KV-Verhandlungen 2022: Theater am Rande des Abgrunds

Die Passitivität der Gewerkschaftsbürokratie droht die starke Kette gewerkschaftlicher Solidarität zu sprengen.

Dieses und nächstes Jahr geht es bei den Verhandlungen über die Kollektivverträge um viel. Den Gewerkschaften muss es gelingen, die Preisexplosion (und die massiven Gewinnsteigerungen) in Lohnerhöhungen zu übersetzen. Und sie muss es schnell tun: Nächstes Jahr wartet eine tiefe Rezession, die die Verhandlungsposition massiv schwächen wird. Dabei gibt es keine Einigung zur beiderseitigen Zufriedenheit. Die Gewerkschaft inszeniert aber eine sozialpartnerschaftliche Lösung, deren Grundlage es längst nicht mehr gibt. Das ersetzt aber die kämpferische Mobilisierung, die genau jetzt notwendig wäre.

Es ist wie, wenn ein Paar mit den Kindern im Auto auf der Bergstraße stecken bleibt. Das Benzin geht langsam aus und beide wissen, dass es danach keine Heizung mehr gibt. Außer ein paar Müsliriegeln nichts zum Essen, kein Handyempfang für die Hubschrauberrettung und es wird eine eiskalte Nacht. Vielleicht zu kalt.

Die Papas (es sind zwei Papas) müssten jetzt die Kinder nehmen, solange sie noch wach sind, und zu Fuß ins Tal gehen. Das ist auch kalt, und es wird sich wer den Fuß verstauchen, und Grizzlybären gibt es auch. Aber wenn die Familie die trifft, solange es noch hell ist, können sie die mit Bärenpfefferspray vertreiben.

Stattdessen spielen sie Theater für die Kinder. Sprechen ins Handy ohne Empfang, dass die Rettung gleich kommt und Kakao mitbringt. Dass man nur kurz schlafen muss, dann ist alles wieder gut, auch wenn es ein bisschen kalt wird. Und währenddessen rutscht der Hang unter den Reifen langsam Richtung Klippe.

Ausgangssituation: Doppelte Rekordprofite

Genauso spielt die Gewerkschaftsspitze ein Schmierentheater mit hohen Forderungen und Abschlüssen unter der aktuellen Inflation. Was sie jetzt liegen lassen, können sie im nächsten Jahr in der Rezession nicht wieder hineinbekommen – die Sozialpartner*innenschaft gilt nur noch für Zugeständnisse der Arbeiter*innen-Seite.

Die Firmen haben sich in den letzten drei Krisenjahren schamlos bereichert. Zuerst haben Coronahilfen, jetzt Preistreiberei für Rekordprofite gesorgt. Die Reallöhne der Arbeiter*innen sind währenddessen steil gesunken. Die Regierung schaut hier nicht tatenlos zu, sondern organisiert die Umverteilung von Unten nach Oben, mit milliardenschweren Unternehmenshilfen, Richtwertmieterhöhungen und Steuerentlastungen für die Reichen.

Kampfmaßnahmen

Die Lohnforderungen bei den Metaller*innen und im Handel (jeweils 10 %) aber auch bei den Brauer*innen (11 %) und in der Sozialwirtschaft (15 %) reflektieren den Wunsch der Arbeiter*innenklasse nach Lohnerhöhung. Aber: Die Handlungsgrundlage der Gewerkschaftsbürokratie, die Sozialpartner*innenschaft, ist schon seit den 1990er-Jahren langsam weggebröckelt. Die Einigung von Kapital und Arbeiter*innenbewegung im nationalen Interesse der Republik, die über Gesetzesentwürfe genauso entschieden hat wie über Preiskontrollen, wurde spätestens unter der Regierung Schwarz-Blau 1 ab 2000 aufgekündigt.

Bei den Lohnverhandlungen hat die Melange aus Theatergesten und regelbasierten Verhandlungen noch am längsten gehalten. Aber 2022, im Jahr vor der Rezession, geht es für beide Seiten um die Wurst. Rezessionen sind im Kapitalismus meistens Umverteilungen von Unten nach Oben, besonders wenn es dann um die Bewältigung der Krisenkosten geht. Aber es gehen auch genügend Firmen unter. Um diesem Schicksal zu entgehen setzt jede einzelne Firma auf Geldpolster und niedrige Lohnkosten – und vertraut der Wirtschaftskammer, das in den Verhandlungen durchzusetzen.

Der Abschluss der Metaller*innen, mit zwischen 5,4 % und 8,9 % Erhöhungen für die verschiedenen Lohngruppen, bleibt hinter der Oktoberinflation (11 %) zurück. Produktivitätsanstieg oder Rekordprofite haben sich erst recht nicht niedergeschlagen. Die Gewerkschaften verkaufen das als klugen Verhandlungserfolg. Aber erfolgreich waren sie nur darin, Kampfmaßnahmen und eine gemeinsame Mobilisierung zu verhindern, vor deren Misserfolg sie Angst hatten. Die Folgen für die Verhandlungen im Handel und in der Sozialwirtschaft, mit weniger Gewerkschaftsmitgliedern, kleineren Betrieben und weniger traditioneller Streikkraft, sind fatal.

Druck von unten

Dieses Jahr müssen dann wohl die anderen Branchen den Metaller*innen zeigen wie man kämpft. Es kann daher gut sein, dass die Metall-Branche gerade dieses Jahr, wenn ganz unterschiedliche Branchen gleichzeitig in den KV-Verhandlungen stecken, ihre Vorbildrolle verliert. Im Sozialbereich gibt es von gewerkschaftlicher Seite gemeinsame öffentliche Demonstrationen und Linke organisieren sich an der Basis um Druck ausüben zu können. Nach fast drei Jahren Pause könnte hier ein neuer Impuls für den Rest der Gewerkschaftsbewegung durch Proteste und Streiks ausgehen.

Aber auch von der österreichischen Gewerkschaftsführung lange vernachlässigte Bereiche sind dieses Jahr schon dabei zu mobilisieren. Beim Essensauslieferer mjam gibt es aktuell mit koordinierten Demonstrationen die de facto Streikmaßnahme der Beschäftigten, die fast ausschließlich freie Dienstnehmer*innen sind. Bei mjam bekommen die Fahrer*innen 4 € pro Bestellung, garantiert werden ihnen von mjam zwei Bestellungen pro Stunde, das macht nach Abzügen 6,48 € Mindestlohn pro Stunde – und dieser wurde seit mehr als 3 Jahren nicht erhöht. Wenn hier die Proteste fahrt aufnehmen, könnte das massive Strahlkraft auf andere traditionell schlecht organisierte und prekäre Sektoren – insbesondere Paketzusteller*innen – haben.

Ziel muss letztlich sein die aktuell gleichzeitig stattfindenden KV-Verhandlungen in gemeinsame Aktionen der Arbeiter*innenklasse aller Branche zusammen zu führen. Durch die Inflation sind wir alle betroffen, deshalb braucht es auch eine gemeinsame Antwort. Zusammen sind wir stark und durch branchenübergreifende Proteste, Demonstrationen und Streiks können wir die Herrschenden in die Knie zwingen!