Frankreich 2006: Gemeinsam gegen Verschlechterungen

Im Gesundheitsbereich sehen wir momentan, wie – mit einigem Erfolg – versucht wird, verschiedene Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Ärzt*innen werden gegen das übrige Krankenhauspersonal, insbesondere gegen die Pflege, ausgespielt. Doch das muss nicht sein. Es gibt unzählige Beispiele, an denen wir sehen können, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Berufsgruppen derselben Branche Verbesserungen für alle bewirkte.

Massendemonstrationen der Gewerkschaften und Jugendlichen brachten die massiven Verschlechterungen des CPE schließlich zu Fall - Bild: CC-BY-Sa 2.0 Traroth
Massendemonstrationen der Gewerkschaften und Jugendlichen brachten die massiven Verschlechterungen des CPE schließlich zu Fall – Bild: CC-BY-Sa 2.0 Traroth

Im Bildungsbereich ist die Situation noch einmal etwas verschärfter. Schüler*innen und Lehrer*innen oder Student*innen und Professor*innen stehen zusätzlich in einem ungleichen Machtverhältnis zueinander. Nicht selten müssen Schüler*innen ihre Rechte gegen autoritäre Lehrer*innen durchsetzen. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe an erfolgreichen Beispielen von gemeinsamen Kämpfen im Bildungsbereich, etwa in Frankreich.

Contrat première embauche

Spätestens seit 1968 als sich radikale Studierende mit Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse verbündeten und in Frankreich die Frage der sozialen Revolution auf die Tagesordnung setzten, gibt es in Frankreich starke Verbindungen zwischen Schüler*innen, Studierenden und der Arbeiter*innenklasse.
2006 wollte die damalige konservative Regierung unter Jacques Chirac eine Reform der Arbeitsgesetze durchführen, darunter fiel auch die Einführung eines Vertrags der Ersteinstellung (Contrat première embauche). Damit sollte de facto eine zweijährige Probezeit für Jugendliche unter 26 eingeführt werden, die es ermöglichte Jugendliche in den ersten zwei Dienstjahren ohne Begründung zu kündigen.
Gegen diese Maßnahme wehrten sich Schüler*innen, Student*innen und Gewerkschaften im gemeinsamen Kampf. Beginnend mit Massendemonstrationen formierte sich eine breite Front des Widerstandes (bis zu 84% der Bevölkerung lehnten die Maßnahmen ab). Bald kam es auch zu Besetzungen und Streiks an Universitäten (67 von 84 Universitäten waren betroffen). Auch an Schulen und in Fabriken kam es zu großen Protestmaßnahmen. Nach mehreren Wochen der Proteste und Aktionstagen mit Millionen Beteiligten musste schließlich die konservative Regierung ihr Vorhaben begraben. Die Reform wurde zurückgezogen.

Proteste gegen das Arbeitszeitgesetz

Seit mehr als einem halben Jahr gibt es nun auch wieder Proteste gegen den erneuten Versuch die Arbeitsgesetze in Frankreich umzuschreiben – diesmal von der „sozialistischen“ Regierung unter François Hollande. Hier ist nicht der Platz, um im Detail auf den Inhalt der Reform und eine ausführliche Bilanz der Proteste einzugehen. Wir verweisen diesbezüglich auf Artikel unserer Homepage (z.B. „Streikwelle in Frankreich: Für den Generalstreik“). Wichtig ist allerdings hervorzuheben, dass in dieser Bewegung, wie so oft, auch anfangs Jugendliche an vorderster Front der Proteste standen. Im Februar und März war die Beteiligung von Schüler*innen notwendig, um die Protestwelle erst ins Rollen zu bringen. Rund um den ersten nationalen Aktionstag wurden mehr als 90 Schulen besetzt. Auch die Universitäten wurden Zentren des Widerstandes. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, als dieses Mal Jugendliche nicht speziell betroffen waren, sondern es sich um einen Generalangriff auf die gesamte Arbeiter*innenklasse handelte. Im Verlauf der Proteste trat dann die Rolle der Jugendlichen, insbesondere durch die aufflammende Streikwelle, in den Hintergrund und die Gewerkschaften übernahmen das Ruder. Aktuell sind die Proteste noch im Gange, obwohl die Regierung mit dem Beschluss des Gesetzes im Sommer bereits einen strategischen Sieg davon getragen hat. Doch nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei um ein beachtenswertes Beispiel gemeinsamen Kampfes.

Sich nicht spalten lassen!

Diese Beispiele zeigen nicht nur, dass ein gemeinsamer Kampf verschiedener sozialer oder beruflicher Gruppen möglich ist, sondern auch, dass er durchaus notwendig ist, damit soziale Verbesserungen erreicht werden können, beziehungsweise bestehende Errungenschaften verteidigt werden können. Der alte Spruch „Divide et impera“ („Teile und herrsche“) ist für alle herrschenden Klassen entscheidend für die Aufrechterhaltung ihrer Macht, so auch für die Kapitalist*innen. Wir werden in verschiedene Berufsgruppen, Jung und Alt, Frauen und Männer, In- und Ausländer*innen und noch vieles mehr gespalten und schaden uns damit nur selbst, wenn wir vergessen, dass wir letzten Endes eine Klasse sind.
Nachdem die Kapitalist*innen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung stellen und auf Kosten der Arbeit der Mehrheit der Menschen leben, ist es für sie essentiell ihre Interessen so durchzusetzen. Nicht selten müssen wir es erleben, dass viele Arbeiter*innen lieber auf Schwächere in der Gesellschaft oder im Betrieb losgehen, als sich mit ihnen gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden. Vereint im Betrieb gegen die Chefs zu kämpfen, bietet allerdings viel mehr Aussicht auf Erfolg!

Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt 240, Oktober 2016