Die Bolschewiki und die Wahlen: Das Parlament als Tribüne

Die Frage nach einer Arbeit im Parlament führt unter Kommunist*innen oft zu Meinungsverschiedenheiten. Man möchte die herrschenden Verhältnisse grundlegend ändern und ist sich einig, dass das durch parlamentarische Arbeit und Reformen nicht passieren wird, gleichzeitig ist aber in vielen Ländern das bürgerliche Parlament eine Tatsache und große Teile der Bevölkerung setzen ihre Hoffnungen auf Veränderungen in die bürgerliche Demokratie.

Das bürgerliche Parlament

Das bürgerlich-demokratische Parlament ist kein Instrument zur Überwindung des Kapitalismus und auch keines, um entscheidende Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse zu erringen. Das ist keine Absage an Gesetzesvorschläge und zu fortschrittlichen Reformen im Parlament. Aber eine Parlamentsfraktion allein kann keinen ausreichenden Druck auf die herrschende Klasse und ihre Abgeordneten ausüben, dazu braucht es schon starke Organisationen der Arbeiter*innenbewegung, die den Kapitalist*innen und ihrem Profit gefährlich werden können. Zusätzlich werden die Reichen alle demokratischen Spielregeln missachten wenn es um die Verteidgung ihres Reichtums und ihres Eigentums geht. Zu guter Letzt eignet sich das Parlament als abgehobenes Gremium nicht zur demokratischen Kontrolle und Verwaltung des Staates und der Wirtschaft durch die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst. Dem Parlamentarismus halten wir deshalb den Aufbau einer Arbeiter*innendemokratie in Form von Rätemacht entgegen.

Der Ausgangspunkt der Überlegung ist deshalb, wie die Illusionen in die bürgerliche Demokratie überwunden werden können. Ein historisches Paradebeispiel für den Umgang mit Wahlen bieten uns die Taktiken Bolschewiki vor der Russischen Revolution 1917.

Das russische Parlament

Das Parlament in Russland, die sogenannte Duma, war immer eine besondere Angelegenheit, es war nämlich vor allem eine Farce. Bis 1905 wurden die Vertreter des Reichsrats eigentlich nur vom Zaren eingesetzt und bildeten ausschließlich eine beratende Körperschaft. In der Revolution 1905 gestand der Zar der Bevölkerung eine gewählte Duma – natürlich mit sehr selektivem Wahlrecht – zu um den sozialen Unruhen entgegenzuwirken. Die neue Duma hatte kaum Mitbestimmungsrechte, der Zar nahm es sich heraus per Notdekret Entscheidungen alleine durchzusetzen und löste die Duma innerhalb von zwei Jahren zwei mal auf.

Die erste Duma wurde von der Russischen Sozialdemokratie, deren linker Flügel die Bolschewiki waren, boykottiert. An den Wahlen zur zweiten Duma beteiligten sich die Bolschewiki und waren anschließend Teil der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Als die zweite Duma aufgelöst wurde, wurde diese Fraktion verhaftet. Über einen Wahlantritt für die dritte Duma gab es starke Meinungsverschiedenheiten unter den Bolschewiki, die Mehrheit unter ihnen war dagegen, Lenin war dafür, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands als ganze dafür. In der vierten Duma hatten die Bolschewiki nach der endgültigen Parteispaltung sogar eine eigenständige Parlamentsfraktion.

Die Wahltaktik der Bolschewiki

Woher der plötzliche Sinneswandel zwischen der ersten und der zweiten Duma? Die zweite Duma war doch nicht weniger ein Luftschloss als die erste. Und warum die Meinungsverschiedenheit unter den Bolschewiki über die dritte Duma?

Nach der Revolution 1905 erwarteten die Bolschewiki weitere revolutionäre Aufstände, der Fokus auf Wahlen, noch dazu für ein Scheinparlament, kam damals einer Ablenkungen von den eigentlichen Aufgaben der Arbeiter*innen – das war damals der Sturz des Zarismus – gleich. Bei den Wahlen zur zweiten Duma stellte sich schon heraus, dass die revolutionäre Phase beendet war, dass die Wahlen genutzt werden sollten. Danach trat eine reaktionäre Phase ein, in der viele Bolschewiki nicht verstanden die legalen und propagandistischen Möglichkeiten parlamentarischer Arbeit zu nutzen. In dieser Zeit führte Lenin einen harten Kampf damit die bolschewistische Fraktion ihre Verbindung zur Arbeiter*innenklasse nicht verlor.

Die Arbeit in der Duma war eine wichtige Taktik zur Organisierung der bolschewistischen Partei gewesen. Die Reden der Abgeordneten konnten legal verbreitet werden, die Parlamentsfraktion genoss zumindest zeitweise Immunität und wichtige politische Forderungen konnten erhoben werden. Auch die inneren Konflikte in der Duma konnten ausgenutzt werden um die reaktionären Kräfte zu bekämpfen sowie die arbeiter*innenfeindlichen Pläne der bürgerlichen Parteien aufzudecken.

Das Parlament muss also vor allem als Plattform angesehen werden, als Bühne auf der die Auseinandersetzungen zwischen den Klassen im Fokus der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Zusätzlich sind Wahlen gute Gelegenheiten um in einem Wahlkampf das kommunistische Programm verständlich darzulegen. Solange die Mehrheit der Arbeiter*innen und insbesondere ihre bewusstesten Teile nicht die bürgerliche Demokratie zu Gunsten der Sowjetmacht verwerfen, müssen Wahlen und Parlamente daher in der Regel auch genutzt werden.