
Die SPÖ befindet sich vermutlich in der größten Krise seit dem 2. Weltkrieg. Dass die Sozialdemokratie seit Jahrzehnten Wähler*innen und Mitglieder verliert, ist nichts Neues mehr, viele dieser wurden auch an die FPÖ verloren, wobei die FPÖ nach wie vor ihre meisten Gewinne auf Kosten der ÖVP und der Nichtwähler*innen einstreicht. Dabei wäre es gar nicht nötig FPÖ zu wählen, denn bei einigen unverhohlen rassistischen Aussagen von Voves oder Niessl etwa fragt man sich, ob die SPÖ die Freiheitlichen nun rechts überholen möchte. Das ganze kulminiert vorläufig nun in der rot-blauen Koalitionsregierung im Burgenland, der im SP-Landesparteivorstand einstimmig (!) zugestimmt wurde.
Nun haben wir die Situation, dass die sozialdemokratischen Jugendorganisationen und linke Elemente der Partei Proteste gegen die rot-blaue Regierung in Eisenstadt organisieren, zwei Demonstrationen gab es in Eisenstadt bereits. Andererseits versucht etwa die oberösterreichische SP durch rassistischen Wahlkampf zu punkten. Die Plakate, die am 22.6. am Straßenrand Aufsehen erregten, fragten: „Sind Sie auch gegen ein großes Asyl-Zentrum in Linz?“ oder verkündeten: „Nein zu einem zweiten Traiskirchen“. Abgesehen davon, dass dies auch stilistisch eine Anpassung an den FPÖ-Populismus ist, schießt sich damit die Partei ins eigene Knie. Für dieses Flüchtlingszentrum in Traiskirchen, gegen das hier gewettert wird, ist nämlich unter anderem der sozialdemokratische Bürgermeister Andreas Babler verantwortlich, der eigentlich eine „klassisch sozialdemokratische“, zwar reformistische, aber dennoch progressive Linie vertritt. Und auch im Flüchtlingszentrum Traiskirchen sind die Zustände mehr dürftig, so haben etwa 500 der 2 800 dort untergebrachten Flüchtlinge derzeit kein Bett zur Verfügung.
Später hat sich die SPÖ dann dafür entschuldigt und meinte die Plakate wären missverstanden worden. Sie seien sehr wohl dafür, den Flüchtlingen zu helfen, nur sollten diese eher dezentral als in großen Flüchtlingszentren untergebracht werden. Dass dies erbärmliche Ausreden sind, ist für jede*n klar ersichtlich, die SPÖ hat offenbar ein großes Problem. Drei oberösterreichische Stadtparteichefs, namentlich Klaus Luger (Linz), Hermann Wimmer (Wels) und Gerhard Hackl (Steyr) haben bereits erklärt, an der FPÖ-SPÖ Koalition im Burgenland nichts Verwerfliches zu finden und sich eine rot-blaue Koalition in Zukunft auch auf Bundesebene vorstellen zu können.
Was gibt’s da noch zu retten?
Daher ist für viele Linke in der Sozialdemokratie das Fass nun etwas übergelaufen, daher kam es in den letzten Wochen auch zu einigen Austritten, auch Sonja Ablinger trat etwa aus und die Vorsitzende der SJ-Oberösterreich Fiona Kaiser drohte mit dem Austritt der Sozialistischen Jugend aus der Partei, wobei sie betonte, dass individueller Austritt nicht die Lösung sein könne und stattdessen noch einmal kollektiv innerhalb der Partei Widerstand geleistet werden müsse. Einen Versuch dazu stellte der SPÖ-“Rettungskongress“ dar, der ironischer Weise einen Tag vor der oben erwähnten rassistischen Wahlwerbung in Linz stattfand. Am Kongress waren etwa 200-300 Personen anwesend, was die von den Organisator*innen erwartete Teilnehmer*innnenzahl offensichtlich deutlich übertraf, da die Leute trotz Stehplätzen teilweise nicht in den kleinen Raum passten.
Für die Organisation hauptverantwortlich ist ein Personenkomitee bestehend aus dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, der SJ-Vorsitzenden Julia Herr, dem Vorsitzenden der Volkshilfe Erich Fenninger und dem Voest-Betriebsrat Christian Buchinger. Inhaltlich hat sich auf dem Kongress nicht viel getan, es wurde festgestellt, dass die SPÖ neoliberale Politik mitgestaltet und imperialistische Kriege befürwortet, was nichts Neues ist und, dass jene Wähler*innen, die um ihre Zukunft besorgt sind, eher die FPÖ wählen als die SPÖ, während sich die SPÖ immer mehr auf eine Partei der „Intellektuellen und Angestellten“ reduziert – also den höher gestellten und gewerkschaftlich besser organisierten Teilen der Arbeiter*innenklasse (der Arbeiter*innenaristokratie).
Diese Feststellungen sind richtig und eigentlich mittlerweile schon kaum zu übersehen. In der Frage ob und wie man diese Probleme lösen kann, unterscheiden wir uns allerdings von diesen linken Kräften in der Sozialdemokratie.
Die gegründete Initiative „Kompass“ soll innerhalb der SPÖ versuchen einen Kurswechsel und eine Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte zu erkämpfen. Jegliche Diskussionen über Alternativen zur SPÖ wurden von vornherein ausgeschlossen, man will um jeden Preis innerhalb der Partei bleiben und kämpfen. In Wirklichkeit hätte dieser innerparteiliche Kampf viel, viel früher geführt werden müssen, als die Linke in der Partei noch stärker war und es Aussicht auf Erfolg gab. Jetzt ist es eigentlich schon zu spät. Immer mehr Menschen wenden sich perspektivlos von der Partei ab, und jetzt da der Hauptgrund für viele SPÖ zu wählen „damit die FPÖ nicht in die Regierung kommt“ auch verschwunden ist, wird sich dieser Trend noch mehr verstärken.
Einige Male wurde in der Diskussion auch die Systemfrage aufgeworfen, allerdings sehr vage und hauptsächlich von (ehemaligen) Aktivist*innen der kommunistischen Linken, außerhalb der SPÖ. Der Vorsitzende der Volkshilfe, der auf dem Rettungskongress noch vom Systemwechsel sprach und Gramsci zitierte meinte anschließend in einem Interview sogar, dass die Personalfrage gar nicht zwingend gestellt werden müsse. Wie allerdings ein derartiger Kurswechsel mit der jetzigen SPÖ-Spitze, die gar kein Interesse an einer Politik im Interesse der Arbeiter*innen hat, vonstatten gehen soll, hat der Kongress nicht beantwortet. Man will eine Programmdiskussion noch vor den Wahlen im Herbst anstoßen. Dass sich über 100 Jahre Verrat nicht einfach durch eine Programmdiskussion rückgängig machen lassen, ist offenbar vielen nicht klar oder sie wollen es nicht wahr haben.
Weiters funktioniert die Initiative obwohl sie sich zum Ziel gesetzt hat, eine Basisbewegung aufzubauen, nicht sehr demokratisch. Es wurden keine konkreten Aktionen oder der weitere Fahrplan beschlossen, man verblieb bei dem Treffen dabei, dass das Personenkomitee weitere Treffen einberufen solle, auf denen dann weiter diskutiert wird. Das Personenkomitee, das bereits vor dem Kongress existierte, scheint alles allein zu organisieren und zu bestimmen, es ist völlig intransparent ob, wie und von wem es gewählt wurde.
Man kann die SPÖ nicht einfach kurzerhand vor der Wahl durch ein neues Programm reformieren und wieder zur konsequenten Arbeiter*innenpartei machen. Die SPÖ-Funktionär*innen – wie die Funktionär*innen aller anderen Parteien in Österreich – haben so viele Privilegien durch ihre Position, dass diese zum Selbstzweck werden. An der Spitze der Partei befinden sich Leute, denen es nur darum geht, ein möglichst fettes Stück vom Kuchen abzustauben und die gut bezahlten Posten im Staatsapparat zu behalten. Selbst politische Positionen sind ein Ausdruck dieser materiellen Interessen der jeweiligen Clique. Michael Häupl tritt nicht aus Prinzip gegen Rot-Blau auf, sondern weil er glaubt, sich so vor der nächsten Wien-Wahl beliebt zu machen – um seinen Posten nicht zu verlieren. Und Werner Faymann schweigt, weil er bereits genug Wahlniederlagen und Kritik geerntet hat in letzter Zeit und sein Posten ohnehin schon auf dem Spiel steht.
Linke Alternative?
Dennoch gibt es auch ehrliche linke Aktivist*innen in der SPÖ. Diese sind zwar nicht sehr zahlreich und werden immer weniger, aber es gibt sie noch. Dazu gehören die Mitglieder der Jugendorganisationen (SJ, AKS, VSSTÖ), einige FSGler*innen, Teile der Sektion 8 und Strömungen wie „der Funke“ oder der „STAMOKAP“. Durch das Dahinvegetieren innerhalb der SPÖ werden diese jedoch nur demoralisiert und in die politische Inaktivität getrieben. Natürlich ist jedes Projekt, das für eine linke, proletarische Politik (auch innerhalb der SPÖ) kämpft, ein Fortschritt. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass es ähnliche Projekte wie den „Kompass“ bereits in der Vergangenheit gab (wir erinnern an die SP-Linke vor 5 Jahren, die kläglich gescheitert ist).
Mit dieser Sozialdemokratie, die seit über 100 Jahren die Arbeiter*innen konsequent verrät, die sich die Funktionsweise und auch die politischen Positionen einer bürgerlichen Partei vollkommen angeeignet hat, die bürokratisch funktioniert und voll ist mit Karrierist*innen, mit dieser Sozialdemokratie kann in der Krise keine „klassisch sozialdemokratische Politik gemacht werden“ und schon gar keine wirklich konsequente Politik im Sinne der Arbeiter*innen. Es ist an der Zeit mit der Sozialdemokratie zu brechen, die objektiven Bedingungen waren noch nie reifer für eine neue Arbeiter*innenpartei.
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass demnächst Kräfte, die sich jetzt noch innerhalb der Sozialdemokratie befinden, versuchen werden ein Linksprojekt nach dem Vorbild von Linkspartei, Syriza oder Podemos zu starten. Solche Projekte sind in fast allen westeuropäischen Ländern entstanden, da wäre es nur natürlich, dass dies in Österreich auch passiert. So etwas wäre prinzipiell ein positiver Schritt, allerdings sollte Österreich als eines der letzten Länder, die diese Entwicklung durchmachen auch von den vorhergegangenen Fehlern lernen.
Einerseits könnte es passieren, dass einfach nicht genug Unterstützung für so ein Projekt gefunden wird. Falls es nur eine kleine Linksabspaltung ohnehin bereits marxistisch orientierter Menschen aus der SPÖ wäre, wäre sie rasch irrelevant und zum Scheitern verurteilt.
Selbst falls es zu einer Massenpartei wie die oben genannten anwachsen kann, wird sie ohne konsequent sozialistische Politik und Programmatik so enden wie SYRIZA – als Koalitionspartnerin in einer bürgerlichen Regierung, die Sozialabbau betreibt und den Kapitalismus mitverwaltet. Eine „klassisch sozialdemokratische“ Partei kann nur dann etwas bewegen, wenn sie sich zumindest wie die Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts auf den Marxismus beruft und ihre Kraft auf die Macht der Arbeiter*innenklasse stützt. Sie müsste allerdings die Fehler der Zweiten Internationale, die zur Degeneration der Sozialdemokratie geführt haben, analysieren und sich auf einen ehrlichen, revolutionären Bruch mit dem Kapital orientieren.