Fußball-WM 2011: Eine Nachbetrachtung

Fußball-WM 2011

Sport findet nicht außerhalb gesellschaftlicher Wertesysteme statt. Besonders krass war dies bei der heurigen Fußball-WM der Frauen zu sehen. Die Aufregung um das Ereignis verriet, dass der Sport hier zum Medium für den Transport von Geschlechterbildern wurde. Bereits zuvor waren Barbies der DFB Spielerinnen produziert worden, die deutsche U20 Mannschaft hatte sich nackt im Playboy präsentiert. Gleichzeitig fühlte sich die männliche Macho-Fußball Welt bedroht. Immerhin wurde die Definitionshoheit von Männlichkeit durch fußballspielende Frauen attackiert. Aggressive Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Mario Basler meinte „Fußball ist nichts für Frauen“. Denn, so der ehemalige DFB Spieler, „[w]enn Mädels auf dem Rasen rumtoben wollen, sollen sie ein Netz aufstellen und Tennis spielen.“ Dem ehemaligen Vienna Trainer Frenkie Schinkels wiederum, „geht ein wenig Erotik verloren, wenn Frauen Fußball spielen“. Der Strum Graz Spieler Patrick Wolf knüpfte an den Vorschlag von Basler an, Frauen doch eher Tennisspielen zu lassen, denn: „da haben sie wenigstens ein Rockerl an, das ist auch was für die Optik“. Diese ablehnende Haltung der Fußball WM 2011 bzw. deren Diskussion im Rahmen ihrer Erotik zeigen, dass es hier nicht nur um die Reduzierung von Frauen auf ihr erotisches Wirken, sondern auch um die Angst des Kontrollverlustes von manchen Männern geht, die „ihren“ Sport verteidigen wollen. Die breite Begeisterung für die WM versetzt den Platzhirschen erstmal einen Dämpfer. Dass auch noch der letzte Fußball-Macho den Kampf gegen den Frauenfußball verliert, wäre mehr als nur zu wünschen.

 

Mediale Aufmachung

Trotz der verbalen Ausfälle haben ARD, ZDF und Eurosport jedes Spiel der Fußball-WM 2011 übertragen. Obwohl es sich um die einzige FIFA WM der A-Mannschaften in diesem Jahr handelt, wurde in der medialen Berichterstattung dennoch zusätzlich darauf hingewiesen, dass es hier um die „Frauen-Fußball-WM“ gehe. Beim Männer-Fußball sind solche Zusätze nicht zu finden, da hieß es 2010 einfach „Fußball-WM“. Durch diese Sprachunterschiede wird Differenz symbolisiert und reproduziert: Während die Männer-WM anscheinend den „normalen“, „üblichen“ Fußball darstellt und keinerlei zusätzlicher Erklärung bedarf, wird beim Frauen-Fußball extra auf das Geschlecht der Spielerinnen hingewiesen.

Diese sprachliche Auffälligkeit ist jedoch nicht der einzige Hinweis auf eine nach wie vor unterschiedliche Behandlung ein und derselben Sportart. Für viele Teams geht es nach dem kurzzeitigen Aufmerksamkeits-Höhepunkt der diesjährigen WM wieder zurück in die wenig, wenn überhaupt, geförderten nationalen Clubs. Während Millionen über die Transfermärkte des Männer-Fußballs fließen, können viele Spielerinnen trotz ihres Profi-Status nicht vom Sport leben. Diese Ungleichbehandlung hat Tradition. Die deutsche Männer-Nationalmannschaft bekam im Jahr 1974 bereits 35.900 Euro für den Gewinn des WM-Titels, die deutsche Frauenmannschaft erhielt selbst 15 Jahre danach für ihren Sieg 1989 keine finanzielle Prämie. Dafür gab’s jedoch – ganz gendergerecht – ein Kaffeeservice. Auch die nordkoreanischen Spielerinnen, immerhin am 8. Platz der Welt, mussten laut Aussagen des Trainers im Dokumentarfilm „Hana, Dul, Sed“ noch vor einigen Jahren regelmäßig ihre Fähigkeiten im Reis-Kochen unter Beweis stellen. Wollte doch der Trainer sicherstellen, dass die Spielerinnen nach ihrer sportlichen Karriere auch als Hausfrauen geeignet sind.

 

Zwischen Anerkennung und Kommerzialisierung

Dass die Fußball-WM 2011 eine deutlich höhere mediale Aufmerksamkeit als jene vor vier Jahren bekam, ist ein wichtiger Fortschritt. Vielleicht wird es mittelfristig dazu führen, dass einzelne Teams mehr Förderungen bekommen oder zumindest etwas aus dem Abseits des Fußballsports hinaustreten können. Mediengerecht vor der WM 2011 hat das österreichische Sportministerium z.B. angekündigt, dass es gemeinsam mit dem ÖFB und dem Land Niederösterreich die neu errichtete Frauen-Fußball-Akademie in St. Pölten fördern wird.

Zu viel darf man sich jedoch auch nach der WM 2011 nicht erhoffen, geht es bei der Einkommensdifferenz zwischen männlichen und weiblichen SportlerInnen ja nicht nur um die jeweilige Leistung, sondern um die Widerspiegelung von Genderunterschieden im Sport. Frauen im Sport wird prinzipiell weniger zugetraut, sie werden anhand von gesellschaftlich etablierten Schönheitsidealen gemessen und bewertet. Private SponsorInnen finden sich deutlich weniger, die staatlichen Förderungen sind auch äußerst gering. Davon ist nicht nur der Fußball betroffen. Auch in anderen Sportarten gibt es deutliche Einkommensunterschiede.

Während die Einkommensunterschiede schon bei den Millionen-VerdienerInnen offensichtlich sind, wird es in den Nachwuchsligen, aber auch in manchen Bundesligen und in mancher Nationalmannschaft noch krasser. In den deutschen A- und B-JuniorInnen Mannschaften werden Spieler in jungen Jahren bereits um 2.500 Euro gehandelt, während Spielerinnen auf dem Markt nur 30 Prozent dieser Summe wert sind. Selbst Nationalteamspielerinnen können nicht immer vom Fußball leben. Kerstin Garefrekes, die Torschützin des 1:0 gegen Kanada beim ersten Spiel der DFB-Mannschaft, hat neben ihrer sportlichen Karriere auch noch einen 21-Stunden Job in Stadtkämmerei Frankfurt. Die österreichischen Nationalspielerinnen können von ihrem Job ebenfalls kaum leben und wandern meist nach Deutschland ab. Insgesamt sieben Spielerinnen sind zurzeit beim FC Bayern München untergekommen. Spielerinnen der unteren Spielklassen wird in Österreich zum Teil sogar die Existenzberechtigung abgesprochen. Der Vorarlberger Verein FC Röthis hat erst in diesem Jahr alle Spielerinnen entlassen, die trotz ihres Sieges im Cup nun bei einem anderen Verein unterkommen müssen.

Dass die WM vielleicht Impulse gibt, um den Frauenfußball stärker zu fördern ist positiv, geht jedoch gleichzeitig mit der Gefahr, in das kommerzialisierte Fußballgeschäft integriert zu werden, einher. Nur noch selten geht es hierbei wirklich um den Sport an sich. Fußballclubs funktionieren heute über weite Strecken wie Konzerne. WM-Austragungsorte werden einem FIFA-Heuschrecken-Kapitalismus unterworfen: Die FIFA kommt vorbei, verdrängt sozial nicht Erwünschte von den Orten des Geschehens und wandert mit großen Profiten wieder ab.

 

Leistung nicht genug?

Dennoch sind die Forderungen nach mehr Förderung für den Frauenfußball absolut gerechtfertigt. Vor allem die unteren Ligen müssen hier deutlich stärker unterstützt werden. Dazu ist es auch notwendig jene Vereine zur Kasse zu bitten, die aufgrund ihrer privatwirtschaftlichen Sponsoren mit Millionenbudgets hantieren.

Die aktuellen „Strategien“, um mehr Geld für den Frauenfußball zu bekommen, gehen fast immer nach hinten los, da sie vor allem versuchen das Prinzip „sex sells“ nicht nur dem Frauenfußball überzustülpen, sondern auch die Spielerinnen zu Sexsymbolen zu machen. Das U20 DFB-Team posierte kurz vor der WM für den Playboy, der Puppenhersteller Mattel hielt es für notwendig u.a. eine Barbie der DFB-Spielerin Birgit Prinz anzufertigen, deren Puppen-Beinchen so dünn sind, dass sie wohl nicht einmal das Aufwärmen überstehen würden. Dass auch Frauen gesellschaftliche Rollenbilder und Sexismus reproduzieren können, beweist dabei Daniela Schaaf, die, von der FIFA bezahlt, zur Vermarktung des Frauenfußballs forscht. Ihr Ergebnis: „Bei der Vermarktung von Sportlerinnen geht es um drei Dinge: den Bekanntheitsgrad, die Medienpräsenz auch außerhalb der Sportberichterstattung und eine hohe physische Attraktivität mit Sexappeal.“ (zit. nach ballesterer, siehe: http://ballesterer.at/?art_id=1629)

Neben den sexistischen Vermarktungsstrategien kommt die heurige WM auch nicht ohne altbekannte Geschlechterzuschreibungen aus. An vorderster Front kämpft dabei der Rupert Murdoch der FIFA: Sepp Blatter. Der korruptionsumwitterte Skandalchef, dem auch vorgeworfen wird, sich den Posten gekauft zu haben (es gilt die Unschuldsvermutung) und der prinzipiell keine Fragen mehr zur WM in Katar 2022 beantwortet, setzt sich dafür ein, dass Mädchen früher als Buben im Fußball ausgebildet werden. Nicht, wie man vielleicht meinen möchte, um Spielerinnen eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen. Der wahre Grund: „Ab einem gewissen Alter haben die Frauen in der Gesellschaft eine andere Funktion als Fußball spielen“, so Blatter. Neben dieser impliziten „Zurück zu Herd und Kind!“ Aufforderung forderte Blatter 2004 auch knappere Höschen für Frauen. Denn: „Heutzutage spielen schöne Frauen Fußball“. Auf Kritik antwortete die FIFA, Blatter wollte nur neue Sponsoren, unter anderem die Mode- und Kosmetikindustrie ansprechen. Na dann…

Zuletzt wurde ein Klassiker bei einer Debatte um die Schiedsrichterinnen wieder aufgewärmt: der sogenannte „nervöse Charakter“ von Frauen. Solange das Spiel ruhig abläuft, hätte man kein Problem, „aber wenn es auf die Knochen geht, sind sie völlig überfordert“, so die ehemalige Schiedsrichterin Elke Günther. Schon wird der Ruf nach männlichen Referees laut. Die Argumente sind vielfältig. Die meisten hängen sich an der schlechten Leistung der Schiedsrichterinnen auf. Doch auch wenn seit dem nicht gepfiffenen Handspiel von Bruna im Spiel Australien gegen Äquatorialguinea die Szene stellvertretend für die angebliche Unfähigkeit der Schiesrichterinnen herangezogen wird, weicht deren durchschnittliche Leistung nicht vom Durchschnitt der Männer ab. Dass SchiedsrichterInnen-Leistungen diskutiert und kritisiert werden ist normal, vor allem bei Großereignissen, bei denen es um viel Geld geht. Bei der Männer-Fußball-WM 2010 waren die Schiedsrichterleistungen zum Teil ebenfalls katastrophal und standen damit im Kreuzfeuer der Kritik. Dennoch hat niemand nach einem Austausch oder gar nach Schiedsrichterinnen gerufen. Ein weiteres Argument mancher Medien für männliche Schiedsrichter ist, dass die Schiedsrichterinnen zum Teil aus Ländern kommen, in denen das Niveau des Fußballs deutlich geringer ist. Folgerichtig hätte auf Basis dieser Argumentation der österreichische FIFA Schiedsrichter Konrad Plautz niemals die Grenzen Österreichs übertreten dürfen. Dennoch wurde er ohne große Kritik bei der Europameisterschaft und anderen internationalen Ereignissen wie dem UEFA Cup eingesetzt.

 

Geschlechterverhältnisse aufbrechen

Sportlich erfolgreich zu sein reicht im Rahmen der Konfiguration bürgerlicher Geschlechterverhältnisse nicht aus. Auch wenn in nationalistischer Manier Siege der jeweiligen Nationalmannschaft erwartet werden, sind Siege im Frauenfußball eben doch nicht genug. Ganz in der Logik bürgerlicher Geschlechterverhältnisse müssen Frauen auch beweisen, dass sie ihre gesellschaftlich definierte und von ihnen permanent abverlangte „Weiblichkeit“ nicht verloren haben. Darüber hinaus soll genau diese „Weiblichkeit“ auch dazu eingesetzt werden, um das Interesse am Frauenfußball zu steigern. Der Sexismus im Fußball funktioniert somit subtil, indem er Druck auf die Spielerinnen ausübt, den Sport besser zu vermarkten. Er spielt somit mit dem persönlichen Verantwortungsgefühl von Spielerinnen gegenüber dem Sport, den sie ausüben. Dieses zu realisieren kann jedoch niemals im Rahmen der Reproduktion gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse passieren. Denn Aktionen wie das Fotoshooting für den Playboy von einigen Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft reproduzieren und verfestigen genau diese sexistischen gesellschaftlichen Werte und machen es für den Frauenfußball noch schwieriger seine Position zu behaupten.

Die Geschlechterverhältnisse im Fußball aufzubrechen kann jedoch nicht nur im Fußball selbst passieren. Auch wenn Fanclubs durch eine klare Politik gegen Sexismus eine wichtige Verantwortung haben, gilt es im Rahmen einer breiten Frauenbewegung gegen die Ungleichbezahlung von Frauen im Betrieb genauso zu kämpfen wie gegen den Sexismus im Fußball.

– Roman Riedl