne nicht lange vorhielten und auch keine Arbeiter*innenkontrolle über die Produktion im eigentlichen Sinn bedeuteten.

Dennoch waren einige Reformen, durchgesetzt von Sonderkommissionen anstelle der korrupten alten Staatsinstitutionen, größere Errungenschaften für die Armen. Als Hugo Chávez 1998 gewählt wurde, lebte die Hälfte der venezolanischen Bevölkerung in Armut. Statistiken der Weltbank weisen einen Rückgang der Armut um 25 % bis 2012 nach.

Mit dem Preissturz für Öl auf ein Rekordtief, allein 2015 um 50 %, druckte die Regierung Geld, um das größer werdende Loch in den Staatskassen zu stopfen, mit dem Ergebnis, dass die Inflation in Galopp verfiel und die Läden sich leerten, während diejenigen, die es sich leisten konnten, Waren horteten.

Offensive der Reaktion

Dies schuf eine große Gelegenheit für die Kapitalist*innenklasse des Landes, die versuchte, mit Unterstützung aus der Bevölkerung Maduro zu stürzen. als sich die Wirtschaftskrise verschärfte, entstand auf den Straßen eine wahre Massenbewegung, der MUD (Mesa de la Unidad Democrática = Runder Tisch der Demokratischen Einheit). Sie war gewaltbereit und wurde von der US-Botschaft, dem Weißen Haus und der CIA unterstützt.

2015 bezichtigte die Obama-Administration Maduro der Korruption und der Menschenrechtsverletzung, reine Heuchelei im Vergleich zu ihrem völligen Stillschweigen angesichts der mörderischen Repression durch Ägyptens Diktator Abd al-Fattah as-Sisi. Dennoch stimmt es, dass die Unterdrückung der Opposition durch Maduro, indem er unter anderem den Ausnahmezustand verhängte, die Lage nicht entspannte, sondern zuspitzte.

Die Gewerkschaftsbewegung der Ära vor Chávez war an Parteien der alten Elite gebunden und bildete eine Art Arbeiter*innenaristokratie. Unter Chávez entstanden neue Gewerkschaften. Aber der populistische Präsident verkrachte sich bald mit ihnen, als sie die neue „bolivarische Bourgeoisie“ kritisierten, die viele der gesäuberten Geschäftszweige übernahm oder staatliche Unternehmen führte.

Unter Maduro verschlimmerten sich die Dinge noch; es kam wiederholt zu Zusammenstößen mit der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*Innenklasse.

Auf die arbeitenden Massen und die städtische Armut konnte sich das Regime nicht länger verlassen, um die Opposition abzuweisen, denn sie litten ebenfalls schwer unter der Inflation, dem blühenden Schwarzmarkt usw.

Die Gefahr ist groß, dass die Rechten weiter die Proteste beherrschen, und dass am Ende Teile der Armee, die bislang loyal zum Erbe von Hugo Chávez standen, mit einem Staatsstreich eingreifen werden.

Gescheiterte Strategie

Es ist klar: Die Strategie von Hugo Chávez hat die Prüfung im Kampf gegen „den Kapitalismus und Imperialismus des 21. Jahrhunderts“ nicht bestanden. Trotz aller revolutionären Rhetorik war sie ungenügend revolutionär, genauer gesagt, sie war Spielart bürgerlicher Reformpolitik.Dadurch, dass nicht die Kontrolle über die großwirtschaftlichen Produktionsmittel, über Banken, Medien usw. ausgeübt wurde, und nicht Armee- und Polizeiapparat zu Gunsten einer Miliz der Massen aufgelöst wurden, die im Kern von der Arbeiter*Innenklasse gestellt wird, hat der Chávismus seinen unausweichlichen Sturz vorbereitet. Die ursprünglichen Reformen waren tatsächlich sehr wesentlich und müssen bis zum Schluss gegen die ausbeuterischen Schmarotzer*Innen der Elite, den Internationalen Währungsfonds und andere Körperschaften der nationalen und internationalen Bourgeoisie verteidigt werden. Aber das kann nur geschehen, wenn die Arbeiter*Innenklasse, die städtische Armut und die Jugend sich aus dem Klammergriff Maduros und der PSUV-Bürokratie befreien.

Der Artikel wurde aus Platzgründen gekürzt, die vollständige Version findest du auf www.arbeitermacht.de

Dave Stockton, Liga Für Die Fünfte Internationale