Seit bald einem halben Jahrhundert wurde in Österreich die Arbeitszeit nicht mehr verkürzt. 1975 wurde die 40h-Woche eingeführt. Wenn man sich die letzten Jahre politisch umgeschaut hat, sieht es sogar ganz danach aus, als ob der Zug wieder in die andere Richtung fahren würde. Unter Schwarz-Blau wurde der 12h-Tag und die 60h-Woche wieder möglich gemacht. Der ÖGB fordert seit 1991 die 35h Woche, doch einen Kampf der gesamten Arbeiter*innenklasse für diese Forderung hat er nicht organisiert. Grund genug ein bisschen in die Geschichte sowie auf internationale Beispiele zu blicken, wie denn endlich die Arbeitszeit für alle verkürzt werden kann.
Der lange Kampf für den 8h-Tag
„Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Erholung“ Das war die Parole der frühen Sozialdemokratie und der mit ihr verbundenen Gewerkschaftsbewegung. Am Vorabend der ersten 1. Mai-Demonstration 1890 in Österreich schrieb die sozialdemokratische Arbeiterzeitung: „Was sollen wir also heute anders, als unserer Freude Ausdruck geben, dass das österreichische Proletariat den Gedanken der Manifestation für den Achtstundentag so erfasst hat, wie – wir können es ohne jede Übertreibung und Überhebung sagen – fast kein zweites in der Welt.“ Die Losung des 8h-Tages war klar eine der zentralsten Forderungen um die noch junge sozialdemokratische Bewegung in der Arbeiter*innenklasse zu verankern. Mit ihr gelang es eine Massenbewegung und eine Massenpartei aufzubauen.
Doch die Umsetzung ließ lange auf sich warten. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren Arbeitstage von 10 Stunden und mehr die Normalität und das bei 6 Arbeitstagen pro Woche. 1885 war zwar der 11 Stundentag gesetzlich verankert worden, doch wesentliche Fortschritte gab es nur sektoral im Zuge der ersten Kollektivverträge. Erst durch den revolutionären Sturz der Habsburger-Monarchie und die Errichtung der 1. Republik konnten der 8h-Tag und die 48h-Woche zur gesetzlichen Realität werden. Austro- und Hitlerfaschismus brachten – wie kaum anders zu erwarten ist – nur Verschlechterungen in Bezug auf die Arbeitszeit mit sich.
Arbeitszeitverkürzung ohne Kampf
In der 2. Republik mit ihrer zentralen Stütze der Sozialpartner*innenschaft, wurde dann die Arbeitszeitverkürzung zu einer Verhandlungssache zwischen Gewerkschaften und Unternehmen. 1959 wurde durch den Abschluss eines Generalkollektivvetrags (also eines KV für alle Branchen) die 45-Stunden-Woche eingeführt. Die letzte relevante Arbeitszeitverkürzung wurde 1969 durch den Generalkollektivvertrag zur 40-Stunden-Woche erreicht, der eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit auf 40h bis 1975 vorsah und an den sich dann 1975 die gesetzliche Regelung anpasste. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg lag die österreichische Borgeoisie am Boden. Was sie wieder aufrichtete war nicht nur der Marshall-Plan, sondern viel wichtiger die Sozialpartner*innenschaft. Für die Zusicherung von Klassenfrieden und institutionalisierter Zusammenarbeit bekamen die Sozialdemokratie und die von ihr dominierten Gewerkschaften die Möglichkeit mit am Tisch zu sitzen. In dieser Zeit wurden diverse Verbesserungen (wie die stetige Arbeitszeitverkürzung bis in die 70er Jahre) ohne großen, offenen Klassenkampf erreicht. Doch spätestens Mitte der 90er Jahre änderte sich die Herangehensweise der österreichischen Bourgeoisie. Gestärkt durch die Erschließung der neuen osteuropäischen Märkte und mit der internationalen neoliberalen Offensive im Rückenwind änderte das österreichische Kapital seine strategische Herangehensweise. Mit Schwarz-Blau I unter Schüssel und Haider war es vorbei mit den Verbesserungen über Klassenkompromiss. Das österreichische Kapital ist heute stark genug um nicht mehr auf Kompromisse mit der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften angewiesen zu sein obwohl diese das bis heute vergeblich versuchen. Der Glaube eine Arbeitszeitverkürzung auf diesem Weg auch heute durchzusetzen ist nichts anderes als eine gefährliche Illusion.
„Moderne“ Modelle der Arbeitszeitverkürzung
Aktuell ist in Spanien die 4-Tage-Woche in aller Munde. Der Vorschlag für ein Pilotprojekt von der kleinen linken Partei Más País wurde von der PSOE-Podemos Regierung angenommen. Das genaue Modell wird noch ausverhandelt, aber der Vorschlag von Más País liegt schon jetzt auf dem Tisch. Mit insgesamt 50 Millionen Euro sollen auf 3 Jahre Unternehmen mit insgesamt 3.000 – 6.000 Beschäftigten auf die 4-Tage-Woche umsteigen. Die Unternehmen würden im ersten Jahr 100 % im zweiten Jahr 50 % und im dritten Jahr 33 % der Lohndifferenz von staatlicher Seite erstattet bekommen. Argumentiert wird das vor allem mit einer gesteigerten Produktivität der Beschäftigten, die dann in kürzerer Zeit mehr produzieren könnten.
Vorschläge wie diese stehen immer wieder im Gespräch, auch in anderen Ländern wie Neuseeland oder Schweden erscheinen sie als möglich. Das Problem bei ihnen ist aber, dass sie letztlich wieder dazu führen, dass die Unternehmer*innen die Kosten der Arbeitszeitverkürzung auf den Staat abwälzen können. Und dieser wird in Österreich schon jetzt zu 80 Prozent von Lohnarbeitenden und Pensionist*innen finanziert. Eine Arbeitszeitverkürzung über ein technokratisches Modell, in dem der Staat die komplette oder Teile der Lohndifferenz trägt, ist deshalb auch ganz klar abzulehnen.
Doch es gibt auch historische Beispiele, wo wesentliche Arbeitszeitverkürzungen gegen den Willen der Bourgeoisie mit Mitteln des Klassenkampfs durchgesetzt wurden. Die sind zwar unterschiedlich lange her, aber können uns heute immer noch als Anleitung dienen wie eine Arbeitszeit im Sinne der Arbeiter*innenklasse umgesetzt werden kann.
Neuseeland und Australien
Erste erfolgreiche Kämpfe um den Achtstundentag wurden in Neuseeland geführt. Bereits 1840 entschlossen sich die Zimmermänner in Wellington, nicht mehr als 8 Stunden pro Tag zu arbeiten. Ihre Protestform war, das einfach nicht zu tun. Aufgrund des Fach- bzw. Arbeitskräftemangels hatten die Unternehmen wenig Alternativen. Insbesondere da die Arbeiter*innen als Kollektiv funktionierten – im Oktober 1840 beschlossen sie den Achtstundentag zwischen 8 und 17 Uhr, sowie dass alle, die zu schlechteren Bedingungen arbeiteten, in den Hafen geworfen würden.
Dieser Kampf griff um sich und breitete sich sowohl in andere Regionen als auch andere Berufsgruppen aus. Anfangs waren es hauptsächlich die besser gestellten bzw. besser organisierten Schichten der Arbeiter*innenklasse, die davon profitierten. 1889 wurde der Achtstundentag dann generell eingeführt.
Wenig später, in den 1850ern, wurde er auch eine umkämpfte Forderung in Australien. Hier waren es die Steinmetze, die die Bewegung zentral anführten. Es gab ein Ultimatum zur Umsetzung des Achtstundentags binnen 6 Monaten, mancherorts wurde er bereits vor Ablauf des Ultimatums mit Streiks durchgesetzt. Nach Ablauf des Ultimatums wurde die Forderung ebenfalls durch Streiks bekräftigt und am 21. April 1856 folgte die Durchsetzung des Achtstundentags bei vollem Lohnausgleich.
USA
Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung in den USA zielte erst auf den Zehn- und erst später auf den Achtstundentag ab. 1835 fand in Philadelphia der erste Generalstreik in Nordamerikaim Kampf um den Zehnstundentag statt. Die relativ junge Gewerkschaftsbewegung orientierte sich in den 1860/70ern stark auf die Forderung nach dem Achtstundentag. 1872 konnten 100.000 Arbeiter*innen in New York den Achtstundentag erstreiken.
Der Streik um den Achtstundentag von 300.000-500.000 Menschen in den USA am 1. Mai 1886 schrieb in Chicago, wo mit 90.000 Teilnehmenden der nationale Höhepunkt war, blutige Geschichte. Am 3. Mai wurden sechs Arbeiter*innen erschossen, am folgenden Tag eine Bombe in die Menge geworfen. Obwohl völlig unklar war, wer die Bombe geworfen hatte, wurden acht Organisatoren des Streiks deswegen angeklagt, verurteilt und teilweise hingerichtet.
Spanien
Das wohl imposanteste Beispiel der Durchsetzung des Achtstundentags ist aber Spanien. Organisiert von der erst 1910 gegründeten anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT wurde der Achtstundentag 1919 durch einen Massenstreik durchgesetzt. Ausgehend von der Textilbranche schloss sich im Verlauf des Streiks bald nahezu die gesamte katalanische Arbeiter*innenklasse an. Forderungen waren der Achtstundentag, halber freier Samstag, Anerkennung der Gewerkschaften und mehr. Nachdem sich die Beschäftigten der Elektrizitätswerke angeschlossen hatten, stand 70 % der katalanischen Industrie still. Die spanische Zentralregierung versuchte zwar mit einer Zwangseinberufung aller Streikenden zum Militär den Streik zu brechen, doch die Beschäftigten in den Druckereien weigerten sich einfach diesen reaktionären Beschluss zu veröffentlichen. Nach 44 Tagen erfolgreichen regionalen Generalstreiks mussten die Regierung und die Unternehmer*innen klein bei geben. Zu groß war die Gefahr eines Übergreifens auf ganz Spanien. Alle Forderungen der Streikenden wurden erfüllt, die inhaftierten Streikenden freigelassen und der Achtstundentag in ganz Spanien eingeführt.
Was können wir daraus lernen?
Arbeitszeitverkürzungen wurden in der Geschichte besonders dann durchgesetzt, wenn sich die Arbeiter*innenklasse oder Schichten davon in einer Machtposition befanden, so zum Beispiel in Phasen des Fachkräftemangels oder einer Schwäche der Bourgeosie wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie konnten dann erkämpft werden, wenn die Arbeiter*innenklasse gut organisiert war und so gemeinsam schlagen konnte. Die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist untrennbar mit jener der Arbeitszeitverkürzungen verbunden. Denn wo die Gewerkschaften stark und radikal wurden, konnten Arbeitszeitverkürzungen erkämpft werden und wo diese Kämpfe erfolgreich waren, konnte sich die Gewerkschaftsbewegung dadurch weiter stärken und zusätzliche Macht erlangen. Wenn wir heute eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit erkämpfen wollen, ist es notwendig, die Arbeiter*innenklasse massenhaft hinter dieser Forderung zu versammeln. Es ist notwendig, dass es radikale Organisationen der Arbeiter*innenklasse gibt, die bereit sind, diesen Kampf mit den stärksten Mitteln der Klasse – Streiks bis zum Generalstreik – durchzusetzen. Es ist daher notwendig, einen Kampf in und um die Gewerkschaften zu führen, um diese von den Kadaverresten der längst überkommenen Sozialpartner*innenschaft wegzubrechen und wieder zu echten Kampforganen der Klasse zu entwickeln. Die Gewerkschaftsbasis muss sich gegen die verräterische Bürokratie auflehnen. Dazu ist es sinnvoll, wenn wir als Linke die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften suchen, um so den Arbeiter*innen die verräterische Politik ihrer Führung vor Augen zu führen und die Arbeiter*innen an der Basis zu organisieren. Denn nur sie können die Bürokratie stürzen und die Gewerkschaften wieder zu echten Kampfinstrumenten machen. Dazu kommt heute noch mehr als früher die Notwendigkeit, diesen Kampf international zu führen. Wenn diese Forderung den aktuellen Interessen der Bourgeoisie klar entgegen steht, kann sie nicht erbeten oder mit Mitteln der Vernunft ausverhandelt werden. Sie muss mit aller Macht erkämpft werden.