Ukraine: Konterrevolution und Widerstand

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale

solidarity ukraineDem schrecklichen Pogrom in Odessa fielen mindestens 43 Menschen zum Opfer. Täter waren Killertrupps, die in enger Verbindung zur Putschregierung in Kiew standen. Allein dieses Vorkommnis beweist zweifelsfrei den ultrareaktionären Charakter der gegenwärtigen Herrscher*innen in der Ukraine.

Die ‚Revolution’ vom Maidan war in Wahrheit eine Konterrevolution. Sie hat eine Koalition von rechten Nationalist*innen (neoliberalen Agenten des Westens), eine faschistische Frontpartei (Swoboda) und eine Koalition von faschistischen Banden (Rechter Sektor), die als Ordnungstruppe der neuen Regierung fungiert, an die Macht gebracht.

Der Zweck dieser Regierung ist die Unterwerfung der gesamten Ukraine unter die Ausbeutung des westeuropäischen und nordamerikanischen Kapitals sowie die Zerschlagung jeglichen Widerstands im Land durch Faschist*innen- und Polizeiterror. Die Faschist*innen sind das Rückgrat des derzeitigen Vorgehens gegen die Städte in der Ost- und Südukraine.

Die Unabhängigkeit der Ukraine vom stärkeren westlichen Block imperialistischer Kräfte hängt jetzt vom Widerstand im Süden und Osten ab. Der russische Imperialismus verfolgt seine eigenen Interessen und stellt sich als Unterstützer des Widerstands dar. Er ist jedoch ein falscher Freund und verräterischer Bundesgenosse.

Das Genfer Abkommen mit den westlichen Imperialist*innen, die Unterstützung für den Parlamentswahltermin am 25. Mai, die Opposition gegen die Volksabstimmung am 11. Mai zeigen, dass Putins Ziel eine Annäherung v.a. an die EU und den deutschen Imperialismus ist, mit denen er eine Aufteilung der Ukraine vereinbaren möchte. Sein Problem ist, dass die USA und deren Agenten in der EU Britannien und Polen jede Art von Kompromiss blockieren wollen und bereit scheinen, die Repression durch die Regierung in Kiew bedingungslos zu stützen. Dafür nehmen sie auch die Gefahr eines Bürgerkriegs, von faschistischen Pogromen und selbst von Zusammenstößen zwischen Atomstaaten, zumindest jedoch einen neuen kalten Krieg in Kauf.

Mit ihrem Ruf nach Abtrennung und dem Wunsch nach Anschluss an die russische Föderation steuern die Führer der Donezk-Republik allerdings einen gefährlich-abenteuerlichen Kurs und entfremden sich großer Teile der Bevölkerung, deren nationale Identität und Sprache ukrainisch ist. Außerdem minimiert es für den Widerstand im östlichen Teil die Möglichkeit zum Sturz der Junta in Kiew, deren Beliebtheit schnell schwinden wird, wenn sie die Kürzungspläne der EU und des IWF umsetzen will. Nichtsdestotrotz ändert dies nichts an der Notwendigkeit eines internationalen Rückhalts durch die Arbeiter*innenbewegung für die Kräfte des antifaschistischen Widerstands in der Ukraine, obwohl die gefährlich falsche Politik der Donezk-Führung unmissverständlich kritisiert werden muss.

Der Widerstand der russischsprachigen und stärksten Arbeiter*innengebiete in der Ukraine erhebt sich teils aus der berechtigten Furcht vor den regierenden Chauvinist*innen in Kiew und deren Absichten, nationale sprachliche und kulturelle Rechte zu unterdrücken. Zum anderen erwächst der Widerstand auch aus der richtigen Wahrnehmung, was die Reformen durch die EU und die Lockerung der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland für ihre Arbeitsplätze und Gemeinschaften bedeuten würden. Die Erklärungen von städtischer und Gebietsautonomie sowie v.a. die Weigerung, die Legitimität der Maidan-Regierung anzuerkennen, sind daher  vollkommen berechtigt.

Im Gegensatz zur Lage auf der Krim liegen kaum Beweise vor, dass die Bevölkerung dieser Gebiete sich von der Ukraine abspalten will oder pro-russisch ist – im Sinne des Wunsches nach Anschluss an die russische Föderation. Sie hat vielmehr klar gemacht, dass sie nicht von einem Regime regiert werden will, dem jede demokratische Legitimation fehlt, das sich auf gesetzlose Schlägerbanden stützt und keinen Hehl macht aus ihrem Hass auf russischsprachige Bürger*innen der Ukraine.

Die Grausamkeit der Banden des Rechten Sektors wie in Odessa und Mariupol haben zu Meutereien bei Polizei und Armeekräften sowie zu Mobilisierungen der Bevölkerung auf der Straße geführt. Die Belagerung von Slawjansk und die Proteststreiks der Bergleute und Stahlarbeiter*innen sind weitere Zeugnisse für den antifaschistischen Widerstand in der Bevölkerung. Dies alles verdient und braucht den Beistand der Arbeiter*innen und Sozialist*innen in aller Welt.

Die Intervention der imperialistischen USA und der EU ist eine hochgefährliche Provokation – nicht nur aus Sicht aller Ukrainer*innen, sondern auch für die wahren Interessen der Arbeiter*innen und auch der Mittelschichten in Europa und Nordamerika. Sie ist Teil einer allgemeineren Politik der aggressiven militarisierten Offensive gegen ihren imperialistischen russischen Rivalen. Obgleich Russland in allen Belangen weit schwächer ist als die USA und ökonomisch auch der EU unterlegen, hat die westliche Politik dazu beigetragen, dass sich Putin als Beschützer der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine aufspielen kann. Für den russischen Imperialismus sind deren Interessen jedoch völlig dem strategischen Ziel unterworfen, einen Puffer zu schaffen zwischen dem russischen Territorium und der bereits vorgeschobenen Frontlinie der NATO. Wenn die Ostukrainer*innen ihr Schicksal in Putins Hand legen, gehen sie einer Katastrophe entgegen.

Bisher waren Russlands Handlungen Reaktionen auf das zunehmende Säbelrasseln aus dem Westen zum einen an der diplomatischen Front mit dem Versuch, die Krise durch die Bildung einer provisorischen Regierung zu entschärfen, andererseits militärisch durch grenznahe Manöver und Truppenbewegungen. Selbst nach dem Pogrom von Odessa und der Belagerung von Slawjansk hat sich die russische Politik auf Unterstützung von lokalen Milizen und Drohungen zu weiterem Einschreiten im Fall der Eskalation seitens der Kiewer Regierung beschränkt. Dennoch verbreiten die westlichen Medien totalitär das Märchen, das Obama, Merkel, Cameron und Hollande auftischen, wonach die Ukraine einer Einbindung in die Einflusssphäre des westlichen Imperialismus zugestimmt habe, was nun russische Intervention und Agitation zu verhindern suche.

Die bürgerlich-demokratischen Regierungen in USA und Westeuropa hat es keinen Deut bekümmert, dass Faschisten in der Regierung in Kiew sitzen oder dass im Regierungsauftrag ein Blutbad in Odessa angezettelt wurde. Sie würden selbst noch größere Verbrechen dulden, wenn damit der Widerstand im Ostteil der Ukraine erstickt werden könnte.

Auch darin äußert sich eine neue Periode im Weltkapitalismus, die mit der tiefen Rezession 2007/08 begann. Sie setzt einen endgültigen Punkt hinter den Scheinfrieden der Jahre 1990-2006, ein Friede, der sich jedenfalls nicht auf den Balkan, den Nahen und Mittleren Osten und auf Zentralasien erstreckte, und der geprägt war von einer rücksichtslose Ausplünderung nach dem Sieg des Westens über den „Kommunismus“.

Diese neue politische Periode ist durch wachsende inner-imperialistische Rivalität gekennzeichnet. Eine höchst aggressive USA und ihr britischer Schildknappe, die eine noch zögerliche EU unter deutscher Führung und ein zunehmend kriegerisches Japan mitziehen wollen, sind darauf aus, die Neuankömmlinge im Imperialist*innenklub Russland und China einzukreisen und zurückzudrängen. Neben dem Vorschieben der militärischen NATO-Grenzen in Osteuropa benutzten sie die ‚sanfte Gewalt’ von Menschenrechtsorganisationen, demokratischen Bewegungen und ‚farbenfrohen’ Revolutionen, um die Kraft ihrer Konkurrenten zu schwächen.

Diese Lage erfordert nicht nur die Solidarität mit dem antifaschistischen Widerstand in der Ukraine, sondern auch eine Wiederbelebung der Antikriegsbewegung, die Millionen gegen die Kriegstreiberei von USA und NATO in Afghanistan und Irak auf die Beine brachte. Es bedeutet auch, dass die Behauptung, die Ukraine sei nur ein Opfer des russischen Imperialismus und von daher seien die Attacken der Regierung auf die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete gerechtfertigt, weil sie die Autorität der Putschregierung nicht anerkennen wollen, als Lüge gebrandmarkt werden muss.

Der Charakter der Maidan-Bewegung

Die als „Euromaidan“ benannte Bewegung wurde durch eine Koalition von Nationalist*innen (Batkiwschina = Vaterland), Neoliberalen (Udar = Faust) und einer faschistischen Frontpartei (Swoboda = Freiheit) gegründet und hatte das Ziel, die Janukowitsch-Regierung dazu zu zwingen, das Assoziierungs-Abkommen mit der EU zu unterzeichnen. Diese Koalition verstrickte sich nicht in Führungskämpfe und festigte ihre Kontrolle durch ihre ‚Hauptquartiere des nationalen Widerstands’, womit ihre Identifikation mit ‚der Nation’ unterstrichen werden sollte. Der ukrainische Nationalismus war auch von Anfang an die vorherrschende Ideologie.

Die Bewegung diente einer Reihe von reaktionären Zwecken. Erstens vereinigte sie Oligarchen, bürgerliche Oppositionsparteien, Sektoren der Mittelschicht und Teile von verarmten Schichten unter einem einzigen ideologischen Hokuspokus. Zweitens sorgte sie dafür, dass soziale und proletarische Forderungen an den Rand gedrängt wurden. Drittens ermutigte und legitimierte sie die Beteiligung von faschistischen und ultrarechten Kräften. Viertens entfremdete sie automatisch große Teile der ukrainischen Bevölkerung und der Arbeiter*innenklasse insbesondere von Russen und russisch-sprechenden Bevölkerungsteilen u.a. Minderheiten. Zugleich bedeutete die Vorherrschaft von Nationalismus und das Fehlen von fortschrittlichen sozialen Forderungen auch, dass die Bewegung nie die Mehrheit der ukrainischen Arbeiter*innenklasse mobilisieren konnte. Diese blieb passiv.

Das Assoziierungsabkommen selbst war eine neoliberale Handelsvereinbarung, die eine vom IWF kontrollierte Schocktherapie verordnete, um die Ukraine der Ausbeutungssphäre des westlichen Imperialismus zu unterwerfen. Die EU hatte Präsident Janukowitsch schon länger gedrängt, das Abkommen zu unterzeichnen und nutzte dabei die Gefahr eines drohenden Staatsbankrotts nach der Rückzahlung von IWF-Anleihen als Erpressungsmittel. Russland hatte seinerseits die hohen Schulden für Gaslieferungen zum Anlass genommen und mit der Rücknahme von günstigen Preiskonditionen gedroht, um dem Janukowitsch-Regime eine ‚Zollunion’ mit Weißrussland und Kasachstan schmackhaft zu machen.

NGO´s in USA und der EU und ‚prodemokratische’ Initiativen unterstützten, ermutigten und engagierten sich teils offen in der Maidan-Bewegung wie schon zuvor in der ‚Orangenen Revolution’, die zur instabilen Regierung unter Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko geführt hatte. Der Maidan war zunächst keine Massenbewegung, sondern wurde erst zu einer solchen, als Janukowitschs Sondereinheiten am 11.12.2013 und am 22.1.2014 repressiv vorgingen. Aber selbst dann zog sie Hunderttausende nur kurzzeitig an. Es war korrekt, dass Arbeiter*innen- und sozialistische Aktivist*innen in die Bewegung eingriffen, als sie anwuchs. Dort hätten fortschrittliche Forderungen nach demokratischen Rechten, Proteste gegen Unterdrückung und die Oligarch*innen (natürlich gegen alle) vorgebracht werden müssen, aber es war entscheidend, sich gegen die reaktionäre ethnisch-nationalistische und neoliberale pro-EU-Politik der Maidan-Führung durch die Aufstellung von sozialen Forderungen zu stellen.

Doch Sozialist*innen, Anarchist*nnen und unabhängigen Gewerkschafter*innen, die den Versuch dazu unternahmen, wurden bedroht, geschlagen und offenes Auftreten und offene Propaganda wurden unterdrückt. Das war ein sicheres Zeichen für die bereits etablierte Vorherrschaft der reaktionären Führung über die Bewegung und deren Verstärkung. Es gab zu dem Zeitpunkt von der Masse der Beteiligten keine ernsthafte Gegnerschaft mehr gegen sie.

Sobald  klar war, dass die reaktionäre soziale und politische Basis der Bewegung nicht überwunden werden konnte, war es richtig, zu einer Bewegung aufzurufen, die sich in scharfem Gegensatz zum Euromaidan aufstellte und eine Arbeiterbewegung schaffen sollte, die sich als von beiden Flügeln der Oligarchie unabhängig erklärte.

Die Vorstellung, dass Besetzungen und Massenprotestmärsche im Stil von Occupy oder am Tahrir-Platz sind automatisch – ungeachtet ihrer Ziele – fortschrittlich sind und in jedem Fall einen objektiven fortschrittlichen Prozess repräsentieren würden, wurde in der Geschichte immer wieder widerlegt. So auch am 30. Juni 2013 in Ägypten, wo eine Menge, die Präsident Mursi gestürzt hatte, die Militärs wieder an die Macht gebracht und bejubelt hat. Wenn die Ziele verwirrt und/oder reaktionär sind, enden Massenbewegungen in Konterrevolutionen.

Der imperialistische EU-Block unter deutscher Führung wollte mit seinen Verbündeten in Klitschkos Udar-Partei einen Kompromiss, der die neoliberale Opposition in die Regierung gebracht hätte, eine Koalition mit der Partei der Regionen des Ex-Präsidenten Janukowitsch und der Vaterlandspartei jedoch nicht ausschloss. Dies hätte die weitere Ausbeutung der Ukraine durch den russischen und EU-Imperialismus, jedoch auch eine Durchdringung der ukrainischen Wirtschaft von Seiten des französisch-deutschen Finanzkapitals zur Folge gehabt.

Der US-Imperialismus, der große Geldmengen an die Ukraine vergeben und in zwanzig Jahren 5 Milliarden Dollar in deren ‚demokratische Bewegungen’ investiert hat, hatte andere Ideen. Durch seine verschiedenen NGOs benutzte das Außenministerium die Massenbewegung in der Ukraine für strategische Ziele, um das Land dem Einflussbereich Russlands zu entziehen, es kurz oder lang unter den NATO-Schirm und unter die imperialistische Hegemonie westlicher Prägung zu stellen. Wenn die Kiewer Regierung die Oberhand gewinnt, wird dies bald geschehen.

Euromaidan war der letzte Akt einer Politik, deren erste Phase die ‚Orangene Revolution’ 2004 einleitete, gefolgt von NGOs für den ‚demokratischen Aufbau’, die die ‚sanfte Macht’ der USA im Land vorantrieben. Die Konkurrenz zwischen den ‚ verbündeten’ EU- und US-Imperialisten wurde zu Gunsten der USA entschieden durch die Weigerung der faschistischen Teile des Maidan, den Kompromiss einer Regierung der ‚nationalen Einheit’ im Februar zu akzeptieren. Mit Billigung der USA-Diplomatie, v.a. durch ihre Sonderbeauftragte Victoria Nuland, bildete sich eine Koalitionsregierung aus „Vaterland“ und „Swoboda“ unter Einschluss von Spitzenvertretern des „Rechten Sektors“.

Diese Situation und die ersten Erlasse der Rada in Kiew trugen unweigerlich zur Entfremdung der russischsprachigen Bevölkerung im Süd- und Ostteil der Ukraine bei, die sich nicht mit der offenen Russenfeindlichkeit und Verherrlichung von Stepan Bandera und der mit den Nazis sympathisierenden ‚Organisation Ukrainischer Nationalisten’ aus den 40er Jahren von Nationalisten aus dem Westteil abfinden wollten. Die Attacken auf Lenin-Statuen und sowjetische Kriegsdenkmäler unterstreichen dies. Besonders auf der Krim, die in der Geschichte nie Teil der Ukraine war und mehrheitlich von russischsprachigen Menschen bewohnt wird, war klar, dass die Autorität der neuen Regierung nicht akzeptiert werden würde.

Dort haben die örtlichen Behörden mit Hilfe von Garnisonen der russischen Föderation die ukrainischen Kräfte entwaffnet, eine Volksabstimmung organisiert und sich für eine Loslösung der Krim von der Ukraine ausgesprochen. Zweifellos wurde diese Maßnahme vom Großteil der Bevölkerung begrüßt, wenn auch die Umstände des Referendums fragwürdig waren. Russland bereitwillige Annahme der Abstimmung auf der Krim, die Ukraine zu verlassen, war allerdings eine Antwort auf den Putsch in Kiew und berechnet auf den Erhalt der Flottenbasis auf der Halbinsel.

Charakter der Maidan-Regierung

Die neue Regierung in Kiew setzte sich zusammen aus Mitgliedern der Vaterlands- und Swoboda-Partei, des Rechten Sektors, mehreren Oligarchen sowie Repräsentant*innen der Oligarchen. Diese Milliardär*innen halten die Medien und die wichtigen Ministerien für Landwirtschaft und für Finanzen besetzt, wo sie persönlich groß investieren. Die Faschisten kontrollieren die Ministerien für Bildung und *innere Sicherheit, stellen auch den stellvertretenden Premierminister und den Generalstaatsanwalt. Die Neoliberalen mit dem Premierminister, dem Banker Arsenij Jazenjuk führen das Wirtschaftsministerium sowie die Aufsicht über Banken und Beziehungen zum IWF, der EZB usw. Die Oligarchen Igor Kolomoysky und Sergej Taruta sind als Gouverneure für Dnjepropetrowsk und Donezk eingesetzt.

Der repressive Staatsapparat hat sich während der Erhebung weitgehend aufgelöst. Die Armee hat sich mehrfach als nicht einsatzfähig erwiesen. Sie war unzuverlässig und verweigerte Schießbefehle auf die Bevölkerung, egal, von wem die Kommandos kamen. Auf der Krim zogen es zwei Drittel der regulären ukrainischen Armee vor, auf der Halbinsel zu bleiben, und traten vielfach der russischen Armee bei. Versuche, reguläre Truppen in den Ostteil zu schicken, schlugen fehl; die Einheiten zerstreuten sich und weigerten sich zu kämpfen.

Auf der anderen Seite wurden die Polizeikräfte bereits frühzeitig stark faschistisch durchsetzt oder politisch von den Faschisten vereinnahmt: Einige Einheiten aus Lwiw meuterten und nahmen an der Attacke des Rechten Sektors auf das Rada-Parlament teil. Ähnlich wie die Janukowitsch-Regierung sich nur auf seine Sicherheitspolizei Berkut verlassen konnte, sah sich die neue Regierung genötigt, eine Nationalgarde mit verlässlichen Elementen zu schaffen  und dabei und in Armeeeinheiten auf faschistische Kader zurückzugreifen.

Mit dem Wirtschaftsprogramm der Vaterlandspartei und der Kontrolle des staatlichen Repressionsapparats durch die Faschisten kann die Kiewer Regierung mit vollem Recht als neoliberal-faschistische Koalitionsregierung bezeichnet werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Widersprüche gäbe, nicht nur zwischen neoliberalen Nationalisten und Faschisten, sondern auch innerhalb beider Flügel. Die Zickzacks in der Politik gegenüber dem Ostteil mit den Täuschungsmanövern in Bezug auf föderale Zugeständnisse, die dann Drohungen und schließlich offener Repression wichen, deuten darauf hin. Anfänglich gab es auch einige Versuche zur Eindämmung der Bewegungsfreiheit für die ungezügelten und selbstherrlichen faschistischen Banden, aber keine Nacht der langen Messer, denn die Regierung braucht diese Elemente für schlagkräftige Unterdrückungsaktionen mindestens für die nächste Zukunft.

Charakter des antifaschistischen Widerstands

Die Kiewer Regierung ist zunehmend unfähig, ihre Verfügungsgewalt in Gegenden der Ukraine durchzusetzen, wo die große russischsprachige Minderheit und die Mehrheit der Arbeiterklasse konzentriert sind. Die reguläre Wehrpflichtigenarmee verspürt keine Neigung, die Opposition im Ostteil gewaltsam zu unterdrücken. Die Polizei dort erkennt die Legitimität der Regierung in Kiew nicht an. Deswegen kann diese ihre Autorität nur durch den Einsatz faschistischer paramilitärischer Einheiten und die Eliteregimenter von Armee und Polizei erzwingen. Alle Versuche dieser Art würden jedoch in einem Massaker münden.

Die Arbeiterschaft der Städte und Dörfer im Ost- und Südteil der Ukraine habe keine Veranlassung, sich der demokratisch illegitimen Kiewer Regierung zu unterwerfen. Eine der ersten Aktionen des Rada, nachdem schon über 100 Abgeordnete zur Hauptsache aus dem Ostteil „ausgesiebt“ worden waren, war der Entzug des Rechts für die Mehrheit der russischsprachigen Regionen, Russisch als Amtssprache zu verwenden. Obwohl dies nach Protesten aus USA und EU zurückgenommen wurde, alarmierte es die Bevölkerung, die nie mit dem westukrainischen Nationalismus sympathisiert oder für deren Parteien gestimmt hatte. Die Verwüstung und Zerstörung von Sowjetstatuen und Kriegsdenkmälern durch faschistische und nationalistische Kräfte, die sich mit dem Naziverbündeten Stepan Bandera identifizieren, musste ihnen klarmachen, dass dies nicht ihre Regierung war. Hinzu kommt die Plünderung und Brandschatzung von Büros von sozialistischen und linken Parteien in Kiew u.a. Städten, darunter von Lokalen der KP der Ukraine, die bei den letzten Wahlen 2,7 Millionen Stimmen bekam, sowie von der weiter links stehenden Formation Borotba (Kampf). Im Mai wurden 32 Abgeordnete der ukrainischen KP vom Rada ausgeschlossen mit der Begründung, sie seien ‚Separatisten’. Der Partei insgesamt ist die Illegalität angedroht worden.

Die Ersetzung von Gouverneuren in einer Reihe von östlichen Städten durch Gefolgsleute von Jazenjuk und Turschinow sowie die Ansetzung von Wahlen für den 25. Mai haben die Etablierung einer autorisierten Verteidigung der Einwohner des Ostteils der Ukraine auf die Tagesordnung gesetzt. Dies wurde noch unterstrichen durch die häufigen Überfälle von Seiten der Faschisten des Rechten Sektors auf die Büros und Aktivist*innen der KPUk u.ä. Fälle bei Demonstrationen gegen den Putsch in Charkow u.a. östlichen Städten. Obgleich die örtliche Polizei nicht versucht hat, die Kiewer Herrschaft entscheidend durchzusetzen, hat sie andererseits auch die ansässige Bevölkerung nicht gegen die Faschisten geschützt. Allein schon darum waren die Formierung von bewaffneten Milizen, die v.a. aus ehemaligen Soldaten bestehen, und die Besetzung von Verwaltungsgebäuden und Waffenkammern voll gerechtfertigt und sogar notwendig.

Die bürgerlichen Medien und offiziellen Stellen der westlichen imperialistischen Länder sind auf einem Auge blind, wenn sie sich über solche Maßnahmen heuchlerisch empören. Solche Aktionen hatte es von den Maidan-Kräften im Winter gegeben. Darüber hatten die offiziellen US- und EU-Beobachter damals kein Wort der Kritik verloren. Die ständige Anklage gegen die Einwohner des Ostteils lautet ‚Separatismus’ und ‚Agenten von Putins Verschwörung zur Annexion von Teilen der Ukraine’ fallen in dieselbe Propagandakategorie.

Die „Volksrepublik von Donezk“ u.a. wurden ausgerufen, bevor es eine Massenbewegung dafür gab. Weder Räte noch Versammlungen fanden statt, um die Führer zur Rede zu stellen und Rechenschaft zu fordern. Deswegen konnten diese Gebilde auch kaum mehr als ein Abenteuer sein. Aber angesichts der Attacken des Rechten Sektors und der Nationalgarde haben sie an Popularität gewonnen.

Revolutionär*innen sollten heute für ihre Verteidigung gegen Übergriffe durch die Regierung in Kiew einstehen! Die Kapazität ihres Widerstands war während der ersten Attacke aus Kiew ersichtlich, als Zivilbevölkerung und ein paar leicht bewaffnete Milizionäre einen Truppenkonvoi und Transport bewaffneter Fahrzeuge leicht aufhalten konnten. Die Truppen weigerten sich, das Feuer zu eröffnen und zogen sich – sehr zum Unmut des Premiers Jazenjuk – zurück.

Doch die Kräfte für eine dauerhafte Verteidigung gegen weitere besser vorbereitete Angriffe, unterstützt durch CIA und stärkere faschistische Kontingente, kann nur durch Einbezug der Arbeiterklasse in großer Zahl gewährleistet werden. Sie muss eine Miliz formen, den Einheiten der Regierung gegenüber treten kann und einen Generalstreik organisieren, der sie lähmt. Die weit verbreiteten Illusionen in eine Intervention russischer Truppen und in Putins Schutz sind durch Russlands Zustimmung zu den Genfer Vereinbarungen gedämpft worden. Putins Angebot, die russischen Truppen von der Grenze zurück zu ziehen, seine Anerkennung der Wahlen am 25. Mai und der Aufruf, das Referendum nicht abzuhalten, zeigen, dass er die Wünsche der Widerstandsbewegung in Donezk und Lugansk ignoriert. Putins Appelle sind höflich, aber bestimmt von der Bewegung zurückgewiesen worden.

Die Bedeutung und die Möglichkeit eines Eingreifens von Sozialist*innen ist in Charkow ablesbar, wo die Beteiligung von Borotba an der Autonomieerklärung sich in der Einbeziehung fortschrittlicher Forderungen wie der nach dem Ende der Lohnsklaverei und nach Abschaffung des Privateigentums. Donezk ruft seither zur Wiederverstaatlichung der oligarchischen Industrien und Unternehmen auf. Darauf bezieht sich auch Wjatscheslaw Ponomarjow, der ‚Volksbürgermeister’ von Slawjansk, der die Verstaatlichung aller Industrien der Stadt fordert.

Im allgemeinen scheinen die gesellschaftlichen Kräfte der Bewegung sich aus einem Bündnis von Arbeiter*innen vor Ort mit Bergleuten, einigen Sozialist*innen und KP-Leuten, jedoch auch verschiedenen russischen Nationalisten und Anhängern östlicher Oligarchen zusammenzusetzen. Einige sind auch Faschisten bzw. Agenten der russischen Föderation, aber keineswegs vergleichbar mit dem Einfluss des Rechten Sektors auf dem Maidan. Die Führung in Donezk, Lugansk, Odessa u.a. Orten ist weder faschistisch noch vom russischen Imperialismus „ferngesteuert“. Ihr einziger gemeinsamer Programmpunkt besteht aus der Forderung nach einer Volksabstimmung über die Autonomie der Region und will keine Anerkennung der Regierung in Kiew und deren Wahlen am 25. Mai.

Motive und Zusammensetzung der Milizen mögen unterschiedlich sein, so kommen z.B. Mitglieder aus der früheren Armee, aus den Berkut-Polizeieinheiten, auch panslawistische und prorussische Chauvinisten finden sich hier, aber ihr bewaffneter Widerstand ist ebenso gerechtfertigt wie notwendig. In Odessa fehlte ein solcher ausreichend bewaffneter und größerer Schutz. Dies ermöglichte es 1.000 Faschisten – mit der Polizei als Zuschauer -, ein schreckliches Pogrom zu verüben und die Stadt noch Tage und Nächte danach zu terrorisieren.

Die antifaschistischen Milizen nehmen eine völlig andere Stellung ein als die Swoboda-Partei und der Rechte Sektor in der Maidan-Bewegung, weil sie nicht unter Kontrolle rechter Nationalisten oder Faschisten stehen. Sie schließen auch keine linksorientierten Kräfte aus. Dennoch stellen ihren Führung und das Fehlen einer breiten Arbeitermobilisierung und deren Machtorgane wie Räte, die Rechenschaft fordern könnten, die Bewegung vor große Probleme.

Um diese Lage zu lindern, muss eine Massenbewegung mit Verankerung in den Fabriken und Wohngemeinden entstehen. Das muss jetzt das oberste Gebot für die Linken sein, die gesellschaftliche, wirtschaftliche und demokratische Ziele ausarbeiten müssen, die einerseits die Massen anziehen und zugleich eine Einheit zwischen den russisch- und ukrainischsprachigen Arbeiter*innen und der Jugend herstellen können. Auch jene, die anfangs den Maidan unterstützt habe, aber mit den Neoliberalen und dem faschistischen rechten Flügel an der Macht brechen wollen, dürfen nicht allein gelassen werden.

Ukraine: Zankapfel zwischen rivalisierenden Imperialismen

Die Ukraine bleibt eine Halbkolonie, ausgebeutet von russischem, US- und EU-Imperialismus. Die gegenwärtige Krise wurde durch den Versuch der Westmächte hervorgerufen, das bestehende Kräfteverhältnis von wirtschaftlicher und politischer Dominanz klar zu ihrem Vorteil zu verschieben. V.a. die USA verfolgen eine Strategie der militärischen Einkreisung Russlands.

Ungefähr 40% des ukrainischen Handels wird mit postsowjetischen Ländern betrieben. Sie kaufen mehr als 60% der ukrainischen Ausfuhrgüter. Das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU würde zumindest diese Beziehungen empfindlich herunterfahren und sie schlimmstenfalls ganz zerreißen. Dies hätte verheerende Auswirkungen auf Industrie und Arbeitsplätze im Ostteil der Ukraine.

Die Rolle Russlands wird bestimmt durch Präsident Putins Motivation zur Verstärkung seiner bonapartistischen Position als „starker Mann“ und „Verteidiger des russischen Volkes“ nach innen und nach außen als Schützer der russischen Hegemonialinteressen bei den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR gegen die Versuche von USA und NATO, Russland dies streitig zu machen. Ökonomisch muss der russische Imperialismus seine Verbindung mit dem Bergbau und dem Maschinenbau der Ostregion der Ukraine mit ihrer  Rüstungstechnologie verteidigen. Militärisch ist es die Motivation, ein weiteres Heranrücken der NATO an Russlands Grenzen zu verhindern und den Warmwasserhafen am Schwarzen Meer zu sichern. Somit ist Russlands Stellung defensiv gegenüber den USA und der von Deutschland geführten EU – aber dennoch imperialistisch.

Die Bedrohung, die von Russland für die osteuropäischen, kaukasischen und zentralasiatischen Halbkolonien ausgeht, ist die der halbkolonialen Ausbeutung und weniger die einer Russifizierung, denn das ist kein kategorisches Kennzeichen des modernen russischen Imperialismus. Die ‚Privilegien’ der russischen und russischsprachigen Ukrainer*innen unter den prorussischen und prowestlichen Führer*innen der nachsowjetischen Ära der Ukraine sind ein Produkt der Wirtschaftsstruktur des Landes und ihrer Klassenstellung darin. Der Schwerpunkt der ukrainischen Schwerindustrie und des rüstungsindustriellen Komplexes liegt in den russischsprachigen Gebieten des Südens und Ostens. Das bringt verhältnismäßig höhere Löhne und Lebensstandards mit sich als in den unterentwickelten und stagnativen Industrien im Westteil, die in kleineren und stärker landwirtschaftlich orientierten Betrieben angesiedelt sind.

Wir sind gegen jede offene oder verdeckte Invasion in irgendeinem Teil der Ukraine durch Russland, weil deren Ziel eine halbkoloniale Unterordnung des Landes und seiner Arbeiterklasse unter die Interessen des russischen Imperialismus wäre. Es ist zwar wahrscheinlich, dass russische Truppen von vielen Ostukrainer*innen freudig begrüßt werden würden, doch auch dort wäre eine erhebliche Minderheit ihr erbitterter Gegner, und diese Opposition würde sich entlang ‚ethnischer’ Grenzen vollziehen. Viele Ukrainer*innen sehen sich als russisch und ukrainisch an oder als russisch, die aber in einer politisch unabhängigen Ukraine leben wollen und sich auch mit dieser identifizieren würden. Diese Minderheit würde sich im Fall einer russischen Besatzung national unterdrückt fühlen, und ein Guerrilla-Widerstand wäre nahezu unvermeidlich. Die Einheit der ukrainischen Arbeiterklasse und ihrer internationalen Verbindungen zum russischen Proletariat würden gewaltig darunter leiden.

Die wirtschaftlichen Beweggründe für den EU- und US-Imperialismus sind der Zugang zu einem großen und einem der billigsten Arbeitsmärkte in ganz Europa; für die westliche Agroindustrie ist es der Zugang zu einem weitgehend unausgeschöpften und unterentwickelten Agrarland, die Aussicht auf Monopolisierung und Modernisierung von Rohstoffindustrien im Donbass-Gebiet und die Steigerung der russischen Abhängigkeit von westlichen, v.a. deutschen Industrien durch die Abwrackung der unproduktiven Schwerindustrie im Ostteil. Für die USA sind militärische Optionen durch die Verlagerung von NATO-Truppen unmittelbar an die russischen Grenzen und die Bedrohung, wenn nicht gar die Schließung der russischen Flottenbasis in Sewastopol verlockend. Diese Einkreisung Russlands von Süden würde vervollständigt werden durch die geplante Einbindung Georgiens in die NATO.

Die aggressive Politik des US-Imperialismus ist eine Quelle der Spannung zwischen ihm und seinen NATO-Verbündeten in Europa. Die deutsche Industrie ist eng mit Russland verbunden und bezieht ca. 40% an Öl und Gas aus Russland. Der europäische Imperialismus ist zwar auch an Einflussgewinn in der Ukraine interessiert, ist aber reserviert gegenüber Wirtschaftssanktionen und der Einbindung der Ukraine und Georgiens in die NATO, weil er dies als unnötige Drohgebärde gegenüber Russland ansieht. Ähnlich sperrt sich Deutschland auch gegen militärischen Druck auf Russland, während Britannien begeistert seinen Beitrag zu den NATO-Streitkräften im Baltikum und in Polen aufgestockt hat.

Den westlichen Imperialisten spielt in die Hände, dass sie fehlende Demokratie und Menschenrechte in den ehemaligen Sowjetstaaten einklagen können, zumal dort Regierungen mit autoritären und repressiven Mitteln herrschen. Diese Zustände sind nicht nur Überbleibsel ihrer stalinistischen und autokratischen Vergangenheit, sondern zeigen auch ihre Verwundbarkeit gegenüber ihren älteren und mächtigeren Konkurrenten, die über weit größere wirtschaftliche und natürliche Ressourcen gebieten, über leichteren Zugang zu Märkten verfügen und ein weltumspannendes Netzwerk von Militärbasen und modernsten  Waffenarsenalen unterhalten. Ebenso fehlt ihnen die Kontrolle über globale Medien, alte wie neue, die den USA und der EU zu Gebote stehen.

Ironischerweise kommt die Anwendung der ‚sanften Gewalt’ (sie sollen uns lieben, nicht fürchten) zu einer Zeit, da das Ausmaß der Spionage, von Telefon- und PC-Hacking und schmutzigen Tricks aller Art v.a. durch die USA zu Tage tritt (Wikileaks, Whistleblowing). Es kommt auch zu einer Zeit der wachsenden Massenerkenntnis, dass Demokratie ausgehöhlt wird (Occupy). Aber wie im ersten Kalten Krieg fallen Teile der liberalen Intelligenz ihrer eigenen imperialistischen Propaganda zum Opfer und glauben, dass der Hauptfeind außerhalb der eigenen Grenzen steht, v.a. in Russland.

Die Ukraine ist eindeutig Brennpunkt einer groß angelegten Kampagne durch die bürgerlichen Geheimdienste, Medien und Politiker und darauf aus, nützliche Idioten für einen Feldzug gegen Russland einzuspannen. Es ist leichter für die USA, Russland zu attackieren, weil es wirtschaftlich weniger wichtig ist als China. Zerrissene ökonomische Bande nach Peking hätten derzeit schwerwiegendere Folgen wegen der Abhängigkeit der Schuldenbilanz der USA, die nur durch chinesische Aufkäufe von Staatstiteln und den transpazifischen Handel einigermaßen geglättet werden kann. Die US-Aggression gegenüber Russland genau wie dessen mit einberechnete Vergeltung wird jedoch ein Bündnis zwischen Peking und Moskau festigen.

Zu einem Zeitpunkt, da sich der Ausbruch des ersten innerimperialistischen Weltkriegs zum hundertsten Mal jährt, schälen sich Bündnisse heraus, die kurzfristig zu einem neuen kalten Krieg, längerfristig jedoch zu einem dritten imperialistischen Weltkrieg führen. Die Lage in der Ukraine ist in diesem Rahmen zu betrachten, weil seine rechten Nationalisten und Faschisten nie so weit voran gekommen wären und mit dieser Unverschämtheit hätten auftreten können ohne die Schützenhilfe der USA und die stillschweigende, wenngleich skeptische Duldung ihrer deutschen u.a. europäischen Verbündeten.

Revolutionär*innen in den westlichen Ländern dürfen den imperialistischen Charakter und die Verbrechen Russlands und Chinas nicht verschleiern und müssen weiterhin Kämpfe um demokratische und nationale Rechte (wie z. B. in Tschetschenien oder in Tibet) unterstützen. Ihre erste Aufgabe aber muss die Mobilisierung gegen die Kriegstreiberei der Imperialist*innen im eigenen Land sein. Sie müssen die Lügen der Medien aufdecken, die Massen gegen die Kriegsvorbereitungen ihrer Herrscher alarmieren und rücksichtslos die Liberalen und angeblichen Linken, je nachdem als dummköpfige Helfershelfer oder zynische Kriminelle bloßstellen, die den neuen kalten Krieg an der Seite der Imperialisten mitmachen.

Lösung der nationalen Frage

Unter Stalin und seinen Nachfolgern erlitt das ukrainische Volk verschiedene Formen von nationaler Unterdrückung – von blutigen Säuberungen über Hungersnöte bis zur Verweigerung des Rechts auf Selbstbestimmung über die Unabhängigkeit des Landes. Seit den 30er Jahren haben Trotzkist*innen den Kampf für eine unabhängige sozialistische Ukraine als Teil von Vereinigten sozialistischen Staaten in Europa unter Einschluss von Russland selbstverständlich verteidigt.

Seit 1991 jedoch haben verschiedene Regierungen in Kiew ihrerseits russische u.a. Minderheiten nach Sprache und Kultur diskriminiert. Das hat unausweichlich den Ost- und Westteil der Ukraine einander entfremdet. Die derzeitige Regierung übertrifft darin sogar ihre Vorläufer und bedroht somit die Einheit und Integrität des Landes und insbesondere die Arbeiterklasse. Deshalb ist es lebenswichtig, dass Sozialist*innen die von Lenin aufgestellten Grundsätze in dieser Frage erklären. Alle nationalen Gegensätze können nur auf einer vollkommen demokratischen Grundlage überwunden werden, die den Weg öffnen zur Einheit der Klasse und zum Kampf für den Sozialismus.

Die Kiewer Regierung erkennt nicht das Recht eines jeden Teils der Ukraine auf Selbstbestimmung unter Einschluss des Rechts auf Abspaltung an. Ähnlich wie in Spanien, der Türkei u.a. Ländern ist dies ein Akt nationaler Unterdrückung und kann nicht gerechtfertigt werden mit der historischen Unterdrückung der Ukraine durch Russland. Kein ‚Recht auf völlig ungeteiltes Territorium eines Landes’ darf über das Recht der Einwohner*innen auf Selbstentscheid darüber gestellt werden, in welchem Staat sie leben wollen.

Die Krim war in der Geschichte kein Teil der Ukraine, sie besaß nie eine ukrainischsprachige Mehrheit, und die Bevölkerung hat nie darüber abgestimmt, zur Ukraine gehören zu wollen. Die ungerechten Grausamkeiten, die Stalin an den Krimtataren verübt hat, können nicht das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerungsmehrheit auf der Halbinsel ungültig machen. Diese Bevölkerung ist keine vor kurzem zugewanderte Siedlergemeinschaft wie etwa die Israelis in Palästina oder die Han-Chinesen in Tibet. Auf der Krim müssen Sozialist*innen daher das Recht des gesamten Volks auf eine Abstimmung und dessen Ergebnis verteidigen.

Das heißt aber nicht, dass Sozialist*innen die Abtrennung oder die Einheit mit Russland befürworten. Im Gegenteil: wir hätten mit „Nein“ zu einer Föderation mit Russland gestimmt, weil dieser Anschluss die Möglichkeit zur Einheit in der ukrainischen Arbeiterklasse noch mehr verbaut und eher die konkurrierenden Nationalismen im Ost- und Westteil verstärkt sowie den Boden bereitet für ein Erstarken der ukrainischen und russischen faschistischen und chauvinistischen Reaktion.

Es wäre sicher besser gewesen, eine Rückkehr zur Verfassung der Krim vom Mai 1992 mit dem Status einer autonomen Republik zu befürworten. Dieser Status ist vom ukrainischen Rada-Parlament aber einseitig annulliert worden. Die Abtrennung reißt die Einheit der Arbeiter*innen der Krim mit jenen im Rest der Ukraine auseinander und nimmt sie aus einem möglichen gemeinsamen Kampf für Demokratie und Sozialismus heraus. Wenn diese Haltung für die Krim zutrifft, sollte sie umso mehr für den Ostteil der Ukraine mit ihrem viel stärkeren Gemisch von nationalen und sprachlichen Identitäten gelten. Wir müssen andererseits aber weiter das demokratische Recht auf eine Volksabstimmung mit den Möglichkeiten einer Autonomie innerhalb der Ukraine in einer föderalen Republik oder die Loslösung bzw.   Föderalisierung mit Russland verteidigen.

Nichtsdestotrotz befürworten wir die Aufrechterhaltung der Einheit der Ukraine, auch wenn sie momentan bürgerlich-demokratisch wäre. Doch wir hoffen und kämpfen dafür, dass die territoriale Einheit eine erfolgreiche Errichtung von Arbeitermacht und den Aufbau des Sozialismus erleichtert. Diese Perspektive kann nur auf folgender Grundlage verwirklicht werden:

a) Anerkennung des demokratischen Rechts von Minderheiten auf Selbstbestimmung, Autonomie und Selbstregierung;

b) Nein zu allen Privilegien für Mehrheiten und Garantie für gesetzliche und politische Gleichbehandlung aller Minderheiten in jeder Region;

c) Unantastbarkeit der unabhängigen Rolle der Arbeiterklasse im Kampf für demokratische Rechte genauso wie gegen Ausbeutung durch Oligarchen und östliche und westliche Imperialisten.

Die neue Staatsgewalt auf der Krim hat dem Tatar Mejiis, dem Parlament der Krimtataren mit Auflösung und mit Umsiedlung aus nicht genehmigten Bezirken gedroht. Solchen u.ä. Akten von Diskriminierung und Unterdrückung muss von allen Demokrat*innen und v.a. Sozialist*innen energisch entgegen getreten werden!

In der östlichen und südlichen Ukraine ist die Sachlage zwar anders, doch hier hat die russischsprachige Bevölkerung Grund genug zu Befürchtungen und das Recht, sich gegen die Bevormundung der Herrscher aus Kiew zu wehren. Das erfordert taktisch Unabhängigkeit bzw. Autonomie, aber keineswegs strategisch eine dauerhafte Abtrennung und die Spaltung der Ukraine.

Russland erscheint zwar als Rettung vor der Gefahr eines zweiten Odessa in Slawjansk, Mariupol, Donezk und Lugansk, doch dies würde nur vorübergehender Natur sein können. Die Gefahren eines Bürgerkriegs wie auf dem Balkan, von ethnischen Säuberungen, von russischsprachigen Bewohner*innen im Westen, von ukrainischsprachigen Einwohner*innen im Osten, wäre eine der wahrscheinlichen Folgen einer russischen Besetzung. Jedenfalls ist die Hoffnung auf Putin gleichbedeutend mit dem Griff nach einem abgebrochenen Schilfhalm. Darum schlägt auch die Position von Borotba, die gegen eine russische Annexion der Ostukraine und für antioligarchische und sozialistische Forderungen eintritt, einen korrekten Kurs ein.

Vom antifaschistischen Widerstand zu einer Arbeiterregierung

Die Selbstverteidigung der Städte in der Süd- und Ostukraine gegen die Überfälle der Kiewer Junta und der Faschisten ist aktuell das zentrale Kampfziel. Wenn diese Städte von den Kräften der Reaktion eingenommen würden, hätte das noch grauenvollere Pogrome zur Folge. Deshalb ist der Sieg des Widerstands über die faschistischen Banden und die staatliche Gewalt eine Vorbedingung für ein weiteres Vorankommen.

Zur Stärkung der Abwehr müssen die Massen auf breitester Front in Gang gesetzt werden – besonders die Industrie- und Bergarbeiterschaft mittels eines Generalstreiks. Erbeutete Waffen aus den Arsenalen müssen verteilt und eine massenhafte Arbeiter- und Bevölkerungsmiliz muss aufgestellt werden. Kräfte aus Polizei und regulärer Armee müssen dafür gewonnen werden, den Vormarsch der Konterrevolution aufzuhalten und zurück zu werfen. Das wiederum wird die Kräfte einer Arbeiterrevolution befeuern.

Es wird von Versammlungen in Donezk u.a. Städten berichtet, darüber hinaus bedarf es aber v.a. des Aufbaus von Räten oder Ausschüssen von Arbeiter- und Bauernabordnungen. In den Fabriken sind ebenfalls Arbeiterkomitees notwendig, um den Oligarchen und ihren Managern die Kontrolle in Betrieben und Gewerkschaften zu entreißen.

Zunächst auf regionaler, dann auf Landesebene kann eine Koordination des Arbeiterwiderstands die Grundlage bilden für eine Arbeiterregierung. Eine solche Regierung, die sich auf eine bewaffnete Miliz stützt, wird imstande sein, die Kräfte des Faschismus und des neoliberalen EU-IWF-Kürzungsprogramms zurückzuschlagen und zu vernichten. Sie wird in der Lage sein, die Arbeiter*innen in der Mitte und im Westen des Landes aufzurufen, mit der Maidan-Regierung zu brechen und das Ziel einer geeinten Arbeiterstaats Ukraine zu verfolgen, in der alle Nationalitäten gleiche Rechte zustehen und frei sein werden von nationaler Unterdrückung jeder Art.

Eine Arbeiterregierung, die im Osten und Süden ihren Anfang nimmt, wird fähig sein, ein Programm zu erarbeiten, das das politische und wirtschaftliche System des Landes rundum neu gestaltet. Die Donezk-Republik hat zu einer Wiederverstaatlichung der Unternehmen der Oligarchen aufgerufen. Das war ein Riesenschritt vorwärts, aber er kann nur unternommen werden, wenn die Arbeiter*innen selbst alles vormals staatliche Eigentum, das von den Oligarchen gestohlen wurde, ihnen entschädigungslos wieder abnimmt und eine Arbeiterkontrolle der Produktion einführt.

Das wiederum würde unmittelbar die Notwendigkeit zur Koordinierung der Produktion nach einem demokratisch abgestimmten Plan auf die Tagesordnung setzen. Ein System von angemessenen Sozialleistungen, erhöhten Löhnen, verbesserten Arbeitsbedingungen und demokratischen Freiheiten wäre dann möglich. Es darf keine Rückkehr zu bürokratischer Diktatur oder Herrschaft einer Parteielite, es darf keine Rückkehr zu stalinistischer Befehlsplanung geben.

Gegen die Kiewer Präsidentschaftswahlen am 25. Mai sollten Sozialist*innen die Zusammenkunft einer demokratischen, all-ukrainischen Verfassunggebenden Versammlung fordern, gewählt unter Aufsicht der Arbeiterklasse. Die Kontrolle der Oligarchen über die Medien muss gebrochen werden, da sonst keine ernsthafte demokratische Diskussion über die Zukunft des Landes vonstatten gehen kann.

Die Verfassunggebende Versammlung muss die gesellschaftliche Grundlage für Demokratie im ganzen Land erörtern, und Sozialist*innen müssen sich für die Herrschaft der Arbeiterräte wie der Sowjets von 1917 stark machen. Bis dahin sollten wir für die Autonomie aller Städte u.a. Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung mit demokratischer Kontrolle über die Polizei und Ortsmilizen aufrufen.

Das Ringen um eine Verfassunggebende Versammlung und für Arbeiterkontrolle über Land und Industrie muss gegen kapitalistische Gewalt verteidigt werden mit Hilfe von multiethnischen Arbeitermilizen, die den demokratischen Organisationen der Arbeiterklasse verantwortlich sind, zunächst am Arbeitsplatz und in Wohngegenden, aber sie müssen auch regional und national zusammen geschlossen werden.

Durch die Ablehnung aller neoliberalen Kürzungsmaßnahmen in der EU und das Ziel Sozialismus unter unmittelbarer Arbeitermacht, werden die Arbeiter*innen im Westen und den Nachbarländern ermuntert, der ukrainischen Arbeiterschaft zu Hilfe zu eilen und die sozialistischen Revolutionen über Landesgrenzen hinweg auszudehnen.

In der Ukraine sind es nicht nur die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben und solche für die Arbeiterklasse, die nur durch eine sozialistische Revolution gelöst werden können. Die demokratischen Aufgaben, deren wichtigste die nationale Frage ist, können auch nicht im Rahmen eines krisengeschüttelten, oligarchischen halbkolonialen kapitalistischen Systems erledigt werden. Unter kapitalistischen Vorzeichen wird das Streben nach Profit zwischen imperialistischen und ukrainischen Kapitalisten unweigerlich nationale Spannungen anfachen – als Resultat eines Kampfs um knappe Ressourcen.

Nur die Enteignung von Großkapital und eine wirklich demokratische Planwirtschaft wird die Entwicklung aller Regionen entsprechend ihren Bedürfnissen sichern können. Diese Perspektive der permanenten Revolution, die Trotzki ausgearbeitet hat, ist keine Utopie. Sie ist die einzige Alternative zu der furchtbaren Gefahr, die der Ukraine droht.

Internationalismus

Auf sich gestellt bzw. in Isolation wird die ukrainische Arbeiterklasse nicht in der Lage sein, den Klassenkampf gegen die eigene Oligarchie erfolgreich zu Ende zu führen oder sich der imperialistischen Unterwerfung unter das Diktat von USA, EU oder Russland zu widersetzen. Sie braucht und verdient einen großen internationalen Rückhalt von Arbeiter*innen überall. Besonders für jene in den imperialistischen Staaten besteht die Verpflichtung, einen durchgängigen Kampf gegen ihre eigene herrschende Klasse zu führen, deren Pläne auf die Unterwerfung der ganzen Ukraine über EU und NATO oder eine Teilung in Interessenssphären entlang ethno-linguistischer Linien hinauslaufen. Außerdem ist es wichtig, die Rolle von Obama, Merkel und Co. als „Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten“ bzw. Putins Rolle als „Schützer der russischen Bevölkerung in der Ukraine“ als Schmierentheater zu entlarven.

Sozialist*innen und Antikriegsaktivist*innen in den imperialistischen Ländern können am besten Solidarität üben durch Bildung einer internationalen Bewegung der Kriegsgegner gegen die Kriegstreiberei aller imperialistischen Mächte und in Solidarität mit dem antifaschistischen Widerstand.

Die Grundlage dafür sollte sein:

• Nein zu allen Boykotten der USA und EU! NATO-Kriegsschiffe raus aus dem Schwarzen Meer und der Ostsee!

• Rückzug aller westlichen bewaffneten Truppen und Militärbasen aus Osteuropa! Keine  NATO-Manöver in der Ukraine!

• Nieder mit allen imperialistischen Interventionen, westlichen und russischen! Keine fremden Truppen in der Ukraine! Alle CIA- und FSB-Geheimdienstleute müssen aus der Ukraine verschwinden!

• Keine neue Kriege, weder kalte noch mit Waffen geführte! Auflösung der NATO!

• Stopp aller Unterstützung westlicher Regierungen für die Junta in Kiew! Weg mit dem EU-Kürzungsprogramm für die Ukraine! Streichung der ukrainischen Schulden bei den internationalen Banken und Finanzeinrichtungen!

• Solidarität mit dem antifaschistischen Widerstand und Verteidigung der linken Organisationen wie KPUk und Borotba, die unter der Unterdrückung zu leiden haben!