Die Ablehnung einer Berufsarmee steht für revolutionäre Marxist*innen außer Frage – und wohl auch für die meisten Linken in Österreich. Korrekterweise ruft bei der kommenden Volksabstimmung auch niemand von der Linken zur Schaffung einer Berufsarmee auf.
Anders bei der Sozialdemokratie. Während ÖVP und FPÖ jahrelang die Bildung eines schlagkräftigen Berufsheeres ins Gespräch gebracht hatten, will die SPÖ nunmehr die Wehrpflicht abschaffen. Sie versucht sich so als die zeitgemäße Vertreterin der Interessen des österreichischen Imperialismus darzustellen, die die Armee auf ihre aktuelle Kernfunktion (Auslandseinsätze, „Friedensmissionen“ im Verbund mit EU, UN, oder NATO) ausrichten will – ohne Zusatzbrimborium wie das „Milizsystem“ und den „Grundwehrdienst“.
Demagogisch wird vom „Profiheer“ schwadroniert, als ob nicht schon längst fragwürdige „Profis“ den Kernbestand des Bundesheeres stellen würden. Seit Jahren finden keine Milizübungen mehr statt. Sie existiert praktisch nur auf dem Papier.
Das hindert die SPÖ natürlich nicht, weiter eine „starke Milizkomponente“ zu versprechen – gewissermaßen „Profis auf Zeit“, die mit deutlich mehr Geld gelockt werden sollen. Außerdem würde so auch der „Katastrophenschutz“ besser gewährleistet sein. Und „billiger“ würde das Ganze außerdem – ein Versprechen, das noch bei jeder Heeresreform gemacht und nie gehalten wurde.
Außerdem wird noch versprochen, dass „die Bevölkerung entscheidet“. Tut sie aber schon deshalb nicht, weil die Fragestellung von der Regierung bestimmt wird. Auch wie mit dem „Entscheid“ verfahren werden soll, behalten sich Parlament und Regierung vor.
Hatte sich die SPÖ lange als Verteidigerin der Wehrpflicht gepriesen, die zu einer „Errungenschaft der Demokratie“ und zum Quasi-Garanten gegen einen Bürgerkrieg gegen die Arbeiterschaft hochstilisiert wurde, so springen jetzt ÖVP und FPÖ für die „Schule der Nation“ in die Bresche.
Was die grundsätzlichen Aufgaben des Bundesheeres – Fitmachen für Auslandseinsätze, stärkere Integration in NATO und EU – betrifft, gibt es gar keinen Unterschied. Wie auch! Schließlich will keine bürgerliche Partei Zweifel an der Anwartschaft Österreichs auf einen Anteil an der imperialistischen Ausbeutung aufkommen lassen. Und dazu muss eben auch ein den Kräften eines kleinen imperialistischen Staates „angemessener“ Beitrag zur Sicherung des „Friedens“, also der Handelswege und Geschäfte „unserer“ Unternehmen geleistet werden. Auch bei einer Beibehaltung der Wehrpflicht wird es keinen Soldaten weniger im Einsatz für „Freiheit und Demokratie“ geben.
Ansonsten wendet die ÖVP bei ihrer Kampagne „Einsatz für Österreich“ die alten sozialdemokratischen Schönfärbereien zum Bundesheer nun gegen diese. „Junge Männer aus allen Teilen, aus allen Gesellschaftsschichten“ würden hier zum „Gelingen unserer Zweiten Republik beitragen“.
Dass es aktuell nicht um die Verteidigung der Landesgrenzen geht, räumt „Einsatz für Österreich“ ein. Doch schließlich dient das Bundesheer auch zu anderem – nämlich der Verteidigung „unserer Grundwerte“. Außerdem wisse niemand, welch zweifelhafte Gestalten sich bei einer Berufsarmee verdingen, „woraus sich ein Berufsheer rekrutieren würde“. Den aktuellen Bestand an Offizieren und Berufssoldaten kennen wir hinlänglich – und auch, wie er seinen „Bildungsauftrag“ wahrnimmt und Grundwerte der bürgerlichen Gesellschaft, z.B. Kadaverergehorsam einbläut.
Linke Befürworter*innen der Wehrpflicht
Dass die Regierung und die herrschende Klasse zwischen Befürwortung und Ablehnung der Wehrpflicht aus durchaus nachvollziehbarem Grund gespalten sind, fechten linke Befürworter*innen der Wehrpflicht indes nicht an. Vor die falsche Alternative bürgerliches Berufsheer oder bürgerliche Wehrpflichtigenarmee gestellt, verteidigen sie in den extremsten Fällen die Wehrpflicht, als würde es sich dabei um eine Errungenschaft der Arbeiter*innenklasse, um eine halbfertige Form allgemeiner Volksbewaffnung handeln. Zwar gestehen auch sie zu, dass die Gründe von ÖVP und FPÖ für die Wehrpflicht abzulehnen sind, aber sie stehen wahlweise für eine allgemeine Wehrpflicht ohne „Wenn und Aber“ (Funke), eine „kritische Unterstützung der Wehrpflicht“ (RKOB) oder für die Wehrpflicht als „geringeres Übel“ (Linkswende).
So erklärt der Funke:
“Unsere Haltung zur Frage ‚Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht’ kann nur auf der Grundlage der Perspektiven des Klassenkampfes entschieden werden. Eine Söldnerarmee in den Händen der Regierung wäre ein viel geeigneteres Instrument, um eine rebellierende Bevölkerung mit Gewalt zu unterdrücken. Ein Berufssoldat wird eine niedrigere Hemmschwelle haben, wenn es darum geht, auf streikende ArbeiterInnen zu schießen, als ein Wehrpflichtiger, der in diesem Zusammenhang eventuell auf seine Verwandten, ehemaligen ArbeitskollegInnen oder FreundInnen schießen würde. Denn der Wehrpflichtige wäre weiterhin in seinem sonstigen sozialen Umfeld weitgehend verankert, gegen das er plötzlich mit der Waffe in der Hand eingesetzt werden soll. In einer Armee mit allgemeiner Wehrpflicht werden die Widersprüche zwischen der Armeeführung und dem Offizierskorps und den gewöhnlichen Soldaten viel leichter aufbrechen als bei einem Berufsheer. Es ist aus den genannten Gründen viel schwieriger Berufssoldaten zur Befehlsverweigerung oder gar zur offenen Unterstützung von Protesten zu gewinnen.”
Und weiter:
„Die Vergangenheit ist voller Beispiele, die dies eindrucksvoll beweisen. Bereits die ‘christdemokratische’ Regierung von Engelberts Dollfuß hat 1934, als die ArbeiterInnen sich gegen den kalten Putsch des von der ÖVP noch heute verehrten Kanzlers erhoben, das Bundesheer (damals ein Berufsheer) auf die Bevölkerung schießen lassen und den Karl-Marx-Hof mit Artilleriewaffen angegriffen.“ (http://www.derfunke.at/html/index.php?name=News&file=article&sid=2126)
Nun wird niemand bestreiten, dass ein eng zusammengeschweißtes Korps von Berufssoldaten oft leichter gegen die Bevölkerung einzusetzen ist. Allerdings kann und darf diese Hürde für den Einsatz einer Armee keineswegs überbewertet werden. Solange das Kommando des bürgerlichen Offizierskorps nicht gebrochen ist, sind natürlich auch die Verbände einer Wehrpflichtigenarmee gegen die eigene Bevölkerung einsetzbar (und wurden dies auch oft genug).
Obiges Zitat legt – ganz in der Tradition des sozialdemokratischen Reformismus – nahe, dass das Bundesheer im Bürgerkrieg 1934 nicht oder wenigstens viel schwerer gegen die Arbeiter*innenklasse einsetzbar gewesen wäre, hätte es eine Wehrpflichtigenarmee gegeben. Das ist eine gefährliche Illusion. Die Zuspitzung eines Entscheidungskampfes mit der Arbeiter*innenbewegung war in den 1930er Jahren unvermeidlich und wäre natürlich auch mit einer Wehrpflichtigenarmee gekommen.
Dass sie keineswegs mehr automatische „Widerstandskraft“ gegen eine reaktionäre Verwendung hat, belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass das Bundesheer unter den Austrofaschisten 1936 zu einer Wehrpflichtigenarmee umgewandelt wurde.
Damit aber nicht genug. Zustimmend zitiert der Funke aus dem Grundsatzprogramm der SJ:
„Die materielle Grundlage jeder Militärpolitik sind im bürgerlichen Staat die Streitkräfte. Historisch sind fast alle Heere der bürgerlichen Staaten als Armeen der allgemeinen Wehrpflicht entstanden. Als Antithese zu den feudalen Berufsheeren sollte die gesamte (bzw. eigentlich die Hälfte) der Bevölkerung in die Landesverteidigung eingebunden werden, um so das Entstehen eines von sozialen Interessen freien Heeres zu ermöglichen. Natürlich blieben die Streitkräfte im bürgerlichen Staat immer den Interessen der herrschenden Klasse verpflichtet, weil die Offizierskader großteils aus der Bourgeoisie stammen. Aber die allgemeine Wehrpflicht wurde zusehends zur Gefahr für die direkte Umsetzung der bürgerlichen Politik sowohl in der imperialistischen Außenpolitik als auch in der repressiven Innenpolitik.
Ein Heer, dessen Mannschaften vor allem aus Mitgliedern der ArbeiterInnenklasse besteht, aus Menschen, die soziale Interessen auch und vor allem außerhalb des militärischen Apparats besitzen, sind längst nicht so wie Berufssoldaten geeignet, den Weg für die Bourgeoisie in anderen Weltregionen frei zu schießen und noch weniger, als letzter Schutzschild gegen eine soziale Bewegung im eigenen Land zu dienen. Deswegen kam die allgemeine Wehrpflicht zunehmend in den bürgerlichen Misskredit. In den aggressivsten imperialistischsten Ländern, den USA und Großbritannien kommt sie nicht mehr zur Anwendung.” (http://www.derfunke.at/html/index.php?name=News&file=article&sid=2124)
An diesem Zitat stimmt so ziemlich gar nichts. Erstens sind keineswegs „fast alle Heere der bürgerlichen Staaten als Armeen der allgemeinen Wehrpflicht entstanden“. Dieses Modell setzte sich historisch erst nach dem deutsch-französischen Krieg auf dem europäischen Kontinent durch, wo sich das preußisch Modell als überaus schlagkräftig erwies.
Geradezu phantastisch ist die Vorstellung, dass die „allgemeine Wehrpflicht zur Gefahr für die direkte Umsetzung bürgerlicher Politik sowohl in der imperialistischen Außenpolitik als auch in der repressiven Innenpolitik“ geworden wäre.
Vielmehr mussten alle imperialistischen Mächte in den beiden Weltkriegen die allgemeine Wehrpflicht einführen. Ansonsten wären sie schlichtweg nicht in der Lage gewesen, den Erfordernissen imperialistischer Kriegführung Rechnung zu tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wehrpflicht z.B. in Deutschland, aber auch in Österreich als Mittel der Mobilmachung für einen etwaigen Krieg gegen den Warschauer Pakt eingeführt. Es ist eine der Lebenslügen der Zweiten Republik, diese Tatsache mit ihrem Neutralitätsgedusel und der sozialdemokratischen Verklärung der „neuen“ bürgerlichen Armee zu einer Art „Volksheer“ zu verklären.
Dass die Wehrpflicht heute in den meisten imperialistischen Ländern nicht existiert oder wie in Deutschland ausgesetzt ist, hat nur mit den aktuellen, zeitweiligen Erfordernissen zu tun, die jedoch im Zuge einer Verschärfung imperialistischer Konkurrenz, einer Verschärfung des Kampfes um eine Neuaufteilung der Welt durchaus der Notwendigkeit Platz machen können, die allgemeine Wehrpflicht als Norm wieder einzuführen.
Einer Verklärung der Wehrpflicht redet nicht nur der Funke offen das Wort. Selbst die linkere RKOB tut das und vollzieht dabei gegenüber ihrer Gründung einen deutlichen Rechtsschwenk. Unmittelbar nach ihre Gründung hatte sie noch die traditionelle Position von LFI bzw. Arbeiter*innenstandpunkt und LSR zu ihrem „programmatischen Erbe“ erklärt:
“Die LSR verteidigt weder die eine Form des Militarismus – das auf allgemeiner Wehrpflicht beruhende Heer – noch die andere Form des Militarismus – das Berufsheer. Beide Formen des Heeres wurden wiederholt gegen die ArbeiterInnenklasse im eigenen Land sowie gegen unterdrückte Völker eingesetzt. Daher bekämpfen wir beide Formen des Militarismus, ohne eine davon kritisch zu unterstützen.” (http://www.rkob.net/inland/wehrpflicht)
Einige Monate später will sie von einer prinzipiellen Ablehnung aller Formen des bürgerlichen Militarismus nichts mehr wissen:
“Ein weiteres Argument für die Wehrpflicht vom revolutionären Standpunkt aus ist, dass die Mehrheit der Arbeiterjugendlichen grundlegendes militärisches Wissen inklusive Schießen vermittelt wird. Wir Kommunisten und Kommunistinnen haben ein Interesse daran, dass ein möglichst großer Teil der Arbeiterklasse militärisches Wissen hat und mit Waffen umgehen kann. Deswegen sollten junge Kommunisten, solange die Wehrpflicht besteht, im Rahmen des Grundwehrdienstes Soldaten im Bundesheer sein. Deswegen rufen wir auf, bei einer möglichen Volksabstimmung kritisch die Vorteile der Wehrpflicht im Klassenkampf zu verteidigen und für die Wehrpflicht und gegen ein Berufsheer zu stimmen.” (http://www.rkob.net/inland/wehrdienst-oder-heer)
Lassen wir einmal beiseite, dass es mit dem „grundlegenden militärischen Wissen inklusive Schießen“ beim österreichischen Bundesheer nicht so weit her ist. Zu recht bemerkt z.B. die RSO, dass ein Grundwehrdiener in seiner Dienstzeit etwa so viel rumballert wie Teilnehmer*innen an einem Paint-Ball-Wochenende. Diese Realität wird von der RKOB ignoriert.. Ansonsten würde auch nicht so getan werden, dass Grundwehrdiener „grundlegendes militärisches Wissen“ erwerben würden.
Wie alle anderen „kritischen“ Befürworter*innen der Wehrpflicht macht aber auch die RKOB einen grundlegenden Fehler. Sie hebt zwar korrekt hervor, dass wir uns nicht mit pazifistischen Argumenten gegen die Wehrpflicht wenden dürfen. Revolutionär*innen erkennen an, dass der bürgerliche Staat nur gewaltsam gestürzt, dass die bürgerliche Armee zersetzt und zerschlagen werden muss. Dazu ist es unbedingt notwendig, die Kommandogewalt der Offiziere zu brechen. Sie erkennt auch an, dass sich daraus die Notwendigkeit ergibt, anti-militaristische Arbeit in der bürgerlichen Armee zu leisten.
Sie unterschlägt aber, dass die bürgerliche Armee – egal in welcher Form – immer ein Instrument der herrschenden Klasse ist. Das heißt aber auch, dass eine „kritische“ Unterstützung des Bundesheers in seiner aktuellen Form eben nicht bloß eine Unterstützung der Möglichkeit zur – wie auch immer eingeschränkten – militärischen Ausbildung ist, sondern notwendigerweise die „kritische“ Unterstützung der Ausbildung unter dem Kommando der bürgerlichen Offiziere inkludiert. Eine „kritische“ Unterstützung der Wehrpflicht läuft daher letztlich auf die politische Unterstützung einer bestimmten Form der bürgerlichen Armee hinaus – ähnlich der Unterstützung für ein Militärbudget.
Während Revolutionär*innen durchaus soziale Reformen vom bürgerlichen Staat einfordern bzw. diese gegen ihre Abschaffung verteidigen, bedeutet eine Unterstützung der Wehrpflichtigenarmee notwendigerweise auch einen politischen Vertrauensvorschuss für die bürgerliche Organisation und Leitung ebendieser repressiven Institution. Es bedeutet nichts anderes, als – wie auch immer „kritisch“ – für die Organisierung des militärischen Trainings der Arbeiter*innenklasse durch den bürgerlichen Staat und für seine Zwecke zu dienen.
Trotzki macht diesen Punkt in den Diskussionen um die Wehrpflicht in den USA vor dem Zweiten Weltkrieg sehr deutlich: „Wir sind absolut für verpflichtendes militärisches Training und auf dieselbe Art für Wehrpflicht. Wehrpflicht? Ja. Durch den bürgerlichen Staat? Nein. Wir können diese Aufgabe, wie jede andere, nicht dem Staat der Ausbeuter anvertrauen.“ (Trotzki, Writings, 1939/40, S. 321: „We are absolutely in favour of compulsory military training and in the same way for consciption. Conscription? Yes. By the bourgeois state? No. We cannot entrust this work, as any other, to the state of the exploiters.“)
Wie also soll eine allgemeine militärische Ausbildung dann für die gesamte Arbeiter*innenklasse und die Unterdrückten – also Männer und Frauen – realisiert werden? Dazu ist es notwendig, das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates und jede Einschränkung des Rechts auf Waffenbesitz durch die Bourgeoisie zu bekämpfen. Wir treten für die Organisierung von Selbstverteidigung bei Streiks und Demonstrationen, sowie zum Schutz vor Übergriffen etwa gegen Faschisten, und weiter führend für militärische Ausbildung in den Betrieben, in den Wohnbezirken durch die Organisationen der Arbeiter*innenklasse ein, allen voran den Gewerkschaften unter Einbeziehung von Soldatenkomitees, die sich auf die Seite der Lohnabhängigen stellen und deren Vertrauen genießen. Das sind Schritte zur Bildung erster Selbstverteidigungsorgane der Klasse, eine Politik, die mit anti-militaristischer Agitation in der Armee kombiniert werden muss.
Vor allem aber ist es eine wirkliche Alternative zur falschen Alternative zwischen zwei Formen des bürgerlichen Militarismus.