Vor 15 Jahren: Die Bewegung gegen Schwarz-Blau

Nach der Nationalratswahl vom 3.Oktober 99 platzten die Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP und eine FPÖVP-Regierung wurde binnen weniger Tage zur Gewissheit. Am 3.2.2000 wurde als Protest die ÖVP-Zentrale für mehrere Tage besetzt. Am 4.2.2000, dem Tag der Angelobung der FPÖVP-Regierung, protestierten am Ballhausplatz rund 30.000 Menschen gegen diese neue Regierung. Deren Mitglieder mussten zur Angelobung durch unterirdische Gänge in die Präsidentschaftskanzlei schleichen.

Am 6.2.2000 wurde das Sozialministerium besetzt. Danach gab es wochenlang tagtäglich Demonstrationen, Kundgebungen und Besetzungen.

Am 12.Februar marschierte ein Zug von ca. 30.000 zur Erinnerung des Kampfes der Schutzbündler zum Karl Marx-Hof. Der ÖGB unterstützte den Demonstrationsaufruf.

Am 18.2.00 gab es einen Schüler*innenstreik. Trotz Repressionsandrohungen demonstrierten in Wien 15.000 Schüler*innen lautstark.

Ein Höhepunkt

Zahlenmäßiger Höhepunkt war die Riesendemo am 19.2.2000. Rund 250.000 nahmen am Wiener Heldenplatz an der Abschlusskundgebung teil. Die „Demokratische Offensive“, SPÖ, Gewerkschaften, Grüne, SOS-Mitmensch und LiF hatten eine dominierende Rolle. Die Demonstrant*innen mussten sich stundenlang hohle Phrasen über Nächstenliebe, Humanismus, Österreichpatriotismus und dergleichen anhören. Die Gewerkschaften stellten einige ansehnliche Blöcke, allen voran die Eisenbahner*innen, aber auch Metall-Bergbau-Energie und die Gemeindebediensteten.

Es gab einen linken Block, mit beachtlichen 20.000 Teilnehmer*innen und unter starker internationaler Beteiligung. Es war vollkommen richtig, diese Massendemo nicht den bürgerlichen Kräften zu überlassen und sich an der Demo zu beteiligen. Es war aber auch notwendig, einen eigenen linken Block zu organisieren, der mit seinen Losungen und Forderungen einen klassenkämpferischen Ausweg aufzeigten konnte und sich nicht mit den Pseudo-Lösungen der Führung unter einen Hut stecken zu lassen.

Nach der Großkundgebung vom 19.2.2000 verstärkte sich der proletarische und linke Charakter der Demos. Die linken Organisationen nahmen weiterhin massiv teil und bekamen bei der nun kleineren Zahl von Demonstrant*innen ein etwas größeres Gewicht. Immer wieder schlossen sich eigenständige Proteste wie der der Hausmeister*innen, der Lehrer*innen und jener, die gegen die Demontage der Arbeiterkammer demonstrierten, der Donnerstag-Demo an.

Ein Unistreik?

Mit dem Beginn des Sommersemesters 2002 wurde vor allem von linken Organisationen versucht, den Kampf auf die Uni zu tragen. Ihr Ziel war es, die Student*innen zu einem Uni-Streik zu bewegen. Sie hatten eine grundsätzlich richtige Position – unbefristeter Streik! Die reformistischen Student*innenverbände KSV und VSSTÖ bemühten sich, gestützt auf ihre Funktionen in der ÖH, dies zu verhindern. Den linken Gruppen gelang kurzfristig das Audimax zu besetzen und zu halten. Die richtige Forderung nach einer Ausweitung des Kampfes auf die organisierte Arbeiter*innenschaft stellten die linken Gruppen im Großen und Ganzen alle auf. Es gelang aber den Linken nicht, eine breite Mobilisierung und Zustimmung zu einem Streik bei den Student*innen zu bekommen. In dieser Situation zerfiel die bisherige Einheit im linken Block.

Linkswende und später auch SLP unterstützten dann recht unkritisch den vom KSV getragenen Vorschlag einer aktionistischen, befristeten Widerstandswoche, in der wie vorauszusehen war, die letzten Energien verpufften. um die Bewegung zu erweitern wäre ein Unistreik notwendig gewesen und in weiterer Folge auch die Erhöhung des Drucks der Arbeiter*innen auf die Gewerkschaftsbürokratie.

Donnerstag-Demos

Erfreulicherweise gab es auch weiterhin eine breite Demo-Bewegung mit Zehntausenden Teilnehmer*innen. Monatelang gab es in Wien zumindest 2 mal in der Woche große Demos, die der linken Aktionseinheit am Donnerstag, und die Volkstanzdemo am Samstag. Die große Begeisterung führte dazu, dass die Demos meist viele Stunden lang dauerten, Ermüdete überließen ihren Platz neu Hinzukommenden.

Die Donnerstag-Demo blieb nicht auf der Demo-Meile Ringstraße, sondern zog immer wieder durch andere Bezirke und erreichte damit viele Arbeiter*innen und Migrant*innen. Dabei erfuhren die Demonstrant*innen oft Aufmunterung und Zustimmung. Nicht selten wurde aus den Hausfenstern mit roten Tüchern, roten Leibchen oder auch Unterhosen gewunken.

Die Mehrzahl der Demonstrant*innen waren Student*innen, Schüler*innen und zahlreiche „Alt-68er“. Es waren mehr ältere Teilnehmer*innen bei den Demos als in den Jahren zuvor. Die Bewegung erreichte aber auch viele Menschen die noch nie an politischen Aktionen teilgenommen hatten.

So konnte die Donnerstag-Demo wöchentlich, ohne Unterbrechung, durch Sturm oder Regen, Semester-, Sommer- oder Weihnachtsferien, am 11.1.2001 ihr fünfzigstes Jubiläum feiern, auch wenn es zuletzt unter 1000 Teilnehmer*innen gab. Insgesamt hat die Donnerstag-Demo fast zwei Jahre ausgehalten.

Einem Heißen Herbst entgegen?

Nach dem Sommer kam noch einmal etwas Schwung in die Demos. Grund dafür waren vor allem die stückchenweise bekannt werdenden Sparpläne der Regierung. Die Wiedereinführung von Studiengebühren sorgte anfangs bei Student*innen, Schüler*innen und akademischem Mittelbau für große Empörung. Da die fortschrittlicheren Student*innen vom monatelangen Marschieren auf Demos schon ziemlich ausgelaugt waren, konnte es die ÖH wagen, eine Großdemo zu organisieren, auch um Dampf aus der Bewegung zu nehmen. Beachtliche 40.000 Teilnehmer*innen erschienen.

Gewerkschaftliche „Kampfmaßnahmen“

Demonstrationen alleine aber waren nicht genügend, um die massiven Angriffe der Regierung auf Immigrant*innen, Student*innen und Arbeiter*innen zurückzuweisen. Wesentlich wäre es gewesen, den Protest auf die Betriebe auszuweiten. Denn wenn dort gestreikt wird, trifft dies den Zentralnerv unseres Systems, die Profite der UnternehmerInnen. Breite, unbefristete Streiks bis hin zum Generalstreik wären nötig gewesen, um die Angriffe des Kapitals abzuwenden. Die Haltung des ÖGB hatte daher für die weitere Entwicklung des Widerstandes eine zentrale Bedeutung.

Trotz massivster Angriffe auf laufende Verträge, auf soziale Sicherheit und Arbeitsplätze wich die Gewerkschaftsbürokratie aber immer wieder zurück. Erst am 28. Juni 2000 bequemte sich der ÖGB zu lahmen Kampfmaßnahmen. Er organisierte einen Aktionstag mit einigen Betriebsversammlungen und einigen sehr beschränkten Streiks, wie der halbherzigen einstündige Streik der ÖBB.

Das Bewusstsein der Massen

Es gab einen überraschend anhaltenden und breiten Widerstand. Das vorwiegend mobilisierende Thema war der Rassismus der FPÖ und deren Berührungspunkte mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Viele Demonstrant*innen erhofften sich Rettung von der kapitalistischen EU und appellierten an die ÖVP, endlich wieder vernünftig zu werden und die Koalition mit der FPÖ zu beenden.

Die Arbeiterkammerwahl und der 1. Mai-Aufmarsch in Wien zeigten, dass SPÖ und Gewerkschaftsbürokratie durch ihren symbolischen Widerstand ihre Mobilisierungskraft gesteigert hatten. Es kamen zirka doppelt so viele zur 1.Mai-Kundgebung der Wiener SPÖ als in den Jahren zuvor.

Der 1-Mai-Block der Linken war dagegen dürftiger als in den Jahren davor. Die Linke konnte die politische Kluft zwischen sich und der Demo-Bewegung nicht überwinden. Ihre Attraktivität auf die neuen kämpferischen Aktivist*innen der Demo-Bewegung blieb beschränkt.

Die Bewegung hat ihre Ablehnung energisch zum Ausdruck gebracht, doch sie beschränkte sich darauf an bürgerliche und reformistische Kräfte zu appellieren, die sie im wahrsten Sinn des Wortes totlaufen ließen.

Rolle der Linken

Schon am Anfang der Bewegung gründete sich ein „Aktionskomitee gegen Schwarz-Blau“, an dem über 30 Gruppen, zumindest formal, mitarbeiteten. Weil die Mehrheit der Demonstrant*innen unorganisiert war und vereinzelt auftrat, konnte sich die Linke formal an die Spitze der Demos stellen. Der Aufgabe, die Demonstrationen zu strukturieren, waren sie aber kräftemäßig nicht gewachsen, sie konnte nur geringe Teile akustisch erreichen. Außerdem lagen zwischen dem allgemeinem Bewusstsein und der Position der Linken Welten. Einzig Losungen wie „Kampf dem Rassismus“ und „Widerstand“, wurden allgemein gerufen. Noch geringer konnte die Linke die Masse der Demo-Bewegung mit ihrer politischen Propaganda erreichen.

Die berauschende Illusion, endlich an der Spitze einer Massenbewegung zu stehen, forderte ihren Zoll. Diese anfangs fast tagtägliche Anforderung laugte die Gruppen aus.

Die Linke versuchte in erster Linie, die erregten Massen zu noch mehr Aktivität aufzufordern. Mit ihren bescheiden Kräften war sie so beschäftig, dass sie nicht einmal mit den Demonstrant*innen reden konnten und ihre wesentlichste Aufgabe, die Propaganda „vergessen“ hatten. Das war ein schwerwiegender Fehler, der sich rächte.

Was wurde erreicht?

Insgesamt konnte die Bewegung keines ihrer Ziele erreichen. Weder dankte die Regierung ab, noch hat sie auch nur einen ihrer Angriffe zurückgenommen, ja nicht einmal wirklich abgeschwächt. Weder der Rassismus, noch die sozialen Verschlechterungen sind geringer geworden. Gemessen an diesem Anspruch war es für die Aktivist*innen eine Niederlage.

Aber die Aktionen waren deshalb nicht sinnlos, ganz im Gegenteil. Es wäre naiv zu erwarten, dass nach Jahrzehnten des Klassenfriedens der Riese Proletariat schlagartig zu zielstrebigen Handeln finden würde. Teilniederlagen beim erneuerten Gehen lernen sind unvermeidlich. In der Demo-Bewegung haben viele ihre ersten Schritte der politischen Aktion gesetzt und wurden damit prägend beeinflußt. Alte Linke, die resigniert hatten fanden ihren Weg zurück in den Kampf..

Erstmals seit Jahrzehnten gab es Aktionen in vielen Betrieben, die aber natürlich gemessen an der Schärfe der Angriffe sehr schwächlich ausfielen und vollständig von der Gewerkschaftsbürokratie kontrolliert und geknebelt wurden.Wurde bisher von den Regierungen bei den Angriffen eine Salamitaktik angewandt, in der erst die eine, dann eine andere Gruppe von Beschäftigten angegriffen wurde, geht die neue Regierung ziemlich gleichzeitig gegen alle Schichten der werktätigen Bevölkerung vor. „Speed kills“ war ihr Motto.

Die massive Hinwendung zur spontanen Massenbewegung war für die keine linken Organisationen äußerst wichtig. Wer sich von dieser fern hielt, bewies damit seinen politischen Bankrott. Gleichzeitig wäre es notwendig gewesen, denen mit dem fortschrittlichsten Bewusstsein, die noch nicht zur revolutionären Politik gefunden hatten, einen Ausweg aufzuzeigen. Dazu genügen nicht nur kurze Aufrufe zu Demos und Streiks, dafür wären ausführliche Debatten mit fortschrittlichen Arbeiter*innen notwendig gewesen, um voneinander zu lernen und die Isolation der Linken zu beenden.

Heute ist die kapitalistische Weltordnung in einer großen Krise und die Kapatalist*innen versuchen auf Kosten der arbeitenden Massen ihre Profite zu sichern. Deshalb versucht das österreichische Kapital erneut eine Bürgerblock-Regierung zu installieren. Es ist wahrscheinlich, dass es zu Klassenkämpfen kommt und es ist wichtig sich darauf vorzubereiten und die Lehren von 2000 zu berücksichtigen.

Günther Schneider, Arbeiter*innenstandpunkt 241