Für eine gleitende Anpassung der Löhne!

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Aktuell stehen wieder die jährlichen KV-Verhandlungen der Herbstlohnrunde an. Bei den Metaller*innen gab es schon die Übergabe der Forderungen. Hier fordern die zuständigen Gewerkschaften PRO-GE und GPA eine Lohnerhöhung von 10,6 % für alle Beschäftigten im Metallbereich. Auch in anderen Branchen stehen die Verhandlungen an, wie beispielsweise im Sozialbereich (SWÖ-KV) oder bei den Eisenbahner*innen. Im Sozialberiech bleibt die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einem Abschluss „deutlich über der Inflation“ um einiges vager, bei den Eisenbahner*innen hat die VIDA vorgezogene KV-Verhandlungen durchgesetzt. Insgesamt stellt sich inmitten der höchsten Inflation seit einem halben Jahrhundert grundlegend die Frage wie sich die Gewerkschaftsbewegung in so einer Situation zu Lohnforderungen verhalten soll. Reicht es bei der althergebrachten Tradition der KV-Verhandlungen zu bleiben?

Die Regeln des Verhandelns

In „normalen“ Jahren ist das Ritual der KV-Verhandlungen recht einfach. Es wird eine durchschnittliche Inflationsrate der letzten 12 Monate ausgerechnet und als Grundlage (neben anderen Indikatoren) für die Lohnforderungen genommen. Dann gibt es mehrere Verhandlungsrunden und in den besser organisierten Sektoren vielleicht auch einmal die eine oder andere Betriebsversammlung. In außergewöhnlichen Situationen werden dann eventuell von gewerkschaftlicher Seite auch noch Kundgebungen oder Demonstrationen organisiert, für einen echten Streik muss aber ganz schön was passieren. Am Ende des ganzen gibt es dann einen Abschluss – je nach Branche – leicht über oder leicht unter der durchschnittlichen Inflationsrate der letzten 12 Monate.

Diese Form der ritualisierten Verhandlungen bringt einerseits oft genug mehr als mäßige Ergebnisse ein, andererseits führt sie dazu, dass langfristig die Beschäftigten verlernen was der ÖGB nämlich eigentlich sein soll. Sich selbst bezeichnet der ÖGB nämlich in seinem Leitbild als „Kampforganisation“. Für viele Beschäftigte in Österreich ist er aber kaum von einer (halb)staatlichen Stelle wie der Arbeiterkammer oder dem Verein für Konsumenteninformation zu unterscheiden. Das drückt sich nicht nur in den seit den 80er Jahren fallenden Mitgliedszahlen aus – auch wenn sich dieser Trend in den letzten zehn Jahren verlangsamt hat.

Wesentlich bei den Verhandlungen sind diverse wirtscahftliche Inditkatoren für die Gehaltsforderungen, insbesondere die durchschnittliche Inflationsrate der letzten 12 Monate. Sie unterscheidet sich von der jährlichen Inflationsrate dahingehend, dass sie nicht die aktuellen Preise mit denen von vor einem Jahr vergleicht, sondern versucht die durchschnittliche Teuerung über das letzte Jahr verteilt zu ermitteln. Wenn es also zu einer steigenden Inflation kommt, hinkt sie deutlich der akuten Inflationsrate hinterher. Bei den Metaller*innen ist zum Beispiel Grundlage für die Verhandlungen eine durchschnittliche Inflationsrate der letzten 12 Monate von 6,3 %.

Weils heute teuer ist und nicht vorgestern

Hier sieht man auch schon wo das Problem ist, die Löhne werden rückwirkend für das letzte Jahr angepasst und nicht für das was wir aktuell zahlen müssen, geschweige denn im Winter fürs Heizen und den Strom. Das mag zwar in „normalen“ Zeiten nicht so schlimm sein und in Zeiten der sinkenden Inflation sogar vorteilhaft (weil ja rückwirkend die höhere Inflation abgegolten wird), aber in der aktuellen Situation ist es für viele Leute eine Katastrophe. Wir haben dieses Jahr schon KV-Abschlüsse erlebt. So zum Beispiel im Mai als die KV-Löhne in der Chemischen Industrie um 4,95 % angehoben wurden, und das obwohl die Inflation im April schon mehr als 7 % betrug. Die nächste Erhöhung für die Beschäftigten dort steht erst wieder nächsten Frühling an, durch den kalten Winter und Inflationsraten von (aktuell noch) mehr als 9 % müssen sie mit den Erhöhungen von Mai durchkommen. In der heutigen Realität bedeutet das einen schmerzhaften Reallohnverlust. Österreichweit droht laut WIFO dieses Jahr der größte Reallohnverlust seit 1955.

Die gleitende Lohnskala

Wir setzen diesem gefährlichen Reallohnverlust die gleitende Lohnskala entgegen. Andere Länder mit einer klassenkämpferischen Tradition hatten so ein System in der Vergangenheit, wie Frankreich in den 50er bis Anfang der 80er Jahre oder Italien in den 70er und 80er Jahren. Auch heute hat Belgien noch ein ähnliches System. Hier werden die Löhne in regelmäßigen Abständen automatisch an die Inflation angepasst.

Doch die bisher implementierten Systeme hatten auch ihre Probleme. Auf der einen Seite macht unserer Meinung nach eine direkte Bindung an die Inflation nur Sinn, wenn die Inflation einen so hohen Wert erreicht hat, dass jährliche Kollektivvertragsverhandlungen mit dieser nicht mehr mithalten können.

Ein anderes Problem ist die Frage wie denn der Wert für die Inflation ermittelt wird. Die offizielle Inflationsrate setzt sich durch den Verbraucherpreisindex (VPI) zusammen. Dieser wird in Österreich von der Statistik Austria berechnet. Basis ist der Konsum von Waren und Dienstleistungen. Der ist aber logischerweise nicht für alle Menschen in Österreich gleich. Sehr oft steigt beispielsweise der Mini- oder Mikrowarenkorb, die einen wöchentlichen bzw. täglichen Einkauf repräsentieren sollen, um einiges stärker als die allgemeine Inflationsrate des VPI.

Für die Lohnabhängigen ist daher nicht nur aktuell der Kampf um eine Bindung der Löhne an die Teuerung notwendig, sondern auch der Kampf darum wie denn diese Teuerung erst überhaupt definiert wird. Um die für die Arbeiter*innenklasse relevante Teuerung abgleichen zu können braucht es deshalb Preiskomitees, die die Teuerung der Produkte, die für uns wirklich relevant sind, abbilden können. Die Inflationsrate, die einer gleitenden Lohnskala zugrunde liegt, muss deshalb unsere Lebensrealität wiedergeben und durch Organe der Arbeiter*innenbewegung festgelegt werden!

Auf ein letztes beliebtes Gegenargument wollen wir hier noch eingehen. Von unterschiedlicher, aber insbesondere auch von gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Seite, ist oft das Argument zu hören, dass eine gleitende Lohnskala die Tarifautonomie (also unabhängig vom Staat ausgehandelte Kollektivverträge) aushöhlen bzw. abschaffen würde. Doch so ist die gleitende Lohnskala nicht zu verstehen. Auf der einen Seite sind das vermutlich realistische und naheliegendste Mittel der Durchsetzung einer gleitende Lohnskala die einzelnen Kollektivverträge selbst bzw. für die gesamte Klasse ein Generalkollektivvertrag. Auf der anderen Seite muss klar sein, dass es bei KV-Verhandlungen nicht einfach nur um Inflationsanpassungen gehen kann und deshalb darüber hinaus führende Forderung (Reallohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen u.ä.) dann zum wesentlichen Inhalt solcher Verhandlungen werden könnten.