
Bei den kommenden Wahlen zum europäischen Parlament wird sich die Auseinandersetzung um sehr wesentliche Frage der Zukunft des Kontinents drehen. Nicht nur der Brexit, selbst ein Ausdruck der Krise der EU, sondern auch die internationalen Auseinandersetzungen rund um Trump und die NATO sowie die, vor allem vom französischen Präsident Macron vorgetragenen, Reformvorschläge für die EU sind wesentliche Fragestellungen vor denen die EU steht.
Reform der EU?
Der Brexit-Prozess dessen Ausgang bis heute in den Sternen steht, zieht sich nun schon seit fast 3 Jahren. Insbesondere seit der Einigung zwischen der britischen Regierung und der EU auf ein Austrittsabkommen im Dezember und der darauf folgenden Unfähigkeit von Theresa May dieses im britischen Parlament durchsetzen zu können, nimmt der Prozess für die EU-Bürokratie viel Zeit, Ressourcen und vor allem politischen Fokus in Anspruch. Dabei steht die EU international vor vielen Problemen. Die Vereinigung zu einem kohärent agierenden imperialistischen Block unter Führung des deutschen und französischen Kapitals hat trotz Einführung des Euro und härtester Sparpolitik im Zuge der Finanzkrise bis heute nicht die gewünschten Früchte getragen. Aktuell ist es vor allem Macron, der eine weitere Zentralisierung und Vereinheitlichung der EU forciert, inklusive gemeinsamer*n Finanziminister*in und EU-Armee. Überschattet werden Macrons Vorschläge von den anhaltenden Protesten der eigenen Bevölkerung (Gelbwesten), die mehr und mehr polizeilich unterdrückt werden. Die zweite zentrale Kraft des EU-Imperialismus, Deutschland verhält sich bis jetzt zu den Plänen Macrons eher passiv, vermutlich auch deshalb weil sie skeptisch ist, ob dadurch potentiell ihre Vormachtstellung in Gefahr geraten könnte. Innenpolitisch steht die deutsche Bourgeoisie vor eigenen Schwierigkeiten. Mit dem sich abzeichnenden Abgang Merkels verliert die deutsche Bourgeoisie nach eineinhalb Jahrzehnten ihre zentrale Führungsfigur. Mit ihrer Nachfolgern Kramp-Karrenbauer hat sich, wie es scheint, erstmals Kontinuität statt Neuausrichtung durchgesetzt. Grundlegende Probleme wird sie aber kaum lösen können.
Mit ihrem absoluten Wirtschaftsvolumen befindet sich die EU international zwar nominell auf Augenhöhe mit den USA oder China, aber das ergibt sich alleinig aus der Tatsache, dass die einzelnen Volkswirtschaften aufaddiert werden. Eine vorherrschende Stellung hat das EU-Kapital nur in den eigenen Hinterhöfen von Osteuropa und Teilen Afrikas (vor allem einigen ehemaligen französischen Kolonien). Auch militärisch hat die EU in Summe zwar sehr hohe Militärausgaben, aber real sind die europäischen Staaten außerhalb der NATO für einen größeren Konflikt nicht handlungsfähig. Der Austritt Großbritanniens wird diese beiden Probleme nur noch verschlimmern.
Rechtspopulismus
Schon bei den letzten EU-Wahlen konnten rechte und rechtspopulistische Parteien in einigen Ländern große Erfolge verbuchen, der Front National und UKIP wurden in Frankreich bzw. Großbritannien die stimmenstärksten Parteien. Auch dieses Jahr stehen die rechtspopulistischen Parteien hoch im Kurs, auch wenn sie in den letzten Jahren in den Umfrageergebnissen leicht abgebaut haben. Die wirkliche Frage ist aber, ob die unterschiedlichsten nationalen Rechtsparteien es schaffen werden nach den EU-Wahlen eine geeinte Fraktion der Rechtsparteien herzustellen, da sie aktuell auf drei Fraktionen aufgeteilt sind. Damit könnte sich neben der konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Fraktion eine Rechtsfraktion als vierte zentrale Kraft im EU-Parlament etablieren, die für eine eigene Perspektive der Reform der EU-Kämpfen wird.
Krise der Linken
Die Europäische Linkspartei ist bei diesen Wahlen entlang zweier Lager gespalten. Auf der einen Seite stehen die linkspopulistisch ausgerichteten Kräfte rund um Mélenchons La France Insoumise auf der anderen Seite die „europäisch“ ausgerichteten Linksreformist*innen. Die KPÖ tritt wieder unter dem Label KPÖ Plus an und versucht sich weitgehend als moderne Auflage klassisch sozialdemokratisch-reformistischer Politik zu geben. Die Sozialdemokratie hingegen hat sich mit ihrer Politik auf ein „soziales Europa“ eingeschworen, macht in der Praxis aber jeden unsozialen Schwenk mit. Nichtsdestotrotz ist sie in Österreich die einzige Kraft, die sich auf die organisierte Arbeiter*innenbewegung stützt und das – wie die letzten Arbeiterkammer-Wahlen zeigten – immer noch unangefochten. Deshalb werden wir die SPÖ bei diesen EU-Wahlen kritisch unterstützen, nicht wegen sondern trotz ihrer Politik. Insbesondere rufen wir dazu auf die linkeren Kräfte (wie die SJ-Vorsitzende Julia Herr) innerhalb zu unterstützen. Wir dürfen uns gleichzeitig keine Illusionen darüber machen was mit bürgerlichen Wahlen zu erreichen ist, insbesondere in so machtlosen Gremien wie dem des EU-Parlaments, das nicht einmal ein Initiativrecht für Gesetze hat. Umso wichtiger ist es deshalb den Widerstand gegen Sparpolitik, das rassistische Grenzregime und die Rechten auf europäischer Ebene praktisch zu organisieren – auf der Straße, im Betrieb und in den Organisationen der Arbeiter*innenbewegung.