Frauenbewegung heute: Feminismus und Klassenwiderspruch

Diskussionen über den „Pograpsch-Paragraphen“, geringere Bezahlung von Frauen in der Arbeit, sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz und der Öffentlichkeit, Häusliche Gewalt die nicht wirklich abnimmt, Polizist*innen die Frauen dazu zwingen ihre Badekleidung abzulegen – diese Infos und Bilder gehen durch die sozialen Netzwerke, eine wirkliche Bewegung scheint sich jedoch nicht zu formieren. Kein Wunder wenn man bedenkt, dass momentan keine starke Frauenbewegung in Europa existiert und sich die Feminist*innen untereinander uneiniger nicht sein könnten. Bürgerlicher Feminismus, radikaler Feminismus, marxistischer Feminismus – welche Bedeutung haben diese Begriffe und wer vertritt eigentlich was und wen?

Erste und zweite Frauenbewegung

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen muss man sich vorerst mit der Geschichte der ersten und zweiten Frauenbewegung auseinandersetzen. Die erste Frauenbewegung in Europa begann Anfang des 20. Jahrhunderts und setzte sich für gleiche Bezahlung und demokratischen Rechten auseinander. Sie war hauptsächlich proletarisch geprägt, es entstanden allerdings zur selben Zeit auch Bewegungen aus dem bürgerlichen Milieu. Frauen taten sich zu Wohltätigkeitszwecken zusammen, wollten die Armut der Arbeiter*innen innerhalb des kapitalistischen Systems bekämpfen und forderten Arbeitsmöglichkeiten für bürgerliche Frauen. Trotz der teilweisen Unterstützung der Arbeiterinnen durch Bürgerliche fanden die beiden Bewegungen kaum Überschneidungen und die bessergestellten Frauen zogen sich bald in die Gründung von Sozialeinrichtungen oder auch in Organisationen der christlich-konservativen Parteien zurück. Die Bewegung selbst wurde in erster Linie von den Arbeiterinnen getragen und spielte eine wichtige Rolle in Streiks, Demonstrationen und Aufständen. Dass die beiden Bewegungen kaum ineinander verschmolzen lag in erster Linie an der völlig unterschiedlichen Zielsetzung, die aus der unterschiedlichen Ausgangslage der unterschiedlichen Klassen resultierte. Während die Bürgerinnen beispielsweise die Möglichkeit zu arbeiten und so Unabhängigkeit zu erlangen in Anspruch nehmen wollten, mussten Arbeiterinnen längst aus ökonomischer Notwendigkeit heraus arbeiten gehen.
Die zweite Frauenbewegung, die ihre Höhenpunkte in den 1960er- und 1970er-Jahren hatte, wurde zu großen Teilen von bürgerlichen Frauen und Studentinnen getragen, die aus den starren Rollenvorstellungen ausbrechen wollten. Forderungen waren das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt, ohne eine Einwilligung des Ehemannes zu benötigen, die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine befreite Sexualität die auch die weibliche Lust in den Fokus rückt. Diese Forderungen wurden ähnlich wie die der ersten Frauenbewegung zu großen Teilen umgesetzt, allerdings nicht ohne Abstriche und nicht ohne alle paar Jahre von konservativen Politiker*innen oder Vereinen wieder in Frage gestellt zu werden.

Von der Frauenbewegung zu den Institutionen

Trotz etlichen sexistischen Vorfällen in den letzten Jahren die breite mediale Diskussionen hervorgerufen haben und in den sozialen Medien zu etlichen Hashtags geführt haben, ist eine tatsächliche Frauenbewegung momentan nicht vorhanden. Eher sind es einzelne selbsternannte Gesichter des Feminismus die vor allem im universitären Milieu bekannt werden, wie unter anderem Alice Schwarzer und Judith Butler. Das liegt in erster Linie an der Institutionalisierung der zweiten Frauenbewegung, deren Forderungen teilweise aufgriffen wurden, wie unter anderem durch die Einführung der Fristenlösung in Österreich, deren Aktivist*innen jedoch größtenteils im Universitätsmilieu oder in der staatlichen Politik verankert wurden. So wurden die kämpferischen Bewegungen vom öffentlichen Raum in geschlossene Räume für exklusive Kreise verlegt.

Arbeiter*innenklasse und Feminismus

Kein Wunder also, das breite Teile der Arbeiter*innenklasse wenig mit Feminismus wie er heute verstanden wird anfangen können. An den Universitäten werden Diskussionen über Feminismus vor allem auf einer abstrakt theoretischen Ebene geführt, ein zentraler Aspekt in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Frauenunterdrückung ist hier häufig der sprachliche Aspekt, der sich auch durch unterschiedliche Formen einer geschlechtergerechten Sprache äußert. Das hat natürlich grundsätzlich etwas Begrüßenswertes und stützt sich durchaus auf tendenziell fortschrittlichen Gedanken, die jedoch nicht zu Ende gedacht werden. Gerade lohnabhängige Frauen, die wegen ihres Geschlechts und als Arbeiterinnen unterdrückt und ausgebeutet werden, sehen in Debatten um das geschlechtergerechte Sprache (oder „Gendern“) oft eine scheinheilige Farce, die ihre Lebensrealität nicht verändert und von oben herab verordnet wurde. Feminismus – wie er heute verstanden wird – erscheint so breiten Teilen der Frauen als ein abgehobenes, elitäres Konstrukt, das fern von ihrer Realität zu stehen scheint.
Selbstverständlich ist Frauenunterdrückung nach wie vor ein gesellschaftliches Phänomen, das noch lange kein alter Hut ist, allerdings existieren hier unterschiedliche Ausprägungen, die sowohl durch Herkunft als auch durch die Klassenzugehörigkeit wesentlich beeinflusst werden. Während bürgerliche Feminist*innen häufig von „den Frauen“ sprechen, und somit eine grundsätzliche Einheit aufgrund des Geschlechtes erzeugen wollen, fällt es bei genauer Betrachtung schwer zu leugnen, dass sowohl Frauen aus unterschiedlichen Ländern als auch Frauen aus unterschiedlichen Klassen unterschiedlich Interessen und Ziele haben. Während Frauen aus dem Proletariat als Arbeiterinnen ausgebeutet werden und meist leider nach wie vor Kinder und Haushalt neben der Lohnarbeit alleine bewerkstelligen müssen und darüber hinaus weitaus weniger verdienen, als ihre männlichen Kollegen, werden Frauen aus dem Bürgertum zwar auch als Frauen gesellschaftlich unterdrückt, profitieren sich aber selbst von der Unterdrückung. Auch wenn diese Frauen ebenfalls die berühmten 200% geben müssen, um beruflich erfolgreich zu sein, so haben sie aufgrund ihres vorteilhaften ökonomischen Status dennoch einen besseren Zugang zu Kapital und profitieren als Kapitalistinnen von der Ausbeutung der Arbeiterinnen. Gerade in Bezug auf Kindererziehung und Hausarbeit wird dies deutlich. Grundsätzlich lasten beide Aufgaben nach wie vor auch in Europa in erster Linie an Frauen. Während Frauen aus der Kapitalist*innenklasse jedoch die Möglichkeit haben hierfür Dienstleitungen in Anspruch zu nehmen und andere – meist migrantische – Frauen dafür zu bezahlen, Hausarbeit und Kindererziehung zu erledigen, fehlen den meisten Arbeiterinnen dazu die finanziellen Ressourcen.
Marxistischer und bürgerlicher Feminismus

Auch Frauenunterdrückung ist also im kapitalistischen System stark mit Geld und Macht, somit also der Klassenzugehörigkeit verbunden, weshalb der Versuch der institutionalisierten Frauen-„Bewegung“  in den letzten Jahrzehnten, Frauenbefreiung über den Weg des kapitalistischen Systems und seinen Institutionen zu erreichen, nicht wirklich erfolgreich war.  Das kapitalistische System beruht auf dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, die Unterdrückung der Frauen ist damit geschichtlich untrennbar verbunden. Während die Klasse der Kapitalist*innen Zugang zu Kapital und somit Produktionsmitteln hat, ist die Klasse der Lohnabhängigen, die Arbeiter*innenklasse frei davon und muss deshalb ihre Arbeitskraft als Ware an die Kapitalist*innen verkaufen. Dies geschieht unabhängig von Geschlecht und Herkunft, der Kapitalismus als rein ökonomisches Phänomen benötigt daher Frauenunterdrückung nicht. Da er als Herrschaftssystem jedoch immer auch mit einer Ideologie und einer konkreten geschichtlichen Entwicklung einhergeht ist eine Entwicklung des Kapitalismus ohne Frauenunterdrückung, und Rassismus fast undenkbar, seine Stabilität hängt zu einem guten Teil von der Spaltung der Unterdrückten und einem Abwälzen unbezahlter Arbeit auf Frauen ab.

Klasse und Geschlecht

Die kapitalistische Ideologie, zu der auch die Frauenunterdrückung und die Geschlechterunterschiede gehören, ist als herrschende Ideologie stark in der Bevölkerung verankert, selbstverständlich auch in der Arbeiter*innenklasse. Nachdem durch die Institutionalisierung der Frauenbewegungen ihr auch ihre selbstständige Organisierung genommen wurde, ging ihr radikaler systemverändernder Anspruch zunehmend verloren, weshalb Benachteiligung und Frauenunterdrückung heute oft als gegeben hingenommen oder auch bagatellisiert werden. Da der institutionalisierte Feminismus sich wenig mit Klassengegensätzen auseinandersetzt und das bestehende Herrschaftssystem – den Kapitalismus – wenig kritisiert, sondern sich viel eher mit ihm arrangiert hat, schafft er es kaum Frauen außerhalb des bildungsbürgerlichen Milieus zu erreichen. Leider gelingt es auch aktuellen feministischen Kampagnen heute nicht, konsequent einen Klassenstandpunkt einzunehmen und zu versuchen die Ursachen der Frauenunterdrückung zu benennen. Erfolgreicher sind da schon Initiativen die versuchen bei der direkten Lebensrealität von Frauen auszusetzen, wie die „#aufschrei“-Debatte. Aber auch wenn diese medialen Aktionen aufzeigen, dass sämtliche Frauen als Frauen unterdrückt werden, verschweigen sie die Tatsache, dass Kapitalistinnen von der Unterdrückung der Arbeiterinnen profitieren und somit ein einheitliches Interesse aller Betroffenen nicht existiert. Frauenbefreiung ist also zwangsläufig mit einem Kampf gegen die bestehenden Herrschaftsstrukturen und somit gegen das kapitalistische System verbunden, denn unabhängig davon wird sie immer wieder scheitern.
Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass der Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen hinten angestellt wird, weil davon ausgegangen wird, dass sich Frauenunterdrückung mit dem Ende des Kapitalismus sowieso in Luft auflöst. Im Kapitalismus wurde Frauenunterdrückung als solche ja nicht erfunden, sondern bestehende Ideologien wurden übernommen und weitergeführt um von den vermeintlichen Ungleichheiten zu profitieren. Daher ist es selbstverständlich notwendig sich immer mit Frauen, die gegen ihre Unterdrückung kämpfen, zu solidarisieren. Dabei darf aber nicht vergessen werden den Klassenstandpunkt zu betonen und herauszustreichen, dass der Kapitalismus und das integrierte Patriarchat mit der Klassenherrschaft steht und fällt. Der Kampf gegen den Kapitalismus als ökonomischem Herrschaftssystem bedeutet immer auch gegen seine Ideologie zu kämpfen und in dieser sind Rassismus und Frauenunterdrückung fest verankert. Es gibt also keine Frauenbefreiung im Kapitalismus, aber auch keinen ernsthaften antikapitalistischen Kampf ohne einen Kampf gegen jede Frauenunterdrückung.

Lucia Siebenmorgen, AST 239