In der Krankenpflege ist es, wie man umgangssprachlich sagen würde „5 nach 12“. Also unbedingt Zeit etwas zu unternehmen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Das Pflegepersonal in Österreich ging deshalb am 10. November um 5 nach 12 auf die Straße um zu protestieren.
Am Wiener AKH waren allein einige hundert Beschäftigte am Protest beteiligt. In der Steiermark waren es Beschäftigte aus jedem steirischen Krankenhaus. Die Aktion soll auf die Untätigkeit der Regierung hinweisen, die es seit fast zwei Jahren Pandemie noch nicht geschafft hat, Maßnahmen durchzuführen, die tatsächlich spürbar bei den Beschäftigten im Gesundheitsbereich ankommen. Dabei stehen Probleme im Mittelpunkt, die auch vor der Pandemie ein Dauerbrenner waren, jetzt aber auf einen neuen Höhepunkt getrieben werden: Überbelastung, schlechter Personalschlüssel, belastende Arbeitszeiten und natürlich die konkrete gesundheitliche Gefährdung sind nur ein paar der genannten Probleme. Dazu kommt natürlich die heftige Situation rund um die Pandemie. Die Auslastung der Intensivbetten – und nicht mehr die Inzidenzen – wird als Maßstab für die Intensität der Pandemie von der Regierung heran gezogen. Aber um die schaut es schlecht bestellt aus. In Oberösterreich zum Beispiel ist die Situation bereits stark zugespitzt was die belegten Betten angeht – es werden bereits Operationen nach hinten verschoben um Platz für die Covid Fälle zu machen. In Graz musste eine ganze Station im LKH geschlossen werden, weil einfach das Personal fehlte.
Wie ist die Lage?
Die Situation ist so heftig, dass jede zweite Pflegefachkraft darüber nachdenkt aufzuhören. Etliche gehen ins Burnout oder in den Krankenstand (wegen Überarbeitung oder Covid). Schichtentausch und Überstunden sind Praxis und geregeltes Leben für viele eine Unmöglichkeit. Klar ist also, es gehört ordentlich was verändert. Die „Offensive Gesundheit“ (ein Zusammenschluss zwischen Gewerkschaften und der Ärzte- und Arbeiter*innenkammer) , die für die Aktion am 10.11. verantwortlich ist, hat auch einige Forderungen veröffentlicht. Die wichtigsten drei lauten: 1. Mehr Personal (und eine einheitliche Personalbemessung) 2. Bessere Arbeitsbedingungen und 3. Offensive in der Ausbildung. Die erste Forderung ist klar, es braucht mehr Personal, und zwar nicht nur gemessen an Betten, sondern angepasst an die realen Arbeitsbedingungen an jedem Standort. Die zweite Forderung macht es sich unter anderem zum Ziel, Planbarkeit (also fixe Dienstpläne) und Maßnahmen gegen die Überbelastung einzuführen. Die schlechten Arbeitsbedingungen, die in der Pflege herrschen, die auch aus dem schlechten Personalschlüssel resultieren, sollen überwunden werden, um den Beruf wieder attraktiver zu machen. Schlussendlich wird eine Reformierung der Ausbildung gefordert, die für mehr Durchlässigkeit, bezahlte Praktika, mehr Plätze und moderne Lehrpläne sorgen soll.
Keine Verbesserungen
All diese Forderungen gehören zusammen und sollen mit den Beschäftigten vor Ort gemeinsam ausgehandelt werden. Der Fokus auf Ausbildung und die Verbesserung dieser wird in Zukunft nur noch relevanter werden. Bis 2030(!) werden mindestens 76.000 neue Pflegekräfte gebraucht, manche gehen von bis zu 100.000 aus. Und was tut die Regierung? Zwar nicht unbedingt überraschend, aber trotzdem ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen: Nicht wirklich viel. Die Bundes- und Stadtregierung schieben sich gegenseitig die Schuld zu und inmitten dieser ganzen Zankerei wurde seit Pandemiebeginn wirklich überraschend wenig erreicht. Vor allem wenn man bedenkt, dass dies genau der Bereich ist, der von allen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung am meisten betroffen ist – Je höher die Zahlen, je größer die Impfunwilligkeit, desto mehr bekommt es das Gesundheitspersonal ab.
Was brauchen die Proteste?
Jetzt sind zwar die gewerkschaftlichen Forderungen wichtig und gut, aber die Frage ist ja, wie man aus diesem Protestpotential tatsächlich bessere Arbeitsbedingungen herausschlagen kann. Natürlich ist eine Verbindung von Kämpfen im Gesundheits- und Sozialbereich dabei wichtig. Wenn man zum Beispiel an die Kindergartenpädagog*innenstreiks denkt, gibt es ja auch momentan genug Unmut dafür. Praktisch steht und fällt aber jeder erfolgreiche Arbeitskampf momentan mit den Gewerkschaften. Deren Bürokratie ist jedoch nicht daran interessiert, die nötigen Kampfmaßnahmen zu ergreifen, die zur Durchsetzung der Interessen ihrer Basis notwendig wären. Sie gehen lieber auf Kompromisssuche mit den Mächtigen und organisieren symbolischen Protest, wenn das nicht ausreicht. Ein Appell an die Gewerkschaften und ein Kampf in der Gewerkschaftsbasis ist trotzdem oder gerade deswegen notwendig.
Um jetzt aber tatsächlich die Proteste ausweiten zu können, muss neben den genannten Forderungen auch klar kommuniziert werden, dass es sich hierbei nicht „nur“ um einen Arbeitskampf handelt, sondern um eine politische Fragestellung, die uns alle etwas angeht. Gerade jetzt zeigt sich, dass besser Arbeitsbedingungen für die Pflege auch besser medizinische Versorgung für uns alle beduetet. Deshalb müssen die Proteste nicht nur politisiert, sondern eben auch ausgeweitet werden. Solidarität und eine Mobilisierung, nicht nur im Krankenpflegebereich sondern aus der Bevölkerung heraus, ist notwendig. Das ist auch umso wichtiger, weil die Beschäftigtengenau diejenigen sind, die seit Anfang der Pandemie keine ruhige Minute hatten und auf unsere Unterstützung angewiesen sind.