Bilanz der Wien-Wahlen: Alles beim Alten?

Folgender Text ist eine überarbeitete und ausgebaute Fassung unserer ursprünglichen Wahlbilanz vom 19. Oktober.

haeupl_vassilakouMit den diesjährigen Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen 2015 in Wien ging ein polarisierender Wahlkampf einher. Kaum jemand sprach nicht darüber, das Duell Häupl gegen Strache ließ fast niemanden kalt. Zusätzlich wurde die Stimmung durch die Asyldebatte angefeuert, welche die Gesellschaft in zwei Teile spaltete.

Der von vielen Umfragen heraufbeschworene Prozentekrimi blieb aber aus, die SPÖ feierte ihre Verteidigung von Platz Eins, trotz Verlusten von 4,75 Prozentpunkten. Die FPÖ wurde zum Glück geschlagen, sie konnte aber mit 30,79 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis erzielen.

Das Verhindern einer FPÖ-geführten Regierung, beziehungsweise eine Mehrheit für die Rassist*innen und ihre möglichen offen bürgerlichen Koalitionspartner*innen ist zweifellos ein Teilerfolg, wenn auch das Wahlergebnis einen deutlichen Rechtsruck signalisiert.

So ist die Wähler*innenschaft der SPÖ unter dem sozialstatistisch als „Arbeiter*innen“ ausgewiesenen Teil der Arbeiter*innenklasse weiter zurückgegangen. Ein Blick auf die Wählerstromanalysen zeigt, dass sich viele Arbeitende von der SPÖ abgewandt haben. Denn die FPÖ erhielt 53 Prozent von „Arbeiter*innen“ und 32 Prozent von „Angestellten“. Unter Pensionist*innen und Migrant*innen ist die SPÖ noch überdurchschnittlich vertreten. Im öffentlichen Dienst entschied sich mit 50 Prozent ein Großteil für die SPÖ.

Die bürgerliche ÖVP erhielt magere 9,24 Prozent, das stellt für sie das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte dar. Die symbolische Bedeutung dieser Niederlage darf nicht unterschätzt werden, da sie die Tendenz zu einem Führungswechsel im bürgerlichen Lager von der ÖVP hin zur FPÖ weiter vorantreiben wird. Die jungen neo-liberalen NEOS bekamen 6,16 Prozent und zogen so gleich mit 5 Mandaten in den Gemeinderat ein. Die Stimmen für diese „neue“ Partei bedienen ein in Österreich vergleichsweise schwaches „liberales“ Klientel, das einem halb-herzigen Einsatz für „Bürger*innenrechte“ mit weicherem Rassismus und entschiedenerem Neoliberalismus als die FPÖ kombiniert – ein Zeichen für eine unabgeschlossene Umgruppierung im bürgerlichen Lager und die Krise der ÖVP.

Die Bedeutung der Wahl

Die Die Wahlen haben die Kräfteverhältnisse in Wien nur verschoben, nicht grundlegend geändert. SPÖ und Grüne werden ihre Koalition fortsetzen.

Ein drohendes Aufschließen der FPÖ zur SPÖ hat alle reaktionären, rückständigen Schichten der Bevölkerung auf Seiten der Blauen mobilisiert. Die traditionell roten, großen und proletarischen Bezirke kamen ins Wanken und Simmering wurde sogar blau. Die FPÖ bediente den Rassismus und mobilisierte mit ihrer ausländerfeindlichen Politik auch die rückständigen Arbeiter*innen.

Wir sollten uns nichts vormachen. Wenn sich die FPÖ als Partei der „kleinen Leute“ präsentiert – so präsentiert sie sich als Partei der zu kurz gekommenen Staatsbürger*innen, der Deutschsprachigen, die die „Ausländer*innen“ als Konkurrent*innen ausgemacht haben und diesen die Schuld an ihren Problemen geben.

Dass Heinz-Christian Strache genau dieser Wahlzielgruppe dann noch stolz die abgehobene ÖVP-Bezirksvorsteherin aus dem ersten Bezirk Ursula Stenzel als „neue Margaret Thatcher“ präsentiert, macht aber den wahren Klassencharakter der FPÖ deutlich. Dazu passt auch, dass die FPÖ Gewerkschaftsstrukturen angreift, sich gegen die Reichensteuer wehrt und es versteht Menschen gegeneinander auszuspielen und „helfen“ als etwas fast schon schlechtes definiert, in dem auf die Waagschale gelegt wird „denen“ oder „uns“ zu helfen.

Rassismus und Nationalismus sind der Kitt, mit dem die FPÖ die „kleinen Leute“ bindet. Der rassistische Populismus wiegt so stark, dass sich der „kleine Mann“ an der Politik für die „tüchtigen Großen“ nicht stört, solange sie alle hübsch patriotisch und ausländer*innenfeindlich sind. Es ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die FPÖ eine rechte stabile Gefolgschaft unter den rückständigen, in der Regel weißen, männlichen Arbeitern über 30 schaffen konnte.

Diese Schicht wird nicht kurzfristig und leicht von einer offen rassistischen Partei zu brechen sein. Mögen auch einzelne dieser Wähler*innen aus „Protest“ für die FPÖ stimmen, so nehmen sie offenkundig billigend die Stärkung einer Partei in Kauf, die sich direkt gegen die am schlimmsten ausgebeuteten und entrechteten Teile der Arbeiter*innenklasse, die Arbeitsmigrant*innen, und gegen die Flüchtlinge stellt.

Die SPÖ mit Häupl vermochte sich in dieser Lage als einziges Instrument darzustellen, mit dem die fortgeschritteneren Arbeiter*innen und lohnabhängigen Mittelschichten, Jugendliche wie Pensionist*innen und die Migrant*innen, die FPÖ vorerst stoppen konnten. Anders als die SPÖ Oberösterreich hat Häupl einen vergleichsweise konfrontativen Wahlkampf geführt. Er und die SPÖ haben die Wahl zu einer Entscheidungsfrage gemacht – und das ist auch der Grund, warum sich die Verluste der SPÖ in Grenzen hielten.

Die Vorwürfe der Grünen und anderer bürgerlicher Konkurrenz der SPÖ, dass damit Häupl „künstlich“ polarisiert und Wähler*innen von ihnen zur Sozialdemokratie gezogen hätte, sind hilflos, albern und entsprechen ganz dem parlamentarisch-kleinbürgerlichen Geist dieser Parteien. Hätte Häupl etwa nicht „polarisieren“ sollen? Hätte er mit der FPÖ liebäugeln oder so tun sollen, als könnte die Wahl gar nicht verloren gehen, nur damit die Grünen ihr politisches Kleingeld machen können?

Vorzuwerfen ist der SPÖ doch vielmehr das Gegenteil. Gegenüber der FPÖ wird seit Jahren zurückgewichen, angepasst, im Burgenland seit neuestem gar koaliert.

Seit 1945 wird das Land zum Besten der österreichischen Bourgeoisie verwaltet. Die „Große Koalition“ wird zum Glaubensbekenntnis, bescheidene Reformversprechen werden am Koalitionsaltar oder für die Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Kapitals geopfert.

Für viele Wähler*innen war genau die Frage von Hilfsbereitschaft diesmal das Wahlmotiv. Dieses Duell konnte die „Menschlichkeit“ für sich entscheiden. Die SPÖ hat sich während ihres Wahlkampfs dem Flüchtlingsthema angenommen und so von Flüchtlingshelfer*innen und solidarischen Menschen Stimmen bekommen.

Trotz ihrer eigenen Politik in den letzten Jahrzehnten konnte die SPÖ daher wieder Stimmen der politisch fortschritteneren, klassenbewussteren Lohnabhängigen und Mittelschichten mobilisieren. Die Wahlen zeigten, dass die SPÖ nach wie vor eine bürgerliche Arbeiter*innenpartei ist – eine Partei, die seit Jahrzehnten bürgerliche Politik betreibt, sozial und organisch jedoch in der Arbeiter*innenklasse, das heißt ihren organisierten Teilen verankert ist. In dieser Lage war es auch richtig und notwendig, dass Revolutionär*innen kritisch zur Wahl der SPÖ aufriefen, um diese Arbeiter*innen, Migrant*innen, Jugendlichen und Rentner*innen an der Wahlurne gegen die Blauen und die anderen bürgerlichen Parteien zu unterstützen.

Wie geht es weiter?

Zu befürchten ist aber, dass der von vielen erhoffte Bruch mit der SPÖ-Politik der letzten Jahre ausbleiben wird.. Die künftige Landesregierung will wahrscheinlich weitermachen wie bisher. Ein Teil der SPÖ wird womöglich darauf drängen, Elemente der rassistischen Politik der FPÖ aufzugreifen, um den Gemeindebau durch Anpassung an die Rechten „zurückzugewinnen“.

Auf Bundesebene wird die SPÖ Koalitionen mit der ÖVP und den Grünen als „alternativlos“ hinstellen. Gegenüber der Kapitalist*innenklasse und dem europäischen Imperialismus werden allenfalls kleine „Reförmchen“ ins Spiel gebracht werden, die allesamt dem Ziel der „Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft“ untergeordnet werden.

Die Politik, die in der Vergangenheit gefahren wurde, veranlasste viele Wahlberechtigte für die Rechtspopulisten zu stimmen und wird dies auch weiterhin tun, solange die SPÖ ihren politischen Kurs fortsetzt. Gerade diese Politik ist es, die mehr und mehr Arbeiter*innen entfremdet und die soziale Basis der SPÖ weiter aushöhlt.

Die Ergebnisse der Wienwahl zeigen aber auch, dass die SPÖ weiter eine Monopolstellung in der organisierten Arbeiter*innenbewegung hat. Die „linken“ Wahlprojekte endeten allesamt in einem letztlich wohlverdienten Fiasko.

Die KPÖ zog diesmal im Bündnis mit obskuren kleinbürgerlichen Parteien wie den Piraten und den „Echten Grünen“ als „Wien Andas“ in den Wahlkampf – mit etwa dem gleichen Wahlergebnis wie bei der letzten KPÖ-Alleinkandidatur. Kam Wien Andas immerhin noch über die Prozentgrenze, so tummelten sich die PdA, die SLP und die RKOB auf Bezirksebene im Promillerahmen. Die Kandidaturen dieser reformistischen, kleinbürgerlichen oder zentristischen Kräfte zeigen nur, dass sie für die Arbeiter*innenklasse, ja auch für deren Avantgardeschichten gänzlich irrelevant sind.

Das Wahlergebnis verdeutlicht vielmehr, dass es unmöglich ist eine revolutionäre Alternative zur Sozialdemokratie aufzubauen, ohne den nach wie vor bestehenden Einfluss der SPÖ über die bewussteren Teile Arbeiter*innenklasse zu brechen. Das ist nicht mit dem Mittel bloßer Denunziation und Kritik zu haben und erst recht nicht mit pseudo-revolutionären Kandidaturen auf Bezirksebene, die nur die eigene Schwäche an der Wahlurne ausweisen.

Notwendig ist es vielmehr, mit den Wähler*innen und Mitgliedern der SPÖ, den Aktivist*innen der anti-rassistischen Massenmobilisierungen, Gewerkschafter*innen, usw. von der SPÖ nach ihrem Wahlsieg auch Taten einzufordern, wie offene Grenzen und das unbefristete Aufenthaltsrecht für Geflüchtete. Zugleich gilt es für ein Programm für öffentlichen Wohnbau und zur Enteignung leerstehenden Wohnraums zur Unterbringung der Menschen einzutreten – ein Programm, das sowohl den wohnungssuchenden „Inländer*innen“ wie den Migrant*innen zugute kommt und von Mieter*innenkomitees kontrolliert werden soll. Das gleiche gilt für den Kampf um Arbeitsplätze. Wer die Integration von Migrant*innen will, muss vor allem auch dafür eintreten, dass sie zu kollektivvertraglichen Bedingungen arbeiten können – wozu es sowohl ein Programm gesellschaftlich nützlicher, öffentlicher Arbeiten wie auch eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit braucht, so dass die vorhandene Arbeit ohne Lohnverlust und Personalabbau auf alle verteilt werden kann.

Wir machen uns keine Illusionen. Die SPÖ-Spitze in Wien und erst recht im Bund will keine solche Politik, ja sie will nicht einmal für Teilforderungen richtig mobilisieren. Aber das trifft nicht auf ihre Wähler*innen oder die Parteimitglieder zu.

In jedem Fall gilt es, diese Taktik mit der Frage zu verbinden: Was für eine Politik brauchen wir, um uns gegen die Auswirkungen der Krise und gegen den Sozialabbau zu verteidigen und wie können wir den Rassismus und den Rechtsruck in Europa aufhalten? Eine solche Debatte ist notwendig, um klare Antworten abseits von „es braucht eine linke Alternative“ oder „die SPÖ muss sich auf ihre traditionellen Werte rückorientieren“ zu finden. Wir denken, dass eine Perspektive für die Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Migrant*innen nur eine antikapitalistische, kommunistische sein kann, ausgedrückt in einer neuen revolutionären Arbeiter*innenpartei. Wir werden unser Bestes tun um ein solches revolutionäres in die Arbeiter*innenklasse, in soziale Bewegung und Auseinandersetzungen, um linke Alternativen zur SPÖ zu tragen.