Die Preise explodieren, nicht nur in Österreich, sondern von Europa bis in die USA. Energie, Lebensmittel und Mieten werden für breite Teile der Bevölkerung unleistbar. Für neokoloniale Länder im globalen Süden gehört diese Existenzbedrohung der Arbeiter*innenklasse und der Erwerbslosen schon länger zur Krisennormalität. Aber, dass die beschworene Preisstabilität auch in den imperialistischen Zentren wackelt, zeigt wie gefährlich der weltweite Kapitalismus unter Krieg und Gesundheitskrise wackelt. Das ist mehr als eine spannende Beobachtung: Wenn es nicht gelingt, die Lebenskostenkrise der Arbeiter*innenklasse abzuwehren, droht eine tiefe soziale Krise, und eine weitere Schwächung der Linken.
Vor nur zwei Jahren hat das Gegenteil den Zentralbanken und Unternehmensverbänden Kopfweh gemacht. Die jährlichen Preiserhöhungen wollten und wollten nicht an das „Inflationsziel“ von 2 % herankommen, die Geldmengenpolitik der EZB ging direkt in Aktienblasen statt in die Supermärkte und Firmeninvestitionen.
Beides, sowohl Niedrig- als auch Hochinflation, sind Krisenphänomene des Kapitalismus seit der globalen Rezession 2008. Die Hochinflation ist allerdings deutlich kurzfristiger existenzbedrohend für Arbeiter*innen, Erwerbslose und Arme. Um das effektiv zu verhindern müssen wir um mutige Forderungen kämpfen, Preise beschränken und die wichtigsten Wirtschaftsbereiche von Heizung bis Lebensmitteln unter demokratische Kontrolle stellen. Und wir müssen verstehen, was sich da eigentlich tut. Eine marxistische Analyse ist zwar anstrengend, aber hilfreich.
Hochinflation ab 2022
„Die Inflation ist zurück“ haben unsere deutschen Genoss*innen von der Gruppe Arbeiter*innenmacht Anfang des Jahres geschrieben, „inflation is here to stay“ verkündete die US-Zentralbank FED. In der anhaltenden Coronakrise sind dramatische Preissteigerungen in die imperialistischen Zentren zurückgekehrt, mit Anstiegen wie sie zum Beispiel Österreich seit den Ölpreisschocks der 1970er-Jahre nicht mehr erlebt hat.
Das hat schon letztes Jahr begonnen, im September 2021 lagen die durchschnittlichen „Verbraucher*innenpreise“ um 3,3 % über dem Vorjahresmonat. Der durchschnittliche Wocheneinkauf („Miniwarenkorb“) war sogar um 6,8 % teurer. Vor allem die Preise für Energie und Gastronomie sind damals schnell gestiegen, Preise die im ersten Coronajahr 2020 stark gefallen waren.
Das war kein „Wiederaufholen“ zum Vorkrisenniveau, was die Preisexplosion 2022 klar zeigt. Mittlerweile gehen Wirtschaftsforscher*innen von einer Jahresinflation um die 10 % aus. Die Preise für Heizung und Strom haben sich verdoppelt bis vervierfacht, Wien Energie zum Beispiel hat dieses Jahr schon mehrmals die Preise für Strom, Gas und Fernwärme erhöht. Die „Preisindexe“, an denen sich diese Rechnungen orientieren, haben sich dieses Jahr für Gas vervierfacht (+ 323 %), für Strom mehr als verdreifacht (+ 249 %).
Das ist keine österreichische oder europäische Besonderheit. Auch in den USA liegt die Durchschnittsinflation bei 9 %, in China um die 5 %.
Dazu drei Nebensätze: In den neokolonialen Ländern des globalen Südens sind Hoch- und Hyperinflation nichts Besonderes oder Neues. Auch das soziale Elend, das dadurch zum Beispiel in Venezuela, der Türkei oder Argentinien entsteht, ist nicht geringer oder normaler als in den imperialistischen Zentren. Trotzdem: Wenn es den Imperialist*innen nicht gelingt solche Entwicklungen vor der eigenen Haustür abzuwenden, liegt einiges im Argen.
Diese Zahlen sind ein krasser Unterschied zu den letzten 15 Jahren. Nach der Finanzkrise 2008 haben sich die US- und EU-Zentralbanken regelmäßig ein „Inflationsziel“, also durchschnittliche Preissteigerungen von 2 % pro Jahr gesetzt. Und sie sind regelmäßig daran gescheitert, trotz radikaler Maßnahmen wie „Quantitative Easing“, Null-Leitzins und direktem Kauf von Unternehmensanleihen (dazu später mehr).
2022, unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs und anhaltenden Corona-Lockdowns, sind die imperialistischen Staaten aus einer Niedriginflationsphase in allgemeine Teuerungsexplosion übergegangen. So richtig passt es quasi nie.
Eine soziale Krise, die Lebenskostenkrise
Das ist nicht egal, das sind nicht nur Details der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Ende 2022 werden sich viele Haushalte schwertun, Nahrungsmittel und Heizung zu bezahlen. Die stark angehobenen Mieten (Richtwertmietzins) und noch stärker steigenden Betriebskosten machen Angst vor Zwangsräumung und Wohnungsverlust.
In Österreich droht im Winter eine breite soziale Krise, eine Lebenskostenkrise. Zum ersten Mal seit vielen Jahren werden Hunderttausende schlagartig und massiv an Lebensstandard verlieren.
Der Kreditschutzverband KSV1870 rechnet deshalb 2022 mit massiv steigenden Privatkonkursen. Alltägliche Rechnungen werden sich so auftürmen, dass Haushalte nicht mal hinterher kommen wenn sie ihre Ausgaben massiv einschränken.1
Das heißt konkret: Im Winter 2022 werden sich Zehn- oder Hunderttausende Haushalte die Heizung nicht leisten können. Wenn die Energieversoger*innen sie ihnen dann abdrehen, frieren sie sich zu Tode. Wenn der Hahn nicht abgedreht wird, schlittert entweder der Haushalt in Schuldenfalle und Konkurs, oder das Unternehmen, oder beide.
Das heißt auch: Im Winter 2022 werden sich Zehntausende Eltern zwischen Essen und Heizung im Kinderzimmer, zwischen Waschmaschinenreparatur oder Wocheneinkauf entscheiden. Und wenn die Lebensmittelpreise so weiter steigen wie bisher, dann wird sich keins davon wirklich ausgehen.
Auch die Kreditversicherungsgesellschaft Coface gibt vierteljährlich einen Bericht heraus, der sich das Risiko von Zahlungsausfällen ansieht. Sie berechnen quasi, wie viele Menschen es sich nicht leisten können ihre Rechnungen zu bezahlen, sowohl Konsument*innen (zum Beispiel Wien Energie-Kund*innen) als auch Unternehmen. Sie gehen für 2022 von einem hohen (und dramatisch gestiegenen) Risiko in der Agrar-, Chemie-, Bau-, Metall- und Energiebranche aus.2
Das bedeutet auch: Bei vielen Unternehmen steigen gerade die Produktionskosten und sie wissen nicht ob ihnen jemand ihre Produkte noch abkaufen kann. Das führt zu Baustoffmangel und stockenden Produktionsketten, aber auch zu Insolvenzen und Arbeitsplatzverlust. Für Unternehmer*innen ist ein Konkurs ärgerlich, für zehntausende Arbeiter*innen die dabei ihren Job verlieren, ist das existenzbedrohend.
Schon jetzt betrifft die Inflation vor allem Arbeiter*innen, Erwerbslose, Alleinerziehende und prekär Beschäftigte. Bei einer folgenden Rezession oder anhaltenden Stagnation würden wir doppelt draufzahlen.
Was ist Inflation nochmal?
Inflation ist ein Angstwort. Für normale Menschen weil sie sich für ihr Geld weniger leisten können, und für Ökonom*innen weil sie sich schwer tun sie wirklich zu verstehen, geschweige denn zu erklären.
Inflation bedeutet eine anhaltende und allgemeine Preiserhöhung. Obwohl im Kapitalismus die Produktion immer effizienter, die Arbeitskosten pro Stück immer niedriger, die Transportwege immer perfekter abgestimmt werden, steigen die Preise.
Aber das wird in erster Linie als Durchschnittswert gemessen: der Energiekostenindex, der Verbraucherpreisindex, der Investitionskostenindex. Das macht Sinn um die Situation von Betroffenen zu beschreiben, weil sie für den bestehenden Konsum so und so viel Prozent mehr Geld ausgeben müssen.
Wenn es jetzt aber „Ausreißer“-Branchen gibt (und die gibt es eigentlich immer), steigt auch der Durchschnittswert sofort. Wenn Russland den Ölhahn zudreht, macht das unmittelbar erstmal nichts mit den Ticketpreisen für die Wiener Linien, aber die durchschnittlichen Preise für Verkehr schießen in die Höhe. Umgekehrt haben in den vergangenen Jahren die sinkenden Preise für PCs den Verbraucherpreisindex ordentlich nach unten gezogen, obwohl Nudeln im Supermarkt jedes Jahr fünf Cent mehr gekostet haben.
Allgemeine Preissteigerungen bedeuten, dass so gut wie alle Zeilen am Kassazettel raufgehen. Dafür gibt es zwei Gründe. Wenn der Gaspreis hochgeht, erhöhen sich auch die Energiekosten in der Produktion, das könnte man „Zweitrundeneffekt“ nennen. Und gleichzeitig wären Firmen ja blöd, bei einer sich ausbreitenden Preissteigerung nicht mitzumachen und ein bisschen zu übertreiben (solange Konsument*innen sich das noch leisten können und tatsächlich mehr Geld liegen lassen), das heißt dann „Mitnahmeeffekt“.
Im Moment beobachten wir beides und noch viel mehr. Aber wir sehen auch, dass genau das „sich noch leisten können“ bald nicht mehr gegeben sein wird. Viele Haushalte konnten während der Coronalockdowns gar nicht so viel Geld ausgeben wie sonst, weil Beisln geschlossen waren und der Sommerurlaub an der Reisesperre scheiterte. Dieses „zwangsersparte“ Geld ist aber schon aufgebraucht, die Menschen sind nicht mehr flüssig und haben ein Liquiditätsproblem.
Das ist die Ursache der kommenden sozialen Krise und auch die Angst der Unternehmen. Wenn jetzt einzelne Firmen ausscheren, die Preise nicht erhöhen, dann steigen ihre Produktionskosten trotzdem und ihnen geht die Liquidität aus. Schlimmer noch, wenn die direkte Konkurrentin mehr Gewinne macht kann sie schneller wachsen und in der Konsequenz den Markt dominieren. Und es gibt ja auch keine Belohnung, als einzelnes Unternehmen nicht mitzuschneiden am großen Kuchen, das lässt sich dann nur wer anderer schmecken. Also reiten sie die Welle mit, bis sie bricht und darüber hinaus. Und hoffen, dass der kapitalistische Staat, der so genannte „ideelle Gesamtkapitalist“ Regeln für alle einführen wird, damit man nicht mehr mitziehen muss.
Erst Niedriginflation, dann Preisexplosion
Da hat sich, wie erwähnt, recht rasch etwas geändert. Der weltweite Kapitalismus ist von einer Niedrig- in eine Hochinflationsphase übergegangen. Es ist wichtig zu verstehen, warum es im Kapitalismus überhaupt Inflation, also allgemein steigende Preise gibt, aber auch warum er zu niedrige Inflation genauso kennt wie explodierende Werte.
Denn eigentlich, und auch dazu später mehr, bedeutet Inflation, dass Unternehmen nicht mehr investieren, obwohl Konsument*innen mehr kaufen wollen und könnten. Firmen entscheiden sich gegen Investitionen, wenn die Profitrate niedriger ist als in anderen Bereichen – dann erhöhen sie zum Beispiel einfach die Preise, fangen so das „verfügbare Einkommen“ auf und legen es in Finanzprodukten an.
Nach der Finanzkrise 2008 war der Kapitalismus in Europa und den USA in einer tiefen Verwertungskrise. Schon Jahre davor hatten Unternehmen lieber in Spekulationsblasen (am Immobilien- und Aktienmarkt) investiert, dieses zusammenbrechende Kartenhaus riss dann auch Fabriken aus Ziegeln und Stahl mit. Trotzdem folgte eine Phase von sehr, sehr langsam wachsenden Preisen, vor allem bei den Kapitalgütern: Firmenwachstum war billig, und billiger als für Arbeiter*innen, deren Wocheneinkäufe schon teurer wurden. Und das, obwohl die Wachstumsraten von Produktion und Profiten wirklich niedrig waren.
Dafür gab es drei Gründe, wie unser Genosse Markus Lehner von der Gruppe Arbeiter*innenmacht in Deutschland erklärt (seinen Artikel findest du ebenfalls in dieser Ausgabe der flammende):3
„(1) Die Gewichte im Welthandel hatten sich stark zu Gunsten von China verschoben, das als Lokomotive der Weltwirtschaft mit seinen Produktionsketten den Weltmarkt weiterhin mit billigen Herstellerpreisen bedienen konnte; (2) die Antikrisenpolitik in den imperialistischen Ländern fußte weiterhin auf Stagnation der Löhne und Massenkaufkraft; (3) trotz der Politik des billigen Geldes vertraute das globale Kapital aus Angst vor schlimmeren Verlusten in sogar gesteigertem Maße ihr Geld den klassischen imperialistischen Anlagemärkten an. In Folge wurden viele der angeblich aufsteigenden Schwellenländer (z. B. Brasilien, Türkei) durch Kapitalmangel und schrumpfende Weltmarktchancen gebeutelt. In vielen dieser Länder breitete sich bereits Stagflation aus.“
Auch 2020-22 führen die Produktionsunterbrechungen in Coronalockdowns (vor allem die zeitweise Schließung wichtiger chinesischer Häfen) und der russische Angriffskrieg in der Ukraine zu niedrigen erwarteten Profitraten. Firmen wissen nicht, ob sie Vorprodukte kaufen können (oder zu welchem Preis), ob sie überhaupt produzieren können und ob das irgendwer kaufen wird. Jetzt reagieren sie aber genau umgekehrt, indem sie ihre Preise hinaufsetzen und die Produktionsmenge heruntersetzen.
Ein Grund dafür ist die internationale Tendenz zur „Deglobalisierung“ durch Krieg, Sanktionen und Handelskrieg. Auch der damalige Wirtschafstsmotor China, in den europäische Gewinne gewinnbringend investiert werden konnten, läuft nicht richtig an. Zahlungsausfälle im Immobiliensektor und wiederholte Unterbrechungen in Produktion und Handel beuteln den neuen Imperialismus. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich das so schnell ändern sollte.
Der Kapitalismus ist ein inflationäres System
Um zu verstehen, dass der Kapitalismus unmenschlich und instabil ist, muss man nur die Augen aufsperren. Um zu verstehen, warum das so ist, kann es hilfreich sein, den Blick auf ein bisschen marxistische Ökonomie zu richten. Auch wenn die teilweise unnötig kompliziert geschrieben ist.
Im Kapitalismus arbeiten die Kapitale, die sich in Unternehmen und Banken und Interessensverbänden sammeln, gegeneinander. Eine Kapitalistin tut entweder was notwendig ist, um ihre Investitionen zu vermehren (Kapital zu akkumulieren), oder sie geht im Wettbewerb unter. Das bedeutet, Firmen versuchen vor allem Profit zu machen und setzen Handlungen, wenn sie sich dafür Profit erwarten. Das sind grundlegende Widersprüche, zwischen Unternehmen genauso wie zwischen Unternehmen und Beschäftigten, und diese Widersprüche treiben den Wirtschaftsmotor an.
Solche Widersprüche machen den Kapitalismus zu einer grundlegend inflationären Wirtschaftsweise, zu einer Art Produktion zu organisieren, in der Preise weiter und weiter steigen. Das ist eigentlich, Vorsicht Wortwitz, widersprüchlich. Denn im Wettbewerb führen Firmen immer effizientere, günstigere Produktionsweisen ein, unterbieten sich gegenseitig im Preis und steigern die Arbeitsproduktivität. Um den Lebensstandard einer Arbeiter*in aus dem 19. Jahrhundert zu erreichen (Zimmer zu zehnt und ein Stückerl Fleisch am Sonntag) muss man nicht mehr 80 sondern eher 5 Stunden in der Woche arbeiten. Aber man wird halt auch sozial isoliert und stirbt mit ungefähr 45 an Mangelernährung.
Der Schlüssel zur Inflation ist das Geld. Preise ergeben sich aus den produzierten Waren und dem Geld, das dafür ausgegeben wird. Mehr Waren mit gleich viel Geld heißt Deflation, mehr Geld für gleich vielen Waren heißt Inflation. Aber gleich viele Waren gibt es genauso selten (nämlich niemals) wie gleich viel Geld.
Geld ist ebenfalls eine Ware, also ein Produkt das hergestellt wird damit es am Markt gekauft wird, und damit die Herstellerin Profit erzielt. Marx nennt das „Geldware“, ein Produkt, das gegen alle anderen direkt eingetauscht werden kann. So spart man es sich, für seinen produzierten Tisch genau die Abnehmerin zu finden, die den Mantel loswerden will, den man wiederum selber haben will. Und sparen ist nicht nur eine bürgerliche Tugend, Zeit sparen, effizient sein, ist eine notwendige Voraussetzung für kapitalistisches Wachstum.
Typische Geldwaren sind Kaurimuscheln, Goldstücke oder Silbermünzen. Und auch die werden dann produziert, wenn es Nachfrage gibt. In einer wachsenden Gesellschaft, die immer mehr Waren zum Tausch herstellt, ist eine gewisse Nachfrage nach Geldwaren immer gegeben. Also: Die Geldware hat einen Gebrauchswert, jemand möchte sie haben und deshalb erst kann sie einen Tauschwert bekommen.
Wie profitabel die Produktion ist, hängt vom Tauschwert und von alternativen Investitionsmöglichkeiten ab. Als zum Beispiel der Goldrausch in Kalifornien am absteigenden Ast war, hat man stattdessen mit Denimhosen mehr Geld gemacht, dachte sich zumindest Levi Strauss, der die Blue Jeans erfand.
Und dann gibt es bei Marx noch Geldzeichen, Fetzen Papier, die versprechen, dass man dafür eine Geldware bekommt. Solange die frei weitergetauscht wird, kann sie wie Geld verwendet werden. Und auch diese Geldzeichen wollen gedruckt werden, auch das ist ein Produktionsprozess, den sich Kapitalist*innen nur antun, wenn Gebrauchswert, Nachfrage und Profit winken.
Heute sind Geldzeichen vor allem Zeilen im Computer: Banken vergeben Kredite, indem sie einer Firma versprechen Geld zu überweisen, wenn sie etwas kaufen oder wen anstellen wollen. Für einen Kredit gibt es Zinsen, für ein bedrucktes Geldzeichen bekommt man ein anderes (nämlich eine Aktie), und für eine mühsam geprägte Silbermünze kriegt man einen Wocheneinkauf oder ein Bussi vom Enkerl. Alles sehr profitabel oder zumindest schön.
Das Herstellen von Geld ist profitabel, weil mit einer wachsenden Warenmenge auch die Nachfrage nach dem Tauschmedium steigt. Und weil viele Firmen, Banken, Prägereien miteinander konkurrieren, stellen sie sogar ein bisschen mehr her als eine einzelne Firma müsste. Da kommt die Inflation prinzipiell einmal her. Und das genauer zu verstehen heißt auch, zu verstehen, wann die Inflation besonders hoch und wann sie besonders niedrig ist.
Die Geldproduktion ist übrigens genau deshalb auch genau reguliert. Staaten kontrollieren in Extremfällen sogar die Preise (zum Beispiel in den Weltkriegen, oder in Österreich früher die Lohn-Preis-Kommissionen der Sozialpartner*innenschaft). Davor gab es die Abmachung, dass weltweit nur so viel Geld in Umlauf sein durfte, wie Goldreserven in Tresoren lagern (der Goldstandard), später dann in Gold und Dollarscheinen mit einem festgelegten Tauschverhältnis (das „Bretton-Woods-System“).
Nach der Hochinflation der 1970er-Jahre wurden mit der „neoliberalen Wende“ auch diese strikten Regelsysteme abgeschafft. Aber in schwächerer Form existieren sie immer noch, zum Beispiel verlangt die Europäische Zentralbank von Banken, dass sie einen gewissen Prozentsatz der Kredite, die sie ausgeben, mit Reserven decken können. Diese Reserven leihen sie sich von der Zentralbank, die frei entscheidet wie viel sie davon ausgibt. Nachdem die Kreditvergabe durch Banken der wichtigste Aspekt moderner Geldproduktion ist, bedeuten die Regeln für Banken eine Beschränkung der Geldproduktion.
Preise steigen nicht, sie werden erhöht
Das Zusammenspiel von Geldmenge, Geldproduktion und Gebrauchswert der Geldware ist aber nicht alles. Sie sind nur die Rahmenbedingungen, das „Makrosystem“, in die sich konkrete Preisentscheidungen einordnen. Preise steigen nicht, sie werden erhöht.
Eine Supermarktkassiererin pickt einen neuen Preiszettel ins Regal, jemand in der Firmenzentrale gibt eine neue Zahl ins Kassensystem ein, eine Managerin oder ein Manager beschließen: clever Nudeln kosten ab nächstem Montag € 1,39, und drei Wochen drauf gibt es eine Sonderaktion wo sie kurzzeitig auf € 0,99 heruntergesetzt werden. Das sind Managemententscheidungen, die Entscheidungen von wirtschaftlich handelnden Personen im Interesse des Kapitals, eingebettet in Wettbewerb und Markt – aber der Markt lässt keine Preise steigen.
Das Verwechseln von Menschen und Waren, von Macht und Markt, ist leider tief in das menschliche Bewusstsein eingefressen – im Kapitalismus. Marxist*innen nennen das Warenfetisch, konkrete Dinge und Lebensverhältnisse mit einem mystischen Markt zu verwechseln. Es ist zwar der Personalchef, der die Entlassungspapiere unterschreibt, der Aufsichtsrat, der die Belegschaft halbiert. Aber oft sprechen wir vom Arbeitsmarkt, von der Auftragslage, oder im falschesten Fall von der Massenzuwanderung, die unser Einkommen auf 55 % Arbeitslosengeld mit begleitenden AMS-Schikanen kürzt.
Konkrete Menschen, Kapitalist*innen und ihre Managementstäbe, entscheiden also wie viel sie produzieren lassen und für welchen Preis das verkauft wird. Wenn nun die „effektive Nachfrage“ (das heißt, jemand mag das haben und kann es auch bezahlen) steigt, können Kapitalist*innen entweder mehr herstellen, oder das Hergestellte teurer verkaufen, um sich den verfügbaren Batzen Geld einzustecken.
In der Tendenz (und diktiert vom Makrosystem in das alle eingebettet sind) wird dann investiert, wenn die Investition sich auszahlt, wenn dabei ein Profiteuro-pro-Investitionseuro herausspringt, den man woanders nicht bekommt. Das ist für das Kapital immer bevorzugt: Kapital kaufen, damit produzieren, die Waren verwerten und mit dem Profit neues Kapital anhäufen, das ist Kapitalakkumulation. Das ist die Triebfeder im Kapitalismus.
Nur manchmal ist es nicht bevorzugt, nämlich wenn die Profitrate nicht stimmt, oder zu unsicher ist, oder eine kleine Bitcoinspekulation (voraussichtlich) mehr einbringt. Der marxistische Ökonom Anwar Shaikh drückt das weniger blumig aus, wenn er von der entscheidenden erwarteten Unternehmensprofitrate spricht. Das ist die Differenz aus erwartetem Profit und Zinssatz den man fürs Herborgen bekommt (die sichere und vor allem weniger anstrengende Alternative).
Inflation entsteht, wenn Geldproduzent*innen mehr Geldzeichen in Umlauf bringen, diese auch für Käufe verwendet werden, als die Warenmenge steigt. Inflation steigt (ist also bei 10 % statt 2 %) wenn mehr Kapitalist*innen Preise erhöhen als zu investieren.
Das liegt dann zum Beispiel an gesunkenen Profitraten (die eine Krise ankündigen). Oder an der Unsicherheit, was in den nächsten Monaten passieren wird, ein Anzeichen, dass die Krise schon begonnen hat. Und da stehen wir jetzt.
Globalisierung und Outsourcing der Inflation
Politiker*innen, Wirtschaftsforscher*innen und Kapitalist*innen reagieren auf die scheinbar unaufhaltsam steigenden Preise wie die aufgeschreckten Hühner. Wir, die Betroffenen und die Linke, eh auch. Und zwar zurecht: Die Preisexplosion droht zu einer sozialen Krise, zu einer nachhaltigen Schlechterstellung der Arbeiter*innenklasse zu führen (wenn wir uns nicht wehren). Aber: Außerhalb der imperialistischen Zentren schreckt diese Einsicht wenige. Denn in vielen neokolonialen Ländern wurden in den letzten Jahren ausführliche Erfahrungen mit hoher Inflation und deren soziale Folgen gemacht.
Das liegt vor allem an zwei Umständen: den Kosten der Geldmengenkontrolle, und der Auslagerung von Inflation aus den imperialistischen in die neokolonialen Länder.
Erstens ist die Regulierung der Geldwarenproduktion teuer und umso teurer, wenn dabei die Währungen anderer Länder kontrolliert werden sollen. In vielen unterentwickelten Ländern sind Dollar und Euro anerkannte Parallelwährungen, über deren Produktion und Einfuhr die Regierungen kaum Kontrolle haben. Wir verwenden hier die Formulierung des antikolonialen Marxisten Walter Rodney, der mit unterentwickelt zeigen will, dass dieser Zustand einer bewussten, imperialistischen Politik ist.
Zweitens können Firmen aus imperialistischen Ländern auf den Kapitalexport zurückgreifen, wenn Investitionen im „eigenen Land“ nicht profitabel erscheinen. Tausende „Freihandelsabkommen“ und ökonomische Abhängigkeiten stellen sicher, dass Nestle, OMV und Wienerberger überall investieren können, wo sie wollen und wo die Profitraten noch höher sind. Zum Beispiel wegen niedrigerer Löhne oder technisch weniger entwickelter Konkurrenz. Das nimmt den Inflationsdruck aus den imperialistischen Zentren heraus, die Kapitalist*innen in den Neokolonien und Schwellenländern haben diese Möglichkeit so nicht.
Natürlich spielen Krieg und Pandemie eine zentrale Rolle
Das macht die Inflation bei gleichzeitigem Krieg in der Ukraine auch bedenklich. Durch die neue Blockbildung kommt es zu einer De-Globalisierung. Ein Geflecht aus Sanktionen, Sanktionsumgehungen, Wirtschaftskrieg und unterbrochenen Lieferketten erschwert den Kapitalexport und Produktionsketten. Dieses Gegenmittel gibt es also nicht, und die Auslagerung der Profitproduktion nach China ist auch schwerer möglich. Und auch die Klimakrise hat ihren Anteil: Zum Beispiel haben durch Dürre ausgelöste Unfälle in der Halbleiterproduktion Taiwans und Texas‘ 2020 die Lieferketten so verklemmt, dass es bei Auto- und Elektronikpreisen noch heute spürbar ist.
Der Teufel steckt auch hier in den vielen Details. Wenn ein Hafen in China eine Woche zusperrt heißt das, dass Vorprodukte nicht bei Fabriken ankommen. Aber es heißt auch, dass in der nächsten Woche leere Container nicht da sind, weil sie noch voll auf hoher See herumgurken. Was wiederum bedeutet, dass Bananen verfaulen und irgendwelche Müsliriegel nie produziert werden. Was jetzt blöd ist für den Zerealienlieferanten, der seine pünktlich gelieferten Getreidekörner nicht bezahlt bekommt und den anderen Kund*innen deshalb die Preise raufsetzt um überhaupt liquide zu bleiben.
Die Inflation sitzt im Kapitalismus wie das Picknbleiben im Beislabend. Aber jetzt werden erprobte Gegenmittel (die auch nicht für alle Länder funktioniert haben) durch den Krieg, die Pandemie und Extremwetter in der Folge des Klimawandels wirkungslos. Das heißt wirklich nicht, dass der Kapitalismus ohne diese Extremerscheinungen nicht inflationär sein würde. Aber es kann sein, dass dieses Zusammenspiel zu einer Trendwende führt, von der Niedriginflation auf Kosten der Arbeiter*innenklasse, hin zur Hochinflation, die uns auch umgehängt werden soll.
Wir müssen uns auf eine Wirtschaftskrise vorbereiten
Zentralbanken, Wirtschaftsforscher*innen und Unternehemensverbände sagen deutlich, dass eine Stagflationsphase kommt. Das bedeutet, hohe Inflation mischt sich mit einer Stagnation, also niedrigem Wirtschaftswachstum, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit. So eine Phase gab es bereits nach den Ölpreisschocks in den 1970ern, und die Lösung der Herrschenden sollte uns zu denken geben. Es folgte nämlich die neoliberale Wende, Privatisierungen, Zerstörung von vielen sozialstaatlichen Errungenschaften, aber auch Angriffe aufs Arbeitsrecht und brutale Repression gegen die Gewerkschaften.
Auch nach der 2008er-Krise war das die Lösung der EU. Griechenland wurde brutal heruntergehungert, das Lohnniveau hat sich bis heute nicht erholt, ebensowenig wie Gesundheitssystem oder Sozialleistungen. Italien, Spanien und Portugal erlebten Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %, eine Generation an Niedrigstlohnarbeitenden wird diesen Schlag in ihrem Leben nicht mehr aufholen. Der einzige Grund, warum das deutsche Diktat nicht für sich selbst gegolten hat, war dass die Hartz-Reformen so einen Niedriglohnsektor schon in den Jahren zuvor geschaffen hatten.
In anderen Worten: Die Herrschenden spielen jetzt noch ein paar Monate mit Einmalzahlungen und Subventionen. Aber wenn klar wird, dass eine Rezession droht, werden sie probieren die Kosten auf uns abzuwälzen und zumindest die Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit und Preisexplosion nicht mehr abfedern. Es kann der Arbeiter*innenbewegung gelingen, das durch harten Widerstand abzuwehren, die Herrschenden in dieser Situation der Instabilität zurückzudrängen. Das wäre auch gut, weil die Alternative schaut nicht gut aus für uns.
Dass eine neue imperialistische Zuspitzung droht, ist angesichts der Ukrainekriegs sonnenklar. Auch die Konfrontationen in den zehn Jahren davor, Ukraine, Syrien und Taiwan, haben gezeigt, dass sich EU, USA, China und Russland in eine neue Blockbildung und auch eine neue Eskalation begeben. Der imperialistische Krieg ist schon jetzt eine Bedrohung in den Gebieten, wo er geführt wird, eine Ausweitung bedroht die Mehrheit der Weltbevölkerung.
Seit 2008 waren es auch keine rosigen Jahre für die ärmeren Teile der Arbeiter*innenklasse, Niedrigverdiener*innen, prekär Beschäftigte, Erwerbslose und Alleinerziehende. Die kommende Krise droht aber breite Teile der Bevölkerung, auch die lohnabhängigen Mittelschichten und das Kleinbürger*innentum vor echte Existenzangst zu stellen. Das Kleinbürger*innentum im 21. Jahrhundert meint Akademiker*innen und kleine Manager*innen, aber auch Selbstständige und Besitzer*innen kleinerer Firmen.
Das vom Abstieg bedrohte Kleinbürger*innentum war seit eh und je die soziale Basis des Faschismus und des Rechtspopulismus. Wenn es den Herrschenden und den Hetzer*innen gelingt, die Wirtschaftskrise auf gierige Gewerkschaften oder Minderheiten zu schieben, lassen sich die ganz gut mobilisieren. Das hat sich leider auch bei den verschwörungstheoretischen Corona-Demonstrationen gezeigt, die einen Grundstock für eine rechte Bewegung in der Wirtschaftskrise darstellen kann. Die Geschichten von FPÖ und Identitären über elitäre Verschwörungen und Interessensgemeinschaften von weiß-österreichischen Kapitalist*innen mit den Arbeiter*innen sind leider tief verankert in diesen Kreisen. Aber nur eine linke Bewegung, die um Solidarität und radikale Umverteilung kämpft kann verhindern, dass solche Bewegungen einen Massenanhang bekommen.
Preise steigen nicht, wenn wir es verhindern können
Das Problem der Kapitalist*innen ist, dass sie bei steigenden Kosten und unsicherer Profiterwartung nicht wissen, ob sie ihre Warenmenge verkaufen können. Das Problem der Arbeiter*innen ist, dass die Preise so hoch sind. Hohe Preise können aber verhindert werden: Kurzfristig durch Preisdeckel, mittelfristig durch die demokratische Kontrolle über Produktion und Bepreisung.
Mal wieder zeigt die kapitalistische Krise, dass der Markt eben nicht „regelt“. Sondern, dass der Markt- und Wettbewerbswirtschaft Tendenzen zur Krise innewohnen. Alleine, dass weiterhin günstig produzierter Wasserkraftstrom wegen steigender Gaspreise ebenfalls durch die Decke geht, macht das ein für alle Mal klar.
Aber Preise können auch einfach beschränkt werden. Besonders gerne machen das kapitalistische Regierungen im Krieg, wo die staatliche Nachfrage (nach Waffen und Kriegsproduktion) so in die Höhe geht, dass Mitschneiderei den Kapitalist*innen das Logischste wäre. Aber auch in der Nachkriegszeit, und in Österreich für bestimmte Produkte bis in die 1970er-Jahre, wurden Preise immer wieder gedeckelt. Bis heute gibt es Preiskommissionen für Medikamente, einen Richtwertmietzins für Altbauwohnungen. Für Energie und Grundnahrungsmittel und Wohnungen, egal ob alt oder neu, sind solche Preisdeckel jetzt dringend notwendig.
Die Preiskommissionen aus Gewerkschaft und Wirtschaftskammer haben allerdings nicht vor allem die Lage der Arbeiter*innen im Blick gehabt, maximal die schlimmste Verelendung eindämmen wollen. Diesen bürokratischen, sozialpartner*innenschaftlichen Preiskontrollen von oben wohnt immer etwas Konservatives, Zurückhaltendes, und in der Krise Unzureichendes inne. Marxist*innen sind deshalb für tatsächlich demokratische Entscheidungen über Preise, Diskussionen und Entscheidungen der Arbeitenden und der Konsument*innen darüber, was wir brauchen und wie teuer es sein darf. Gerade jetzt wird offensichtlich, dass demokratische Kontrolle über die Produktion eine deutlich bessere Alternative ist als „der Markt regelt“.
Inflation bedeutet aber immer auch eine Kürzung der Reallöhne und realen Sozialleistungen. Also dessen, was Arbeiter*innen und Erwerbslose ausgeben können. Wenn die Preise schneller steigen als die Löhne, ist das eine Umverteilung von unten nach oben. Deshalb fordert der radikale Teil der Arbeiter*innenbewegung schon lange die automatische Inflationsanpassung von Löhnen, Arbeitslosengeld und Sozialleistungen. Dazu würde dann über Lohnerhöhungen verhandelt und gestreikt werden – die Grundanpassung wäre schon vorweggenommen.
Es ist bemerkenswert, dass die türkis-grüne Regierung sich bei einigen Sozialleistungen schon auf diese Maßnahme eingelassen hat, die sonst selbst linke Teile der SPÖ nur zurückhaltend fordern. Es ist auch ein Anzeiger dafür, wie bedrohlich die kommende soziale Krise wahrgenommen wird. Denn generell gilt: bürgerliche Regierungsmaßnahmen mal Zehn ergibt, was notwendig wäre damit die Lage für uns nicht schlimmer wird.
Leitzinserhöhung heißt noch mehr Lebenskostenkrise
Stattdessen setzen die Bürgerlichen, also Finanzminister*innen und Zentralbanken darauf, die Geldmenge zu beschränken. Statt auf die konkreten Preisentscheidungen, wollen sie auf das Makrosystem einwirken. Durch Zinserhöhungen sollen Banken bewogen werden, selber weniger zu borgen, daher weniger Kredite vergeben zu dürfen (Geld zu produzieren, wie wir oben erklärt haben). Die Nachfrage nach Investitionsgütern und kreditfinanziertem Konsum wird so eingedämmt, die Preise sollten fallen.
Aber: Das hat massive Auswirkungen, gebeutelte Unternehmen können Zahlungsunfähigkeit nicht durch Kredite überbrücken, gehen insolvent und Arbeiter*innen stehen auf der Straße. Verschuldete Arbeiter*innen mit „variablen“ Zinssätzen in der Hypothek können ihr Haus oder ihr Auto nicht mehr abbezahlen, und generell geht die Konsumnachfrage zurück.
Gleichzeitig ist nicht gesagt, dass das überhaupt wirkt. Die gegenwärtige Inflationsperiode geht nicht auf eine „heiß gelaufene“ Wirtschaft, schnell wachsende Löhne und massive Investitionen zurück, sondern auf fallende Profitraten und stockende Lieferketten. Daran ändert der Leitzins gar nichts, er droht aber den Rezessions-Anteil am Begriff Stagflation noch zu verschlimmern.
Auch einzelne Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen würden sich zu Zinserhöhungen überreden lassen, wenn sie von einer „nachfrageseitigen“ (also von Investitionen und Lohnerhöhungen) getriebenen Inflation ausgehen. Das verstehen sie teilweise unter verantwortungsvoller, keynesianischer Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig fordern sie den Beschäftigungserhalt durch staatliche Subventionen und Absicherung der sozial am schlimmsten Betroffenen. Das bedeutet aber nur, dass die Kapitalakkumulation stockt, Firmen nicht mehr produzieren, während die Auswirkungen aus Steuern beglichen werden. Und die zahlen zu 80 % Arbeiter*innen aus Einkommens- und Konsumsteuern.
WIFO-Preisdeckel: Umverteilung von Unten nach Oben
Ein anderer bürgerlicher Ansatz wird im Moment mit der lieben Bezeichnung Felbermayr-Deckel diskutiert (der Autor dieser Zeilen muss dabei eher an die Kaffeehausschulden des WIFO-Chefs denken). Der neue Kopf an der Spitze des wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstituts empfiehlt, die Energiekosten abzufedern, indem der Staat einen maximal leistbaren Preis festsetzt (klingt schonmal gut) und den Unternehmen die Differenz zum Marktpreis bezahlt (klingt schonmal teuer). Das wäre aber nur ein riesiges Geschenk an die Übergewinne (auch zu diesem Begriff haben wir einen eigenen Artikel in dieser Ausgabe der flammenden) der Energiekonzerne. Ein Teil würde aus unseren Steuern kommen, ein anderer Teil durch spätere soziale Kürzungen nachfinanziert werden. Der Vorschlag ist also eher nicht so lieb, und auch nicht nur teuer, sondern zu Ende gedacht wirklich reaktionär.
Grundbedürfnisse sichern durch Vergesellschaftung
Aber die garantierte Deckung der Grundbedürfnisse ist das Problem, das sich jetzt allen stellt. Eine Lösung dafür ist, worum Linke jetzt den Protest sammeln müssen, wo sie Kämpfe gewinnen können. Und gerade jetzt ist offensichtlich, dass die kapitalistische Produktionsweise diese Grundbedürfnisse nicht decken kann.
Wir fordern deshalb die Vergesellschaftung von Heizung, Wohnen und Grundnahrungsmittel. Wir sprechen den Energie-, Immobilien- und Lebensmittelriesen das Recht ab, mit unserer Lebensgrundlage zu spielen. Wir wollen die entschädigungslose Verstaatlichung von OMV, Verbund, BUWOG, Agrana, und den weniger bekannten Namen.
Aber das sind teilweise schon verstaatlichte und teilstaatliche Unternehmen, die aber als Aktienunternehmen nach Marktlogik funktionieren. Das zeigt leider, dass eine Verstaatlichung unter bürgerlichen Regierungen nur die halbe Miete ist. Vergesellschaftung heißt mehr als das, das bedeutet auf der einen Seite eben keine Aktienunternehmer*innen unter ÖBAG-Verwaltung, sondern demokratische Entscheidungen durch Kommissionen der Beschäftigten und Konsument*innen. Wie ein Wiener Linien-Fahrgastbeirat, aber ernsthaft, gewählt und mit einer tatsächlichen Entscheidungsmacht.
Zusammen kämpfen, den Scherbenhaufen den Herrschenden überlassen
Wir müssen um diese Forderungen kämpfen. Nicht nur, um der kommenden rechten Mobilisierung den Massenanhang zu verunmöglichen, sondern auch, weil es in den nächsten Monaten um unsere Lebensgrundlagen geht. Aber dazu kommt: Die Krise untergräbt jede Legitimation der bürgerlichen Regierungen, egal ob türkis-grün im Bund, rot-pink in Wien oder die Ampel in Deutschland.
Wir Marxist*innen sind in einer Position der Schwäche. Aber wir sind auch in einer klaren, unmissverständlichen Oppositionsrolle. Akademische, bürgerliche und reformistische Teile der Linken tendieren dazu, den Kapitalismus zu verteidigen. Vor allem wenn die rechten Argumente gegen die Regierung zu sehr an den Haaren herbeigezogen sind, wollen sie beweisen, dass es so arg nun auch nicht ist. Sie begeben sich in die Position der Herrschenden, ohne an der Macht zu sein, sie machen sich selber zur Zielscheibe des berechtigten Protests, ohne jede Not.
Die Opposition ist die Rolle, in der sich Marxist*innen im Kapitalismus immer befinden. Aber sie ist eine besonders dankbare Rolle, wenn die Regierung ihre Legitimation mit jedem Tag mehr verliert. Die Herrschenden sind jetzt schwach und instabil. Sie werden darauf mit Zugeständnissen, aber auch Repression reagieren. Aber sie sind in einer Position wo sie Kämpfe verlieren werden. Und das kann die Opposition nachhaltig stärken, die Schwäche und den gesellschaftlichen Vertrauensverlust wettmachen, wenn wir im gemeinsamen Kampf siegreich sind.
Das bedeutet die Einheitsfront, das prinzipienfeste Bündnis mit allen Linken und allen Teilen der Arbeiter*innenbewegung, die jetzt um die richtigen Forderungen kämpfen wollen. Es heißt auch, die „Volksfront“, also das Bündnis mit den Bürgerlichen gegen besonders reaktionäre oder besonders blöde Teile der Rechten, zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.
International: Sturz der Regierung oder Zahlungsstreik, oder beides?
Es ist in dem Artikel schon ein oder zweimal gefallen, die Teuerungswelle ist ein internationales Phänomen. Das bedeutet, auch der Widerstand muss international (und international solidarisch) sein. Es heißt auch, dass sich Aktivist*innen außerhalb von Österreich schon gute Ideen einfallen haben lassen.
In Sri Lanka ist als Reaktion auf die galoppierende Inflation die Regierung gestürzt worden. Nach einer Besetzung des Präsidentenpalasts traten die Minister*innen zurück, als die Protestierenden trotzdem dort blieben (und Streiks im ganzen Land vorbereiteten) verschwand auch der rechte Präsident. Die Bewegung hat jetzt große Aufgaben vor sich, zwischen chinesischem und US-amerikanischem Imperialismus ist wenig Spielraum, die soziale Krise in Sri Lanka sitzt tief und auch die rassistische Unterdrückung der Tamil*innen bietet Potential für reaktionäre Gegenmobilisierungen. Aber der Sturz einer Regierung durch Massenproteste ist mal ein Ansatz der zumindest nicht zu zaghaft ist.
Auch aus Britannien erreichen aufmerksame Social Media-Nutzer*innen schöne Bilder. Eine Million Flugblätter hat die Initiative „Don’t Pay UK“ gedruckt, und 31.000 Unterstützer*innen und 4.000 Aktivist*innen in Gruppen organisiert. Sie fordern die Kürzung der Energiepreise und wollen ab 1. Oktober ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, wenn sich 1 Million dahinter stellen – Mitte August waren es mehr als Hunderttausend.
Und auch in Deutschland orientieren sich Teile der radikalen Klimabewegung auf die Vergesellschaftung der fossilen Energieunternehmen um. „RWE und Co enteignen“ orientieren sich am erfolgreichen Kampf gegen privatisierte Immobilien in Berlin, und verbinden die Kritik an Öl und Gas mit einer Forderung nach Energieproduktion im Interesse der Bevölkerung.
Löhne rauf, Preise runter
Und auch in Österreich nehmen Linke und Gewerkschaften die Teuerung sehr ernst. Der ÖGB hat zu einer Betriebsrät*innenkonferenz mobilisiert und organisiert Teuerungskundgebungen in allen Bundesländern Mitte September. Zwischen radikaler Linker und Zivilgesellschaft formieren sich Bündnisse.
Gleichzeitig stehen im Herbst Lohnverhandlungen an, die mit riesigen Reallohnverlusten umgehen müssen. Die Verhandler*innen sind unter großem Druck der Belegschaften. Und das ist gut so. Der Kampf um höhere Löhne und niedrigere Preise geht Hand in Hand. Eine starke Bewegung um beide Forderungen verhindert auch ein Einknicken, das beim ÖGB öfter kommt als nicht. Dazu muss sich eine Teuerungsbewegung aber das Vertrauen der Belegschaften erarbeiten, durch Solidaritätsaktionen in den Verhandlungen, gemeinsame Diskussionen und Aktionskonferenzen und echte tatkräftige Unterstützung ihrer Forderungen.
Dem ÖGB ist immer zuzutrauen, eine große Dampfablass-Aktion zu organisieren, den gesellschaftlichen Druck aber kleinzuhalten. Die Riesendemo gegen 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche, auf die genau gar nichts gefolgt ist, ist uns in bitterer Erinnerung. Aber das muss man der Gewerkschaftsspitze nicht erlauben. Solche breiten Mobilisierungen sind eine Chance für Aktivist*innen alle möglicherweise Interessierten zu erreichen und den Druck für konsequente Kämpfe aufzubauen. Eigene, tragfähige Aktionen der Linken sorgen auch für Unabhängigkeit von Aufmerksamkeit oder Ausschluss der Gewerkschaftsführung und der Sozialdemokrat*innen.
Und jetzt: Bilden wir uns, organisieren wir uns, bewegen wir uns
Der Herbst 2022 ist ein Krisenherbst. Es muss auch ein Kampfherbst werden. Die Inflation stellt die Arbeiter*innenklasse vor eine reale Existenzbedrohung und die herrschende Klasse vor eine ernsthafte Legitimitätskrise. Die kommende Rezession wird durch massive Angriffe auf uns und weitgehende Planlosigkeit der Regierung geprägt sein.
Denn Preiserhöhungen sind eine Entscheidung der einzelnen Kapitalist*innen, die profitabel ist und wo die Gegenentscheidung den Einzelnen auch nichts bringt. Weder durch gute Worte noch durch Pressekonferenzen kann der „ideelle Gesamtkapitalist“ türkis-grün daran etwas ändern, bevor es zu spät ist. Und andere Lösungen, die sie hätten, gehen nur auf unsere Kosten.
Es ist jetzt an uns Revolutionär*innen und Marxist*innen, das Bündnis mit allen kampfbereiten Teilen der Arbeiter*innenklasse zu suchen. Das notwendige Problembewusstsein über die Teuerung ist da, die Zeit für eine gemeinsame Analyse der tatsächlichen kapitalistischen Ursachen bleibt auch. Durch Massenmobilisierungen, greifbare aber radikale Forderungen und nicht zuletzt der für alle offensichtlichen Schwäche bürgerlicher Antworten, kann die Teuerung zurückgeschlagen werden.
1 https://tirol.orf.at/stories/3164716/
3 https://arbeiterinnenmacht.de/2022/01/19/rueckkehr-der-inflation/