Beitrag für den Blog „Die Freiheitsliebe“
Die Präsidentschaftswahlen in Österreich haben klar gemacht, wie weit der Rechtsruck in der „politischen Landschaft“ mittlerweile geht. Die Wahl, die in vergangenen Jahren eine rein repräsentative Rolle gespielt hatte, wurde zur Abstimmung über die Bundesregierung. Und alle Parteien stellten Kandidat*innen auf, die an ihrem rechten Flügel stehen. Insgesamt unter 25 % der Stimmen gingen an die Regierungsparteien, über 35 % an den Kandidaten, der angekündigt hatte die Regierung zu entlassen.
Rechtsruck auf höchster Ebene
Der Sieger des ersten Wahlgangs heißt Norbert Hofer, kommt aus dem burschenschaftlichen Kern der FPÖ und kündigt auf Plakaten ein „neues Amtsverständnis“ an. „Sie werden sich wundern, was alles geht!“, sagt er im Fernsehinterview. „Nichts und niemand wird uns aufhalten können!“, ruft er seinen Anhänger*innen zu. Kaum abgeschwächt kündigt er an, für eine Regierung unter blauer Führung zu sorgen, wenn notwendig durch vorgezogene Neuwahlen.
Die österreichische Verfassung gibt ihm die Möglichkeit dazu in die Hand. Anders als in Deutschland handelt es sich nämlich nicht um ein rein repräsentatives Amt, im Gesetzestext versteckt sich ein ungemeines reaktionäres Potential: Die Entlassung der Regierung, die Einsetzung eines neuen Bundeskanzlers, die Auflösung des Nationalrats auf Vorschlag eines ihm wohlgesonnenen Kanzlers. Bis zu den Neuwahlen das Regieren per Notverordnung. Im österreichischen Gesetz ist der Bundespräsident Diktator in der Reserve.
Bloß war das bisher nicht das vorherrschende Amtsverständnis. Nicht einmal Skandalpräsident Waldheim griff wirklich direkt in die Bundespolitik ein, von den Amtsinhabern der letzten Perioden ganz zu schweigen. Sie beschränkten sich auf versöhnende Worte und die Prüfung der verabschiedeten Gesetze auf Verfassungsmäßigkeit. Der Hintergrund ist die in Österreich traditionell vorherrschende Sozialpartner*innenschaft. Gewerkschaft und Unternehmer*innen, die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP teilten sich Posten und Regierungsämter auf. Sozialer Frieden im Tausch für kleine Zugeständnisse an die Arbeiter*innen und größere an die Parteibürokratie, die Klassenkollaboration war in Österreich tief verankert. Diese Sozialpartner*innenschaft gibt es so nicht mehr: Schon 1999 wurde sie von einer schwarz-blauen „Bürgerblock“-Koalition abgelöst. Die Präsidentschaftswahlen sind ein weiterer Umbruch. Noch nie zuvor hat es ein*e Kandidat*in einer anderen Partei auch nur in die Stichwahl geschafft. Jetzt stellen die Regierungsparteien nicht einmal einen der Kandidaten des zweiten Wahlgangs.
Rechter Aufschwung
Die FPÖ, an die sich der rechte Flügel der Sozialdemokratie anbiedern möchte, wird allen Umfragen nach die nächsten Nationalratswahlen überragend gewinnen. Wie schon 1999 lässt sie sich auf einer massiven rassistischen Welle von Wahlerfolg zu Wahlerfolg treiben, während die Regierung ihre zentralen Forderungen (Grenzzäune, Quotierung des Familiennachzuges, Obergrenze für Asylverfahren) bereits umsetzt. Daraus ziehen die Blauen Rechtfertigung für ihre Hetze.
Gleichzeitig steht die FPÖ vor einem scheinbar unüberwindbaren Widerspruch. In Wahlkampfreden fordert sie immer wieder einen Ausbau des Sozialstaats – natürlich nur für geborene Österreicher*innen. Ihr Parteiprogramm und ihr Abstimmungsverhalten im Parlament spricht aber für weitreichenden Sozialabbau, Deregulierung und Steuergeschenke für große Konzerne. Das ist ihren Wähler*innen allerdings vollkommen klar. Sie wissen aber auch, dass keine andere Partei sich glaubhaft gegen die Umverteilung von unten nach oben stellt, und hoffen deshalb auf Vorteile auf Kosten von Arbeitslosen und Geflüchteten. Längerfristig geht das natürlich in die Hose – die Einsparungsforderungen des österreichischen Kapitals gehen über die Kürzungen bei der Mindestsicherung oder der Geflüchtetenhilfe weit hinaus. Und eine Pensionsreform nach FPÖ-Vorstellung bedeutet sozialen Kahlschlag, die oft angekündigte „Verwaltungsreform“ Massenentlassungen im öffentlichen Dienst.
Österreichs politische Krise
Österreich steckt in einer handfesten politischen Krise, die sich seit der weltweiten Wirtschaftskrise nach 2008 ankündigt und dieses Jahr ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Die Regierung kann nicht so weitermachen wie bisher – Arbeiter*innen, Arbeitslose und Pensionist*innen fühlen sich von ihr nicht vertreten, den Kapitalist*innen gehen die Einsparungen nicht schnell genug. Die herrschende Klasse in Österreich kann nicht so weitermachen wie bisher – seit der Krise stagniert die Wirtschaft und die wichtigsten Märkte für österreichische Banken, in Osteuropa und am Balkan, sind wie Dominosteine umgefallen. Und die Arbeiter*innen, Arbeitslosen und Jugendlichen wollen nicht so weitermachen wie bisher. Von den Krümeln der Sozialpartner*innenschaft ist wenig übrig geblieben und die Regierung schützt sie nicht vor Umverteilung von unten nach oben. Viele von ihnen schenken den falschen Versprechungen der FPÖ Glauben, dass man sie zwar nicht vor den Reichen, aber zumindest vor den noch Ärmeren schützen werde. In der politischen Krise kommen die Unzufriedenheit über den Opportunismus der SPÖ mit den Forderungen von Teilen des österreichischen Kapitals zusammen, die die FPÖ an der Spitze der nächsten Regierung wollen.
Flügelkämpfe in der Sozialdemokratie
Wie zu erwarten war die SPÖ selbst das erste Opfer dieser Dynamik. Kurz nach den Wahlen trat der Bundesvorsitzende Werner Faymann zurück. Dem waren wochenlange Flügelkämpfe vorausgegangen. Der rechte Flügel und Teile der Gewerkschaftsbürokratie fordern eine Öffnung in Richtung der FPÖ, mit der im Burgenland bereits koaliert wird. Die linken Teile und die Jugendorganisationen stellen sich gegen den rassistischen Kurs der Partei und fordern fortschrittliche Antworten in der sozialen Frage ein. Auch das neue Team an der Parteispitze, das um den ehemaligen ÖBB-Manager Christian Kern aufgezogen wird, kann die existenzielle Krise der SPÖ nicht kaschieren. Sein Auftrag ist die Befriedung der Partei, bisher bringt er aber vor allem seine eigenen Vertrauten in höchste Positionen. Ein Überspielen der Konflikte wird die Krise der Partei nur vertiefen und die Position des linken Flügels, der kämpferischen Gewerkschafter*innen und der Jugendorganisationen weiter untergraben.
Die Schwäche der Linken
An sich klingt es einfach, dieses politische Programm zu „entzaubern“ und die Mehrheit der Arbeiter*innen, die heute FPÖ wählt, gegen sie einzunehmen. Allein, es bietet sich keine Alternative an. Kein Bündnis, keine Partei, keine Organisation, die die SPÖ von links angreift und glaubhafte Alternativen anbieten kann. Die radikale Linke ist historisch schwach und tut sich schwer, in dieser fruchtbaren Situation zu handeln. Sie ist in Österreich aber auch besonders schwach aufgestellt, verfügt über kaum Verankerung in der Jugend, und noch weniger in der Arbeiter*innenklasse. Abgesehen von einzelnen antifaschistischen „Events“ ist sie fast nie in der Lage, mehr als tausend Menschen zu mobilisieren. Als Alternative ist sie also weder stark noch glaubwürdig genug.
Und sie begeht quasi ständig strategische Fehler. Gegen die FPÖ einen moralischen Antirassismus aufzufahren oder ihre historischen Wurzeln in der NSDAP aufdecken zu wollen, ist zwar nobel, geht aber am Kern der Sache kilometerweit vorbei. Dass die FPÖ rassistisch ist und ein fragwürdiges Verhältnis zu den nationalsozialistischen Verbrechen hat, ist den meisten Menschen durchaus bewusst. Auch scheinen es sich viele Linke nicht verkneifen zu können, die Regierung gegen besonders verlogene und besonders niederträchtige Anwürfe von rechts in Schutz zu nehmen. Natürlich ist die Propaganda der Blauen nichts, woran die Linke anschließen darf. Aber eine Koalition der Klassenkollaboration, des Staatsrassismus und des Sozialabbaus zu verteidigen schwächt die Glaubwürdigkeit linker Kräfte noch weiter ab. Dennoch scheint es für die meisten einfacher zu sein, als klassenkämpferische und internationalistische Antworten auf die Situation zu finden.
Einer der zentralsten Fehler ist bestimmt die Herangehensweise, alles zu unterstützen, „das gegen die FPÖ ist“, beispielsweise den rechtsliberalen grünen Präsidentschaftskandidaten Van Der Bellen. Der spricht zwar für Studiengebühren und Privatisierungen, unterteilt Geflüchtete hetzerisch in „Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge“ und sieht eigentlich kein Problem mit TTIP, aber zumindest hat er anklingen lassen, eine FPÖ-Regierung unter bestimmten Umständen nicht angeloben zu wollen.
Einerseits muss klar sein, dass der Aufschwung der Rechten nicht durch Verfassungstricks, sondern durch eine kämpferische antirassistische Bewegung gestoppt werden muss. Alles andere ist Verzögerungstaktik, und das zahlt sich selten aus, wenn man massiv in der Unterzahl ist. Andererseits tappen viele hier in eine entscheidende Falle. Eine Alternative zur Regierung und zur FPÖ muss kämpferisch, glaubwürdig und links sein. Für einen Kandidaten zu werben, der den Rechtsruck in der Hofburg einbremsen möchte, erfüllt keines dieser Kriterien.
Perspektiven für eine Klassenkampfpolitik
Wirtschaft in der Stagnation, Regierung in der Krise, Sozialdemokratie im Zerfallen. Österreich befindet sich an einem Wendepunkt an dem Linke und Revolutionär*innen eingreifen müssen. Einen Ansatzpunkt bietet die Zuspitzung von Sozialabbau und Arbeitskämpfen in den letzten Jahren. Viele Arbeiter*innen wollen sich den Reallohnverlust und Arbeitsplatzabbau nicht länger gefallen lassen. Die Kürzungen bei der Mindestsicherung und die Budgetlücke von 500 Millionen Euro im Bildungsministerium werden diese Konflikte weiter zuspitzen. In den nächsten Monaten und Jahren wird der Gegensatz von Herrschenden und Unterdrückten in Österreich so klar fassbar sein wie schon lange nicht mehr.
Die Erfahrungen einzelner linker Gruppen zeigen, dass es möglich ist, in solche Kämpfe einzugreifen und sie zu unterstützen. Aber wer sich Vertrauen erarbeiten will (und das ist eine der brennenden Aufgaben im Moment), muss zusammen mit den Betroffenen kämpfen. Es ist naiv zu glauben, anhand abstrakter Fragestellungen die Stimmung unter den Arbeiter*innen und Jugendlichen nach links verschieben zu können. Das kann nur anhand konkreter Kämpfe und sozialer Bewegungen gelingen.
Linke im Aufbruch?
Ein vielversprechender Ansatz ist die breit angekündigte „Aufbruch“-Konferenz Anfang Juni in Wien. Bis zu 500 Aktivist*innen haben sich angekündigt, um gemeinsam über eine sozialpolitische Kampagne zu diskutieren. Viele der Organisator*innen waren in der Vergangenheit in der antifaschistischen Kampagnenarbeit aktiv, die in den vergangenen Jahren große Erfolge einfuhr. Die Konferenz zeigt auf jeden Fall, dass ein Erkenntnisprozess über die wichtigsten Schwächen und Probleme, allen voran die gesellschaftliche Isolation der Linken, eingesetzt hat.
Eine klassenkämpferische Kampagne könnte ein erster Schritt heraus aus dieser Isolation sein. Sich zusammenzusetzen, Aktivist*innen und Interessierte einzuladen und zu versuchen, eine soziale Verankerung zu schaffen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Inhalte so einer Kampagne dürfen sich nicht auf linksreformistische Antworten beschränken. In einer Situation, in der Linke um Vertrauen kämpfen müssen, werden ihre Antworten systematisch abgeklopft werden – die systematischen Schwächen von einzelnen Verbesserungen ohne die Systemfrage zu stellen sind klar ersichtlich. Stattdessen muss die Verankerung in der Klasse mit radikalen Forderungen und Aktivismus außerhalb der bestehenden Institutionen verbunden werden.
Manche linksliberale Journalist*innen orakeln schon jetzt über die Möglichkeiten einer „Orbánisierung“ Österreichs durch die weitreichenden Möglichkeiten einer Kombination von Präsident*innen- und Kanzler*innenamt. Nicht alle dieser Szenarien sind komplett unrealistisch. Es wäre also ratsam, dieser Entwicklung jetzt Einhalt zu gebieten.