LINKS-Wahlkampf 2020: Vorläufige Bilanz

Diskussionsbeitrag des Arbeiter*innenstandpunkts

LINKS ist eine neue Organisation in Wien mit etwa 200 aktiven Mitgliedern, die im Jänner 2020 gegründet wurde. Das erklärte Ziel der Gründungsversammlung war ein Antreten zur Gemeinderatswahl in Wien und das Übertreffen der 5 %-Hürde. Dementsprechend war die Aktivität von LINKS nach dem Aufbau der Organisationsstrukturen und der Programmdiskussion ab Mitte des Sommers vom Wahlkampf geprägt. Der Wahlkampf – eine Mobilisierung aller Ressourcen innerhalb und nahe der Organisation – ist daher ein zentraler Gradmesser (wenn auch nicht der einzige) für den Erfolg von LINKS.

Der Wahlkampf war praktisch gut organisiert, aber dass die Koordinierung auf ehrenamtlicher Grundlage passierte, führte zum weitgehenden Zusammenbruch der geplanten Kommunikationsstrukturen. Eine große Anzahl Aktivist*innen zeichnete sich durch enormen Arbeitseinsatz aus. Auf Seite der Spitzenkandidat*innen fand eine inhaltliche Verschiebung in Richtung Antikapitalismus statt, die aber nur dort in die Bezirke übersetzt wurde wo der Gedanke von radikaler antikapitalistischer Politik bereits mehrheitsfähig war. Das Bündnis mit der KPÖ war ein zentraler Anspruch für einen erfolgreichen Antritt und führte zu guten Bündnissen links der Organisationsmitte, verhinderte aber eine offene Diskussion über die Sinnhaftigkeit und den politischen Charakter der bisherigen linksreformistischen Bezirksvertretungsarbeit.

Der Wahlkampf war vor allem auf Menschen ausgerichtet, die bereits politisch und links von SPÖ und Grünen sind. Das richtete sich vor allem an junge Menschen und Interessierte aus den Bezirken. Eine spezifische Orientierung auf Lohnarbeitende oder Erwerbslose war in den Aktivitäten mit einzelnen Ausnahmen nicht zu erkennen.

Inhaltlich hat sich LINKS im Wahlkampf weiter nach links verschoben, z.B. indem die Forderung nach Enteignungen aufgestellt und heruntergebrochen wurde. Gleichzeitig wurden aber weder Kapitalismus, Sozialismus noch die Arbeiter*innenklasse direkt benannt.

Zusammengefasst hat der Wahlkampf gezeigt, dass die Aktivist*innen von LINKS das Potential haben, eine größere linke Organisation in Wien aufzubauen und starke Kampagnen durchzuführen. Der politische Charakter der eher heterogenen Struktur ist weiterhin nicht festgelegt, hat aber das Potential als Ganzes zu einer radikal-antikapitalistischen Kraft zu werden.

Praktischer Ablauf: Solide aber ausbaufähig

Der Wahlkampf war solide geführt und insofern erfolgreich. Sowohl der Straßenwahlkampf als auch die Öffentlichkeitsarbeit wurden aktiv geführt, weit mehr als 100.000 Flugblätter verteilt, in Briefkästen gesteckt und Plakate verhängt. Rege Dokumentationstätigkeit führte dazu, dass eine enge Verknüpfung zwischen realer Aktivität und Social Media Kanälen gelang, die trotz minimalem Werbebudget im Vergleich zu den anderen wahlwerbenden Parteien sehr viele Interaktionen und große Reichweite brachte.

Im Monat vor der Wahl fanden täglich große Veranstaltungen in allen Wiener Bezirken statt, dazu kamen in den aktiveren Bezirken drei bis fünf größere Verteilstände und unzählige Medien- und Verteilaktionen. Das Aktivitätsniveau von ungefähr 100 Aktivist*innen war wirklich ausgesprochen hoch, das hatte aber auch mit dem klar begrenzten Zeithorizont zu tun.

Gleichzeitig haben wir es im Wahlkampf nicht geschafft breite Teile der bereits links-politisch aktiven Menschen in Wien, noch nennenswerte Wähler*innengruppen aus der SPÖ anzusprechen. Ein Einbetten des Wahlkampfes in die sozialen Bewegungen (Black Lives Matter, Fridays for Future, Antifaschismus) ist ebenfalls nicht wirklich gelungen. Das lag vor mitunter auch daran, dass diese Bewegungen zum relevanten Zeitpunkt kaum einen Ausdruck auf der Straße gefunden haben. Ein Anknüpfen an die sozialen Kämpfe und Arbeitskämpfe wurde nur wenig versucht (und blieb weitgehend erfolglos). Auch der von manchen ins Auge gefasste „Lucky Punch“ mit aufsehenerregenden Aktionen blieb aus, obwohl die Versuche (Straßenmalaktionen, Transparentaktion) von den Medien im kleinen Maße aufgegriffen wurden. Die Koordination des Wahlkampfs und viele der geplanten Strukturen brachen in manchen Bereichen zusammen und die Abstimmung der Aktionen war von Eigeninitiative abhängig, die aber beständig hoch blieb.

Große Schnitzer und öffentlich ausschlachtbare Peinlichkeiten gab es keine. Geplante Provokationen („Häupl würde links wählen“, Solidarisierung mit aktiven Antifaschist*innen, Angriffe gegen die Grünen) gingen auf und fielen nicht negativ auf LINKS zurück. Der Wahlkampf war so gut organisiert wie es realistisch zu erwarten war; der Enthusiasmus und Arbeitseinsatz der Aktivist*innen machte ihn aus. Die dafür vorgesehenen Strukturen (Wahlkampfbüro, Mitmachzentrale, Linke Tour Team) entzogen die Wahlkampfinhalte weitgehend jeder demokratischen Kontrolle durch die Gesamtmitgliedschaft oder den Bezirkeausschuss, doch gleichzeitig wurden die Spielräume durch Eigeninitiative von engagierten Aktivist*innen erfolgreich genutzt. Die Strukturen waren insofern erfolgreich, als dass sie genügend Leute fix einbinden konnten um nicht zusammenzubrechen, sondern in einer funktionierenden Minimalform ihre Aufgaben zu erfüllen.

Das bedeutet nicht, dass der Wahlkampf chaotisch war. Die Wahlkampfassembly hat eine ganze Reihe Strukturen geschaffen, von denen einige nicht durchgehend aktiv waren, in denen sich aber Aktivist*innen gesammelt, ausgetauscht und auf gemeinsame Aktivitäten vorbereitet hatten. Weitere Strukturen entstanden um die Interventionen im öffentlichen Raum („Schnellaktivgruppe“/Buchstabenaktionen) und den Aktivismus (Mehlfarbeaktionen, Großtransparent). Auch viele Bezirksgruppen waren ein wichtiger Raum aus dem selbstorganisierter Aktivismus hervorging. Dasselbe gilt für informelle oder spontane Gruppen, die gemeinsam auf Demonstrationen oder die antifaschistische Blockade gegen die Identitären gingen.

Diese Gruppen sprachen sich in erster Linie untereinander ab und wurden nicht zentral koordiniert (wobei die Koordination diese Aktionen sehr wohl besprach und auch Koordinationsmitglieder in fast allen aktiven Strukturen selbst anleitend waren). Problematische Überschneidungen kamen kaum vor. Was in der kurzen Wahlkampfzeit nicht passierte, waren gemeinsame oder demokratische Entscheidungen über diese dezentralen Aktionen und auch deren Inhalte. Das hat den Wahlkampf in vielen Stellen radikaler und flexibler gemacht, macht aber eine systematische Nachbesprechung und eine Form der „Rechenschaftspflicht“ im Nachhinein notwendig.

Zielgruppen

Bereits bei der Gründungsversammlung wurden die Menschen, die sich als links von SPÖ und Grünen verstehen, vorläufig als Zielgruppe festgelegt. Eine spezifische Orientierung auf lohnarbeitende und erwerbslose Menschen wurde dafür abgelehnt. Außerdem dürfte in der Koordination der starke Wunsch vorgeherrscht haben an Aktivist*innen der Bewegungen gegen Polizeigewalt, Rassismus und Klimakrise anzuknüpfen. Tatsächlich hat LINKS aber recht erfolgreich verschiedene Klientele bespielt, jeweils auf Initiative von einzelnen Teilen der Organisation.

Die größeren Aktionen und Veranstaltungen von LINKS haben vor allem junge Wiener*innen angesprochen, wo das Überzeugen wohl auch am einfachsten war. Interventionen auf Demonstrationen richteten sich gezielt an politische Aktivist*innen und bereits politisierte Menschen, die Aktionen in den Grätzln dafür an Menschen außerhalb der radikalen Linken. Allerdings blieb bis auf einzelne Aktionen und Interventionen ein direktes Ansprechen von Arbeiter*innen aus. Doch auf Initiative aus dem 23. Bezirk hat sich LINKS dafür recht stark an Reproduktionsarbeit leistende Frauen gewandt.

Einige Bezirksgruppen haben aktiv versucht, im Wahlkampf neue Aktivist*innen zu gewinnen. Es scheint, als wäre das vor allem dort erfolgreich gewesen wo es aktiv und geplant angegangen wurde. Über die Website haben sich viele Menschen gemeldet um aktiv zu werden, die auch großteils kontaktiert und, wenn möglich, eingebunden wurden. Insofern dürfte es LINKS gelungen sein die eigene Aktivist*innenzahl im moderaten Rahmen zu vergrößern, aber auch ein Umfeld aus Sympathisant*innen und möglicher Aktivist*innen aufzubauen. Das Gewinnen und Einbinden dieser Kontakte und das weitere Organisieren von niederschwelligen Anlaufpunkten wird eine zentrale Aufgabe in der Zeit nach der Wahl.

Inhaltliche Verschiebung nach Links

Der Wahlkampf hat LINKS nach links gerückt und tendenziell mehr in Richtung eines antikapitalistischen Profils gebracht. Wichtige Momente waren die Enteignungsforderung, die von Spitzenkandidatin Anna Svec im PULS24-Interview aufgeworfen und die anhand praktischer Beispiele immer wieder eingebracht wurde (OMV, Firmen die Entlassungen aussprechen, Superreiche). Eng mit der Forderung verknüpft war der Ruf nach Umverteilung, einer Existenzsicherung für alle, Arbeitszeitverkürzung und einem Mindestlohn von € 1.950. Dort wo LINKS zentral aufgetreten ist, standen diese sehr fortschrittlichen Forderungen und die Solidarität mit den sozialen Bewegungen im Vordergrund. Ebenfalls setzte sich im späteren Wahlkampf durch, dass die Ausbeutung der Arbeiter*innen und unbezahlte Hausarbeit als Grund für die Ungleichheit in unserer Gesellschaft benannt wurden.

Dafür wurden Kapitalismus und Sozialismus nicht benannt, ebenso wenig wie die Arbeiter*innenklasse. Klassisch für neue und nicht revolutionär antikapitalistische Gruppen wurden diese Probleme umschrieben, aber nicht benannt, um keine Erinnerungen an die „alte“ Arbeiter*innenbewegung zu wecken. Das bedeutet aber auch eine Absage an den offenen Kampf gegen die bestehende Führung der Arbeiter*innenbewegung (die aber wiederum beschrieben und Gegenmaßnahmen wie gewerkschaftliche Basisopposition zumindest im Programm als Ziel erklärt wurden). Darüber hinaus trägt es wenig zur Herausbildung eines Klassenbewusstseins bei. Das ist zwar nicht ausreichend, aber beschreibt ganz gut die Bewegung nach links die LINKS durchgemacht hat und ein wichtiges Ziel für die weitere Entwicklung von LINKS.

Um wirklich um die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse in Wien kämpfen zu können, muss die Dominanz der SPÖ gebrochen werden. Das wird aber nicht einfach nur durch Kritik bzw. das Benennen ihrer Fehler möglich sein (auch wenn das ein essentieller Bestandteil der Politik ist) und erst recht nicht wenn wir sie ignorieren. Vielmehr braucht es eine bewusste Herangehensweise um einerseits die Konflikte innerhalb der Sozialdemokratie zu befördern und andererseits soweit es geht sie zwingt offen in der Praxis Positionen im Klassenkampf zu beziehen. Dafür ist eine aktive Einheitsfrontpolitik (die sich in der Praxis erstmal vermutlich nur mit linken Teilen der Sozialdemokratie verwirklichen lässt) wichtig um dies auch in einer gemeinsamen Praxis zu machen und das Vertrauen von linken Sozialdemokrat*innen zu gewinnen. Dabei sollte es weder darum gehen unsere Kritik an der SPÖ zurück zu schrauben oder einfach linke Sozialdemokrat*innen in LINKS als linke Sozialdemokrat*innen zu integrieren, sondern bewusst einen Bruch mit dem reformistischen Erbe zu befördern.

Von den Bezirksgruppen war ein offener Antikapitalismus nur teilweise Teil der Politik. Vor allem im Westen von Wien (Bezirke 12-19 sowie 23) wurden die Enteignungslosung (für Immobilienkonzerne) und andere klassenkämpferische Themen aufgeworfen; in den Bezirken 12, 23 und 15 auch dreisprachige Plakate gedruckt sowie antimuslimischer Rassismus thematisiert. Manche Bezirke, zum Beispiel 2, 20 und 21, konzentrierten sich sehr auf Bezirkspolitik, zum Beispiel Wohnrechtsberatung, Zebrastreifen und Fahrradfahren, waren dabei aber sehr aktiv. Andere Bezirke mischten die beiden Herangehensweisen. Eine wichtige Aufgabe von LINKS sollte die Verknüpfung von konkreten Anliegen und politischer Strategie sein.

Sehr positiv waren das hohe Aktivitätsniveau und die teilweise Schwerpunktsetzung auf radikale Formulierungen, besonders die Enteignung, der Widerspruch zwischen Arbeit und Reichtum, das Aufzeigen der Verbindung von sozialer Unterdrückung und Klasse. Bereits von Anfang an gut waren die Themen Arbeitszeitverkürzung, der Widerspruch zwischen Klimawende und profitorientierter Wirtschaft, sowie Entwaffnung beziehungsweise Abschaffung der Polizei.

In der Umweltpolitik hat der Wahlkampf aber eine stärkere Verschiebung des Schwerpunkts auf Mobilität und städtische Begrünung gebracht, was vor allem darin begründet war, dass es wenig zentralen Wahlkampf in der Umweltthematik gab und hier die Bezirke die Politik recht stark prägten. Nur vereinzelt („OMV enteignen“-Aktion, Teilnahme am Klimastreik) gab es von uns radikale Antworten, die der Dringlichkeit der Probleme und ihrer systemischen Ursachen entsprechen.

In Bezug auf die Strategie war es gut, den Bruch einer Organisationsgründung mit einer Bewegungs-/Kampagnenlinken (also statt themenspezifischen Forderungen einen gesamtpolitischen Anspruch zu stellen) als über die Wahlfrage hinausgehend zu begreifen. In der Führung der Organisation klar, aber nicht gut kommuniziert, war, dass man eine Koalition mit SPÖ und Grünen ausschließt und sich als radikale Opposition sieht.

Große Lücken bestehen beim Benennen des kapitalistischen Systems, der Perspektive auf den Sozialismus, und der offene Bezug auf den Klassenkampf. Dabei geht es nicht darum den Kapitalismus als Feind einfach vor sich her zu tragen, sondern vor allem darum die einzelnen Probleme der Menschen auf den unterschiedlichsten Ebenen (rassistische Polizeigewalt, Umweltzerstörung, Femizide, Massenentlassungen, etc.) in einen systematische Zusammenhang zu bringen und klar zu machen, dass ein Kampf gegen eines davon nicht von den übrigen zu trennen ist und letztlich auch nicht außerhalb eines Sturz des Systems langfristig und zufriedenstellend gelöst werden kann. Außerdem gab es in der Argumentation auf der Straße Abgleitflächen in Richtung Diskursverschiebung (eine linke Opposition bedeute, dass die Stadtregierung sich auch an den vielen Menschen die links von ihr stehen orientiert) und der unkritische Bezug aufs „Rote Wien“ beziehungsweise (nur halb scherzhaft) auf die Häupl-Regierung.

Bündnisarbeit

Die Unterstützung durch die KPÖ war eine wichtige Voraussetzung für einen nennenswerten linken Antritt, bedeutete aber auch, dass es kaum Auseinandersetzung um ihren politischen Charakter, ihre Programmatik sowie ihre bisherige linksreformistische Bezirksvertretungsarbeit gab. Positiv war, dass die KPÖ ihre Ressourcen und Immobilien breit zur Verfügung stellte und sich beim Sammeln der Unterstützungserklärungen, Flugblätter verteilen und stecken sowie mit den Dreiecksständern organisatorisch und mit Arbeitsstunden sehr aktiv und erfahren beteiligte. Vor allem am Anfang des Wahlkampfs leisteten KPÖler*innen im Wahlkampfbüro und in manchen Bezirksgruppen auch wichtige Rückendeckung für marxistische programmatische Positionen.

Die Zusammenarbeit mit dem Wandel scheiterte an deren Unwillen. In Neubau hat sich das offenbar nicht speziell schlecht auf das LINKS-Ergebnis ausgewirkt, gleichzeitig war es aber für die politische Entwicklung von LINKS wahrscheinlich positiv. Positiv für uns weil uns die politische Ausrichtung des Wandel, die letztlich rein institutionell und linkspopulistisch ist, nicht gut getan hätte und politisch nicht in unserem Sinne sein sollte.

Außer der ausgeschlossenen SPÖ-Sektion Langenzersdorf (Niederösterreich) mit ihrem Anhang in Floridsdorf gelang es nicht, aktive sozialdemokratische Strukturen für LINKS zu gewinnen. Von den Grünen gab es ebenfalls nur vereinzelte Überläufer, nämlich Dvorsky im 5. Bezirk und der schon bei Wien Anders aktive Bezirksrat im 6. Bezirk, Manfred Rakousky. Der politische Einfluss aus beiden Parteien war kaum spürbar. Gleichzeitig zeigt das die Unfähigkeit, enttäuschte Aktivist*innen aus den Stadtregierungsparteien zu gewinnen. Doch das größte Versäumnis war, dass außer einzelnen und von Anfang an aktiven Betriebsrät*innen keine gewerkschaftlichen Strukturen gewonnen werden konnten, was die zu schwache Ausrichtung von LINKS in Bezug auf (betrieblichen) Klassenkampf noch einmal aufzeigte.

Auch wurde es nicht geschafft relevante Teile der radikalen, sozialistischen Linken in Wien über den Wahlkampf in LINKS einzubinden.

War das ein antikapitalistischer Wahlkampf?

Bevor der Wahlkampf wirklich begonnen hatte, gab es eine Auseinandersetzung im Programmentwurf um ein Kapitel Antikapitalismus, das den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus als strategische Notwendigkeit festschrieb. Diese Formulierung wurde, ebenso wie die Forderung nach einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsopposition und einer marxistischen Beschreibung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, mit solider Mehrheit ins Programm übernommen. Der Wahlkampf war ein wichtiger Gradmesser, ob hier das Papier geduldig war oder LINKS sich auch in der Praxis antikapitalistisch aufstellen würde. Das war vor allem an öffentlichen Aktionen und Reden abzulesen.

Von Beginn des Wahlkampfes herrschte in LINKS ein kapitalismuskritischer Konsens vor, die Mehrheit der Aktivist*innen hätte sich als Antikapitalist*innen bezeichnet. Programmatische Vorschläge die einen progressiven Marktmechanismus vorgeschlagen hatten wurden in der Regel diskutiert und abgelehnt. Die Zeit vor dem Wahlkampf war für LINKS eine Zeit der politischen Klärung, in der sich die Mehrheit der Organisation mehr in Richtung Antikapitalismus und Klassenkampf verschob. Gleichzeitig war eine Ausrichtung auf die Arbeiter*innenklasse auf der Gründungsversammlung abgelehnt worden, die Programmfindung stellte also einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar.

Die zu Beginn des Wahlkampfes gedruckten Materialien und Plakate waren kapitalismuskritisch, aber nicht offen antikapitalistisch. Dasselbe gilt für die meisten Ausgaben der Grätzlpost, Sticker, und Social Media-Beiträgen aus dieser Zeit. Ein wichtiger Moment war die Festlegung der Bezirksforderungen, in denen zum Beispiel der 15. Bezirk die Enteignung von Immo-Konzernen an die Spitze ihres Programms stellte. Richtungsweisend war aber bestimmt als Anna Svec im PULS 24-Interview die Enteignung der österreichischen Milliardär*innen forderte.

Weitere antikapitalistische Elemente im Wahlkampf waren die Kundgebung „OMV enteignen“, die die vage Forderung auf die Frage von demokratischer Kontrolle herunterbrach, der rhetorische Schwenk vor allem von Anna auf diejenigen die den Reichtum in Wien erarbeiten, und die die ihn haben, die Forderung nach einem Kündigungsverbot und die Aufnahme der 13.000 Geflüchteten in Moria von den Reichen bezahlen zu lassen. Dort wo es Spielräume gab konzentrierten sich Teile der Organisation auf proletarische Orte, wie das Frauenausbildungszentrum ABZ in Simmering, die Lugner-City im 15., die Parks in Meidling oder die Berufsschultour der Jugend-IG.

Gleichzeitig wurde es, bis auf eine Aktion bei Swarovski, im wienweiten Wahlkampf (außerhalb einzelner Bezirke) vermieden die Begriffe Klassenkampf oder Kapitalismus in den Vordergrund zu stellen. Noch schwerwiegender wurde die Frage offen gelassen, was die Alternative zum Kapitalismus sein sollte. Den Sozialismus als Ziel nicht zu benennen war offenbar eine bewusste Entscheidung und ein wichtiger Grund, warum dieser Wahlkampf nicht als antikapitalistisch bezeichnet werden kann.

Dabei sollte es genau unsere Aufgabe sein nicht nur auf die kleinen und großen Missstände auf den unterschiedlichen Ebenen und Bereichen innerhalb des System aufmerksam zu machen. Es braucht vielmehr die Verknüpfung von Grätzl-, Bezirks-, Wien-, Österreichweiter und internationaler Politik. Die Verknüpfung zwischen langfristigen und kurzfristigen Verbesserungen, zwischen „großen“ und „kleinen“ Fragen. Dabei müssen wir auf allen Ebenen immer wieder den Rückbezug und die Verallgemeinerung auf die systematische Ebene – des Kapitalismus mit all den damit in Zusammenhang stehenden sozialen Unterdrückungsmechanismen – schaffen und einen klaren und vor allem offenen Fokus auf die Arbeiter*innenklasse – in all ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität – legen. Was es braucht ist nicht ein Weglassen der kleinen, lokalen, vereinzelten Ebene, oder umgekehrt der großen, nationalen oder internationalen, sondern das offenen Verknüpfen mit unserem Antikapitalismus.

Auch der unkritische Bezug aufs Rote Wien in den letzten Wahlkampfwochen, auf einem 400 m² Transparent und eine Anzeige im Falter, zeugt wenig von einer offen antikapitalistischen Strategie. Auch wenn einige Kandidat*innen mit dem Roten Wien eine klare und praktische Trennlinie zwischen Arbeiter*innenklasse und Bürgerlichen sehen, ist die historische Metapher ein Anknüpfen an (Lokal-)Reformismus und auch zur elektoralen Vertretungspolitik der SPÖ. Auch wahlkampftaktisch darf die Frage gestellt werden, ob ein Bezug auf die Vergangenheit (bzw. für eine große Zahl von Menschen auch noch Gegenwart) der SPÖ wirklich dazu führen würde, dass Menschen nicht mehr die Sozialdemokratie wählen – es könnte auch als Aufruf missverstanden werden, innerhalb der Partei für ihre Transformation zu kämpfen.

Wie weiter?

Am Ende jeder Bilanz bleibt natürlich die Frage was die Schlussfolgerungen für die weitere Ausrichtung sein müssen. Wir können auf jeden Fall auf dem positiven Wahlergebnis aufbauen. Vor allem in der kommenden Zeit der Corona-Pandemie, mit den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für unsere Treffen, muss es ein zentrales Anliegen sein die neuen Aktivist*innen bzw. neue Interessierte einzubinden. Das wird bestimmt nicht einfach, aber gute organisierte Online-Treffen und Online-Veranstaltungen, ergänzt mit praktischen Aktionen auf der Straße (Infostände, etc.) sowie ein gemeinsames und sichtbares Auftreten auf Demonstrationen sind wichtige Bestandteile davon.

Darüber hinaus braucht es auch aber auch eine weitere inhaltliche Klärung und eine ehrliche Bilanz von Versäumnissen im Wahlkampf. Vor allem die Tatsache, dass unser Antikapitalismus im Wahlkampf nur implizit präsent war, sollten wir kritisch bilanzieren und diskutieren. Unser Antikapitalismus muss offen und ehrlich, lebensnah und greifbar, radikal und praktisch sein. Er muss es schaffen eine Brücke zwischen dem aktuellen Bewusstsein und den aktuellen Problemen zu den objektiven Notwendigkeiten und Perspektiven schlagen. Unser Ziel muss sein die unterschiedlichsten Probleme der Menschen in einen größeren Zusammenhang zu setzen und ein antikapitalistisches Klassenbewusstsein zu entwickeln und zu fördern.

Dafür ist es auch wichtig klar zu machen, dass wir nicht einfach versuchen wollen eine bessere Sozialdemokratie zu sein. Ein nostalgischer Bezug auf das Rote Wien oder sogar Michael Häupl sollte nicht unser Ziel sein. Eine klare Ausrichtung auf die sozialen Bewegungen und Klassenkämpfe und nicht nur oder primär auf Wahlen sollten in der nächsten Zeit, wo sich die wirtschaftlichen Probleme vermutlich noch einmal deutlich verschärfen werden, der Fokus unserer Politik sein. Dafür ist auch darüber nachzudenken eine konkrete Kampagne z.B. zu Arbeitslosigkeit, Massenentlassungen und Arbeitszeitverkürzung sowie Enteignung und Vergesellschaftung unter Kontrolle der Beschäftigten zu machen. Gleichzeitig dürfen wir darüber hinaus aber nicht vergessen, dass es auch unsere Aufgabe sein muss eine längerfristige Konsolidierung sowie die Klärung inhaltlicher Fragen anzufangen. Dafür braucht es einen regelmäßigen Wien-weiten Austausch sowie eine gute Aktivist*innenkonferenz im Winter. Früher später wird es auch wichtig sein unser aktuell sehr unklares Programm in eine kürzere und klassenkämpferische Form zu bekommen.

Dafür ist es auch wichtig, dass wir die Funktion unsere gewählten Mandatar*innen den allgemeinen Schwerpunkten der Organisation unterordnen. Das heißt nicht, dass nicht auch Arbeit auf der bezirkspolitischen Ebene weiterhin wichtig bleibt, doch die Tatsache, dass wir in mehr als der Hälfte der Bezirke vertreten sind, lässt sich gut mit einer gemeinsamen Kampagne oder dem gemeinsamen Aufzeigen von Missständen verknüpfen. Dabei braucht es klare strukturelle Voraussetzungen, in erster Linie, dass die Bezirksrät*innen den jeweiligen Bezirksgruppen rechenschaftspflichtig sind und ihre Tätigkeit von den BGs kontrolliert und gemeinsam geplant wird. Darüber hinaus sollten die Mandatar*innen in ihrer Gesamtheit den Beschlüssen des Bezirkeausschuss unterworfen sein.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels wurde irrtümlich behauptet, es wären Mitglieder der „Echt Grün“-Gruppe im 8. Bezirk an LINKS beteiligt gewesen.